Nr. 103 BEILAGE

Neuer Vorwärts

2. Juni 1935

Rassenwahn und Rassenkunde

und

er­

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Es ist erreicht!

ger, einer alten christlich- französischen Fa­milie entstammend, zeigt, wie an der Wur­zel» der ebenso blöden wie verhängnisvol­len Doktrin« von der Höherwertigkeit der > Nordiker< ein ausgewachsener Minder­wertigkeitskomplex sitzt. Erfrischend fer­tigt er den Rassenwahn ab:

Nichts ist im» Dritten Reich « einfacher| gesprochene Nicht- Arier sind. Zum andern| licher denn als die These, daß alles Große| zweifelhafter ist als Hitler Schücklgruber. als die Bestimmung schlechter oder guter stehen die Berberstämme in Nordafrika , und Herrliche in der Welt von>> Nordikern< Mit jenem Wahn, der vor Bäumen den Rasse. Ludwig Frank etwa, körperlich und denen wegen ihres lichten Haarwuchses das Wort ist nach dem Muster von Wald und vor Rassen den Menschen nicht seelisch geradegewachsen, der 1914 als und ihrer hellen Augenfarbe gern eine» Budiker<< gebildet herrühre; man half sieht, geht auch ein Vortrag von Alexan­Kriegsfreiwilliger hinausging und in einem» nordische Erbmasse« im Blut zugeschrie- sich dabei mit einer mehr als halsbreche- dre Hérenger unbarmherzig ins Gericht, der ersten Gefechte fiel, ist» rassisch« ein ben wird, um kein Tittelchen auf einer- rischen Ethymologie der Familiennamen der unter dem Titel» Le Mythe Ra­Untermensch, weil Nichtarier und Marxist. heren Kulturstufe als ihre andersrassige, wie Bocaccio Buchatz oder Leonardo de cister«( Der Rassenmythus) im Verlag Göbbels dagegen gehört lediglich auf» minderwertige Umgebung. Nichts lächer- Vinci Leonhard Winke, was freilich etwas der Revue Juive in Genf erscheint. Héren­Grund seines Mitgliedsbuchs der hochge­wachsenen, langschädligen, blonden blauäugigen Herrenrasse an, und wer innert sich nicht der Charakteristik, die einst der Münchner Rassenforscher Pro­fessor von Gruber gab. So leicht scheint es demnach doch nicht zu sein und in dem Sammelwerk, das der Prager Universitäts­professor Dr. Karel Weigner unter dem Titel» Die Gleichwertigkeit der europäischen Rassen und die Wege zu ihrer Vervollkomm­nung« im Verlag der Tschechischen Aka­demie der Wissenschaften und Künste in Prag hat erscheinen lassen, betont einer der wirklich sachverständigen Mitarbeiter, Professor J. Matiegka, daß die Lösung der Rassenfrage durch die Entdeckungen und Funde der letzten dreißig Jahre

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mein erleichtert worden sei? Im Gegen­teil! Sehr kompliziert und schwierig ge­worden sei! Je weniger sich der Rassen­wahn an Tatsachen hält, desto einfacher erscheint alles; je mehr die ernste Rassen­kunde auf Tatsachen fußt, desto verwickel­ter wird alles.

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In der Tat kennt von den Gelehrten und Halb- oder Viertelsgelehrten, die auf diesem Felde ackern, Topinard in unserem Erdteil drei Rassen und nicht mehr, die angelsächsische, die keltoslavische und die mittelländische, wohingegen Bory de St. Vincent auf vier Rassen, der kaukasi­schen, der pelasgischen, der keltischen und der germanischen, besteht. Mit ihm stim­men in der Zahl andere überein, aber sie sprechen von der nordischen, der alpinen, der mittelländischen und der dinarischen Rasse. Dafür zerfällt für Deniker billi­ger gibt er's nicht die Bevölkerung Europas in sechs Rassen, die nordische, die ostische, die ibero- insulare, die okziden­tale, die littorale, die adriatische. Eick­stedt wiederum versteift sich auf fünf Rassen, eine osteuropide, eine dinarische, eine alpine, eine mittelländische und eine nordische, die für ihren Teil in einen teuto­nordischen, einen dalonordischen und einen fennonordischen Typus auseinanderklappt. An welchen dieser einander widersprechen­den Propheten soll man sich nun halten? Vollends wird den gewissenhaften Leser die Frage nicht schlafen lassen, ob die Lappländer einen lapponoiden Urtypus bil­den oder finnisierte Arktiker oder gar tat­sächliche Europiden sind. Und leitet sich die von Paudler konstruierte dalische Ras­se wirklich von der allerdings depigmen­tierten diluvianischen Cro- Magnon- Rasse ab? Und wie steht zum Kuckuck!

