Nr.(43 BEILAGE

8. März 1936

obespierre imDritten Keicli"

Lange ehe Deutschland mit Kloaken­farbe angestrichen wurde, nannte die Ber­ liner Zeitschrift»Deutsche Republik« den Osaf einmal einen»Lodlhütl-Robespierre«. In der Tat fehlt es im Persönlichen wie im Politischen nicht an Vergleichspunkten zwischen beiden Gestalten, obwohl die eine aus der Weltgeschichte, die andere aus Gast ans Panoptikum stammt Der micke­rig kleinbürgerliche Zug um die Beine, die Humorlosigkeit gepaart mit sturem Fana­tismus, die klobige Weltanschauung, die nur Schwarz und Weiß kennt, der Versuch, das Rad der Wirtschaftsentwicklung um Menschenalter zurückzudrehen, der kalte Haß auf den politischen Gegner, der Irr­glaube, durch Gewalt und Schrecken Men­schen ändern zu können, der Drang, Köpfe rollen zu lassen all das eignet dem einen wie dem andern, und selbst wenn unlängst ein Zeremoniell für ein nationalsozialisti­sches Hochamt kundgegeben wurde, das dem»Führer« auf den Tempelstufen der Feldhermhalle hohen priesterlichen Ho­kuspokus zuschrieb Sein Schreiten ist ein Gebet... ist es, ins Kitschige karikiert, Robespierre beim Fest des Höchsten Wesens. lieber den einen, über Hitler , darf, bei schwerer Gefahr für Leib und Leben, im »Dritten Reich « nicht anders geredet wer­den, als der tibetanische Buddha-Priester vom Dalai-Lama spricht Also läßt man sich desto ungesehen ter über den andern, über Robespierre , aus. Oder sollte es ein merkwürdiger Zufall sein, daß im gleichen Augenblick zwei Bücher über den gleichen Gegenstand, von Friedrich Sieburg und Peter Richard Rohden, er­scheinen? Allerdings handelt ps sich nicht um ausgesprochene Schüsselhistorie wie »Der Romantiker auf dem Throne der Cä­saren« von Strauß, der auf Friedrich Wil­ helm IV. , oder wie»Caligula « von Quidde , der auf Wilhelm n. zielte. Es sind auch keine dünnen Broschüren, sondern ausge­wachsene Bücher, die überdies durch Ni­veau von dem Durchschnittsgeachreibsei im Bereich der»Reichskulturkammer « er­freulich abstechen. Rohdens»Robespierre « rollt die»Tragödie des politischen Ideolo­gen« in gründlicher, hieb- und stichfester, plastischer monographischer Darstellimg auf, und von Sieburgs»Robespierre « gilt immerhin, was der ledernste aller Hohen- zollem an den Rand einer Denkschrift Steins setzte:»Als Poesie gut!« Dieser Pariser Redakteur der»Frankfurter Zei­ tung « ist ein überaus wendiger Charakter, eine Glanznummer für ein künftiges Wör­terbuch der politischen Wetterfahnen, da er ea fertig brachte, sein vorletztes Buch als»Zeichen der geistigen und kämpferi­schen Verbundenheit« dem Juden und De­mokraten Heinrich Simon zu widmen und fast im selben Atemzug Hitler , den»Staats­mann« der Judenhetze und Demokraten­verfolgung, überachwänglich zu feiern. Aber zu schreiben versteht er: trotz man­cher Schiefheiten und Irrtümer weiß er »das Atmosphärische«, die Stimmung der Revolution, ausgezeichnet wiederzugeben, und sein Porträt Saint-Justs ist mit unver­geßlichen Pastellfarben gemalt Jederzeit können denn Rohden wie Sie­ burg mit freier Stirn behaupten, daß sie über das Jahr 1794 nicht hinausgedacht haben. Beweise ihnen mal einer, daß sie Dach der Gegenwart hinüberblinzeln! Sie sorgen ja auch vorsichtig für ein Alibi, in­dem sie ab und zu in den braunen Jargon verfallen. Rohden spricht von»Umbruch« und»Blut und Boden « und zuckt über»die Ideale von 1789« die Achsel, Sieburg hat es mit dem Rationalismus des 18. Jahr­hunderts und findet viele Artikel der »Enzyklopädie«, die doch wie ein unge­heures Feuersignal aufflammte,»flüchtig und geradezu gleichgültig«, und wenn wie­derum Rohden über»die melodramatische Tendenz« eines neueren französischen Hi­storikers spottet,»die Ereignisse von 1789 auf einKomplott" zurückzuführen«, denkt er natürlich nicht im Traum an die Ge- schichtsklitterer im Braunhemd, die alle ihnen peinlichen Begebenheiten der Welt­historie auf»Komplotte« der Juden, Mar­xisten und Freimaurer zurückführen. Ja, mehr! Als es 1789 um die Frage ging, ob den bis dahin unterdrückten Juden die Staatsbürgerrechte zuzubilligen seien, sprach sich Robespierre mit der klarsten

