Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Nr. 91 SONNTAG, 10. März 1935

Aus dem Inhalt:

Hitler wirbt um Mussolini

Familie Höfeld

Zu Tode gehetzt

Ein Anschlag gegen den Frieden

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia"

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Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

18

Sir John Simon bleibt zu Hause

Botero nob and a

Eingeladen

- ausgeladen,

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Das Ende einer Illusion

Zickzack ist Trumpf, Hitler ist heiser, Aufrüstung in der bisherigen Art und Weise Essen und den teuersten Weinen England im Vergleich zu der jetzt gegen Sir John Sir John Simon ist ausgeladen, und die fortschreitet, kann das die Besorgnisse der nicht von der Seite Frankreichs weglocken| Simon geübten Methode ein Meisterstück Welt steht Kopf. Nachbarn Deutschlands nur noch weiter ver- kann. Darum die jähe Wendung, der bru- diplomatischer Geschicklichkeit. Wenn jetzt England von Frankreich zu mehren, und der Frieden selbst kommt in Ge- tale Widerruf eines heißersehnten und ge- in England besorgte Friedensfreunde die trennen, wie es schon in» Mein Kampf « fahr, bedroht zu werden. Die friedliche Ge- radezu erbettelten Besuchs. Zeitgemäßheit der Veröffentlichung der beschrieben ist, war das Ziel. Darum schäl- sinnung, der die Lenker des Reiches Ausdruck Das ist der Stil, in dem heute deutsche englischen Regierung unmittelbar vor Sir te man aus dem Londoner Abkommen den geben, ist von der britischen Regierung gün- Außenpolitik getrieben wird. Er unter- John Simons Besuch bezweifeln, so können Luftpakt heraus und erklärte sich bereit, stig aufgenommen worden, jedoch kann diese scheidet sich von dem der Kaiserzeit nur doch solche Zweifel in keiner Weise die ihn anzunehmen. Darum mußte sich Hoesch Regierung nicht unterlassen, festzustellen, daß insofern, als er seine karikaturistische deutschen Machthaber entlasten, die sich in London die Hacken abrennen und dem nicht nur die militärischen Kräfte, Uebersteigerung darstellt. Als vor dem mit wahrhaft barbarischer Plumpheit eine englischen Außenminister eine Einladung Weltkrieg Lord Haldane Deutschland Herausforderung ohnegleichen ohnegleichen geleistet. nach der anderen überbringen. Darum be­besuchte, ließ man ihn zwar zum Unglück haben. Damit haben sie all denen, die eine schloß man, aus der endlich zugestandenen der Welt und besonders Deutschlands wie- neue Einkreisung und gänzliche Isolierung Geschäftsreise ein überdimensionales Das Weißbuch, das die Unterschriften der unverrichteter Dinge abziehen, aber Deutschlands erstreben, einen unschätzba­deutsch- englisches Freundschaftsfest zu MacDonalds und Baldwins trägt, man hat ihm doch nicht den Stuhl vor die ren Dienst erwiesen. So haben sie in einem machen, den Gast, statt, wie er selbst wollte, sagt der Welt nichts Neues. Nur in Türe gestellt. Auch Lord Haldane machte Vorspiel, das ein Stück aus dem in einem Hotel, im Palais des Reichspräsi- Deutschland hat es eine Veränderung der damals kein Hehl daraus, daß es die Sorge Tollhaus ist, gezeigt, wie man Deutsch­denten unterzubringen, und ein wohler- Lage hervorgerufen, denn es hat dort eine wegen der deutschen Flottenrüstungen land in einen neuen Krieg gegen die ganze dachtes Ganzes von Empfängen und Auf- Illusion zerstört. Man hat plötzlich ein- war, die ihn nach Berlin trieb. Und doch Welt und in den endgültigen Zusammen­märschen durch ein Festessen ohne glei- gesehen, daß man auch mit dem besten war die Art, mit der man ihn behandelte, bruch hineinführt. chen zu krönen.

Aber>> zwischen Lipp' und Kelchrand schwebt der dunklen Mächte Hand<<. Schon waren in London alle Koffer gepackt und in Berlin alle Knöpfe geputzt, als die er­schütternde Nachricht von einer plötzlich eingetretenen Wendung kam. Der erstaunte Zeitungsleser erfuhr, daß sich der Führer > eine leichte Erkältung, verbunden

sondern auch der Geist, den man im deut­ schen Volke entwickelt, zu dem Gefühl der allgemeinen Unsicherheit beitragen.<<

Hitler wielt um Italiens Gunst

Wir erfahren aus besonderer Quelle: Der italienische Völkerbundsdelegierte|

bäude das Saargebiet dem Reichsminister Frick übergeben. Am nächsten Morgen wur­de er von Hitler empfangen. Die Unterredung zwischen dem» Führer« und Aloisi dauerte zwanzig Minuten.

