Neuer Vorwärts
Sozialdemokratisches Wochenblatt
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Nr. 81 SONNTAG, 30. Dez. 1934
Aus dem Inhalt:
dust
1935: Frieden! Freiheit! Sozialismus!
1933: das Jahr des Zusammenbruchs, 1934: Jahr der Ermutigung, 1935:...!
Gegen diese Gesindel herrschaft haben wir den Kampf aufgenommen an dem Tage, an dem sie begannen. Der Kampf ist nicht vergeblich gewesen, so schwer er auch sein mag und mit wie ungleichen Waffen er auch geführt wird.
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zu
1934, Jahr der Ermutigung, ja- Wissenschaft zu stumpfsinnigem breiteten Tagespresse unter den heutigen| Unverschämtheit hängen eng miteinander Wohl! Jahr der Enttäuschung doch nur Drill geistloser Pauker erniedrigt, die gänzlich veränderten Verhältnissen» fort- zusammen. Darum muß man jeden Tag auf für diejenigen, die geglaubt hatten, die Kunst geschändet und entehrt! führen<< zu wollen. Was lebt, was fortge- eine Politik der Provokationen gefaßt sein, braune Konterrevolution sei bloß ein klei- Und über diesen ganzen Trümmern die führt wird, das ist das Bewußtsein einer die dem Frieden gefährlich werden kann. nes Zwischenspiel und binnen kurzem» Sieger«, heute noch gemeinsam prassend, sozialdemokratischen Gesin- Es gibt keine gleichzeitige werde wieder alles beim alten sein. Wer ruhmredig ihre großen Taten verkündend, nungsgemeinschaft, die sich als Sicherheit für den Frieden und von vornherein mit einem jahrelangen morgen schon Revolver in der Tasche, Fin- unzerstörbar erwiesen hat, weil eben Geist das System. Fühlt sich das System siKampf gerechnet hat, kann mit den Ergeb- ger am Hahn:>> Ich oder du!<< mit materiellen Mitteln nicht zerstört wer- cher, so ist der Frieden in höchster Genissen von 1934 nicht unzufrieden sein. Die Weltgeschichte weiß keinen zweiten den kann. Daß da eines zum anderen fahr. Umgekehrt gibt es kein besseres Sie sind enttäuschend nur für die Nutz- Fall zu berichten, daß je ein solches Ge- strebt, Fäden geknüpft werden, Verbindun- Mittel, den Frieden zu sichern, als daß nießer und Verteidiger des Systems. Sie sindel einen großen Staat regierte! gen entstehen, das kann keine Gestapo und man die braunen Machthaber unsicher sind ermutigend für uns! keine Schandjustiz verhindern. Glauben sie macht. Wenn sie wissen, daß ein Krieg mit In einem Monat vollendet sich das es gestern mit Feuer und Schwert ausge- 90 Prozent Wahrscheinlichkeit zur Niederzweite Jahr, seit Hitler einem schwachsintilgt zu haben, so ist es heute doch schon lage führt, und daß die Niederlage sie mit nigen Greis die Macht aus den Händen wieder da! Es lebt und es wird das braune 100prozentiger Gewißheit an den Galgen riß. Diese zwei Jahre sind eine endlose System überleben! bringt, werden sie sichs noch einmal überKette von Verbrechen, aber legen. Das beste Mittel, den Frieden aber auch eine ebenso endlose Kette von Miẞerfolgen. Die 1933, Jahr des Zusammenbruchs, der schützen, ist eine starke illegale Tätigkeit. Von Pessimisten vorausgesagte StabilisieVerwirrung. 1934, Jahr der Ermutigung, Für den Frieden Europas , für die Freirung des Systems war vor dem 30. Juni Trotz allen Wütens, trotz Mord und der Zusammenfassung, des Fortschritts heit des deutschen Volkes kämpft die Sozialdemokratie. Sie führt diesen Kampf, nicht vorhanden, sie ist auch nach ihm Totschlag, Zuchthaus und Konzentrations- auf. neuen Wegen. 1935....? nicht eingetreten. Immer neue Gegensätze lager, ist es den Feinden nicht gelun- Noch vor wenigen Wochen galt 1935 ohne sich über das augenblickliche Kräftewerden sichtbar, neue Spannungen ent- gen, die Sozialdemokratie zu ver- den meisten als das Anfangsjahr des verhältnis zu täuschen, aber auch ohne Sie verneigt laden sich, der Klassenkampf ist Die Sozialdemokratie zweiten Weltkriegs. Jetzt gibt es sich entmutigen zu lassen. tot, nur unter die Oberfläche gedrängt, lebt. Die Sozialdemokratiefaßt wieder Leute, die an den Frieden glauben. sich vor den Toten des Jahres, den Mänoberhalb kann er sich nur noch in