Nr. 118 BEILAGE
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15. September 1935
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Die Sdiande deutsdher Hodisdiullehrer
Deutsche gehen nicht zugrunde, so wenig wie die Juden, weil es Individuen sind. Goethe zu Riemer, 1808. Spätere Geschichtsschreiber, die sich mit den politischen und psychologischen Phänomenen des Dritten Reiches   zu be­schäftigen haben, wird ein besonders auf­schlußreiches Quellenmaterial zur Verfü­gung stehen. Es sind die Sitzungs­protokolle der wissenschaft­lichen und g e i s t e s g e s c h i c h t- liehen Gesellschaften. Jahr­zehntelang traf sich hier die Elite des deutschen Gelehrten- und Forscher- tums zum publizistischen und mündlichen Austausch, es rangen die Meinungen mit­einander in kontradiktorischen Verhand­lungen. Wenn auch im wilhelminischen Deutschland   von einer wahrhaft freien Wissenschaft im Bereich der politischen und sozialen Dinge nie die Rede sein konn­te, so war doch die Servilität vor den Herrschenden begrenzt durch die natür­lichen Formen geistigen Stolzes und männ­licher Würde. Gelehrte, wie M o m m s e n und V i r c h o w, bezeugten ihre innere Unabhängigkeit im Schrifttum und in kri­tischer Rede. Es war die Zeit, wo sich der Ruhm der deutschen Gelehrten in der gan­zen Welt befestigte. Seit Beginn des Dritten Reiches   ist das vorbei. Die deutschen wissenschaftlichen Gesellschaften sind wie die Fakultäten und die Senate zu Bedientenstuben, die deut­schen Gelehrten zu Vollzugsorganen der politischen Macht erniedrigt worden. Sie tragen den Herrschenden des»totalen« Staates die Früchte ihrer Gelehrsamkeit zur freundlichen Verwendung an. Könnte man ihnen zugute halten, daß sie sich durch eigene Ueberzeugung zur national­sozialistischen Weltanschauung»bekehrt« hätten: es wäre schlimm genug, da damit die Preisgabe der humanitären Grundlagen der Wissenschaften im Dienste am Men­schen verbunden ist. Aber die Tatsachen sprechen gegen alle mildernden Umstände. Aus Furcht um das Amt, aus Sorge um die Karriere verbiegen und kneten sie in be­wußter Unwahrhaftigkeit die Resultate ihres Forschens im Dienste an der Despo­tie. Viele nicht einmal zähneknirschend, sondern in der heiteren Gesin­nungslosigkeit charakterlich unbegabter Naturen. Sie liefern die deutsche Wissenschaft vor dem Aus­lande einer spöttischen Geringschätzimg aus, die auf den jüngsten internationalen Kongressen in Deutschland   notdürftig durch die Gebote der Höflichkeit in Schranken gehalten wurde. **# Unter diesen Vereinigungen nimmt die Goethe-Gesellschaft   eine beson­dere Rangordnung ein. Ihre Blütezeit be­saß sie unter dem Präsidium Erich Schmidts, der sie mit feierlicher Geste in den liberalistisch-eklektischen Ideen lei­tete, die seine literarhistorische Schule kennzeichneten. In den Jahren der duld­samen Republik   diktierte auf dem Präsi­dentenstuhle der teutonische Berserker Wilhelm Roethe, dem jede Be­schimpfung der Demokratie und ihrer In­stitutionen hinter literarischen Kulissen gestattet wurde. Ihm folgte Julius Pe­ tersen   von der Berliner   Universität. Früher der durchschnittliche Typus eines Hochschullehrers, von dem politische Be­kenntnisse kaum bekannt waren, sieht man ihn beute bei jedem Anlaß mit gekrümm­ten Rücken vor den Mächtigen des Dritten Reiches  . Er erblickt seine literarische Mis­sion darin, die großen Gestalten des deut­schen Schrifttums serienweise in brauner Uniform zu präsentieren. Er begann mit Luther. Schon Ende 1933 war er bei Schil­ ler  , den er als den»ersten Nationalsozia­listen« von den»Räubern« bis zu»Wil­helm Teil« durchforschte. Nun ist endlich seine Reihe dicht geschlossen; in die dich­terische SA   ist seit kurzem auch Goethe nach eingehender Eignungsprüfung durch Herrn Petersen aufgenommen worden. In Weimar  , wo die Goethe-Gesellschaft soeben ihr fünfzigjähriges Bestehen festlich beging, hielt Präsident Petersen die Weiherede über das Thema:» W enn Goethe
