Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblakk

Verlag: Karlsbad  , Haus, Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr.85 SONNTAG, 27. Januar 1933

cub Aus dem Inhalt:

Das Elend der Saarflüchtlinge Wirtschaftliche Folgen der Rück­gliederung

Evangelische Theologen gehen nach Rom  

Der Bauer als Opfer des Systems

Die Opposition in Deutschland  

Der Kampf um die Freiheit

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Die unterirdischen Parteien

Die angesehene Zeitschrift» The tatur des Proletariats; und diesen Weg, der offiziellen Nazizeitung, dem» Völki-| wirtschaftlichen oder religiösen Gründen Fortnightly<< veröffentlicht einen Auf- davon bin ich überzeugt, wird der deutsche schen Beobachter<<. verwerfen. In diesem Zusammenhang ist satz von Wickham Steed   über die Weltlage und die englische Politik. Im Arbeiter nicht gehen. Wenn die kommuni­3. Die dritte Oppositionsgruppe wird die Spaltung in der evangelischen Kirche Rahmen dieses Aufsatzes beschäftigt stische Gefahr vor Hitlers Machtergrei- von Otto Straßer   geführt, dem Bru- außerordentlich bedeutsam und die Fest­sich der führende englische   Publizist fung klein war, so kann man heute kaum der von Hitlers   früheren Bundesgenossen stellung ist nicht übertrieben, daß der Sieg mit der Stabilität des Hitlersystems. von ihr sagen, daß sie existiert oder in Zu- Gregor Straßer  , der am 30. Juni gemor- der» Bekenntniskirche<<, der in der Ab­Er gibt die folgenden Ausführungen über die Opposition in Deutschland   wie- kunft existieren wird. det wurde. Otto Straßer   trennte sich vor setzung Dr. Jaegers,» Rechtswalter« des der, die von einem Deutschen   stammen, 2. Die Sozialisten. In ganz Jahren von Hitler  , und während er eine Hitlerschen Reichsbischofs Müller, der beruflich Deutschland   bereist. Wick- Deutschland findet man eine lebhafte Agi- andere Form des Nationalsozialismus an- Ausdruck kam, ein Ereignis von großer po­diese Darstellung die Dinge seiner Auf- tation, die von der sogenannten» Sozialisti- erkennt, verwirft er den Antisemitismus. litischer Bedeutung war. Sollte der evange fassung nach richtig wiedergibt: schen Aktion<«< betrieben wird, das heißt, Er betreibt seine Propaganda in einer lischen Opposition die Entfernung des Neben den Meckerern und Kritikastern, von den Mitgliedern der früheren Sozial- Flugschrift, die im Ausland gedruckt und Reichsbischofs Müller gleichfalls gelingen, deren in beachtlichen Mengen nach Deutschland   so hätte sie einen vielleicht entscheiden­

ham Steed betont ausdrücklich, daß

demokratischen Partei,

über die Dr. Göbbels   im vorigen Sommer Hauptquartiere jetzt außerhalb Deutsch  - geschmuggelt wird. Sein Ziel ist, solche den Sieg über Hitler selbst erfochten.

klagte, gibt es ein» illegales Deutschland  <<, und die 10 Prozent Opposition gegen das Regime am 19. August 1934 spiegeln die Bystematische Arbeit von mindestens 5 Oppositionsgruppen wieder. Wer immer in der Lage ist, die Situation in den verschiedenen Landesteilen zu studieren, muß zu dem Ergebnis kommen, daß die gute Hälfte des Volkes( einschließlich der meisten Frauen) heute hinter Hitlers   Per­son steht, obgleich kaum 40 Prozent den Nationalsozialismus billigen und nicht ein­mal 20 Prozent auf der Seite von Hitlers  Leutnants wie Göring  , Göbbels  , Rosen­berg und Frick- stehen. Dieses Ergebnis wird bekräftigt durch die Ausbreitung der illegalen Propa­ganda,

wächst

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die seit vielen Monaten in

Deutschland   getrieben wird und ständig trotz aller Anstrengungen der Geheimen Staatspolizei, sie zu unterdrük­

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zum

den

land liegen. Der Hitlerismus hat das Ge- Nationalsozialisten um sich zu sammeln, Innerhalb rüst dieser Partei beinahe unberührt ge- die sich nach dem 30. Juni von Hitler ab­der Mittelstands- Opposition lassen. Sie hat noch Millionen gehört die eigentliche Führerschaft von wandten, und es ist Grund zu der An- Volksmonarchisten«, d. h. Anhängern, auch unter den Jungen, nahme vorhanden, daß er unter den Bau­die sehr still und zäh gegen den National- ern und kleinen Landeigentümern Fort­sozialismus arbeiten und gleichzeitig ge- schritte macht. gen die Kommunisten, die von den Sozia­

den Anhängern jener Tendenzen, die von dem am 30. Juni ermordeten General Schlei­cher verfochten wurden. Dieser Mord und

