Nr. 87 BEILAGE
Neuer Vorwärts
10. Februar 1935
Im Banne des Soldatentums
Der Unterschied zwischen einem Hoch
wird.
Der deutsche Militärschriftsteller Major derte allmählich zivilisierte. Mit Liebe spricht, kampf denn auch die führende Stellung.<<| sten aller Länder sich, der Welt zu demona. D. Dr. Kurt Hesse, Lehrer für Kriegs- er insbesondere von den Reformen nach Jena . Aber Hesse nennt die reaktionären Mächte strieren, daß Versprechen und Halten zwei geschichte an den Waffenschulen des Reichs- Der Weltkrieg schließlich hat jede gesell- der Gegenwart nicht, die wie damals durchaus verschiedene Dinge sind. heeres und Privatdozent an der Universität schaftliche Funktion militarisiert und dadurch den Modernisierungsbestrebungen im Wege Berlin , hat seinem letzten Werk, einem» Um- umgekehrt das militärische Leben zivilisiert. stehen, er kann die Ursachen des Sturzes stapler und einem Finanzminister besteht in riẞ der Geschichte des preußisch- deutschen Volk und Armee verwuchsen zur Einheit. Schleichers nicht klarlegen, denn er scheint der Hauptsache darin, daß dem letzteren vom Heeres seit 1653< den bezeichnenden Titel Hesse sagt es nicht, aber es steht dennoch in zu jener Gruppe um Blomberg zu gehören, Gericht der gute Glaube für die von ihm ein> Im Banne des Soldatentums gegeben. Der seiner Geschichte des preußischen Heeres, daß die den Führer in das Soldatentum der Reichsgegangenen Schulden zugesprochen Reichswehrminister Blomberg hat diesem sich die deutsche Misere, welche die Grund- wehr hineinführen und von den anderen Bun- Außerhalb ihrer Seelentiefen, im TatsächBuch ein Geleitwort vorausgeschickt, das lage der Vorherrschaft des Soldaten war, nun- desgenossen, wenn auch unter Konzessionen, lichen, benehmen sie sich durchaus gleichman sehr vielseitig deuten kann, Major Hesse mehr gegen das Soldatentum selbst richtete. loslösen will. Aber er deutet es immer wie- artig. Der Hochstapler meist anständiger. Er aber verfolgt einen Gedanken, der sehr deut- Die soziale Struktur Deutschlands schwächte der an, daß die totale Mobilmachung als Auf- zahlt seine Schulden nicht. Der Finanzminilich ausgesprochen wird:» Der Soldat ist der die Wehrkraft, Streiks setzten ein, der seeli- gabe vor Deutschland steht und läßt klar ster beschließt feierlich, daß er nicht zu zahnatürliche Mittelpunkt des Staates<<. Er sche Rohstoff ging aus, die Gegensätze wer durchblicken, daß das nach ihm Notwendige len braucht. zeigt auf, wie er das in Deutschland immer den immer schärfer, der soziale Frieden war noch nicht geschieht. war und sagt bereits in seinem Vorwort: > Es wird zu zeigen sein, wie sich durch die preußisch- deutsche Geschichte letzter drei Jahrhunderte ein roter Faden hindurchzieht, der soldatische
Geist<.
Franz Mehring hat in der preußischdeutschen Geschichte auch einen» roten Faden« gesehen. In einer Arbeit:» Der rote Faden in der preußischen Geschichte<< schrieb er unter anderem:» Politisch hat es die deut sche Bourgeoisie nicht verwunden, daß sie sich nicht selbst emanzipiert hat, sondern durch ausländische Hilfe emanzipiert worden ist. Deshalb ist der deutsche Bürgersmann auch nie ein Freier geworden, sondern immer nur ein Freigelassener, dem die zerbrochene Kette bei jedem Schritt mit verräterischem Klirren nachschleift. Anders die französische Bourgeoisie, die sich zwar auch Wesen aller Bourgeoisie liegt nien von anderen Leuten aus dem Feuer holen ließ, aber sie wenigstens selbst verzehrte, mit gesegnetem Appetit das feudale Eigentum vertilgte und damit die Wurzeln der feudalen Gesellschaft ausrottete<.
