Nr. 90 BEILAGE

Neuer Vorwärts

Ein Arbeiter erzählt

ein Arbeiter aus einer mitteldeutschen Armaturenfabrik berichtet.

3. März 1935

Die nachstehende Schilderung gibt ich am meisten verdient.<< Das sagt ein| Sie bekamen zur Antwort:» Rechne Dir Der Wink wurde verstanden. Zuletzt fehl­gedrängt, aber sachgetreu wieder, was Kollege, der im Vertrauenrat sitzt und aus, was Du früher als Stundenlohn hat- ten noch vier. Nun zeichneten sie alle. Ortsgruppenleiter der» Fachschaft Metall« test und was Du jetzt hast. Rechne es Dir Freiwillig! Auch der mit 19 Wochen Vor dem März 1933 hatten wir in un- immer noch ein, daß Hitler für die Ar- ze Belegschaft um ist. Er ist Nationalsozialist und bildet sich fürs Jahr aus und rechne das auf die gan- Schutzhaft was sollen sie machen! Am serer rund 500 Mann starken Belegschaft beiter> es schaffen<< wird. dann wirst Du wis- nächsten Tage hing ein Anschlag am einen einzigen NSBO- Mann. Er ist heute » Wir müssen sen, wie viel Pullen Wein und wie viel Brett:» Wir können der Belegschaft die noch der einzige im Betrieb, der die rote zusammenhalten!<< sagt er bei jeder Ge- Würste der Unternehmer kaufen kann für erfreuliche Mitteilung machen, daß der

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Mitgliedskarte hat; kein einziger mit die- legenheit. Ueber seinem Arbeitsplatz hat solche Dummköpfe wie Du, ohne daß er Betrieb einmütig... ein schönes Beispiel

einemfort

Das ist der>> alte Kämpfer«, dem es nur auf eins ankommt: auf seinen Vorteil. Man muß scharf auf ihn aufpassen. In holt er einem Werkzeug vom Arbeitsplatz weg, bald dieses, bald jenes Stück. Er hat es dann in seinem Kasten; zurück bekommt man es nicht. Er streitet einfach ab, es geborgt zu haben. Was will man machen? Er ist Zellenwalter.

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ser Karte des> alten NSBO- Kämpfers< ist schrift ausgeschnitten hat: zwei Hände, er ein Bild hängen, das er aus einer Zeit- die Ausgabe merkt!<< unseren Dank. Heil Hitler!<< hinzugekommen. Dieser eine aber sagt: die fest ineinander liegen. So, stellt er sich Aufgabe der Blockwalter, Gesammelt wird in einem fort. Es ist Nicht so einmütig haben die Unterneh­>> Na, habe ich nicht recht behalten? Ihr die Spenden mer die geplanten Betriebsappelle begrüßt. das vor: Zusammenhalten habt mich damals ausgelacht. Ich aber gegen die einzusammeln. Viele geben nichts. Ein Kol- Bisher kamen die Herren um neun, halb Unternehmer. Er will Geld sehen habe gewußt, was ich tat. Und darauf Lohn lege in meinem Block hat noch nicht einen zehn angerauscht, und nun sollten sie um kannst Du Dich verlassen: Wenn wieder in die Hand! Die Chefs wissen das, und einzigen Groschen gegeben. Er sagt:» Ich sieben Uhr früh diesen Kaleika exerzieren? mal was anderes kommt, weiß ich auch deshalb wird er jetzt von ihnen so schräg war 19 Wochen in Schutzhaft das ge- Wie beim Kommiß:» Blockwalter A. mel­wieder Wind!<< angesehen wie früher die Betriebsräte. Bei nügt mir.<< Und dabei bleibt er. det, Saal B... Zellenwalter C meldet einer Vertrauensratsbesprechung hat ihn der Chef gesagt:>> Wissen Sie, Herr N. Für die Winterhilfe hat man es dann<< Es ist nichts daraus geworden. Nun freilich anders gemacht. Es sollten 20 Pro- soll wohl einmal im Monat ein feierlicher was sie da sagen, das sind rein marxisti- zent der Lohnsteuer abgegeben werden. Betriebsappell abgehalten werden. Aber sche Gedankengänge!< N. erzählt das den Natürlich>> freiwillig!<< Die Blockwalter be- nicht früh, sondern nach Feierabend. Die Kollegen, und grimmig fügt er hinzu:» Wir kamen Listen müssen zusammenhalten!<< und wurden instruiert: Arbeiter sind sehr gespannt darauf. Sie Nationalsozialist. Vielleicht wird er noch mütig...<< Viele zeichneten nichts. Zu wird. Und zwar: Der Betriebsführer singt: Aber er ist» Volksgemeinschaft.... der Betrieb ein- hoffen nämlich, daß dabei auch gesungen denen gingen dann die Zellenwalter. Und» Gold und Silber hätt' ich gern...!< Die Das sah man beim» Kameradschafts- wer dann noch auf der Liste fehlte, den Angestellten singen:» Ein freies Leben abend« für den Betrieb. und Kuchen und für jeden zwei Glas Bier. ter vor. Er sagte ihnen:» Sie müssen sich» Was frag ich viel nach Geld und Es gab Kaffee nahm sich der Betriebsgemeinschaftswal- führen wir...!< Und die Arbeiter singen: Die Betriebsführer saßen mit undurch- ja auch mal vorstellen, wie es wäre, wenn Gut...!< dringlichen Mienen dabei und studierten Sie selber die Arbeit verlieren würden!< ihre Arbeiter. Und manchmal klopften sie fein!<< schwärmten die Dummen. Sie haben einem leutselig auf die Schulter.» Das war keinerlei Rechte mehr aber sie bekom­Da freut sich der ewige Knecht. men vom Chef zwei Glas Bier geschenkt! Aehnlich war es zu Weihnachten. Wir