4. Die frühere Zentrumspartei   die Ermordung anderer bekannter Per­listen als schlimmste Feinde der Weima­und die römisch- katholischen Christen hal- sönlichkeiten machte einen verheerenden rer Republik und als Wegbereiter Hitlers ten   im allgemeinen an ihrer stillen, aber Eindruck auf die Krise, in denen die diplo­angesehen werden. Nach der Reinigung vom 30. Juni machte diese>> Sozialistische ausdauernden Feindschaft gegen das Hit- matischen und wirtschaftlichen Folgen der Aktion« in der SA   Fortschritte, und die lersystem fest, obgleich sie sich, soviel ich deutschen   Isolierung voll verstanden wer­SA treibt in manchen Gegenden eifrig die feststellen kann, von illegaler Propaganda den. illegale Propaganda weiter. Ungeachtet zurückhalten. Zwischen den verschiedenen All diese Gruppen und Richtungen ha­der katholischen Bevölkerung ben ein einziges Ziel- den Sturz des der persönlichen Gefahr tun diese Propa- Gruppen der mündlich, aber sie verteilen auch Flug- sozialismus auf religiösem Gebiet und in daß Beziehungen zwischen eini gandisten ihre Arbeit in der Hauptsache scheint eine Art stillschweigender Ueber- nationalsozialistischen Sy einkunft zu bestehen, gegen den National­gen dieser Gruppen bestehen und stärker werden. Weder durch» Versöh­

schriften. Wenn es der Geheimen Staats­

stems und es darf als gewiß gelten,

ken und trotz Verfolgung und Terroris- Ergreifung eines» kommunistischen Agi- tum abspenstig gemacht wird und die Agi- nungsfeldzüge«, noch durch Görings» eiser- 1

ne Faust« wird es Hitler gelingen, ihrer Herr zu werden. Der Abgrund zwischen

polizei gelingt, eines solchen Propagan­eines solchen Propagan- Gewissensfragen zu opponieren. Die Art, disten habhaft zu werden, wird immer die in der die>> Hitler- Jugend  « dem Christen­tation der Deutschen Glaubensbewegung  grundsätzlichen Praxis der Nazis überein, haben den Boden bereitet, auf dem die alle Opposition auf der Linken als» kom- stille katholische Propaganda erstarkt. munistisch«< zu behandeln. Aber in Wahr  - 5. Die fünfte Gruppe wird von den tief, besonders aber der Abgrund zwischen heit wissen die Naziführer sehr genau, daß Oppositionellen des konserva- ihnen und dem Begriff> Totaler Staat  .

tators« gemeldet. Das stimmt mit der

ihnen und dem Nationalsozialismus ist zu

mus. Von der Bevölkerung wird jeder Form der illegalen Propaganda ein bemer­kenswertes Interesse entgegengebracht, be­sonders, wenn Nachrichten verbreitet wer­den, die deutsche Zeitungen nicht öffentlichen dürfen; und diese Propaganda schwersten greifbaren Feinde sind. die Sozialisten ihre wirksamsten und am tiven Mittelstandes gebildet, ein- Alles in allem besteht kein Grund, die wird von fünf verschiedenen Gruppen be-| Das schließlich all jener Unorganisierten, die Aussichten des Hitlerregimes als rosig zu trieben, es sind die folgenden: beweisen verschiedene Wutausbrüche in das gegenwärtige System aus politischen, bezeichnen.

t

ver­

1. Kommunisten verschiedener

Meinungsschattierungen. Wenn man über

diesen Punkt mit den Führern des Nazi­regimes debattiert, wird einem immer ver­sichert, daß die einzig ernsthafte Oppo-| sition von den Kommunisten komme. Es| ist Tatsache, daß die Verfechter kommu-|

nistischer Ideen Ideen eine sehr aktive,

Das Elend der Saarflüchtlinge

Eine Anklage an Europa   und den Völkerbund!

