Nr. 141 BEILAGE

Neuer Vorwärts

23. Februar 1936

Volksrevolution und Volkssozialismus

Volksmehrheit wegdekretieren können.

Zu dem Buche von Wenzel Jaksch » Volk und Arbeiter«<

aus der

Profit­

> In Mitteleuropa und in Deutschland | her als einen teilweise nur skizzenhaften aber dahin zu kommen, muß» das Prole-| negativen Nationalbewußtsein vor allem ist der Sozialismus ein koo- Versuch wird wohl Jaksch seine Arbeit tariat« eine überragende Machtstellung im Enge spießbürgerlichen Denkens, aus der peratives System. Kein sozial­zwar in einem Roheit feudalen Herrentums und aus der revolutionäres Regime wird die Realität nicht bewertet wissen wollen, aber sie wird Volke erringen, und historisch gewachsener Mittelschichten auch denjenigen, der seine Beweisführung Volke, in dem die Gesellschaftschichtung Borniertheit schwerindustriellen und das Vorhandensein vielfältiger Grup- da und dort ablehnt, zum Nachdenken viel komplizierter und die Verbundenheit triebs ein positives Nationalbe­peninteressen innerhalb der werktätigen zwingen. Hoffentlich auch zur Stellung- auch der Arbeiter mit dem nationalen wußtsein der deutschen So­Notwendig und unerläßlich ist die Ausnahme. Die von Jaksch aufgeworfenen Schicksal viel größer ist, als es selbst Ge- zialrevolutionäre entgegen. Er tut richtung dieser Gruppeninteressen zum Fragen müssen diskutiert und geklärt wer- nies vom Range der Marx und Engels vor das nicht nur mit guten Gründen, sondern Gesamtinteresse hin, auf das nationale den. Es ist ihnen nicht mehr länger auszu- neunzig Jahren ahnen konnten. Das deut- auch mit einem nicht verhehlten starken weichen. Der deutsche Sozialismus muß, sche» Proletariat« muß eben nicht nur Gefühl der Verbundenheit mit der alten es deutschen Volkskultur und dem Glauben von der gegenwärtigen Kräfteverteilung mit seiner eigenen» Bourgeoisie< Wir erleben seit einigen Monaten man- seines Kampfbodens ausgehend, eine muß auch mit der Trogödie des deutschen an ihre regenerierenden Kräfte. Ja, cherlei Bemühungen, die auf eine» Volks- neue macht politische Konzep- Volkes in Mitteleuropa sich ausein- glaubt daran und es gehört in diesen

Wirtschafts- und Lebensziel des sozialisti­ schen Aufbaues.<<

front der deutschen Antifaschisten und in diesem weiten Rahmen auf eine» Einheits­front<< der großen und kleinen marxisti­ schen Gruppen gerichtet sind. Manche stürmen mit Ungeduld in die Einigungs­atmosphäre hinein. Andere sind zurückhal­tender. Nicht nur diejenigen, die sich für die Reste der Partei- und Gewerkschafts­körper drinnen und draußen verantwort­lich fühlen, sondern auch solche Sozia­listen, die noch nicht so ganz genau zu wissen meinen, welche Fronten sich im Kampfe um den Sozialismus in Deutsch­ land herausbilden werden. Solche Zaude­rer, die diesen Vorwurf gelassen hin­nehmen, glauben, daß sie nicht mehr mit den alten politischen Begriffen von >> Rechts« und»> Links< aus hundertjähriger Parlamentsgeschichte rechnen können, ob­wohl ähnliche Gruppierungen vielleicht ein­mal wiederkehren mögen. Es komme aber, so meinen jene Zögernden, jetzt nicht nur darauf an, möglichst rasch und unter sehr allgemeinen liberalen Sentenzen groß­städtische Intellektuelle aller Art zu ver­einen, sondern sich sehr ernste Gedanken über die Eroberung unseres deutschen Volkes zu machen. Dazu ist aber die Voraussetzung, daß wir uns über unsere sozialistische Stellung zu diesem Volke, wie es sich uns jetzt, manchmal rätselhaft genug, darbietet, selbst erst einmal klar werden. Vielleicht glauben manche, dieser Klarheit fehle es nicht, aber in der politischen Emigrationsliteratur scheinen. die Klärungsversuche noch nicht sehr zahlreich und gründlich und vor allem

an

Forderung

Hitlers Butterersat

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Wie schmiere ich das nun aufs Brot?