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wie es im
die Kasta
Mehring sieht also einen anderen roten Faden als Hesse. Dennoch ist es, genauer betrachtet, derselbe. Denn
die Größe des
deutschen Soldatentums ist nur die andere Seite dieser von Mehring aufgezeigten deut schen Misere. Hesse hat als Soldat alle Veranlassung, dieser Misere einen Hymnus deutsche Bürgertum freilich
widmen,
das
zu
würde einen Hymnus auf seine Halbheiten, seine klassenbedingte Feigheit, also auf seine eigene Jämmerlichkeit singen müssen. O ja, ale sind> im Banne des Soldatentums<. Sie I waren es gestern, sie sind es heute und werden es morgen sein. Haben sie es anders
verdient?
Der rote Faden der preußischen Geschichte hat den bürgerlichen Freiheiten die Kehle| abgeschnürt. Verspätet trat das deutsche Bürgertum in die Geschichte. Von der Konkurrenz anderer Staaten bedroht, einem starken Junkertum gegenübergestellt, die junge Arbeiterschaft fürchtend, setzte es seine Interessen auf seine Weise und nur sehr allmählich durch. Die Kühnheit der französi schen Revolution kannte die deutsche Bourgeoisie nicht, nichts vollbrachte sie aus eigener Kraft, so glaubten Marx und Engels, die bürgerliche Revolution Deutschlands nur das Resultat der proletarischen Aktion sein. Alle verspäteten bürgerlichen Umwälzungen zeitigen ähnliche Erscheinungen wie
in
könne
außerbürgerliche
Kräfte standen an der Spitze der Erneuerung, die bürgerliche Umwälzung vollzog sich reformistisch und ohne revolutionäres Bürger
tum.
der
Diplomatisches Experiment
CHBERECHTICU
GLEIC
Wird er nun die Torte fressen oder den Mann?
gefährdet. Die Armee konnte nicht mehr wie Hesse kündigt das Zeitalter des Soldaten früher ein so abgesondertes Leben führen, an, der am Ende der deutschen Revolution
Ein Tuchlieferant, der dreißig Meter Stoff zu liefern hat und nur drei Meter liefern wollte mit der Begründung, von gestern ab habe es ihm gefallen, den Dezimeter in ,, Meter" umzutaufen, wanderte in eine feste Bewahranstalt. Der Finanzminister nennt so was Devalvation und dann ist es rechtens. Er kann es auch anders machen: Du hast ihm deinen Obstgarten vermietet. Die Bäume kriegst du wieder, jetzt natürlich nicht, später einmal, wenn sie vielleicht eingegangen sind, nur die Aepfel behält er einst
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weilen. Zinsmoratorium nennt man das.
Oder er macht es noch anders: Er hält dir einen knackenden Revolver so lange vors Gesicht, bis du freiwillig, versteht sich, ganz und gar freiwillig
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auf einen Teil deiner Forderung, Kapital oder Zinsen, verzichtest. Der Hochstapler täte das nicht. Denn er weiß sehr genau, daß hier das leichtere Delikt des Betruges in das schwerere der räuberischen Erpressung übergeht. So was darf eben nur ein Wirtschaftsdiktator tun, ein Hochstapler läßt die Finger davon.
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Aber, bitte, keine moralische Entrüstung. ZinsInflation, Devalvation, Moratorium, senkung all das sind nur Paraphrasen des Grundmotivs: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. In irgend einer Form muß man doch Pleite machen, nicht wahr?
Man muß nicht Pleite machen, was st hör ich! Veraltete liberalistische Ansicht! 19 Wirtschaftsführer früherer Zeiten mochten sich ihre Köpfe zerbrechen, wie sie ihre Gläubiger bezahlten. Das moderne Finanzgenie zeigt sich in der Erfindung immer neuer Methoden, die Gläubiger zu prellen. Immer neuer, denn zweimal geht keiner auf den gleichen Leim. Aber man gebe dem Leim nur eine andere Färbung, sofort sitzen die
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Vögel darauf!
Einige Leutchen,
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siebenmal betrogene
Sparer und dergleichen leicht rupfbares Federvieh, sind mit der Zeit mißtrauisch geworden. Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß trotz hochtönender Versprechungen der Staat seinen Verpflichtungen nicht immer ganz nachkomme. Doch an die liebe, alte, solide Sparkasse, an die glauben sie. Machen einen großen Bogen um die Staatsanleihe und tragen ihre sauerersparten Körnleine auf die Sparkasse. Fragt nur, ihr guten Vögelchen! Wenn genug Körnlein auf der Sparkasse zusammengeflossen, fährt der Wagen des Finanzdiktators vor und lädt die prallen Säcke auf. Ihr schlaft derweil und merkt das gar nicht.