ver- wieder Boden. Sie hat sich den neuen Freilich sind nur einige Kriegsanlässe ver- nern, die auf den Schauplätzen der Bürgerlogenen und verpöbelten Formen geltend Verhältnissen angepaẞt und steht wie- schwunden, während die eigentliche Kriegs- kriege Oesterreichs und Spaniens und in machen. Gegen die bürgerliche Respek- der im Kampf. ursache geblieben ist: der unsichere Zu- den Konzentrationshöllen Deutschlands für tabilität großkapitalistischer Kreise, die Dabei bleibt doch jedes Urteil wegen stand, der ungewisse Kurs des Dritten die Freiheit fielen. Sie grüßt ihre Genosdoch gerne wieder etwa wie einen Rechts- angeblicher Versuche, die alte Sozialdemo- Reichs. Noch nie ist eine Regierung dem sen in den Kerkern, die tapferen Verfolgstaat haben möchte, skandaliert der ju- kratische Partei fortzuführen, selbst im Ausland so nachgelaufen, hat sie so nach ten, die namenlosen Helden der illegalen denfressende Mob. Der Antisemitismus Sinne der geltenden Gesetze glatter Ju- Frieden gewimmert, wie die jetzige. Ge- Arbeit. war schon immer der Sozialismus des stizmord. So schwachköpfig ist keiner, die rade deshalb besteht bei der Eigenart ihrer dummen Kerls<<. Ihm gestattet man, wäh- alte sozialdemokratische Massenorganisa- Veranlagung die Gefahr, rend die großkapitalistischen Kreise ihre tion in ihren alten Formen, mit ihrem ge- einem Tage zum anderen in das entgegen- des zuversicthlichen Kampfes für FreiHerrschaft befestigen, sich gelegentlich in waltigem Funktionärapparat, ihrer ver- gesetzte Extrem verfällt. Servilismus und heit und Sozialismus sein! schmutzigen Exzessen Luft
nicht nichten.
zu machen.
Der echte Klassenkampf, der Kampf der Arbeiter um Menschenrechte, Freiheit und Sozialismus wird unterirdisch geführt. Wie sehr die Machthaber ihn fürchten, zeigt die fieberhafte Arbeit ihrer geheimen Staats
polizei.
das
Was 1935 bringt, weiß keiner. Für die daß sie von Sozialdemokratie wird es ein Jahr
Anschlag: Hier gilt der deutsche Gruß Heil Hitler ! Unterschrift: Bald aber kommt der große Krach, Dann sagen wir wieder: Guten Tag!( aus Berlin .) Wir veröffentlichen im folgenden eine Reihe von Auszügen aus laufenden Berich
Der Bankrott der Außenpolitik ist vollkommen. Oesterreich ist verloren, die Freundschaft mit Italien dahin, das frühere gute Verhältnis zu Sowjet-| rußland in sein Gegenteil verkehrt. Für diese Verluste könnte auch Polen , man mit kriegerischer Unterwürfigkeit und zweifelhaftem Erfolg zu gewinnen ver- ten, die dem Sozialdemokratischen Parteisucht, keinen Ersatz bieten. Man nimmt vorstand aus Deutschland zugehen. Man die Besetzung des Saargebietes durch eine rechnet in Deutschland nicht nur mit dem internationale Truppenmacht wie eine Krieg,
man rechnet auch
mit
blutigen Auseinandersich in aufdringlichen Liebesanträgen ansetzungen im Lager der NationalsoziaFrankreichs Adresse! Das ist eine Außen- listen. politik, die die Nazis mit einer Serie von Bombenattentaten und Mordanschlägen be
wenn es nicht ihre
Es geht etwas vor!
Berlin : Es liegt etwas in der Luft wie vor dem 30. Juni. Die Mißstände sind ungeheuer, die Unzufriedenheit der Bevölkerung ist noch
lous
München : Das Vertrauen der Massen in meisten Menschen erwarten irgend ein Ereigdie Staatsführung schwindet von Tag zu Tag, nis, das eine Aenderung bringen soll. Die Unzahl von Reden und BeruhigungspilDie immer wiederkehrende Aeußerung ist, so kann es nicht weiter gehen. len können nicht über die gefährliche Situation, in der sich die deutsche Wirtschaft be- Ein Bäckermeister in P., der als eines der findet, hinwegtäuschen. Zwar ist fast alle ältesten Mitglieder der NSDAP gilt, aber weschon wiederholt acht Tage irgend eine große Kundgebung, gen seiner offenen Kritik verwarnt wurde, kam kürzlich in eine Arbeiaber das verfängt nicht mehr. terwirtschaft und zeigte eine Nummer der Sozialistischen Aktion, die ihm zugeschickt
Besondere Beunruhigung bemächtigt sich der Industriearbeiterschaft, die immer mehr einzusehen beginnt, daß die Arbeitsfront eine riesige Seifenblase ist.
wurde.