-

er

Tagen viel Glaube dazu daß es die Auf­gabe der Deutschen ist, durch innere Selbstverständigung über ihre Sendung die Bannerträger der Einigung Europas im Zeichen des So­zialismus zu sein. Die Idee ist um so kühner, als selbst sehr viele Paneuropäer nicht damit einverstanden sein dürften, daß über ihrem Ziel die sozialistische Flagge wehen und gerade Deutschland die Führung zufallen soll.

Sieht man indes genauer zu, so schränkt sich die nächste sozialrevolutionäre Auf­gabe, deren Erfüllung Wenzel Jaksch vom deutschen Volke erwartet, auf die poli­tische und wirtschaftliche Entmachtung der beiden deutschen Herrenschichten ein, die seit langem weder Deutschland zu einer inneren freiheitlichen Entwicklung noch Europa zur Verständigung kommen lassen: die junkerlichen Latifundienbe­sitzer und die alldeutschen Schwerindu­striellen. Jaksch ist nicht der Ueberzeu­gung, daß die Volksrevolution mit diesem Ziel allein von dem deut­schen» Proletariat« getragen wer­den kann. Man könne, sagt er, in keiner Programmgebung mehr übersehen, daß die deutsche Arbeiterschaft, dieser Begriff selbst im weitesten Sinne des Wortes ge­nommen, eine Minderheit im Volke ist, die sich mit einer, wenigstens in der geistigen Haltung nichtproletari­schen Volksmehrheit, auseinandersetzen muß. Jeder Versuch einer sozialrevolutio­nären Perspektivierung muß daher auf die keineswegs neue Fragestellung über das Verhältnis von Klasse und Volk eine Antwort geben. Einer Beantwortung dieser Frage pflegt man aber noch immer vielfach mit einem küh­nen Salto mortale auszuweichen. Man stellt einen rein klassenmäßigen Anspruch auf die Alleinmacht in Staat und Wirtschaft auf. In dem sehr richtigen Gefühl jedoch, daß nicht die geringste Aussicht besteht die Forderung zu realisieren, will man >> auch die bäuerlichen und kleinbürger­lichen Grenzschichten mobilisieren«<, um so eine mächtige von der Mehrheit der Nation getragene Volksbewegung hervorzurufen. In einem mystischen Optimismus scheint man trotz hinreichend langer gegenteiliger Erfahrungen anzunehmen. daß die bäuer­lichen und kleinbürgerlichen Schichten für die Aufrichtung einer Alleinherrschaft der » Arbeiterklasse<< zu einem opfervollen revolutionären Kampfe aufzubieten wären.