Ihr haltet eure prächtig gedruckten Scheine in Händen mit den beschworenen und garantierten Klauseln darauf. Was so kalligraphisch schön, mit so viel Unterschriften verbrieft und besiegelt ist, das muß doch gelten! Merkt Euch: Seit zwanzig Jahren gilt im
Freilich, die Militärgewalt nahm in frühkapitalistischen Epoche auch in anderen daß die Soldaten aus Kadavergehorsam auch die beherrschende Gestalt sein wird. Aber er Obligationenrecht der bürgerlichen Welt ein
er nicht den SA- einziger Satz: Wo nichts ist, hat der Kaiser sondern den Reichswehrsoldaten sein Recht verloren.
Ländern eine überragende Stellung ein, aber auf Vater und Mutter schießen; diese Ideolo- läßt keinen Zweifel, daß nicht überall wurde sie zum System, zum gie wurde durch den Volkscharakter der Ar- Soldaten, Militarismus. Das Bürgertum gewöhnte sich mee unhaltbar, und der Kadavergehorsam meint, dessen Tugenden ausstrahlen sollen auf allmählich daran, denn aus welchem Grunde mußte schon aus Gründen der technisch be- die gesamte Bevölkerung und der das Maß schaftsdiktator... Keine Sorge, der tut nur
Es führen viele
Kriegsführung bewertet werden. Mehr denn
Es würde doch etwas da sein? Der Wirt
eines: Er schafft das Geld heran. Dafür, daß Deutschland im Banne des Soldatentums, am Schlusse nichts mehr da ist, sorgen die wie Hesse es sich denkt, kann nicht das Herren Mitdiktatoren. Ganz recht: Im zivilen die leben, daß sie dauernd Geld borgen und es
soll die einzigst> normale Interessenvertre- dingten rapiden Auflösung der geschlossenen aller Dinge sein soll. tung allein in der gründlichen und so gefähr- Formation als eine Gefahr für die erfolgreiche lichen Revolution legen? Wege nach Rom. Jedenfalls war die ständige je muß die Armee das Volk suchen.» Kriege gegenwärtige Deutschland sein. In welcher Leben nennt man die Menschen, die davon Vorherrschaft des Militarismus eine Kraft, sind für das Heerwesen, was Revolutionen für Weise Hesse in sozialer Hinsicht wie
Privatkolleg über
Selten stiftet einer von denen mal über hunderttausend Mark Schaden. Erst in der erhabenen Höhe der Milliarden schlägt die
die dem Aufkommen bürgerlich- revolutionä- den Staat sind. Sie stellen die Frage, ob die jungen Offiziere nach 1807 handeln will, muß unprouktiv vergeuden, Hochstapler. Wir sagrer Gesinnung ebenso entgegenwirkte, wie sie vorhandenen Einrichtungen noch genügen, ob der Leser selber folgern; er deutet es nur an. ten es schon, das ist die anständigere Sorte, andererseits die Folge mangelhaft demokra- ale nicht der Aenderung bedürfen, und in den tisch - revolutionärer Ideologie und Aktion war. meisten Fällen sind sie die umstürzenden Die Misere des deutschen Bürgertums, das ist Elemente«. Immer wieder wird eine gewisse| der Triumph des deutschen Soldaten. Das ist Gemeinsamkeit mit den Reformen nach Jena der rote Faden in der preußisch- deutschen gesehen...> in stiller Pflichterfüllung arbeiGeschichte. Hesse hat Recht und Mehring tete in den Jahren nach 1807 nicht anders
Obligationenrecht Quantität um, wird der lausige Betrug zur
erhabenen Staatsaktion. Einer der FünftauVom ehemals stolzen Bau des bürgerlichen send pumpt und seine Schlösser im Monde Aber Berufssoldat, nach Jena wenig angesehen, er- eine Säule, nämlich der Satz: ,, Wo nichts ist, pumpe fünf Milliarden, die du von den UeberSeit schüssen der nächsten Jahre abzudecken ver
hat Recht. Der eine vom soldatischen, der als nach 1919 das Heer. Der Offizier, der Obligationenrechtes ragt im Grunde nur noch zum Pfande gibt, ist ein Lümpchen.
andere vom zivilen Standpunkt.
Sehr anschaulich zeigt Hesse, wie sich wirbt sich wieder einen Namen. Er sucht hat der Kaiser sein Recht verloren." das Soldatenwesen im Laufe der Jahrhun- den Weg zum Volk und hat im Freiheits - etwa zwanzig Jahren bemühen die Kapitali - sprichst, die nicht da sind, und
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die An