Donzli in polnischer Umklammerung Die Kapitulation der Nationalsozialisten
Der Konflikt, den der nationalsozialistische Leichtsinn zwischen Danzig und Po len heraufbeschworen hatte, endet mit der völligen Niederlage der nationalsozialistischen Danziger Regierung. Polen hat, um den Folgen einer weiteren Entwertung des Danziger Guldens zu entgehen, die Erhebung derZölle in Zloty gefordert. Auf die Weigerung des Danziger Senats hin hatte Polen die Einfuhr fast völlig über seinen Hafen Gdingen geleitet und den Hafen von Danzig dadurch zum großen Teil stillgelegt. Jetzt machten die Danziger Nationalsozialisten ihre große Geste: für Lebensmittel und andere wichtige Waren wurde Zollfreiheit bei der Einfuhr nach Danzig angeordnet. Praktisch bedeutete das im wesentlichen den Zollanschluß an Deutschland , also die Eingliederung in das deutsche Wirtschaftsgebiet. Laut rühmten sie sich der nationalen Tat. Aber die Freude sollte nicht lange währen. Die Proklamierung der Zollfreiheit war eine Durchbrechung der vertragsmäßig garantierten Zollunion mit Polen . Dazu kam noch, daß die von Deutschland gelieferten Lebensmittel mehr als doppelt so teuer waren als die bisher aus Polen bezogenen, ein Umstand, der die Lage der durch Guldenabwertung und daraus entstandene Teuerung ohnedies akut verarmten Massen völlig unerträglich gestalten mußte. Entscheidend war aber, daß Polen ankündigte, die Vertragsverletzung mit der Sperrung seiner Grenzen gegen die Einfuhr aus Danzig zu beantworten, eine Maßregel, die nach der bereits vollzogenen Stillegung des Hafens auch noch die Stillegung des restlichen Wirtschaftslebens Danzigs bedeutet hätte. Dazu drohten aber die Bundesgenossen Hitlers auch politische, ja unter Umständen militärische Maßnahmen an, falls die Danziger Nationalsozialisten ihren Vertagsbruch nicht sofort rückgängig machten. Was sollten die Nationalsozialisten tun? In dem deutsch -polnischen Bündnis ist Hitler der Gefangene Pole n s. Den Danziger Senat auf den Völkerbund zn verweisen, war von vornherein aussichtslos, da ja der Vertragsbruch Danzigs offen zutage lag und die Anrufung des Völkerbundes zugleich eine Brüskierung Polens gewesen wäre. So blieb den Nationalsozialisten in Berlin und Danzig nichts übrig, als die bedingungslose Unterwerfung unter die polnischen Forderungen. Der Senat zieht das Dekret über die zollfreie Einfuhr zurück. Der WirL Schaftsanschluß an Deutschland wird, nachdem er einige Tage gedauert hat, wieder beseitigt, Danzig wird von neuem polnisches Zollgebiet. Noch bedeutungsvoller und folgenreicher ist aber die zweite Maßnahme. Dan zig verpflichtet sich, die Zölle nicht mehr in Gulden, sondern in Zloty zu erheben. Polen hat seinen Willen restlos durchgesetzt und kann jetzt seine Gegenmaßnahmen— die Ablenkung der eingeführten Waren über Gdingen und die Sperrung seiner Grenze gegen Danzig — aufheben. Um den Nationalsozialisten eine gewisse Verhüllung ihrer schweren Niederlage zu erleichtern, sichert Polen zu, keine neuen Repressalien gegen die Danziger Devisenordnung zu ergreifen, die es ja praktisch ohnehin völlig wirkungslos gemacht hat, und das Hafenabkommen von 1933, durch das Danzig eine Mindestumschlagmenge von 4,5 Millionen Tonnen garantiert wurde, auch weiterhin einzuhalten. Den neuen und entscheidenden Punkt dieser Neuregelung bildet die Verpflichtung Danzigs , die Zölle in der polnischen Währung zu erheben. Damit wird der Gulden zu einer bedeutungslosen Binnenwährung, während der Zloty im internationalen Bereich auch für Danzig von nun an die allein ausschlaggebende Währung bedeutet. Die polnische Regierung hat einen doppelten Zweck erreicht; die polnische Wirtschaft ist nicht nur gegen alle Folgen einer weiteren Entwertung des Guldens gesichert, sondern sie hat auch den Gulden in eine enge Abhängigkeit von Zloty gebracht. Der Gulden wird in Zukunft nur in dem beschränkten Gebiet von Danzig Umlaufsmöglichkeit besitzen und es ist zudem sehr unwahrscheinlich, daß bei den trostlosen Finanzverhält- nissen, die die
