Nr. 140 BEILAGEUjucrlönnSrfs16. Februar 19T6ht gteidfestUUete ImmnuetDie deutsdie Gegenwartsphilosophie des autoritären und totalen Chaos»Sie(die Aufgabe der na tionaJ sozialistischen Revolution) besteht für diedeutsche Philosophie darin, den Inbeigrltfder modernen Ideen und Ideologien undihre Wirklichkeit von der Wurzel her zuerkennen und aufzulösen!!)—nicht um der Negation willen, sonderndamit sie frei wird. In ihrem Bereich dieneue Wirklichkeit im Sinn und Geistdes Nationalsozialismus alsIdee, als Form auf allen Gebieten desgeistigen und wissenschaftlichen Lebenszu begreifen und durchzuführen.«Hans H e y s e, o. ö. Professor der Philosophie an der Universität Königsberg, Inder deutschen philosoph. Fachschrift>Kant-Studien«, begründet von HansVaihinger.Es ist noch nicht lange her, daß amBe spiel der im bisherigen deutschen»Intelligenzs-Sektor weit verbreiteten undverzweigten»K a n t-G esellschaft«,deren offizielles Publikationsorgan die vonVaihinger begründeten»K a n t- S t u-d i e n« sind, der Reichsinnenminister Pg.Frick seinen Gestapo-Bütteln in Stadt undLand klarlegte, wie sich die politischeOpposition im Reich nunmehr in unpolitische Klubs und Zirkel, etwa eben in die»Kant-GesellschafUen, zu flüchten undaus diesem Hinterhalt heraus das großeWerk des Führers zu berennen versuche,Warum Herr Frick gerade die»Kant-Gesellschaft« zum alarmierenden Beispielnahm, ist nun heraus: In der distinguierten Vereinigung am deutschen Geistesleben interessierter Menschen muß es angesichts der intellektuellen und moralischen Ergebnisse der Diktatur sehr erheblich gebrodelt haben. Daraufhin hatdas Regime die Säuberung und Gleichschaltung auch hier erzwungen, undsicherlich kaum mit anderen Methodenund anderer Zielsetzung, als man dasgegen Bäckerzwangsinnung und Schrebergartenverein Im ersten Stadium der»Gleichschaltung« eingeübt hatte. Somußte vor allem die Redaktion der»Kant-Studien«, wie sie jetzt selbst mitteilt,ihren Redakteur hinauswerfen. Die»Kant-Gesellschaft« selbst aber hat in dergleichgeschalteten Form den Auftragübernommen, das Werk des großenPhilosophen von Königsbergmit»Mein Kampf« von Hitler inideologische Uebereinstim-mung zu bringen... Nun ist es fürjeden Deutschen immer eine fast schicksalhafte Frage gewesen, in wie weit Kantund sein kategorischer Imperativ derunbewußte Wegbereiter einer sturenStaatsraison gewesen sind, die in derpreußischen Regierungsauffassung Hautund Knochen gewann. Kein Geringerer alsder Denker Masaryk hat dieser Untersuchung einen Teü seiner Lebensarbeit gewidmet. Aber in diesem Falle handelt essich ja nicht darum, für Herrn Hugenbergoder Herrn Seeckt Proselyten zu machen,sondern es sollen Philosophie-Rekruten fürHerrn Hitler geworben werden: eine dochwesentlich verschiedene Aufgabe! Dies geschieht in den»Kantstudien«, in denenHerr Hans Heyse, der den LehrstuhlImmanuel Kants in Königsberg selbst fürsich mit Beschlag belegt hat, für den»Führer« und seinen Nationalsozialismusdie erste Lanze des angeblich berufenenKant-Interpreten bricht. Dias geschieht ineinem Einführungsartikel zur ersten)gleichgeschalteten Nummer, überschrieben!»Philosophie und politischeExistenz«. Kant und die SA—! Was!gibt es wohl, was der deutschen Nationerspart bliebe!Hören wir also Herrn Heyse, wie sogerade Immanuel Kant der erste geistige �SA-Mann gewesen ist! Da steht es:»Leitend ist die Ueberzeugung, daß diedeutsche Revolution ein elnheitUober metaphysischer Akt des deutschen Lebens ist, der �sich auf allen Gebieten des Seins äußert, dereben darum auch die Philosophie und dieWissenschaft mit unwiderstehlicher Notwendigkeit in seinen Bann ziehen wird.