Nr. 142 BEILAGE

Neuer Vorwärts

1. März 1936

Deutsche Jugend- französische Jugend

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Die älteste europäische Demokratie in Gefahr?

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>> Sie gehen jeder Frage direkt auf nete Hierarchie der Existenzsicherheiten| verbünden zu können. Schon wird die Jeunesse dorée mehr, aber schon taucht den Leib und zerren daran solange her- und des Aufstiegs. Provinz, wenn auch noch in gewissen die Frage auf: wird sich die französische um, bis sie entweder gelöst oder als Feinere Ohren vernahmen bereits ein Abständen, von dieser Unruhe erfaßt. In Jugend vom Golde kaufen und vom Golde unauflösbar beseitigt wird. Das ist der Charakter entstehen auf einmal mißbrauchen lassen, um den Spendern das der Franzosen ... Nein, fernes Gewittergrollen. Aber noch war es mittleren Städten Frankreich hat noch nicht geendet, weder ein Problem noch eine Gefahr. Büros der nationalistischen Verbände, die faschistische Paradies zu bereiten? aber wie alle Völker, wie das Men­* * von jungen Leuten umlagert sind, und mit schengeschlecht selbst es ist nicht Vor kurzem Einige Jahre später. Ueberall in Frank- geheimnisvollen Geldmitteln mieten oder erschien in zahlreichen ewig, es hat vielleicht schon seine Glanzperiode überlebt, und es geht reich spricht und schreibt von erwerben sie Häuser, die beklemmende französischen Blättern ein Aufsatz jetzt mit ihm eine Umwand- drängenden Jugendfragen. Tur- Parallelen ins Gedächtnis zurückrufen. Joseph Caillaux :» Deutsche Ju­lung vor, die sich nicht ableugnen bulente Sekten mit esoterischen Königs- Selbst im sozialistischen und radikalsozia- gend französische Jugend.<< läßt: auf seiner glatten Stirn lagern dringen sie vor, wenn Caillaux hat ein langes und bewegtes Le­sich diverse Runzeln, das leichtsinnige träumen, die sich bisher mit gelegentlichen listischen Süden Haupt bekommt graue Haare, senkt Straßenrevolten vergnügten, schwellen auf auch noch bespöttelt und nicht ernst ge- ben als Parlamentarier in vorderster Reihe sich sorgenvoll und beschäftigt sich einmal zu> Bewegungen« an. Dem nommen von denen, die die französische hinter sich. Sein großer Gegner Clemen­Obersten De la Roque folgen junge Leute Skepsis gegen jugendlichen Ueberschwang ceau ließ ihn unter der Anklage der Kon­mit extatischen Augen. Universitätskra- und Nachahmungstrieb mobilisieren. Ein spiration mit dem Feinde während des

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es denkt auch

nicht mehr ausschließlich mit dem heutigen Tage an morgen.<. Heinrich Heine :» Lutezia<<, Paris , 13. Febr. 1841.

die

Jeder Bekenner der politischen Frei­heit greift immer wieder zu Heines und Börnes Briefen aus Paris . Zwei Emigran­ten sehr verschiedenartigen Wesens, Wahlheimat liebend und sich zugleich in Sehnsucht nach Deutschland verzehrend, geben Rechenschaft von den» rauschen­den Bewegungen eines Volkes, in dessen Schoß die tragenden Ideen der Zeit am frühesten in Europa Gestalt gewonnen hatten. Die Lektüre dieser Briefe ist zu­gleich geeignet, Legenden über die gute alte Zeit zu zerstören. In jenen Jahrzehn­ten hat es in diesem Lande nicht aufge­hört zu wettern und zu stürmen, zwei Revolutionen folgten in einem Zeitraum von noch nicht zwanzig Jahren aufein­ander, Ministerien kamen und gingen, und schon drängten von unten auf die sozia­len Auseinandersetzungen mit ihren > heilenden Denkern«, wie Heine die sozialistischen Utopisten nannte. Viel­leicht waren es auch manchmal Stürme im Wasserglase, die das Oel der allge­meinen menschlichen Bonhommie des fran­ zösischen Volkes schnell wieder beschwich­tigte. Aber es hat vor hundert Jahren und später sein soziales und politisches Dasein keineswegs als Idylle erlebt, es hat in den Tragödien und manchmal auch in den Tragikomödien der Zeit immer mit Leidenschaft mitgespielt, und wir würden die Bedeutung der politischen Ereignisse von damals falsch und ungerecht ein­schätzen, wenn wir die heutigen Maß­stäbe anlegten.