Als ihn die Arbeiter warnten und ihm rieten, dieses gefährliche Blatt zu verstecken, ließ er sich nicht beeinflussen und das muß jeder Die Unternehmerschaft wagt sich wieder her- schrie:» Das kann jeder, vor. Der Lebensstandard der Massen ist trotz sehen. Ich habe es gelesen, das ist die Wahrder Winterhilfe und der krampfhaften Ar- heit, so wie es da drin steht, so ist es, mir antworten würden, Das soll mal einer von den Bonzen sagen, daß das beitsbeschaffung im Sinken begriffen. eigene wäre! Mißtrauen der Massen in die Führung drückt nicht wahr ist.<< Schlesien : Heute wird mehr als zur Zeit Deutschland rüstet in rasendem sich durch die Unzahl der herumschwirrenden Gerüchte aus. Man sieht mit Staunen, der Aktion gegen die Miesmacher offen geTempo. Aber noch schneller als seine eigehen Waffen vermehrt es die bewaffneten ist auch die Mißstimmung innerhalb der NS- wie sich die hohe Staatsführung immer mehr schimpft und kritisiert. Bei den Meldestellen von dem gefährlichen Volke zurückzieht und für das Winterhilfswerk, bei den StempelstelFeindschaft gegen sich, und so wird es Parteiorganisationen außerordentlich, so daß hinter Schutzwällen von schwarzen Garden len, in den Wirtshäusern und auch sonst, wo trotz aller Anstrengungen nicht stärker, man allgemein glaubt, Hitler könne die Verin den Olymp entschwindet. Unzufrieden irgendwie die Bevölkerung zusammenkommt, hältnisse nur durch einen ähnlichen Gewalt- steht die Masse und vertreibt sich die Zeit wird über die bestehenden Zustände offen Das Versagen der Wirt- streich wie damals wieder in Ordnung brin- damit, über die nächsten Blitze, die aus den Kritik geübt. Im katholischen Oberschlesien schaftspolitik ist nicht minder voll- gen.
Sondern schwächer.
kommen.
stärker als vor dem 30. Juni. Insbesondere
Eines der ersten Opfer einer solchen Wolken niederfahren, zu orakeln. neuen Gewaltaktion würde dann Ley sein, Baden: Man kann sagen, die ganze Atmosphäre ist geladen, man erwar
Rohstoffknappheit, Exportder Le- über den es nur ein Urteil im ganzen. Volke
können, wie diese aussehen wird.
geschieht dies besonders offen und sichtbar. Man könnte sagen, die Leute sind direkt unvorsichtig.
schrumpfung, steigende Kosten benshaltung, sinkende Löhne, schwindende gibt: Ein Säufer und Scharlatan, der viel ver- tet eine Katastrophe, ohne doch sagen zu Hitler hat uns betrogen! Umsätze des hundertfach bedrängten Ein- spricht und nichts hält. Rheinland : Von der Mißstimmung im Somzelhandels kennzeichnen ihren Weg. Südbayern: In der letzten Zeit wird viel Die Meckerei ist viel stärker als zur Zeit mer unterscheidet sich der gegenwärtige Zuüber einen zweiten 30. Juni gesprochen. Die der Miesmacheraktion. Aber das Regime stand in einem wichtigen Punkt: Damals litischen und wirtschaftlichen Gebiet sind stadelheim wollen nicht verstummen. Genau- len, es führt Aber noch schlimmer als auf dem po- Gerüchte über Erschießungen in Dachau und kann die Aktion nicht schon jetzt wiederho- wurde Hitler noch allgemein von der Kritik die Zerstörungen auf dem moralischen und schamlose Blutjustiz im Dienste einer re- rer Bergmann aus Alldorf bei Nürnberg , die Gerüchtemacher<. gierenden Verbrecherbande, die Kirche der am 30. Juni mit verhaftet worden ist, außen geknebelt und innen zerrüttet, die nunmehr erschossen worden sein.
dem geistigen.
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die täglichen Zeitungsmeldun- ausgenommen. Heute ist das anders. eres ist jedoch nicht zu erfahren. So soll z. gen sagen darüber genug einen grausaOstsachsen: Fest steht, daß Hitler nach Die Rechtspflege, B. der persönliche Adjutant Röhms, der Leh- men, aber doch wirkungslosen» Kampf gegen wie vor von einem großen Teil der Bevölkerung von der Kritik ausgenommen wird. AnPfalz: So stark wie gegenwärtig war die derseits ist aber zu beobachten, daß sich in Ablehnung des Hitlerregimes noch nie. Die allen Bevölkerungsschichten die Stimmen