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gescheit.

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Natürlich haben wir eine Betriebszelle. Aber trotz starkem Druck ist nur die Hälf­te der Belegschaft der NSBO beigetreten. Einige der neuen NSBO- Mitglieder sind heute tüchtig mit dem Maule vorneweg wir nennen sie>> die Hundertfünfzigprozen­tigen«. Vor denen muß man sich vorsehen. Aber sonst es wird viel gemeckert und geschimpft und unter vier Augen wird po­litisiert. Gegrüßt wird kaum noch nach Vorschrift. Morgens hört man zehnmal >> Mojn!<, ehe man einmal» Heil Hitler !<< hört. Manche heben den Arm halb und grüßen» Mojn!<< Manche tippen an die Mütze und sagen»... tlr!« Das soll>> Heil Betriebsführer hielt eine Ansprache, ganz Hitler! heißen. Es hört sich ulkig an, kurz. Betriebsverbundenheit und so.>> Stil­wenn so einer nach dem andern kommt: >... tlr! le Nacht, heilige Nacht« wurde gesungen ... tlr!< Mojn! und zum Schluß das Horst- Wessel- Lied Als die Betriebszelle gegründet wurde, zur Weihnachtsfeier! Jeder bekam eine hatte die NSBO einen Redner geschickt. Flasche Wein und eine Wurst.» Das gabs Er hat natürlich mächtig auf das>> Sy- früher nicht!<< frohlockten die Dummen. stem<, auf die Marxisten und die>> Bonzen<

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Mojn!

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geschimpft.» Ich werde Euch die Sterne

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vom Himmel holen!< hat er geschrieen. Nun dann hat man sie ihm selber run­tergeholt -wegen Unterschlagung. 20.000 Mark. Gelder der Arbeitsfront. Es ist ihm aber ganz gut bekommen; heute ist er Zel­lenwalter in einem Staatsbetrieb!

Die Betriebszelle hat den üblichen Auf­bau. Betriebsführer sind die Chefs. Nach ihnen kommt der Betriebsgemeinschafts­walter. Ihm unterstehen die Zellenwalter. Und die haben die Blockwalter unter sich. Die jetzigen Blockwalter entstammen fast alle dem früheren Funktionärkörper der

Gewerkschaft;

es sind wieder dieselben

Manfred.

Güte Schulbildung- tadellosee Leumünd

Das Nazi- Gaublatt» Bayerische Ostmark<| Selbst der größte Nörgler sollte danach zu­mußten die Arbeitsplätze mit Tannenreis veröffentlicht in seiner Nr. 17 vom 21. Ja- geben müssen, daß im Dritten Reiche Unbe­schmücken. Das Bild des» Führers«, tan- nuar, daß die Postagentur in Selb - Plößberg scholtenheit und Intelligenz allein die notwen­nenreisumkränzt, wurde aufgehängt. Ein» möglichst bald wieder neu vergeben werden digen Voraussetzungen zur Bekleidung selbst Weihnachtsbaum stand im Arbeitssaal. Der soll«. Wer kommt als Bewerber in Betracht? der Nach dem Naziblatt kleinsten öffentlichen Funktion sind. Aber das Nörgeln und Spotten scheint bel >> in erster Linie geeignete ortsansässige den glücklichen Bewohnern des Dritten Kriegsbeschädigte, die eine gute Schulbil- Reiches zur chronischen Krankheit geworden dung haben, sich eines tadellosen Leumun­zu sein. Gerade dieses Ausschreiben hat es des erfreuen, in guten und geordneten Ver­mögensverhältnissen leben und die Achtung der Bevölkerung im Selber Bezirk, und weit und das Vertrauen ihrer Mitbürger genie- darüber hinaus, angetan. Die ungläubigen