dem

Eines jedoch hat es in Frankreich in diesen Jahrzehnten der Krise und der Gä­rung fast bis zur Schwelle der neuesten Zeit nicht gegeben: eine Generatio­nenfrage. Zwar bekämpften sich auf geliebten und traditionsreichen Schlachtfelde der Literatur» Alte< und > Junge. Aber ein Aufstand der Söhne gegen die Väter, einen jugenddurchbrau­sten Ansturm gegen die staatlichen Fun­damente, eine Separatrevolution neben den Aelteren oder gegen sie das ist ein Novum Das für Frankreich .

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> Bündische der deutschen Jugend­bewegung, die Schwärme und Schwäre auf Führer, die programmatische Subordina­tion, womit ein Teil der bürgerlich- intel­lektuellen Jugend seit der Tagung am Ho­ hen Meißner alle individuellen Entschei­dungen verneinte: das war für die fran­ zösische Jugend bisher eine fremde und wenig liebenswerte Welt. Als diese orga­nisierten Teile der deutschen jungen Men­schen bereits anfingen, die Idee der Huma­nität für veraltet zu halten und zu ver­leugnen die Darstellung der Zusammen­

man

Ley ist nicht glücklich

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von

Krieges verhaften und verurteilen; seinen Kampf um Freiheit und Rehabilitierung hat Caillaux in einem eindrucksvollen Buche geschildert. Sein Spezialgebiet als tion. Die Tatsache, daß gerade er, ein kühler Rechner und, wenigstens nach außen hin, immer ein nüchterner und zurückhaltender Denker, sich jetzt auf einmal der brennenden Problematik der Jugend beschäftigt und Lösungsversuche für sie anstrebt, spricht für sich.

>> Wir wissen es alle, daß die Satten nicht glücklich sind, im Gegenteil, sie Politiker waren die Finanzfragen der Na­haben manchmal sehr viele Bedrängnisse und Beschwerden.<< ( Robert Le y. Deutschland ist schöner geworden. Mit einem Porträt des Verfassers.)

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Zeichnung von Henry Dubois.

Caillaux stellt diesem Gegensatz zwi­schen der deutschen und der französischen Jugend fest:» Die französische Jugend würde sich nie so völlig in einen Staats­apparat einsperren lassen wie die deutsche Jugend, die in einer organisierten Gesamt­heit lebt, wo alles vom gleichen Geiste be­seelt ist.<< Durch Krieg, politische Umwäl­zung, Inflation und Krise sei die durch die Jugendbewegung disziplinierte deutsche Jugend in den Zustand einer> Angst vor dem Leben hineingeraten, in viel stärkerem Maße als ihre ausländischen Kameraden. Zugleich aber sei ihr glaub­haft gemacht worden, daß die nationale Verantwortung überwiegend auf ihren Schultern ruhe:

» Hitler machte sich zum Echo ihrer An­

sprüche, mit einem solchen Verführungs­reichtum, mit einer solchen Illusionsgewalt, daß sie zu ihm kam, für ihn kämpfte und ihn schließlich zur Macht trug. Der Jugend, die nicht mehr an das Leben glaubte, wurde vom Führer versprochen, die maßgebende Funktion in dem großen gemeinschaftlichen Werk zu übernehmen. Er glaubte, daß diese psychologische Anerkennung genügen würde, ihr den Willen zur Lebensbeja­hung wiederzugeben...<