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es mit den Armenoiden und wie mit den geheimnisvollen Prä- Hamito- Semiten?

Jenes anmaßende Analphabetentum, wie

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Der Himmelstof ist wieder da

» Vergeblich haben die Anthropologen Blut geschwitzt, um die Brachykephalen, die Do­lichokephalen, die Mesokephalen mit ihren vergnüglichen Abarten zu erfinden, die Me­sokonchoiden, die Proophryokephalen, die Hypsistobregmatiker und hundert noch har­monischere Begriffe, umsonst haben sie In­dex, Winkel, Schädel-, Kiefer-, Ohr- und Nasenmaße gehäuft, Haar- und Hautfarbe mit der Lupe erforscht schließlich muß­ten sie doch eingestehen, daß es überall Große und Kleine, Braune und Blonde, Rund­köpfe und Langköpfe und Adler- und Stumpf­nasen gibt.<

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Auch will er nichts von einer jüdischen Rasse, nicht einmal von einem jüdischen Typus etwas wissen. Stellt das Werk der tschechoslowakischen Forscher fest:» Kul­turell haben sich die Juden bis auf die Grenzen, die ihnen durch ihre Religion ge­zogen sind, vollkommen der Umgebung an­gepaẞt, in der sie leben, und haben in be­deutendem Maße zum Kulturfortschritt ihrer Wirtsvölker beigetragen«, so unter­streicht Hérenger auch ihre physische An­passung an ihre Umgebung: in der Türkei sind nur 3 Prozent der Juden blond, in Riga 36 Prozent!

An die stumpfsinnige Forderung natio­nalsozialistischer Akademiker erinnernd, daß deutschen literarischen Werken, die von Juden herrühren, der Stempel aufge­drückt werde: Aus dem Hebräischen über- r setzt, wirft Hérenger die Frage auf: Sind auch folgende Verse Heinrich Heines aus dem Hebräischen übersetzt?

O Deutschland, meiner ferne Liebe, Gedenk ich deiner, wein ich fast!... Mir ist, als hört ich fern erklingen Nachtwächterhörner, sanft und traut; Nachtwächterlieder hör ich singen, Dazwischen Nachtigallenlaut.

>> Heute würde er«, fügt Hérenger hinzu, >> die Hörner der SA hören, die auf der Straße eine Treibjagd auf seine Glaubens­genossen abhalten<.

Aber das rührt lediglich daher, daß jetzt eine» höhere Rasse< von Herren­menschen in Deutschland herrscht, die Nordiker, die Budiker des Nordens.

Wie eine Republik zugrunde ging

Ein Geschichtswerk über die Weimarer Republik

Galatus.

die Frei­

es sich in> Mein Kampf< breitmacht, ge­hört angesichts dieses Kuddelmuddels schon dazu, um den Rasse- Aposteln vom Der Autor des bekannten Werkes> Die gutfundierte Darstellung der Geschichte von die Träger des preußisch- deutschen Militaris­Schlag eines Gobineau, H. St. Chamber- Entstehung der Deutschen Republike, Pro- 1918 bis 1930, in der die wichtigsten Fak- mus, die geschlagenen Generäle, lain und Woltmann nachzuplappern, daß fessor Arthur Rosenberg , der jetzt toren der inneren und äußeren Politik, der korpsführer und ihr Anhang im Lager des > alles, was wir auf dieser Erde bewundern, seine akademische Lehrtätigkeit an der Uni- wirtschaftlichen der parteipolitischen Bürgertums, sich nach wenigen Monaten Wissenschaft und Kunst, Technik und versität Liverpool ausübt, hat in der Ver- Entwicklung in gleicher Weise berücksichtigt wieder in den Besitz der wichtigsten Macht­positionen setzten und in Form der offiziellen Erfindungen nur das schöpferische Pro- lagsanstalt> Graphia<, Karlsbad ,

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ein neues sind.