|heutegelebthätte...« Nach dem Bericht des»Berliner Tagblattes« »warf er die Frage auf, wie Goethe selbst sich zu den gewaltigen Wandlungen, die in den letzten Jahren mit seinem Volke vor sich gegangen sind, gestellt haben würde. Es ist, so erklärte der Redner, eine Frage an Goethes vaterländisches Emp­finden. Wie er im Frühjahr 1813 Lützow  - schen Jägern, die in den Freiheitskampf zogen, die Waffen gesegnet habe, so würde er auch den schwarzen Gesellen und den braunen Kameraden, die hundertzwanzig Jahre später für die innere
Der Begriff der Freiheit war bei Goethe niemals auf die deutsche Na­tion, niemals auf die landläufig sanktio­nierte Art eines deutschen Patriotismus bezogen. S taatli c h-völklichen Patriotismus kannte Goethe nicht und konnte ihn seiner ganzen Natur nach nicht haben. Zum rassischen Nationalhelden hat er sich, schon wegen seiner äußeren Erscheinung, in keinem Abschnitt seines Lebens geeig­net. In den Jahren der Befreiungskriege sah er nahezu teilnahmslos dem»Aufbruch der Nation« zu. Nach der Schlacht bei Jena  ,
Keine Piratenflagge
Befreiung Deutschlands   sich zu opfern bereit waren, seinen Gruß nicht versagt haben. Der Führer des deutschen Volkes habe den Herr­scher im Reiche der deutschen Sprache ge­ehrt, indem er durch persönliches Eingreifen das Zustandekommen des Baues des Natio­nalmuseums ermöglichte.« Goethe kann sich nicht wehren. Seine Freunde Herder   und Humboldt, seine Deuter Scherer und Gundolf: für ewig ver­stummt, müssen sie erdulden, daß die menschüche Erscheinung des Dichters, die sich im Laufe eines langen Lebens subli- mierte, den braunen und schwarzen»Ka­meraden« des Mordens hinzugesellt wird. So weit Goethe zu den Lebensordnungen Stellung nahm, hat er immer zwischen Barbarei und Kultur entschieden. »Wenn Goethe heute gelebt hätte«, so würde Hanns Jobst bereits seinen Revolver entsichert haben. Am Abend seines Lebens sah Goethe   das letzte sittliche Streben un­ter der Menschenwelt in der Verwirkli­chimg des freien Volkes auf freiem Grun­de. Heute kann ihm ein deutscher Profes­sor unter dem Beifall eines Auditoriums von Gelehrten und gelehrigen Knechten unterstellen, daß er erst unter Hitler  , Himmler, Lutze und Ley des wahrhaftigen Erdenglückes teilhaftig geworden wäre.
als ein vielseitiges Klagen um den Unter­gang Deutschlands   einsetzte, hatte er be­reits die Phrase gewittert: er lasse sichs gefallen, wenn man den Verlust wirklicher Dinge, Haus, Hof und Angehörige beklage. Aber»man solle mir vom Leibe bleiben mit Klagen über den Verlust von Dingen, die kein Mensch je besessen und mit Augen gesehen.« Das junge Deutsch­land des Vormärzes griff ihn an, weil er sich der Teilnahme an den politischen Ge­schickes des deutschen Volkes entziehe. Die reaktionären»Patrioten« der Heiligen Al­ lianz   nahmen ihm übel, daß er sich der mystisch-romantischen Deutung der Staats­idee kühl versage. Was den Kriegsgeist betraf, so verdient er zu den verweichlichten Pazifisten ohne Sinn für das»Stahlbad« und ohne Wehr­willen gerechnet zu werden. Eckermann gibt eine Aeußerung Goethes aus dem Jahre 1830 wieder:»Kriegslieder schreiben und im Zimmer sitzen das wäre meine Art gewesen! Theodor Körner   kleiden seine Kriegslieder ganz vollkommen. Bei mir aber, der ich keine kriegerische Natur bin und keinen kriegerischen Sinn habe, würden Kriegslieder eine Maske gewesen sein, die mir sehr schlecht zu Gesicht gestanden hätte.« Immerhin: es gibt ein Kriegs­
