Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblalk

Verlag: Karlsbad , Haus„ Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 119 SONNTAG, 22. Sept. 1935

Aus dem Inhalt:

Streicher- Reichspräsident?

Flucht aus dem Deutschtum Der Oberdada und die Kunst

Ein neuer Kriegsschrecken

Streicher befiehlt dem Staat

Der Weg von der Staatssouveränität zur Pöbelsouveränität

zu neuen Schändlichkeiten den Schirm der Nation bezeichnet, als

das

Der Nürnberger Parteitag hat die Pa-| Verlesung dieses Gesetzes war enthüllend.| Gewaltakte role des vorjährigen Parteitags wieder Sie haben befehlsmäßig Heil gerufen, wenn treiben werden. Denn in diesen Bezirken Terrorinstrument gegen aufgenommen: die Partei befiehlt von der Aufrüstung, von der Armee, der ist er der Gefangene der sogenannten Ra- Volk offiziell gekennzeichnet. dem Staat. Diese Parole ist verstärkt Wirtschaft, dem Staat, der Partei die Re- dikalen, der notorischsten Verbrecher. Diese Die stillschweigende Voraussetzung dabei worden durch massive Drohungen gegen de war aber sie gerieten in echten Bezirke sind das ureigenste Arbeitsgebiet ist, daß bei einer Rückkehr zum Banden­die Bürokratie, durch die Schaffung einer Taumel der Raserei bei der Verkündung, für die NSDAP . Je stärker sie von den terror Polizei und Justiz gelähmt Reichsbürgerschaft, die jeden Nichtgleich- daß Juden nichtjüdische Hausangestellte Gebieten des öffentlichen Lebens durch beiseite stehen, während im Hintergrunde geschalteten zum Deutschen zweiter Klas- nur beschäftigen dürfen, wenn die Ange- die Mächte der alten Reaktion, durch den die Armee in Bereitschaft steht, falls se degradiert. Die SA erhält eine neue stellten über 45 Jahre alt sind. Es ist Militärstaat, die Schachtsche Wirtschafts- die Terrorisierten zu Taten der Verzweif­Funktion, sie wird Reservistenorganisation. gänzlich zweckios, dies Gesetz wie ein nor- diktatur und die Bürokratie zurückge- lung greifen. Die Kraftphrasen der Hitler­Die Organisation der Militarisierung des males Gesetz nach seinem Inhalt, seinen drängt werden, desto perverser und ver- schen Proklamation beruhen nicht auf der Volkes nach italienischem Muster ist da- Grenzen, seiner Wirksamkeit und Ausle- brecherischer toben sich die Pgs, auf die- wirklichen Kraft der NSDAP , sondern auf mit vollendet. Darüber hinaus ist die Fra- gungsfähigkeit prüfen zu wollen. Es ist sen Gebieten aus. Die Mächte, die im Sy- der Kraft der Armee. Das Hitlersystem ist ge des Nachfolgers des Diktators berührt die Deklaration Geisteszustandes, stem wahrhaft stark sind, haben dem Füh- ein Bündnis zwischen Partei worden: die Partei proklamiert den der von den Bandenführern weiter ge- rer die Gosse überlassen, und darin wälzt und Armee, und alle Handlungen und er sich mit seinen Leuten. Manöver der NSDAP sind nur möglich, Nachfolger, und wen sie proklamiert, der pflegt werden soll, weiter nichts. Im Schutze dieser in Gesetzesform ge­wenn und solange die Armee sie billigt, ist Reichspräsident, Reichskanzler, Ober­deckt oder duldet. Das ideologische Band, befehlshaber der Wehrmacht , Parteifüh- brachten Pornographie haben sich Führer Der Versuch, die NSDAP durch Ueber- das Partei und Armee zusammenhält, das rer, kurzum, der allmächtige unbeschränk- und Banden erst richtig wieder zusammen­te Autokrat, über dem Ganzen weht fort- gefunden. Das ist der Geist, der tragung staatlicher Aufgaben wieder zu neben dem Zwang der stärkste ideologische an die Hakenkreuzflagge als alleinige sie eint. Mit diesem Bekenntnis zu der beleben und ihr neues Ansehen zu geben, Kitt des Dritten Reiches ist, ist der Na­Das Bündnis zwischen Reichsflagge. Streicherschen Pornographie, mit der Hul- wird jetzt ganz offiziell beschränkt auf tionalismus. digung an diesen Irren und an die Stür- die eventuelle Uebertragung von Terror- Armee und NSDAP ermöglicht den mili­merei hat der Bandenführer den Banden funktionen gegen die Opposition auf die taristischen Nationalisten die Aufrüstung ihre Pogromtätigkeit abgekauft bis zu NSDAP . Damit wird die Partei, die sich um den Preis der Ausplünderung des Vol- i

eines

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Armee und Partei

Was ist Fiktion, was ist Wirklichkeit? Die Wirklichkeit ist, daß das, was sich der deutsche Staat nennt, nach wie vor ein Bündnis ist zwischen der Großbour- dem Zeitpunkt, an dem sie ihn durch neue in ihrer Ideologie als die Vertreterin und kes. Die NSDAP ist ein Propagandainstru­geoisie, dem Militär und den Hitlerbanden. Der Haß des Großbesitzes gegen die Ar­beiterschaft hat das Kommando, und die Pöbelherrschaft der NSDAP hält das Volk

nieder.