Die Frage, ob wir Misch ware hät- alle drei Monate Anspruch auf einen Be­ten, ist zu verneinen und positiv zu sagen, sohlschein für Ledersohlen hatte, wäh­daß wir alles in guter Ware liefern. rend er jetzt mit den minderwertigen Ersatz­

Fragen nach unserer Preiskalkulation

sind dahingehend zu beantworten, daß die sohlen für die Dauer von sechs Monaten ab­Preise nur wenig gestiegen sind, gefertigt wird. Also eine Verschlechterung in und daß wir uns streng nach der Faser- doppeltem Maße! stoffversorgung richten.

Wir bitten dringend, sich diese Antwor­ten rechtzeitig gut einzuprägen und wir warnen, davon abzugehen. Wir können niemand schützen, auf diesem Gebiet Fehler macht, oder es bei der Beantwortung obiger Fragen an fehlen dem notwendigen Ernst läßt.

Abkühlung

Warschau - Berlin ?

mit einer starken Heiserkeit zugezogen Aloisi hatte am Vormittag des ersten März hat. Darum hat er den englischen Gast bit- in einem festlichen Akt im Regierungsge­ten lassen, seinen Besuch zu verschieben.| Stresemann verhandelte als tot­kranker Mann mit Poincaré über die Räu-| mung des besetzten Gebiets, im Vorzimmer saß sein Arzt und forderte durch Boten den kranken Minister auf, endlich abzubre­chen. Hitler muß den englischen Minister ausladen, weil er an einer leichten Erkäl- gen. Er erklärte, daß nach dem für Deutsch­ land günstigen Ausgange der Saarabstimmung tung, verbunden mit einer starken Heiser­für das Reich eine mindestens ein Jahr wäh­Es ist sehr schwer, in Deutschland Han­keit leidet. Wie geht das zu? Kann der Führer und Reichskanzler nicht verhan-| rende Ruhepause in innerpolitischer Hinsicht delsangestellter zu sein! Wehe denen, die das Diesen Zeitpunkt wolle er, berühmte, von Amerika übernommene Keep Man weiß, daß der polnische Botschafter deln, wenn er nicht schreien kann? In den eingetreten sei. vierzehn Jahren der Schmach war für die Hitler, unter anderm zu einer grundlegenden smiling am falschen Platze anwenden, so daß in Berlin , Herr Lipski, den Auftrag er­

Hitler lenkte das Gespräch sofort auf die deutsch - italienischen Beziehun­

der

der Ein Streit um den Kopf der Frau von Berg. Ueber eine Abkühlung der deutsch - pol­nischen ihre Beziehungen und Ursachen glaubt man, wie das» Journal des Nations<< schreibt, in französischen Kreisen folgender­maßen unterrichtet zu sein:

dem deutsch - ita- die Kunden sich etwas denken könnten! Am halten hatte, bei deutschen Außen­Verbesserung lienischen Beziehungen ausnützen. Ende sagt schließlich wieder jedermann: minister von Neurath dringend in dem Sinne Baron Aloisi solle helfen, wieder eine Brücke wir sind belogen und betrogen zu intervenieren, daß man der verurteilten

deutsche Außenpolitik der Kopf im­mernoch wichtiger als der Kehl­kopf, dessen Heiserkeit jeder Halsspezia­zu Mussolini zu schlagen. Baron Aloisi ant- worden!

wortete ebenso höflich

wie zurückhaltend,

Frau von Berg gestattete, durch eine Ehe das polnische Bürgerrecht zu erwerben und dadurch ihr Leben zu retten. Der Gatte

Also ist nur zweierlei möglich: entweder 1st die daß sein Einfluß weniger groß sei, als Hitler Auch Leder wird knapp! fentlich zugegeben wird, oder sie ist nur vermute. Er werde jedoch bei nächster Ge- Ersatzsohlen sind für die Bedürftigen gut der Frau von Berg hatte sich zur Scheidung ein Vorwand für einen Akt der diplomati- legenheit die Anschauung des» Führers<< an schen Unhöflichkeit, der in der Weltge- geeigneter Stelle vorbringen. Als Baron Aloisi schichte kaum seinesgleichen hat. seinerseits vom Wiedereintritt Deutschlands in den Völkerbund

genug.

bereit erklärt, und man glaubte in Polen , Berlin angenommen Der Magistrat der Stadt Berlin hat an daß der Vorschlag in auch Warschau in alle zugelassenen Schuhmacher für die Be- werden, würde, zumal sohlung von Schuhzeug Bedürftiger folgende einem gleichliegenden Fall den Wechsel der Er Mitteilung ergehen lassen: Nationalität und die Rückkehr eines Ver­urteilten nach Deutschland gestattet hatte. Aber der Reichskanzler Hitler wider­setzte sich in brutaler Weise jeder Intervention dieser Art

Zunächst neigt ein Teil der Weltpresse das seltsame Wesen, das der Herr des sich auf die bekannten Erklärungen der Deutschen Reiches zur Schau trägt, auf Reichsregierung über die völlige Gleichberech­den jähen Wechsel von Erre- tigung zurück. gungs- und Depressionszustän­

den.