«Es ist also— Gott sei Dank, darf manwohl sagen! n o c h nicht geschehen und essoll erst noch geschehen: das mit demunwiderstehlichen Zug»in den Bann«.,•Uns dünkt da freilich, daß es historischgerade immer so gewesen ist, daß wirkliche Revolutionen— eben als echt»metaphysische Akte«— ihre Schattenüber Philosophie, Wissenschaft und Kunstweit und breit v o r a u s geworfen hätten;nicht aber so, daß ihnen nachher derGerichtsvollzieher der Revolution insHaus geschickt worden wäre, wie in diesem deutschen Falle! Wer verstände überhaupt Mirabeau oder Danton ohne Vol-| taire, der ein halbes Jahrhundert vorihnen wirkte? Welche Dynamik hätte wohldie russische Revolution aufzuweisen ohneihren Tolstoi— ein Menschenalter vor! Lenins Emigrantendasein? Der philoso-' phische Erbhofbesitzer Heyse in Königsberg macht hier zum wünschenswerten»Nur Im Existieren selbst, nurin der Entschlossenheit und Tapferkeit-des Existierens gelangtder Mensch zu dem tiefsten Wissen, in dem alle Philosophie und Wissenschaft gründet, zu dem Wissen um die Ordnungen des Seins, sie zu bejahen und zu erfüllen oder— das ist die andere Grundmög-llehkeit— sie zu verletzen und unterzugehen.«Der Feuerländer existiert ohnejeden Zweifel. Höchstwahrscheinlich existiert er sogar einigermaßen entschlossener und tapferer, als Herr Heyse, derweiß, daß nach dieser seiner Kraftleistungseine Pensionsberechtigung im DrittenReich wohl unantastbar ist. Die FrageArmer John Rull! Sie sind Ihm so tief hinten hineingckrodien» daß sie ihm oben wieder heraus kommen!Nachtrag seines»metaphysischen Aktes«,was sinngemäß sein unumgänglicher Vorbote, sein wirbelnder Sturmstoß vor derEntladung in Donner und Blitz hätte seinmüssen. Aber das ist ja auch sehr wesentlich: sagt es doch das Notwendige ausüber die ganze metaphysischeFragwürdigkeit jenes»Aktes«,auch wenn es Akten über den Osthüfe-Skandal und den Reichstagsbrand undüber so vieles andere, was zum»Akt« gehört und so ganz und gar unmetaphysischist, gar nicht gäbe.Soweit nun Herr Professor"Heyse persönlich in Frage kommt, ist er allerdingssichtbar in jenen unwiderstehlichen Banngezogen. Eis ist zwar kaum KantianischeElrkenntniskritik, aber eine echt HitlerscheBürgerbräu-Schwadronade, wenn er alsSinn und Aufgabe der gleichgeschaltetendeutschen Philosophie weiter vorzutragenwagt:Zeichnung von Henry Dubois.freilich, ob sich ein Feuerländer durchseine tapfere und entschlossene Existenzallein schon so viel»tiefstes Wissen« aneignet, daß er in die Lage käme, HerrnHeyse in der gleichgeschalteten Leitungder»Kant-Gesellschaft« zu ersetzen,möchte letzterer wohl am besten selbst beantworten.Was will er also nun eigentlich im Bezirk höchster Erkenntnis, der HerrHeyse? Er will vor allem los von»denmodernen Ideen des Geistes«,denen die sogenannte deutsche Revolution»mit Recht fremd gegenübersteht«; aber das bedeute natürlichkeineswegs»eine Ablehnung der Idee desGeistes« an sich... Wer dieses philosophische Kreuzworträtsel nicht lösen kann,ist natürlich Staatsfeind, versteht sich,wozu dann noch käme, daß er außerdemvon Kant, wie ihn Heyse interpretiert,keine Ahnung hätte! Weiter: Die bösenBriten— ja— die hätten es schon besser,als wir Deutsche. Bei ihnen hätten sich dieTrennung von Geist und Wirklichkeit, vonPhilosophie und Politik»niemals indieser Schroffheit vollzogen«,wie bei uns. Spencer wird als Muster dieser Harmonie zwischen Idee und Realitätim englischen, im westeuropäischen Wesenlobend erwähnt Bei uns Deutschen aber?»Die Erfahrung hat uns unwiderlegbar gezeigt, daß alle jene Mächte Europas, vor allem Deutschland, nur noch tiefer in das Chaoshineinführen.