Was als Staat erscheint, ist die Pöbel­herrschaft, und der Nürnberger Parteitag war die Parade dieser Pöbelherrschaft,

des Pöbels aus allen Klassen und Schich­ten der Gesellschaft.

Die Judengesetze

Geständnisseeepeessung im Deitten Reich

Erlebnisse eines Sozialisten

Um 12 Uhr nachts kamen erneut Köppel und Hundhammer in meine Zelle. Sie sagten mir, wenn ich jetzt gestehe, würde mir nichts mehr geschehen.

war

Ein tschechoslowakischer Staatsan- Um 10 Uhr nachts kamen Köppel, Hund-| schallsichere Zelle im Kellergewölbe des Ge­gehöriger, Genosse J. Kirschneck, hammer, Bauriedel und der andere SA- Mann fängnisses. Bei Einbruch der Dunkelheit ka­der soeben aus dem Kerker des Dritten wieder und führten mich in ein im ersten men die zwei SS - Leute in meine Zelle. Wacht­Reiches in die Tschechoslowakei zurück- Stock gelegenes Verhörzimmer. Köppel frag- meister Heckel blieb an der Tür stehen. Der Führer ist der Gefangene seiner gekehrt ist, schreibt uns: te:» Sie haben Zeitungen und Flugblätter ver- Mit den Worten:» Warum gestehst Du Lump Dir werden wir das Maul öffnen!< Banden. Ihre innere Unruhe sucht er mit Mit welchen Mitteln man im Reiche Hit- teilt?< Als ich meine Unwissenheit betonte, nicht? Aufreizung zu beseitigen, ihre terroristi- lers marxistisch Verdächtige zu Geständ- sagte Bauriedel neben mir stehend, die Gum- schlugen beide auf mich ein. Als ich mit einem schen Ausbrüche mit Nachgeben gegen- nissen zwingen will, sei im kurzen nach mei- miknüppel vor meinen Augen schwingend: Satz zu Tur wollte, stieß der dort postierte über ihren tollsten Forderungen. Die so- nen eigenen Erfahrungen geschildert. > Wenn Du jetzt nicht gestehst, geht es Dir Heckel h mit dem Fuß in den Unterleib. Dem genannte» Reichstagssitzung, die Am 22. Juli 1933, abends 6 Uhr, wurde ich schlecht.<< Auf weitere Fragen gab ich nur Umstand, daß ich bewußtlos wurde, habe ich am Ende des Parteikongresses veranstal- von zwei Beamten der Gestapo und 2 SA- verneinende Antworten. Auf ein Zeichen wahrscheinlich ihr baldiges Ablassen zu ver­tet wurde, hat den Beweis dafür geliefert. Leuten auf offener Straße in Hof verhaftet Köppels schlugen mich die zwei SA- Leute auf danken. Einige Zeit später, als ich mich vom Hier sind die angekündigten Judenge- und gefesselt zum Gebäude der Polizeidirek- Kopf und Rücken. Blutend wurde ich in die Boden zum Bett schleppte, riefen die draußen setze erlassen worden, die die Streicher- tion geführt. Die Beamten hießen Köppel Zelle zurückgeführt. Da ich kein Wasser hat- lauschenden SS - Leute:> Warte nur, es kommt schen Pogrombanden zufriedenstellen sol- und Hundhammer. Von den SA- Leuten te, konnte ich mich nur notdürftig im Fin- noch mehr.< Vom 24. Juli bis 3. August wurde len. Es sind politische Ausnahmegesetze. kannte ich nur Obertruppführer Baurie- stern abwischen. ich dann täglich oft 2-3 Stunden lang von der Sie nehmen den Juden in Deutschland das del. Auf meine Frage, warum ich verhaftet Gestapo Kreuzverhören unterzogen. Was her­auskam, Staatsbürgerrecht. Es wird eine» Reichs- werde, erhielt ich zur Antwort:>> Das wirst ein voll Unrichtigkeiten und bürgerschaft geschaffen, die nur Arier Du Hetzer gleich erfahren<<. Entstellungen strotzendes Protokoll, das ich erwerben können. Damit sind die Juden in Sobald ich das Portal des Polizeigebäudes mich zu unterschreiben weigerte. Trotzdem gleicher Verdammnis mit allen Oppositio- überschritten, erhielt ich von hinten mit dem wurde es am 4. August 1933 dem Untersu­Diesmal ging es der wohl ohne Schläge ab, chungsrichter vorgelegt, trotz meines nellen; denn die Reichsbürgerschaft darf Zuruf:» Flink, Du Hund!