Aber

Lange konnte Hitler den diplomatischen

genau dieselbe Erscheinung Charakter der Unterredung nicht festhalten.

war auch bei Wilhelm II. zu beobachten. Immer wieder unterbrach er sie im aufge­Zustände solcher Art sind nicht für den regtem Tone mit dem Bekenntnis des Glücks­Patienten selbst gefährlich, sondern nur gefühls, daß die Saar wieder zu Deutschland

für andere.

gehöre und er hier weile:» Ach, Herr Baron,

nur die zweite: die» leichte Erkältung ver- Hitler machte während der ganzen Dauer der So bleibt von den beiden Hypothesen wie bin ich glücklich, an der Saar zu sein!<< bunden mit einer starken Heiserkeit« ist Unterhaltung einen nervösen und bei allen cur ein Vorwand, um einen mit umständ- Gefühlsübersteigerungen seelisch- deprimierten lichen Bemühungen herbeikomplimentier- Eindruck.

ten Gast mit einem Fußtritt wieder wegzu­

Berliner Beschaffungsamt ( BBA.)

Geschäftszeichen V.III

An alle

Berlin , den 31. Januar 1935. O, 27, Holzmarktstr. 1.

der

dadurch

und es scheint, daß diese Art und Weise, in für die Ausführung von Schuh - der sich die Angelegenheit entwickelte, und reparaturen für Hilfsbedürf- die extreme, nur in Kriegszeiten zulässige tige zugelassenen Schuhmacher Härte der deutschen Haltung in polnischen 1. bei der Ausführung von Schuhrepara- Kreisen Zweifel daran hervorgerufen hat, ob turen für Hilfsbedürftige auf Bestellzettel der Bezirkswohlfahrt- und Jugendämter es überhaupt möglich sei, mit dem Dritten und anderer städtischer Dienststellen dür- Reich zu verhandeln. Die Zweifel an fen künftig grundsätzlich nur Ersatz- Dauer und Festigkeit des deutsch - polnischen sohlen verwendet werden. Das BBA. Verhältnisses, wie sie in der letzten Debatte hat verschiedene Arten von Ersatzsohlen des Sejm geäußert wurden, sind geprüft und die Fabrikate der Firmen Vorwerk , Kraft 312, Bull Sohle als brauch- außerordentlich stark, vermehrt worden. bar ermittelt; es dürfen daher nur Bei der Berliner Spionageaffäre hat diese Fabrikate für die Wohl- sich auch keineswegs nur um Dokumente ge­fahrtsbesohlung handelt, die die deutschen Rüstungen in der betreffen. Der Hauptmann So8­2. Nach den mit dem BBA. getrof- Luft fenen Vereinbarungen gewähren die vorge- nowski, der nun wieder nach Polen zu­Fragen von Kunden und anderen nannten Ersatzsohlen- Fabriken für die rückgekehrt ist und sich munter und gesund Personen, ob wir Schwierigkeiten hät­Haltbarkeit der Sohlen( nicht für die Ab­oder ob eine ten, Ware zu bekommen sätze) eine Garantie Warenknappheit besteht oder ähn­liche Fragen, sind nur so zu beantworten, daß eine Warenknappheit nicht besteht und wir keine Schwierigkeiten hatten, Ware zu erhalten.

befördern. Zugleich mit der Nachricht von Nichts merken lassen

der erbetenen Besuchsverschiebung ver­

Eine deutsche Firma versendet folgende

öffentlicht die gleichgeschaltete Presse ent- Information für ihre Reisenden und Vertre­Irüstete Proteste gegen das neue engli- ter und für das Personal im Hause: sche Weißbuch, in dem die Notwen­digkeit neuer englischer Rüstungen mit der materiellen und moralischen Aufrüstung Deutschlands hegründet wird.

Das also war's!

> Im November 1934

hat die Regierung

Seiner Majestät, ohne die Uebertretung des Vertrages von Versailles zu entschuldigen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Wieder­aufrüstung des Reiches gelenkt. Wenn diese

Wenn gefragt wird, warum wir Ra­tionierungen vornehmen, ist nur zu antworten, daß wir auf ein so gutes Ge­schäft nicht vorbereitet gewesen sind.

werden.

-

verarbeitet

bei Erwachsenen

es

in Warschau befindet, hatte auch verschie­von 6 Monaten, bei Kindern von 3 Mona- dene Pläne für einen Feldzug gegen Polen in ten. Die zugelassenen Schuhmacher haben seinen Besitz gebracht. Da diese Pläne, wie die Verpflichtung, diese Garantie den es schien, neuesten Datums waren, Wohlfahrtsbedürftigen gegenüber zu über­fragt man sich in Warschau , wie ihre Aus­nehmen. Hier folgen die Preise: gez. Blauert. arbeitung mit den deutschen Freundschafts­Besondere Erwähnung verdient die Tat- beteuerungen und mit der deutsch - polnischen sache, daß der Wohlfahrtserwerbslose bisher Annäherung vereinbar sei.