Caillaux sieht richtig, daß die Faszinie­rung einer verzweifelten und hoffnungs­losen Jugend ein entscheidendes demago­gisches Hilfsmittel des Nationalsozialismus gewesen ist. Wohl verstanden: vor allem der intellektuellen Jugend, die in einem politisch und sozial zersetzten Gesell­schaftskörper am leichtesten>> revolutio­när« mißbraucht werden kann. Hat Hit­ ler , so fragt Caillaux , der Jugend den » Glauben« erhalten? Der Hinweis auf die Minderung der Arbeitslosigkeit ist für ihn nicht beweiskräftig, denn für einen großen. Teil der Jugend sei diese Frage gelöst. worden in Arbeitslagern und Ka­sernen. Schon glauben die führenden Hitleranhänger selber nicht mehr an ihren psychologischen Erfolg. Unter der studen­tischen Jugend wittern sie bolschewistische Umtriebe, man fürchtet den Widerstand der katholischen Jugend, kurz, sie fühlen bereits angstvoll die Erschütterung des Vertrauens, mit banger Furcht vor dem Geiste, den sie selbst erweckt, bis>> zur Lust zur Grausamkeit<,

Und die französische Jugend?

hänge zwischen bürgerlicher deutscher Ju- walle studentischer Minderheiten, heimlich zunächst noch kleiner Teil der französi­gendbewegung und dem Nationalsozialis- beschützt von konjunkturbeflissenen Hoch- schen Publizistik bekundet deutliche Sym­mus muß noch geschrieben werden schullehrern, erinnern peinlich daran, wie pathien. Schon argumentiert der politische lebte die französische Jugend im vollen es in Deutschland > anfing<. Leon Blum , der Indifferentismus:» Man kann nie wissen«, Auch sie wird stark beeinflußt von der Glaubenszauber der selbstverantwortlichen Führer derjenigen Partei, die für die frei- und aus den Mittelschichten hört man den ökonomischen Unsicherheit, wenn auch in freien Entscheidungen des Geistes. heitlichen Ideale der Nation am entschlos- Ruf nach» Ordnung« und nach einem eher- anderer Weise als die deutsche. Noch ist die französische Mittelklasse nach der Auch die Geschichte der europäischen sensten zu kämpfen bereit ist, wird von nen>> Retter<... Manches kommt uns nur zu bekannt Meinung von Caillaux sozial und politisch Arbeiterjugendbewegung zeigt ähnliche jungen Rüpeln mit Abzeichen auf der Gegensätze. Sie sind nicht nur aus den Straße überfallen und blutig verletzt. In vor. Besteht bereits eine aktu- kräftig genug, die Demokratie zu sichern. Verschiedenheiten des Volkscharakters zu die bisher so geschlossene Institution der elle faschistische Gefahr? Noch Aber schon stehen daneben der Einwand eine besonders erklären. Die französischen Institutionen Familie dringt auf- darf man die Frage verneinen. Es gibt in und die Sorge: der Streit der Frankreich keinen machtbeflissenen Groß->> Der soziale Konkurrenzkampf richtet sich beruhen auf der kleinstädtischen bürger- schlußreiche Erscheinung lichen Mittelklasse und den Bauern. An Söhne gegen die Väter, der Brüder gegen grundbesitz, keinen Militärstaat im Staate, auch in Frankreich mit voller Schärfe diesen Betonwänden brachen sich immer die Brüder bis zur haẞerfüllten Entzwei- keine soldatisch gedrillte Privatarmee. gegen die Intellektuellen... Dazu wieder die politischen und sozialen Wel- ung. Aber verdächtig bleibt im Hintergrunde, kommt die ungeheure Ueberfüllung der fran­

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lengänge. Als in Deutschland die Umwer- Das betrifft keineswegs allein das ewig mit starken unterirdischen Einflüssen in zösischen Universitäten. In immer größerer tung aller gesellschaftlichen und psycho- bewegte Paris , wo die rivalisierenden Or- den Parlamenten und in der Presse, die Zahl werden Akademiker mit abgeschlosse­logischen Faktoren im fieberhaften Tempo ganisationen der Royalisten, der Feuer- mit dem Finanzkapital koor- nem Studium in eine Gesellschaft zurückge­der Nachkriegsjahre längst im vollen Zuge kreuzler, der Patriotischen Jugend zu» Ta- dinierte Schwerindustrie. Am worfen, die bereits mit Intellektuellen über­war, gab es in Frankreich im Bewußtsein ten« entschlossen sind, ohne sich zu einer Himmel der französischen Demokratie bal- sättigt ist. Den Geisteszustand dieser Ar­der mittleren Schichten noch eine geord- gemeinsamen Aktion Staatsstreich len sich Gewitterwolken. Es gibt keine beitslosen kann man sich leicht vorstellen:

zum