stische Wirtschaft herbeigeführt hat, der Guldenkurs wird aufrecht erhalten werden können. Doch auch für diesen Fall hat sich Polen gesichert, denn wenn nach völliger Aufhebung der Danziger Devisengesetze die Zollgebühren wieder in Gulden erhoben werden dürfen, dann wird der Umrechnungskurs von Tag zu Tag festgelegt, wobei natürlich der Kurs des Zloty maßgebend bleibt. Ueber- dies hat Danzig sich noch verpflichten müssen, Verhandlungen zwischen seiner und der polnischen Notenbank zuzustimmen, und es ist kein Zweifel, daß Polen alles daran setzen wird, Danzig endgültig— wenn nicht formell, so doch tatsächlich — die polnische Währung aufzuoktroyieren. Nach der jetzt erfolgten Kapitulation sind seine ökonomischen Druckmittel stark genug geworden, um dieses Ziel durchzusetzen. Damit hätte aber Polen seinen
wirtschaftlichen Einfluß in Danzig außerordentlich verstärkt und so auch seine politische Herrschaft neu befestigt, während Deutschland wirtschaftlich und politisch zum Rückzug gezwungen ist. So endet das Danziger Experiment wirtschaftlich mit einer schrecklichen Katastrophe. Tausende von Pensionären und Arbeitslosen werden mit mehr oder minder offenem Zwang zum Verlassen der Stadt bewogen und ins Dritte Reich abgeschoben. Dadurch wird ein beträchtlicher Ausfall an Kaufkraft bewirkt, der für das kleine Gebiet von nicht geringer Bedeutung ist. Die Lage der Arbeiter und großer Teüe des Mittelstandes wird infolge der sprunghaften Preissteigerungen immer verzweifelter. Dazu kommt noch, daß der frivol heraufbeschworene Konflikt mit Polen der Danziger Wirtschaft dauernde schwere Wunden geschlagen hat. Die Unsicherheit über das weitere Schicksal des Gul
dens wirkt lähmend. Eine Reihe von Danziger Firmen sieht sich gezwungen, ihre Betriebe von Danzig wegzuverlegen oder zumindest durchgreifende Umstellungen und Einschränkungen vorzunehmen. Nimmt man hinzu, daß Polen jetzt erst recht alles daransetzen wird, um die Entwicklung von Gdingen auf Kosten Danzigs zu fördern, dann kann man erst ermessen, wie groß und unheilbar der Schaden ist, den die Herrschaft der Nationalsozialisten angerichtet hat. Aber diese wirtschaftliche Niederlage wird durch die p o 1 i t i s c h e noch übertroffen. Um für seine phantastische Außenpolitik Bundesgenossen zu gewinnen, hat Hitler jene»Verzichtpolitik« begonnen, die durch Opferung der Deutschen Südtirols Italien , durch Opferung Ostoberschlesiens und des polnischen Korridors Polen vor seinen Wagen spannen sollte. Dies ist aber Wunschtraum geblieben, während die Verzichte real geworden sind. Das deutsche Danzig ist von den Nationalsozialisten aus außenpolitischer Phanta- stik gewaltsam in die polnische Umklammerung hineingestoßen worden. Dr. Richard Kern.
Fortsdi reifende Verarmung des Volkes
Verbrauchsruckgang! Auch die offizielle Statistik kann trotz all ihrer Schönfärbereien den Rückgang des Verbrauchs nicht mehr verhehlen. Die Erhebungen über die Einzelhandelsumsätze zeigen, daß diese in der Zweimonatsperiode Mai/Juni nur noch um 2 Prozent über dem Vorjahrsniveau liegen, eine Steigerung, die dem amtlichen Lebenshaltungsindex zufolge genau der Preiserhöhung entsprechen würde. Eine mengenmäßige Steigerung, also ein wirklicher Mehrverbrauch ist daher nicht eingetreten. Dabei ist das amtliche Zahlenmaterial für eine zutreffende Beurteilung der wirklichen Entwicklung des Verbrauchs von vornherein ziemlich wertlos. So wird der Umsatz des Kraftfahrzeughandels und des Landmaschinenhandels in diese Statistik einbezogen, obwohl Autos zu einem großen Teil und landwirtschaftliche Maschinen sicher nicht den Konsumgütern. zuzurechnen sind. Andererseits fehlen Zahlen über den Umsatz von Obst und Frischgemüsen, da angeblich dafür die Unterlagen