Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblakk

Verlag: Karlsbad  , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 116 SONNTAG, 1. Sept. 1935

Aus dem Inhalt:

Der Diktator ist krank Kampf gegen Kinder

Das Naziverbrechen von Danzig Täuschende Geldfülle

Die Schuld des Dr. Schacht

Der gefährlichste Helfer des braunen Systems

und

Die Rede, die der Dr. Schacht am 18.| friedigen, gegeben ist, in seiner vollen, die Erfüllung zweier Grundforderungen ,, den, die den Schätzungen im Auslande, August in Königsberg   gehalten hat, ist die Schärfe bestehen. Nur daß dieser Zustand auf die das Regime nicht verzichten kann: die sich zwischen 13 und 18 Milliarden be­erste öffentliche Ankündigung des Kon- nicht erst durch die wilden Aktionen des der künstlichen Einschränkung der Ar- wegen, schon einigermaßen näherkommt. fliktes, auf dessen Entstehen wir hier seit nationalsozialistischen Mobs seiner beitslosigkeit und der Fortsetzung der Schacht selbst bezeichnete die Summen, langem hingewiesen haben. Nur darf man Führer entstanden ist, nicht durch die Aufrüstung in dem bisherigen schwindeln- die für Arbeitsbeschaffung und Wehrhaft­sich über die Natur dieses Konfliktes Judenpogrome und die Katholikenverfol- dem Tempo. Der> Völkische Beobachter< machung schon ausgegeben wurden und keiner Täuschung hingeben. Der gungen, sondern durch die Finanz- hatte vor kurzem in einer Polemik, die noch erforderlich sind, als» unerhört groẞ<< die Auslands- und kündigte an, sie müssen einmal aus Mann, der da gegen ungeregelte Verfolgun- und Wirtschaftsmethoden des sich anscheinend gegen des Volkes gen der Juden, Katholiken und Protestan- Dr. Schachts selbst. Und wenn presse, in Wirklichkeit aber gegen Schacht Leistung und Ersparnissen Bestehen fundiert werden«. Er schreckt allerdings ten und gegen den Boykott von Waren- die Göbbels   und Rosenberg durch ihre richtete, geschrieben, daß das und Kaufhäusern gesprochen hat, ist viel- neue Hetzkampagne gegen die Feinde des einer Arbeitslosengefahr die größte aller davor zurück, die genaue Zahl anzugeben, > ungeheuren leicht der gefährlichste Helfershelfer des Regimes die Aufmerksamkeit des Volkes Gefahren sei; selbst wenn es wahr wäre, aber er spricht von nationalsozialistischen Regimes. Er war es von der immer prekärer werdenden ökono- daß an Stelle des Arbeitslosenproblems finanz- und wirtschaftspoli­ja, der am meisten zu dem Bündnis zwi- mischen Lage abzulenken suchen, so will jetzt angeblich finanzielle Gefahren betischen Anstrengungen«, die be­Die Zeiten, wo der Reinhard, schen Hugenberg und Hitler beigetragen, Schacht selbst von seiner eigenen stünden, so könnte das das nationalsozia-| vorstehen. schrecken. Da der Staatssekretär des Finanzministeri­der dem Hitler die Unterstützung und Verantwortung ablenken und listische Regime nicht Subventionen großer Teile der Industrie die irregulären Aktionen verantwortlich handle es sich nur um liberalistische Vor- ums, von Steuersenkungen sprechen durfte, und der Banken verschafft hat, und so machen für das, was die Folge seiner urteile;» die Fahne ist mehr als ein Bank- sind endgültig vorbei.> Harte Besteu­zum wichtigsten Wegbereiter für die na- eigenen Politik ist. Denn Schacht, kontos. Das führende nationalsozialistische erung« und» Reservierung aller tionalsozialistische Diktatur geworden ist. und das allein unterscheidet ihn von sei- Organ verlangt also die rücksichtslose Finanzierungsquellen für die Sonderzwecke«, Er war es, der dann durch die Enteignung nen Gegnern in der nationalsozialistischen Fortführung der inflationistischen Finan- staatlichen der auswärtigen Gläubiger, durch die in- Partei, ist jetzt an dem Punkt angelangt, zierung, wie sie Schacht ja bisher geübt das sind die Parolen, die Schacht jetzt flatorische Finanzierung der Staatsausga- wo er den Versuch der Umkehr machen hat. Es verteidigt die Methoden Es verteidigt die Methoden des ausgeben läßt. Und er macht den Versuch, Hitler, der ben und durch den Zwang seiner Handels- mu B. Seine bisherigen inflationistischen Schacht von gestern gegen die Befürch­politik dem Regime die Möglichkeit zu der Methoden lassen sich nicht mehr fort- tungen des Schacht von heute. Man ver- von diesen Dingen schon gar nichts ver­sich steht und unentschlossen zwischen Schacht unerhörten Ausgabenwirtschaft im Dien- setzen, denn die Gefahr der offenen steht also die Erregung, mit der ste der Aufrüstung und Kriegs- Inflation ist in bedenkliche Nähe gerückt. Schacht gegen den» Völkischen Beobach- und dessen Gegnern schwankt, die Gang­barkeit des Weges zu beweisen. Unmittel­vorbereitung geliefert hat. Wenn die- Und so will der Mann, der noch vor kur- ter< wendet. Schacht sucht seine Position zu stär- bar nach seiner Rede kündigt Schacht die ser Mensch heute gegen die irregulären zem mit solcher Entrüstung und solchem Methoden der Judenverfolgungen, gegen Abscheu von dem» Verbrechen der De- ken, indem er allmählich und vorsichtig Auflegung einer neuen Reichs­die Pogrome und gewaltsamen Boykott- flation gesprochen hat, jetzt selbst zur einen Teil der Wahrheit über die deutschen anleihe von einer Milliarde an. selbst durch- 500 Millionen müssen von den Sparkassen aktionen, wenn er gegen die Katholiken- Politik der Deflation, der Aus- Finanzen in Deutschland  verfolgungen auftritt, so leitet dem Gesin- gabenbeschränkung, der Drosselung der sickern läßt. Hieß es noch vor kurzem, gezeichnet werden, die andere Hälfte, die mungslosen, dem alles Menschliche fremd Arbeitsbeschaffung, der Deckung der daß die schwebende Schuld kaum drei in Form von zehnjährigen Reichsschatz­ist, wahrhaftig keine Regung der Humani- Ausgaben durch neue Steuern und An- Milliarden betrage, wurde dann von fünf anweisungen begeben werden, bleiben zur tät oder der Sittlichkeit. Hat er doch in leihen übergehen. Milliarden gesprochen, so kann kann heute öffentlichen Zeichnung aufgelegt.