gedicht Goethes,»Kriegsglück« genannt; »Nun endlich pfeift Musketenblei und trifft, wills Gott, das Bein, und nun ist alle Not vorbei, man schleppt uns gleich hinein...« Ironischer und gelassener kann man die Sehnsucht nach dem Heimatschüßchen nicht beschreiben. Für Goethe war der Krieg eine Krankheit der Völker, etwas Fremdes und Unzeitgemäßes, das den Ablauf der Entwicklung störte. Als man ihm vorwarf, er sei dem Sieger Napoleon  zu freundlich gegenübergetreten, und als die deutschen Bildungsphiiister gegen den Korsen viel ideologisches Geschütz auffuh­ren, antwortete er:»Einem Sieger stör­risch und widerspenstig zu begegenen... ist kindisch und abgeschmackt. Das ist Professorenstolz, wie es Handwerkerstolz, Bauernstolz und dergleichen gibt, der sei­nen Inhaber ebenso lächerlich macht, als er ihm schadet.« Seine Weltanschauung war übernational gerichtet, denn die»Völ­ker trachten nach dem Gleichen, wenn sie sich auch zu trennen und zu verachten ver­suchen.« Gerade in der Aera der Befrei­ungskriege beschäftigte er sich intensiver mit ausländischer Literatur als je zuvor.« Mit dem Nationalhaß ist es ein eigenes Ding. Auf den unter­sten Stufen der Kultur werden sie ihn immer am stärksten und heftigstenfinden. Eis gibt aber eine Stufe, wo er ganz verschwindet und wo man gewissermaßen über den Nationen steht, und man ein Glück oder ein Wehe seines Nachbarvolkes empfindet, als wäre es dem eigenen begegnet. Diese Kultur­stufe war meiner Natur gemäß und ich hatte mich darin lange befestigt, ehe ich mein sechzigstes Jahr erreicht hatte.«(Zu Eckermann.) *** Patriotismus und»vaterländisches Emp­finden« im Sinne des Nationalsozialismus bei Goethe? Des Dichters Vaterland war das Vaterland der poetischen Kräfte und des poetischen Wirkens, das»Gute, Edle und Schöne, das an keine besondere Pro­vinz und an kein besonderes Land gebun­den ist, und das er ergreift und bildet, wo er es findet«. Anläßlich des Reformations- jubiläums im Jahre 1817 bekannte er sich als Protestant zum ewigen und mensch­lichen Recht des»Protestes« gegen jeden Bedrücker der geistigen Freiheit. »W enn Goethe heute gelebt hätte« wegen seines libertinistischen Humanismus, seines Glaubens an gleich­berechtigtes Menschentum vom»Götz« bis zur»Iphigenie  « würde ihn Göbbels   aus dem nationalsozialistischen Dichterhimmel vertreiben. »W enn Goethe heute gelebt hätte«; die schwarzen Gesellen und die braunen Kameraden hätten ihm sein Haus in Weimar   zerstört, seine Bücher auf den Scheiterhaufen geworfen, seine Sammlun­gen gestohlen. Die Konfiskation seines »staatsfeindlichen Eigentums« wäre im Zusammenhang mit der Ausbürgerung die­ses Volksschädlings im Reichsanzeiger ver­öffentlicht worden, nicht ohne Hinweis auf deutliche marxistisch-kommunistische Pro­paganda im zweiten Teüe des»Faust« und in»Wilhelm Meisters Lehrjahren  «. »W enn Goethe heute gelebt hätte« es gäbe keine Goethe-Gesell­schaft, sondern eine Jobst- oder Blunck- Gesellschaft. Professor Petersen würde einem mit Recht geächteten Emigranten, der durch Geburt und Neigung dem Er­wachen der braunen Nation kein ausrei­chendes Verständnis entgegenbrachte, die schönsten Satzperlen aus»Mein Kampf  « entgegenschleudern. Feige hat sich Goethe vor hundert Jahren durch seinen Tod der gerechten Strafe für seine vaterlandslose Gesinnung und den entsprechenden Lebenswandel entzogen. Als Erbschaft hinterließ er den Häuptern der Goethe-Gesellschaft diese Sentenz, worin er in der Tat heute noch lebt«: Für und wider zu dieser Stunde Quängelt Ihr nun schon seit vielen Jahren: Was ich getan, Ihr Lumpenhunde! Werdet ihr nimmermehr erfahren. Andreas Howald.