Eindeutigkeit dafür aus; die Verfolgung der Juden brandmarkte er in der Konsti­tuante als»nationale Verbrechen«, die wir gutmachen müssen, indem wir ihnen die unveräußerlichen Rechte zurückerstatten, deren keine menschüche Macht sie berau­ben konnte... Geben wir sie dem Glück, dem Vaterland, der Tugend wieder, indem wir ihnen die Menschen- und BUrgerwürde wiedergeben«. Diese gerade heute bedeut­same Haltung Robespierre erwähnt Sie­ burg mit ganzen zwei Worten, während Rohden bemerkt, daß sich lediglich»vom Standpunkt der rationalistischen Philoso­phie des 18. Jahrhunderts« nichts gegen Robespierres These zur Judenfrage ein­wenden lasse. Und dennoch! Ob sie wollen oder nicht, Sieburg und Rohden entwerfen das Bild einer Zeit, das auch dem arglosen Beschau-

Jakobinerklub mit seinen fast zweitausend Tochtergesellschaften, die über das ganze Land verstreut sind, ist die eigentliche Grundlage der Schreckensherrschaft«; in diesem Zusammenhang zitiert er Andre Chenier , und dieser Dichter, 1794 guilloti­niert, dachte doch unmöglich an eine Pa­rallelerscheinung der Jahre 1933 bis 1936, wenn er über jene politische Gesellschaft schrieb: Da wird jeder Blödsinn bewundert, wenn er nur meuchlerisch, jede Lüge wird ge­glaubt, wen sie nur mörderisch ist. Weiber gehen hin, um den Auabrüchen blutdürstigen Aberwitzes Beifall zu klatschen. Dort wer­den die Bescheinigungen über Gesinnungs­tüchtigkeit auagestellt. Alle Mitglieder und Freunde dieser Brüderschaften sind gute Bürger, der Rest sind Heuchler. Die bloQe Zulassung zu diesem Bund wäscht wie die

Der HlgögS

Zeichnung von Henry Dubods. oder das Ergebnis totaler Rassenreinheit

er alle Naselang ein verdutztes: Aha! ab­nötigt. Wie sieht die Titelgestalt der bei­den Werke aus? Er ist»in viel geringerem Maße Persönlichkeit und in viel höherem Maße Typus als die anderen Protagonisten der Revolution«,(Rohden), also kein schöpferischer Uebermensch, sondern ein­fach der Exponent einer Bewegung oder wenn man will,»der Heilige einer Kirche, die keinen andern Gott hat alsdas legi­time Volk", ein Begriff, der nicht Fleisch und Blut werden kann«(Sieburg ). Immer redet er vom Volk, den WUlen des Volkes erhebt er zum Dogma, aber er allein glaubt sich befugt,»mit Hilfe des mystischen Er­lebens« sagen zu können, was das Volk ist und will. In der Praxis kommt es darauf hinaus, daß er Volk gleichsetzt mit der nationalsozialistischen nicht doch, mit dem Jakobinerklub.»Der Aufstieg des Unbestechlichen«, sagt Rohden, ist»nicht der Aufstieg eines Individuums, sondern der Aufstieg des Jakobinerklubs über­haupt«, und Sieburg unterstreicht:»Der