noch sehr jungen Datums zu sein. Die Frage: Was wollt Ihr?<< steht noch unbe­antwortet vor uns. Man kann sie nicht durch die selbstverständliche des Sturzes der Nazidiktatur erledigen und auch durchaus nicht allein durch eine noch SO ausgezeichnete Programmatik. Wir müssen mit uns selber ins Reine kommen über die Frage, welche gesell­schaftlichen Schichten und welche weltanschaulichen Kräfte sich draußen und drin­nen zusammenfinden können, um Deutschland von der Tyrannei zu be­freien und die Aufgabe zu lösen, an deren Nichterfüllung die jetzt Regierenden zu­grunde gehen werden: die sozialistische Erneuerung der Wirtschaft und der Na­tion. Unsere analytische Aufgabe ist im wesentlichen vollendet. Der marxi­stische Sozialismus hat nur zu zeigen, was er in der Synthese, als verbindende Kraft im deut- tion finden. Er muß diese Aufgabe mit andersetzen, und deren Wurzeln liegen Die vielen Sozialdemokraten, die vielleicht schen Arbeitsvolke zu leisten derselben Energie und Gründlichkeit an- doch wohl noch tiefer als die der kapitali - nicht gerade in Unkenntnis des Denkens der Bauern und Kleinbürger dazu mehrere vermag. Das ist Frage und Gebot packen, die er bisher auf die allgemei- stischen Entwicklung unseres Schicksals. nen Probleme des Sozialismus verwandt Jahrhunderts. Man kann die deutschen Ar- große Fragezeichen an die Wand malen, Es genügt nicht mehr, die alte Ter- hat. Dabei kann er diejenigen hinter der beiter nicht durch Theorien, und seien sie sind seit jeher als für große revolutionäre minologie: Arbeiter, Klasse, Klassen- Zeit Herlaufenden ganz unbeachtet lassen, noch so geistvoll und gelehrt, vom deut- Gedanken unbrauchbar gescholten worden. die Genugtuung, kampf, Proletariat, Bourgeoisie, Kleinbür- die immer noch die große Tragödie der schen Heimatboden und dem Zuge der Indes erlebt man nun ger, Revolution, Sozialismus zu überneh- deutschen Arbeiterbewegung in den Feh- Deutschen durch die Geschichte Europas jetzt manchen, der etliche Jahrzehnte men und zu wiederholen. Es geht um deren lern und der Unzulänglichkeit von ein loslösen. Daraus folgt aber, daß man die immer und immer nur» proletarische Poli­tik« predigte, zu Gemeinschaften hinstre­neuen Inhalt. Wendet man ein, andere paar führenden Männern oder in dieser nationalen Fragen nicht lediglich aus dem wüßten ihn genau? Um so besser, so und jener Spaltungsaffäre suchen. Jaksch Gesichtskreis des Klasseninteresses be- ben zu sehen, die im Extrem mögen sie es uns geringeren Geistern recht meint, daß die deutsche Sozialdemokratie trachten und lösen kann. Jeder Versuch, vielleicht zuviel auf einmal umarmen wol­gut und allgemeinverständlich sagen. Bei zwar theoretisch und kulturell weltweit ge- der im Frieden damit gemacht wurde, Jaksch sieht bei der Behandlung des allen Formulierungen aber wollen wir wirkt habe, daß sie jedoch die Tücken des endete mit einer Niederlage des Sozialis­daran denken, daß die sozialistische Idee eigenen Kampfbodens in Deutschland nicht mus, und im Kriege führte er zu einer Zer- Bündnisproblems für die deutschen das ganze weite Feld des werktätigen genug kannte, und daran ist sicherlich viel setzung, von der sich die Bewegung nie Sozialisten soziologisch mehrere Schichten: Volksdaseins, für uns zunächst in Wahres. Die einen haben zuviel westeuro- mehr ganz erholt hat. die Angestellten, die kleinbürgerliche Ju­Deutschland, zu erfassen hat, wenn sie pätsch- englische Parlamentsvorbilder Jaksch weist die deutschen Sozialdemo- gend und das Bauerntum, während er uns siegen, sich behaupten und verwirklichen sehen und die anderen zuviel russisches kraten resolut auf ihre Aufgaben in Intellektuellen in Bewegung, Kampf und Rätesystem. In dem Streit um solche Deutschland hin und zeigt ihnen damit zu- Aufbau nicht die Bedeutung zuzuerkennen Einer der deutschen sozialistischen Ar- Theoreme wurde der Blick auf Tradition und gleich ein großes internationales euro- scheint, die wir selber vielleicht glauben, beiterführer in der Tschechoslowakei , Gegenwartsentwicklung des deutschen Vol- päisches Ziel.» Was in dem blutig geschän- in uns fühlen zu müssen. Es wird leicht Wenzel Jaksch ( Volk und Arbeiter, kes getrübt. deten Begriff der Volksgemeinschaft unge- sein, gegen diese Partien des Buches Eugen- Prager- Verlag, Bratislava ) macht>> Das Proletariat eines jeden Landes klärt nach Ausdruck ringt, ist das Se h-» Volk und Arbeiter« mancherlei Ein­einen tapferen Versuch, vom» proletari- muß natürlich zuerst mit seiner eigenen einer unvollendeten Na- wände zu erheben, vor allem den einen, tion nach inhaltsvoller und fester Le- mit dem man rasch bei der Hand ist, daß schen Sozialismus<< zum deutschen n en Bourgeoisie fertig werden<< Volksozialismus vorzustoßen.- steht im Kommunistischen Manifest. Um bensform.< So setzt denn Jaksch dem es an» Vorschlägen« mangelt. Jaksch kann

soll.

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des neunzehnten

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zu früher