Alle Befürchtungen, die man hinsicht-| kommenden Nächten kaum eine Gelegen-| Der Chef der Polizei, Direktor Heimburger

wenn auch nicht immer besonders ge­schickte Propaganda betreiben; aber es lich der Flüchtlinge von der Saar   nach heit zum Sitzen haben werden. Die Kinder vom Ministerium des Innern, ist vollkom­ist auch Tatsache, daß diese Ideen einem Siege Hitlers   hegte, sind durch die müssen in Strohsäcken auf der Bühne men isoliert und wird bei allen amtlichen nie weniger Wurzeln im Volke Wirklichkeit furchtbar übertroffen wor- schlafen. Dabei spielen sich herzzerreißende Meldungen völlig übergangen. Er empfängt schlagen konnten als heute. Das den. In die lothringischen Grenzorte zie- Szenen ab. Wahrscheinlich werden in seine Informationen über die Zustände im Schlagwort» Diktatur des Proletariats< fin- hen in kaum unterbrochenen Strömen Kürze auch Kasernen zur Unterbringung Lande von ausländischen Journalisten, die det kein Echo mehr. Einerseits haben die Männer, Frauen und Kinder, weil sie sich der Flüchtenden bereitgehalten. arbeitenden Klassen begriffen, wie stark vor dem braunen Terror nicht mehr sicher

in heller Empörung über den Zusammen­

Dabei scheint alles erst ein Anfang bruch der Polizeigewalt in einem dem

ter den Augen der internatio­

der politische Einfluß des Mittelstandes in fühlen. Allein in Forbach  , einer klei- zu sein. Das allerschlimmste wird erst für Völkerbund als Treuhänder übergebenen Deutschland   ist, andererseits erklären In- nen Stadt dicht an der saarländisch- loth- die Tage nach der offiziellen Rückgliede- Lande sind. Dies alles geschieht un­dustriearbeiter und Handwerker offen, daß ringischen Grenze, sind bisher nahezu 3000 rung am 1. März gefürchtet. sie mit keiner Diktatur etwas zu tun ha- Emigranten eingetroffen, kaum mit dem ben wollen, wie immer sie heißen mag, weil notdürftigsten Gepäck, viele mit nichts sie unter der Nazidiktatur zu schwer gelit- anderem, als dem, was sie gerade auf dem ten haben. Die deutschen   Arbeiter sind ge- Leibe hatten.

wiß keine Revolutionäre in dem Sinne, daß|

Mit tiefer Erschütterung sieht die loth­

sie für irgend eine abstrakte Idee ihr Le- ringische Bevölkerung die Elendszüge kom­ben, ihre Familien und die bewährten so- men und sucht nach Möglichkeit zu hel­zialen und materiellen Errungenschaften, fen. die sie durch die Gewerkschaften

durch

Die französischen   Behörden haben und eine umfassende und sorgfältige Vorberei­jahrzehntelange politische Kämpfe tung zur Aufnahme der Flüchtlinge ge­

Rob

Es ist die erste ganz überwie- nalen Truppen, die untätig in den gend proletarische Emigra  - Kasernen und Unterkünften festgehalten tion der neueren Geschichte, werden. mitten im Herzen Europas  . Sie bedeutet zugleich eine schreiende Anklage gegen den Völkerbund, dessen Saarregierung Tausende und aber Tausende schutzlos läßt.

Die Polizei, die der Regierungskommis­sion, untersteht, wagt nicht, die Gegner

In den gleichen Stunden, in denen der Völkerbundsrat feierlich die Rückgliede rung des Saargebietes an Hitlerdeutsch­land beschloẞ, müssen tausende angeb­lich geschützter Saarländer   in bitterstem Elend und zerquält von ihrem ungewis­sen Schicksal die Heimat verlassen.... Die Saaremigration ist ein.

gewonnen haben, opfern möchten. Diese troffen, die von hier aus nach dem Süden der Rückgliederung gegen Bedrohung und Arbeiter verlangen vor allem ständige Be- Frankreichs, zunächst nach Toulouse  , im Gewalt zu beschützen. Die Beamten be- Weltskandal. Sie steht im krassen schäftigung und Nahrung. Das soll nicht Sonderwagen weiterbefördert werden. Aber fürchten, selbst, wenn sie den guten Wil  - Gegensatz zu den feierlichen Versicherun­heißen, daß sie nicht mit gewissen sozia- diesen Massen in dieser Not sind die ge- len zum Eingreifen hätten, daß sie nach gen des Reichskommissars für das Saar­listischen Forderungen einverstanden- schaffenen Einrichtungen zur Aufnahme der» Heimkehr« des Saargebietes ihres gebiet, des Gauleiters Bürckel  , des Kom­ren, wie z. B. Aufteilung der großen Land- und zur Verpflegung kaum gewachsen. In Amtes enthoben und sofort durch» alte merzienrates Röchling   und der andern güter und Einschränkung der kapitalisti  - der Forbacher   Turnhalle, dem Hauptsam- Kämpfer« ersetzt werden schen Monopole. Aber es ist ein weiter melplatz, drängen sich Männer, Frauen und überwiegende Mehrheit Weg von diesen Forderungen bis zur Dik- Kinder so dicht, daß sehr viele in

würden. Die Größen der» Deutschen Front«<, die den

Polizei steht fremden Journalisten immer wieder be­den ganz offen im Dienste der braunen Front. I teuerten, daß aus dem ganzen Saargebiet