«Das ist, der großen Worte entkleidet,nichts weiter als der Bolschewisten-schreck Adolf Hitlers int r a n s s z e n d e n t a 1 e r Treppenbeleuchtung!»Jene Mächte«—? Jenun, das ist wohl beispielsweise— Heysedeutet es zwar nur an als vorsichtigerMann— die»moderne Idee« von der H u-m a n i t ä t, die zivilisatorische Vorstellung der Gegenwart von einem Weltgewissen, das Bewußtsein des Europäers um Rechte, die droben hangenunveräußerlich. Weg damit, sagt HerrHeyse, das alles ist»m odern« und»w esteuropäisch«! Und wir Deutsche würden nur gewissermaßen überunsere eigne dicke Zehe stolpern, wennwir uns damit überhaupt befassen wollten;nein, wir müssen das alles»auflösen«!Fragt sich freiüch nur, was mit diesemVerfolgungswahnsinn eines ins Philosophische abgeirrten Feldwebels der Königsberger Denker Immanuel Kant zu tunhaben soll, der immerhin— freilich durchaus wohl eine Fehlleistung vom Standpunkt der heutigen»Kant-Gesellschaft«!— sein»Traktat vom ewigen Frieden«geschrieben hatSollte uns gerade Herr Heyse, selbst jadoch Versuchskaninchen für die preu-ßisch-hitlersche Feldwebeltotalität, unsmit metaphysischen Erklärungen kommendürfen, um die Diskrepanz zwischen Ideeund Wirklichkeit im deutschen Wesen undLeben zu erklären, die ja in der Tat besteht? Ach, das ist alles doch so ganzuntranszendental: und gerade in Königsberg, wo einmal dem Denker ImmanuelKant großmütig vom preußischen Serenissimus das Gehalt eines Dorfschulkantorsbewilligt wurde— in Königsberg, wohindas Verdikt des Königlichen Geheimkabinetts erging, als der Philosoph einesTages in den fürchterlichen Geruch nichtorthodoxer Kirchengesinnung gekommenwar, hätte gerade Herr Heyse Gelegenheit,festzustellen, wie jene Disharmonie imdeutschen Geisteskomplex auf eminentpraktische Dinge, auf Junkertum undBauernhörigkeit, auf den Korporalstockund die Baronspeitsche zurücKzuführenist und daß man gar nichts erreicht zuihrer Beseitigung, indem man mit demKopf gegen die eigene Hauswand Europarennt, sondern nur so, daß man sich daranmacht, diese Gewalten deutscher Zwiespältigkeit zu entthronen, mögen sie nunzufällig Friedrich Wilhelm oder Adolf Hitler heißen. Das andere zu tun, ist dochwohl gar zu bequem. Man kann damitallerdings, wie der Fall Heyse zeigt, sogardie Infamie legitimieren, das AndenkenImmanuel Kants zu beschmutzen und edelste deutsche Werte durch die Gosse zuzerren.Es ist ein Nachfahre dieses Kant, dieserHerr Heyse, der sich am Ende seiner lichtvollen Deduktionen zum Zwecke derGleichschaltung seiner Philosophie, zufolgendem Irrsinn versteigt;»Das Wesen der gesamteuropäischenIdeologien, deren Jahrhunderte alte Entwicklung nun zu Ende geht, besteht darin,daß der Mensch ausgeliefert wird an Jenegroßen außermenschlichen Prinzipien: Kapital, Technik, Wirtschaft... In diesem echtgeschichtlichen Augenblick besinnt sichDeutschland in einer gewaltigen Umkehr, ineiner radikalen Revolution auf sich selbst,übernimmt es eine europäische Aufgabe.«Dem»außermenschlichen Prinzip« desKapitals, der Technik und Wirtschaft,steht sicherlich, wenn es nach Heyse geht,das so ganz und gar edel-»innennensch-