« einen heftigen nur erwerben, wer ein getreuer Knecht des Fußtritt, der mich zum Fallen brachte. So- sie hinterließen mir aber Schreibpapier und Protestes nur den Zusatz anfügte, daß ich soll alles vorliegendes Protokoll als unrichtig hinstelle. Systems ist. Hier lassen sich für die Zu- fort stürzten sich die SA- Leute und Köppel Bleistift mit dem Bemerken, ich wurde am 11. kunft Konflikte mit dem Militärstaat vor- auf mich, rissen mich an den gefesselten aufschreiben, was ich wisse, das Licht blieb Auf Grund dieses Protokolls aussehen, der den Anspruch erheben muß, Händen in die Höhe und stießen mich mit brennen. Die übrige Nacht verbrachte ich, in November 1933 die Voruntersuchung eröffnet. daß die Wehrpflicht das Bürgerrecht be- Faustschlägen in das Wachzimmer. Dort er- der ständigen Erwartung baldigen Besuchs, Erst da war es mir möglich, eine Neuproto­gründet ohne Rücksicht auf die Gesinnung. hielt ich von Bauriedel mit den Worten: hin- und herlaufend in der Zelle. Früh 7 Uhr kollierung durchzusetzen. Wie erstaunt war Gegenüber den Juden bedeutet diese Be-» Wo sind die Hetzschriften?< zwei Ohr- kamen 2 Schupobeamte, drehten das Licht ab, ich aber, als in der Anklageschrift des Reichs­stimmung, daß sie durch Gesetz für außer- feigen. sahen in meine Zelle und sagten nur:» Er lebt anwalts wiederum das Protokoll der Gestapo Ich mußte mich nackt aus­halb des Volkes stehend und für minder- ziehen. Meine Kleider wurden erfolg- ja noch!<< Meine Bitte um Trink- und Wasch- in 16 Seiten angeführt, während das richtige berechtigt erklärt werden. Es ist ein Akt los durchsucht. Als ich auf alle Fragen wasser blieb ungehört. Um halb 10 Uhr wur- als Entlastungsangaben mit einer Seite abge­der Bedrückung und des geistigen Sadis- nach Verbleib und Herkunft der Propaganda- de ich dem Kommissar der Gestapo ( Hop- tan war. Meine Versuche zur Richtigstellung vorgeführt. Hopperdietzel blieben erfolglos, da Köppel als Belastungs­Schriften schwieg, wurde ich ins Nebenzim- perdietzel) Dazu tritt das Gesetz aus der Sexual- mer gezerrt und mit Gummiknüppel und sagte: zeuge die richtige Abfassung des Protokolls > K., Ihr Genosse W. hat ein Geständnis unter Eid behauptete. Zwei Jahre Ge­sphäre, dieser Ausfluß des Sexualneides Fäusten von der SA und Köppel bearbeitet. Hetz­so fängnis wegen Verbreitung von auf die Juden. Durch dieses Gesetz wer- Hundhammer fragte zwischendurch, ob ich abgelegt!« Falls ich jetzt nicht gestehe, vor Geifer fuhr er fort werde meine sofortige Ueber- schriften lautete das Urteil. Die Begründung den die Juden gegenüber allen anderen gestehen wollte. Köppel schrie Völkern und Rassen für minderwertig er- schäumend:» Schlagt ihn, den Lumpen!< Als führung nach Dachau angeordnet. Ich wisse ging davon aus, daß auf Grund des Protokolls klärt, es wird ihnen eine Stellung gewis- zwei Schupowachleute vom Streifendienst wohl, was mir dort blühe. Als ich weiterhin der Gestapo es erwiesen sei, sermaßen außerhalb der Menschheit zuge- zurückkehrend in das Wachzimmer eintraten, schwieg, wurde ich wieder abgeführt und ver- Exemplare einer verbotenen Zeitung wiesen. Dies Ausnahmegesetz trägt sexual- ließ man von mir ab, warf mir Hose und blieb ohne jegliches Essen bis abends halb 5» Neuen Vorwärts<<) und Flugblätter verteilt pathologischen Charakter, es ist die Strei- Schuhe zu und führte mich dann in eine klei- Uhr in der Zelle. Um halb 5 Uhr konnte ich habe. Die Zelle diente früher als mich waschen und erhielt meine übrigen Klei­chersche Pornographie in Gesetzform ge- ne Arrestzelle.

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daß ich fünf ( des

Französisches Bonmot

bracht und es ist von Göring mit den Totenraum des vormaligen Krankenhauses. der. Dann wurde ich gefesselt ins Landgerichts­Streicherschen Phrasen von der jüdischen Sie enthielt nur eine Holzpritsche und Klosett- gefängnis Hof eingeliefert. Aus den Mienen Was ist der Nationalsozialismus? Der Sexualgier begründet worden. Das wilde kübel. Ich erhielt weder Wasser noch Schlaf- der dortigen SS- Hilfswachleute ersah ich, daß sie bereits auf mich warteten. Ich kam in eine Sieg der Boches über die Deutschen . Begeisterungsgeheul der Banden bei der decke.