mangeln. Gerade die Preise für Frühgemüse und Obst haben im Mai und Juni einen außergewöhnlichen Hochstand erreicht, so daß gleichbleibende oder selbst noch gestiegene Wertziffem einen wesentlichen Rückgang in der Ver- brauchsmenge bedeuten würden. Es wäre an sich keine unlösbare Aufgabe, durch Ausschaltung der Preisänderungen zu einer brauchbaren Statistik des Mengenabsatzes zu gelangen. Es ist natürlich Absicht, daß die amtliche Statistik jeden Versuch dazu unterläßt. Aber selbst nach dieser amtlichen Statistik ergibt sich für das erste Halbjahr 19 3 5 nur eine 3prozentige Umsatzsteigerung, von der die Herren selbst sagen, daß sie jjgQ in der Hauptsache Ausdruck der partiellen Preiserhöhung, insbesondere der Lebensmittel und Textilwaren sei. Gegenüber dem ersten Halbjahr 1933, dem konjunkturellen Tiefpunkt, soll sich eine Umsatzsteigerung im Einzelhandel von 15 Prozent ergeben haben, wovon 6 Prozent nach der amtlichen Statistik auf Preissteigerungen zurückzuführen seien. Gegenüber 1932 sei eine Erhöhung von nur 3 Prozent zu verzeichnen und gegenüber dem ersten Halbjahr 1931 ergibt sich noch immer ein Umsatzausfall von ungefähr einem Sechstel. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, daß die Waren- und Kaufhäuser sowie die Einheitspreisgeschäfte gegenüber 1932 einen Umsatzverlust von 20 bis 30 Prozent aufzuweisen haben. Zeigen somit die offiziellen Zahlen die Stagnation des Verbrauchs im allgemeinen und seinen Rückgang für wichtige Kategorien an, beweisen sie ohne weiteres, daß der Konsum noch lange nicht auch nur den Stand des Krisenjahres 1931 wieder erreicht hat, so geben diese Durchschnittszahlen, wie gesagt, bei weitem kein Bild der wirklichen Entwicklung, denn die amtliche Preisstatistik ist zur offenkundigen Fälschung geworden. Auf wichtigsten Gebieten sind sprunghaft Steigerungen zu verzeichnen, die in der amtlichen Statistik nur ganz abgeschwächt zum Ausdruck kommen. Fleisch allein z. B. ist in den letzten Wochen um 10 Prozent teurer geworden, nachdem bereits die amtlichen Indexziffern für den Juni eine durchheillose nationalsoziali- schnittliche Preiserhöhung um 6,5 gegenüber
dem Vorjahre angeben und für Schweinefleisch sogar um 9,4 Prozent. Dabei hat die Marktregelung durch den famosen Reichsnährstand des Herrn Darrä schon dazu geführt, daß zeitweise frisches Fleisch überhaupt nicht zu haben ist und den Konsumenten statt dessen Konserven aufgedrängt werden. In Wirklichkeit darf man die Steige rung der Preise für Mitte 1935 gegen den Anfang von 1933 bei den Agrarprodukten auf mindestens 25 bis 28 Prozent annehmen, bei Industriestoffen auf 8 bis 10 Prozent, während die Lebenshaltungskosten seit Beginn des nationalsozialistischen Regimes um etwa 20 Prozent gestiegen sind. Vergleicht man diese der Wirklichkeit viel mehr entsprechenden Angaben mit den Ziffern der Einzelhandelsumsätze, dann gelangt man zu dem Ergebnis, daß trotz vermehrter Einstellungen in den Arbeitsprozeß trotz verlängerter Arbeitszeit, ein sehr wesentlicher Rückgang des Verbrauchs stattgefunden hat, der nur zu erklären ist durch die sehr starke A b nähme des durchschnittlichen Arbeitseinkommens und die fortschreitende Verringerung der Kaufkraft des Geldes. Dieses Resultat wird auch bestätigt durch die offizielle Produktionsstatistik. Danach hat die Erzeugung von Produktionsmitteln— in Wirklichkeit hauptsächlich die Erzeugung der Rüstungsindustrie— fast das Niveau von 1928 erreicht und steht 30 Prozent über dem Vorjahrsniveau. Die Produktion der Verbrauchegüter dagegen ist noch um 15 Prozent hinter dem Stand von 1928 zurück und steht, was besonders bezeichnend ist, um 5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Auch hier zeigt die offizielle Statistik somit das fortschreitende Sinken der Lebenshaltung der breiten Massen seit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur. R. K.