Der Diktator ist krank

er die

demselben Atemzuge seine Solidarität mit Muß aber Schacht dem ökonomischen wenigstens in der Fachpresse schon die Es ist der alte Trick, den Schacht schon gegen Zahl von 9 Milliarden angedeutet wer- vor kurzem angewandt hat, als Hitler, dem Freunde und Gesinnungsgenos- Zwang gehorchen, so verstößt er sen Streichers, Ausdruck gegeben und die letzten Ziele der Pogromisten ausdrück­lich gebilligt und nur ihre Methoden ge­rügt. Denn diese Methoden erscheinen ihm schädlich und gefährlich, weil sie den Kre­dit des Reiches im In- und Auslande völlig zu vernichten drohen, und Schacht, der noch vor kurzem so hochmütig neue Kre­dite als überflüssig bezeichnet hat, lechzt

mehr im Auslande.

Die herrschende Bande zittert

Parteitag wird

Nach einer amtlichen Meldung hat man Sie wissen auch, daß der stille Kampf der Fraktionen bald offen entbrennen wer­der Reichswehr  Ende Mai Hitler einen Stimmbandpolypen der Fraktionen des Systems sofort laut de. Es wird wieder von heute nach Anleihen im Inlande und noch herausgeschnitten. Es waren längst Ge- losgebrochen sein würde, wenn sie öffent- gesprochen, von einem großen Aufräumen, rüchte im Umlauf, daß seine Stimme nicht lich die Außergefechtsetzung des Dikta- das nach dem Nürnberger   Parteitag be­Politisch ist also Schacht mit den in Ordnung sei, und bei seiner seiner letzten tors bekanntgegeben hätten. Sie konnten ginnen werde, und schließlich haben sich anderen Nationalsozialisten im Wesen einig. Reichstagsrede konnte man es deutlich aus dieser Operation kein Rührstück ma- diese Gerüchte zu der sehr bestimmten Daran ändert auch nichts, daß der Dr. hören. Man sprach von Kehlkopfkrebs  . Die chen; denn vor der Tür des Operations- Prophezeiung verdichtet: nach dem Göbbels   die Verbreitung der Rede Göbbelspropaganda hat alle Gerüchte über saales standen die Diadochen mit Nürnberger  seines Kollegen, des bis jetzt allmächtigen eine Erkrankung Hitlers   hartnäckig de gezogenen Waffen, um auf die erste Nach- das Militär endgültig mit der Wirtschaftsdiktators, im Rundfunk ver- mentiert bis sie jetzt mit dem Einge richt von einem ungünstigen Ausgang SA Schluß machen. hindert hat, und daß die deutsche Presse ständnis hervorkommt. An dieses späte über einander herzufallen. die Stellen über die Schädlichkeit der Ju- Eingeständnis und seinen Inhalt müssen den- und Katholikenverfolgungen nur in berechtigte Zweifel geknüpft werden. äußerster Abschwächung bringen durfte. Warum dieses monatelange schieht, Der Reichsbank wurde es immerhin gestat- Schweigen und Leugnen? Warum stirbt? Das deutsche System ist lande zu sorgen und so zu versuchen. dort Hitlers   von der politischen Bildfläche mit ten, daß in diesem Augenblick der jetzt neue Illusionen zu erwecken, seiner Halsoperation zu begründen? An­nur noch mühsam am Losbrechen verhin­um für die Pumpversuche Schachts den geblich blickt das ganze deutsche   Volk mit derte Machtkampf beginnen würde ent. Diktatur geboren, und im Augenblick der Boden vorzubereiten. Im Innern aber schwärmerischer Liebe zu seinem geliebten sprechend dem Charakter der Beteiligten