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dukt weniger Völker, vielleicht ursprüng- Werk> Geschichte der Deutschen Mit Recht führt Rosenberg den Unter- und inoffiziellen Wehrorganisationen einen lich einer Rasse ist, nämlich der ari- Republike( 259 Seiten, Preis 46) er- gang der deutschen Republik auf die Ver- Staat im Staate bildeten, der in ent­schen. Nur schade, daß auf dem Inter - scheinen lassen, das die politische Entwick- säumnisse, Mängel und Halbheiten der No- scheidendem Maße die politische Entwick­nationalen Antropologen- Kongreß zu Am- lung Deutschlands von 1918 bis 1930 schil- vemberrevolution von 1918 zurück, die, aus lung der Weimarer Republik bestimmte. An sterdam vor acht Jahren nachgewiesen dert. Es füllt damit eine empfindliche Lücke dem militärischen Zusammenbruch geboren, dieser Entwicklung trägt auch die kurzsich­wurde, daß die Urarier von kleiner Ge- in der sozialistischen Geschichtsliteratur aus, in ihren ersten Anläufen steckenblieb und tige Politik der Siegerstaaten in Versailles stalt, dunkler Hautfarbe, kurzem Schädel denn außer einigen wertvollen Monographien sich unfähig erwies, die revolutionäre Ent- ein gerüttelt Maß von Schuld.>> Wenn man mit breitem Gesicht und breiter Nase wa- gab es hier bisher keine zusammenfassende wicklung in die Bahn einer radikalen politi- schreibt Rosenberg im Lager der Entente ren. Darüber hinaus tut das tschechische Darstellung der Revolutionsperiode und der schen und wirtschaftlichen Umgestaltung zu es als hauptsächlichstes Kriegsziel hingestellt Werk, zu dessen Mitarbeitern auch die Pro- Weimarer Republik. lenken. In diesem Zusammenhang übt Ro- hatte, den deutschen Militarismus zu ver­Bei der Beurteilung der revolutionären senberg scharfe und zu einem großen Teil nichten, und damit der Demokratie auch in fessoren Maly, Pelc, Brožek und Ružička gehören, unabweichbar dar, daß zwischen Strömungen und der Vorgänge in der Arbei- wohl berechtigte Kritik an der sozialistischen Deutschland den Weg zu bahnen, so hat die den europäischen Rassen, soweit von Ras- terbewegung tritt der subjektive Standpunkt Arbeiterbewegung, die zwar in den Revolu- politische Praxis der Jahre 1919 bis 1923 sen die Rede sein kann, durchaus physi- des Verfassers stärker hervor, als es sich mit tionsmonaten und später bei der Abwehr des wahrlich zu diesem Ziel nicht beigetragen... Erfordernissen einer objektiven Ge- Kapp- Putsches gezeigt hat, daß sie für ihre Vor allem die französische Politik hat noch sche, moralische und intellektuelle Gleich- den und die Waffen 1919 einer jeden republikanischen und demo­wertigkeit besteht. Zwei Beispiele zeigen schichtsschreibung verträgt. Das Werk wird Ideale einheitlich streiken besonders deutlich, daß es bei der Kultur- deshalb in diesen Teilen nicht ohne Kritik in führen konnte, entwicklung auf ganz andere Faktoren als der sozialistischen Literatur bleiben, was an- Ganzes unfähig erwies, den politischen Neu- ben unmöglich gemacht. Die Kräfte der deut­schen Demokratie wurden in einem hoff­auf>> Rassisches« ankommt. Einmal ver- dererseits für die Selbstkritik und die Her- aufbau Deutschlands zu verwirklichen. Die Miẞerfolge der Novemberrevolution, nungslosen Kampf nach innen und nach dankt Spanien eine Zeit hoher Blüte nicht ausarbeitung objektiver geschichtlicher Wer­und nachher wunderte etwa dem Einfall blonder Barbaren, son- tungen nur förderlich sein wird. Abgesehen als Folge der tiefen Zerrissenheit im Lager außen aufgerieben dern der Herrschaft der Araber, die aus- hiervon gibt das Buch eine im allgemeinen der Arbeiterschaft, brachten es mit sich, daß man sich, daß in Deutschland die Gegenrevo­

die sich aber dennoch als kratischen Regierung in Deutschland das Le­