Ein Zwedksdiwindel der Reidisstatistfk Das System bereitet eine neue Offensive gegen den Stand der Löhne und Gehälter vor, die den Zweck hat, der Industrie ohne Beeinträchtigung ihrer Profite ein Exportdumping zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke wird in der jüngsten Publikation des Statistischen Reichsamtes eine Behauptung aufgestellt, die geeignet ist, Ueber- raschung hervorzurufen. Bisher konnte nicht bestritten werden, daß die Zahl der Beschäftigten stärker zunimmt als das amtlich geschätzte Arbeltseinkommen, daß also bei steigendem Gesamteinkommen der Durch- schnittsverdienst des Einzelnen sinkt. Jetzt wird behauptet, daß siöh seit Frühjahr 1934 das Verhältnis von Zunahme der Beschäftigten und Arbeitseinkommen umgekehrt habe, also der D u r c h s c h ni 1 1 s v e rdi e n s t nicht kleiner, sondern größer ge- wo r d e n sei. Seit Frühjahr 1934 sei die Summe der Arbeiter- und Angestellteneinkommen um 16,9 Prozent, die Anzahl der Beschäftigten nur um 5,2 Prozent gestiegen. Seltsam fürwahr! Noch bis Ende 1934 verhielt es sich, wie man bisher annehmen mußte. In der Zeit von Ende Dezember 1933 bis Ende Dezember 1934 hatte zugenommen die Zahl der Beschäftigten nach der Krankenkassen- statistik von 13,3 auf 14,8 Millionen, also
um 15 Prozent, das Arbeitseinkommen von 6,7 auf 7,3 Milliarden, also um nur 10 Prozent. In den drei Monaten von Januar bis März 1935 soll sich nun alles, alles gewendet haben? Zuzugeben ist, daß die Unternehmer vielfach gezwungen waren, den Mangel an Facharbeitern in den Rüstungsbetrieben durch Bewilligung höherer Löhne abzuhelfen. Die so bevorzugten Facharbeiter stellen aber' nur eine verhältnismäßig sehr dünne Schicht unter den Arbeitern und Angestellten dar, die Gesamtsumme der Arbeitseinkommen kann also von ihnen in so kurzer Zeit und so entscheidend nicht beeinflußt worden sein. Das geht aus den amtlichen Veröffentlichungen der Reichsstatistik selbst deutlich hervor. In einer Sondernummer von »W irtschaft und Statistik«, Jahrgang 1935, die»Beschäftigung, Arbeltszeit und Arbeitseihkommen in der deutschen Industrie« behandelt, wird festgestellt, daß an der im Jahre 1934 verAiehtin Lohnsumme am meisten die T e x t i Ii n'd u's t r f e und"(fie Bauindustrie beteiligt waren, beide mit je 11 Prozent, zusammen also mit nahezu einem Viertel. Von den Textilarbeitern wird gesagt, daß ihr Durchschnittseinkommen im Herbat 1934 n i e d r i g er war als im Vorjahre.»Wirtschaft und Statistik«, 2. Juniheft. enthält eine Untersuchung über die Löhne der Maurer im Baugewerbe. Danach ist der Stundenverdienst für die Maurer in den Großstädten im September 1934 um 4,3 Prozent niedriger als im August 1932, dieser Rückgang entspräche etwa der In der gleichen Zeit eingetretenen Verminderung der tariflichen Stundenlöhnen. Also für diese beiden Kategorien mit dem größten Anteil am Gesamtarbeitseinkommen ist keine Erhöhung, sondern eine Senkung der Arbeitsverdienste erfolgt. Soviel ist sicher, daß eine Aenderung nach oben in den ersten drei Monaten dieses Jahres nicht vorgenommen worden ist. Entscheidend ist aber nicht die Höhe der Geldlöhne, sondern der Reallöhne. Wie es damit steht, dafür kann das Statistische Reichsamt selber als Zeuge angerufen werden. Eis kommt in seiner Lohnuntersuchung zu folgendem Schlußergebnis: »Das Realeinkommen der jeweils beschäftigten Industriearbeiter hat sich im Durchschnitt somit in allen Wirtschafts- gruppen, mit Ausnahme des Baugewerbe« gegenüber 1932 leicht erhöht. Mit der Stelgerung der Lebenshaltungskosten um die Mitte de« Jahres 1934 hat sich freilich das Realeinkommen des Industriearbeiters weiter verringert. Immerhin bleibt es über dem Stand von 1932.« Immerhin! Bis 1934 wog die Erhöhung die Steigerung über das Elends jähr 1932 hinaus schon weniger als»leicht«, wenn man die Bauarbeiter nicht vergißt, ist kaum noch ein Unterschied festzustellen. Berücksichtigt man aber das Fortschreiten der Teu- rung von Mitte 1934 bis Mitte 1935, so kommt man zu dem Schluß, daß in 2% Jahren Drittes Reich sdch die Lebenshaltung der Massen verschlechtert und nicht verbessert hat. Die amtliche Schätzung des Arbeitseinkommens ist also ein Zweckschwindel. Sein Sinn ist die Vorbereitung des Verelendungsprogramms, das Schacht im »Deutschen Volkswirt« jüngst hat verkünden lassen. Die»Beeinträchtigung des normalen Konsums zugunsten vordringlicher Zwecke« ist aber kein neues Programm, sondern nur die Verschärfung des alten. G. a. Frey.