Aber wir warnen nachdrücklich vor dem

Sie haben alle einen Augenblick der Glauben, daß durch diese Spannungen und Kämpfe im System das Regime unge­zitternden Furcht erlebt. Was ge­fährlich gemacht werde! Eine solche Illu­wenn der Diktator sion ist falsch für die inneren deutschen

tet, für die Verbreitung der Rede im Aus- hat man nie gewagt, das Verschwinden labil, es ist so stark auf Hitler zugeschnit- Verhältnisse, sie ist noch falscher für die

zu zeigen!

brechlicher als selbst die unsicherste

Wirkung des Systems über die Grenzen hinweg! Die Revanchekriegsillusion hat die Gefährdung ihrer Existenz wird sie in dem Ueberhitzter Nationalismus hat den Mus­

Revanchekrieg zu flüchten versuchen.

solini- Faschismus geboren, und die Züch­dem tung dieses Nationalismus endet in Attentat auf den Weltfrieden. In der Dik­

setzen die Göbbels   und Rosenberg, Führer< auf. Welche Gelegenheit für die mit den unmenschlichsten Mitteln. Dies die Himmler und Streicher, ihre Göbbelspropaganda, dem ungläubigen Aus System ist weder normalisiert noch dau­frischfröhliche Hatz ungestört fort, bis land die hundertprozentige Anhänglichkeit ernd. Es ist künstlich und vergänglich, wie auf dem Reichsparteitag das neue> Recht< des Volkes an Hitler   in einem Ausbruch jedes terroristische System. Es ist ge­verkündet wird, das die von Schacht be- leidenschaftlicher Teilnahme klagte Regelwidrigkeit in die gesetzliche Warum hat man es nicht getan, warum Monarchie, und nachdem die persönliche tatur wirken nicht nur die gesellschaft­Form bringen wird. Und der erste, der hat die Göbbelspropaganda dies Rührstück Anziehungskraft des Führerse seit lan  - lichen Kräfte, sondern auch der Ehrgeiz die neue Gesetzgebung als Ausfluß des nicht aufgeführt? Warum? gem im Zerbröckeln ist, ist es noch bei staatsmännischen Genies seines Führers Es gibt darauf nur eine Antwort: sie Lebzeiten des Diktators um die Stabili­preisen wird, wird der Dr. Schacht sein! haben es aus Furcht nicht gesierung des Systems schlecht bestellt! Darf man also den politischen tan! Sie wissen nur zu gut, daß ein stiller Vielleicht wird nun Konflikt, den die Rede und noch mehr ihre die Popularitäts­Zensurierung anzuzeigen scheint, nicht Sturm durchs Volk gegangen wäre: der komödie nachgeholt, sei es auf dem Nürn­überschätzen, so bleibt der wirt Diktator ist am Ende, der Tag der Be- berger Parteitag, sei es mit Hilfe des neu­Die Diktatur ist selbst eine gefährliche Sie wissen aus ihren erbauten Balkons an der Reichskanzlei. schaftliche Konflikt, der durch den freiung ist nahe! Widerstreit zwischen den maßlosen finan- Spitzelberichten und aus ihren Erfahrun- Aber, was fruchtet es, wenn eine Kulisse Krankheit, die nicht nur die betroffenen Ge- Völker, sondern die ganze Welt bedroht. ziellen Ansprüchen der Diktatur und der gen, daß das Popularitätsmärchen zerris- errichtet wird? Schon mehren sich rüchte, die wissen wollen, daß der Krieg Kranke Diktatoren erhöhen die Gefahr! Unmöglichkeit, sie auf die Dauer zu be- sen worden wäre.

und die Leidenschaften des Diktators, die unberechenbar sind. Wer kann ermessen, wie stark Mussolini   von dem Gedanken ge­trieben wird, daß sein Alter herannaht? Wer kann ermessen, zu welchen Entschlüs­sen gefährliche Krankheit einen Diktator treiben kann?