Leute, die die Arbeit machen. Nach dem Umsturz sind verschiedene aus der Beleg­schaft verhaftet worden, frühere SPD - und Gewerkschaftsfunktionäre, Reichsbanner­leute, auch zwei Kommunisten. Sie alle sind daheim aus den Betten geholt wor­den. Nur einmal kam ein SA- Trupp auch in den Betrieb. Mein Kollege neben mir sah durchs Fenster, wie sie unten vorfuh­ren.» Sieh mal runter,< sagte er- holen sie einen!< Ein paar Minuten später| kam der Chef mit den SA- Leuten in den Saal und sagte zu eben diesem Kollegen:

> Herr X.

es tut mir leid

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> jetzt

aber Sie

müssen sich fertig machen.< Mein Kollege wurde weiß wie eine Wand, sah mich an

und sagte:» Geh Du zu meiner Frau sags ihr.< Ich hab's getan. Mein Lieber

das war ein Abend

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den werde ich nie

vergessen! Der Mann ist lange im Konzen­

trationslager gewesen

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es sind

der bei uns im Betrieb. Auch die anderen sind fast alle wieder da, auch einige der früheren Betriebsräte. Die Chefs haben sie wieder hereingenommen tüchtige Arbeiter. Die Chefs sind sicher nicht hundertprozentig für das Regime. Wo es ihnen als Unternehmer Vorteile bringt, nehmen sie die Gelegenheit natür­lich gründlich wahr, aber sonst machen sie das Theater nur so mit. Und heute| wird unsere Bude schon wieder» der rote

Baus genannt

tern.

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wegen uns, den Arbei­

hat, sind die Löhne! Der Stundenlohn ist| Das einzige, was sich wirklich geändert gesunken, die Akkordsätze sind gedrückt| worden. Früher gingen wir mit 60 und 70 Mark wöchentlich nach Hause, jetzt mit 30 Mark!» Unter Hermann Müller habel

Ben.<

Deutscher Fasching 1935

B

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Arbeiter, Bauern und Geschäftsleute von Selb und Umgebung kennen nämlich den noch amtierenden» Chef< dieser Postagentur, der als ehemaliger Schaukelbursche durch seine 17 Vorstrafen den 100prozentigen Befähi­gungsnachweis zu einem vielseitigen Amts­walter im Dritten Reiche erbracht hat. Die­ser Postagenturinhaber Schenk ist sein Name war vor dem Hitlerumsturz noch einfacher Fabriksarbeiter in der Porzellan­fabrik Rosenthal. Dort hat er Porzellan ge­stohlen und wurde kurz vor der Errichtung des Dritten Reiches vom Direktor der Ro­senthalfabrik entlassen. Dann kam Hitlers Idealreich und der Naziführer Schenk hat den gleichen Fabriksdirektor, der ihm kurz zuvor wegen Diebstahl aus dem Betriebe hin­auswarf, als Gefolgschaftsführer vor versam­melter Belegschaft der Rosenthalfabrik ver­pflichtet. Betriebsleitung und Belegschaft von Rosenthal waren bei diesem feierlichen Akt einer Meinung über das Gewaltige, das die neue Zeit mit sich gebracht habe.

Nazibonze Schenk wurde zum Bürgermei­ster von Selb- Plößberg ernannt. Alle Inter­ventionen aus Bürger-, Bauern- und Beamten­kreisen, ihnen doch diese Schmach, nicht an­zutun, scheiterten an der sturen Haltung der Nazikreisleitung von Selb . Schenk war das älteste Parteimitglied von Selb- Plößberg und darum zum Bürgermeister der Gemeinde ge­eignet. Und damit Schenk alles im Nazi­geiste dirigiere, gab man ihm noch die Post­agentur.

Die vorgesetzte Stelle der Deutschen Reichspost hat aber in langwierigen Bemit­hungen der Nazileitung doch begreiflich ge­macht, daß sie Postdienststellen unterhalten müsse, aber nicht Wärmestuben für Partei­buchbeamte. Zudem auch für die Reichs­post unerläßlich ist, daß ihre Angestellten wenigstens das Geldzählen richtig lernen. Hier soll sich Schenk besonders schwer getan haben. Und deshalb wird nun die Stelle neu vergeben. Bürgermeister von Selb- Plößberg bleibt weiter dieses älteste Parteimitglied Schenk.

Die Leute aber raunen sich zu, daß der

Fall Schenk nicht das schlimmste ist, daß Schenk ja nur einer von den Kleinen ist und deshalb die Postagentur abgenommen werden konnte.

ihm