Taufe Konstantins alle Verbrechen ab, löscht Blut- und Mordtaten aus. Diese Ge­sellschaften bilden, Hand in Hand verschlun- gen, eine elektrische Kette rings um Frank­ reich . Im gleichen Augenblicke regen sie sich in allen Winkeln des Reiches, stoßen denselben Schrei aus, vollführen dieselben Bewegungen. Was aber ist der von dieser Strömung Hochgetragene für ein Mensch? Er ist, bekundet Rohden, der»Prototyp des revo­lutionären Ekstatikers«, nicht etwa»ein Staatsmann, der die Menschen nimmt, wie sie sind, sondern ein Ideologe, der wie ge­bannt auf ein imaginäres Seinsollen starrt«, gewiß kein Staatsmann, bekräftigt Sieburg , denn zum Wesen des Staatsmannes ge­hört»die Rücksichtnahme auf den Men­schen als das letzte Ziel und die letzte Instanz aller Gemeinschaft. Das bedingt die Fähigkeit, sein eigenes Land im Welt­zusammenhang zu sehen, und somit keinen unlösbaren Widerspruch zwischen dem Universalen und dem Nationalen zu er-

bücken«. Sein WeltbUd ist so primitiv wie möglich, da er unablässig poütische und moralische Begriffe durcheinanderquirlt, er fröhnt der»Ueberzeugung, daß die Menschheit in Gute und Böse, oder, um es theologisch auszudrücken, in Erwählte und Verdammte zerfällt«(Rohden).»Er hat«, tut Sieburg dar, den Ablauf seiner in Politik übersetzten Doktrin genau berechnet; nichts kann mehr fehlgehen, die Rechnimg muß sich auflöeen, und wenn nun die Fäden sich doch verwir­ren, so kann nur der böse Wille der Men­schen daran schuld sein. Darum sind seine Lleblingsworte»Verschwörung«,»Deckman­tel«,»Maske«,»Entlarvung«,»Verrat« und »Schurkerei«. Er macht von diesen Worten einen so übermäßigen Gebrauch, daß die Po­lizei und die Gerichte kaum noch imstande sind, andere Bezeichnungen anzuwenden, und das auf ein Aktenstück geschriebene Wort »Verschwörung« überhaupt nichts anderes mehr besagt, als daß der Mann aus der Welt geschafft werden soll. Manche seiner Reden mache, meint Rohden, auf den unbeteiligten Beobachter den Eindruck,»es mit einem Menschen zu tun zu haben, der an Verfolgungswahn leidet«.»Mangel an innerer und äußerer Sicherheit« stellt auch Sieburg fest:»Ihm fehlt die Unbefangenheit dem Leben ge­genüber, das ihm infolgedessen voll von Gefahren und feindseügen Drohungen er­scheint«. Er ist deshalb verantwortungs­scheu und dennoch ohne Hemmungen, »weil bei ihm Person und Idee zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen« (Rohden). Um die Wirkung seiner Rede zu schil­dern, führt Sieburg einen Zeitgenossen an: »Mir dröhnten die Ohren. Das war nicht mehr Beifall, sondern Schluchzer der Rüh­rung, Schreie, Erschütterungen, daß der Saal erbebte«. Ein großer, ein unvergleich­licher Redner also? Mit nichten! Durch seinen völligen Mangel an Humor ist er der Gefahr ausgesetzt, in den Ton eines Evangelisten zu verfallen; er gleitet bei jeder Gelegenheit in Verallgemeinerungen ab; seine Rede plätschert von einem Ge­meinplatz zum andern; nur äußerst selten gelingt ihm ein wirklich anschaulicher Satz. Er braucht denn auch»als Träger einer neuen Heilsbotschaft ein präparier­tes, auf seinen hymnischen Ton innerlich eingestelltes Auditorium«;»vor eine see­lisch nicht präparierte Zuhörerschaft ge­stellt«, vermutet Rohden,»würde er aller Wahrscheinlichkeit nach völüg versagt haben«. Er ist überhaupt»ein Durch­schnittsmensch, der nicht Geschichte macht, sondern von der Geschichte gemacht wird«, ein Getriebener, dem das ironische Schick­sal»eine Rolle zuweist, der er nicht ge­wachsen ist: die Rolle des Führers«. Seinen schwärmerischen Verehrerinnen freilich erscheint er als»ein Prophet, ja ein Wun­dertäter, der bald das Paradies auf Erden errichten wird«; sie jubeln ihm hysterisch schrankenlos zu, aber wirküch normale Beziehungen zu einer Frau? Ja, da ist diese und jene, über die man allerlei mun­kelt... aber zu heiraten entschließt er sich nicht; Sieburg beklagt ihn,»daß ihm der süße Schmerz, die verzehrende Leiden­schaft und der tiefgestillte Friede, die nur die Frau dem Mann bereiten kann, versagt waren«... Aber, Herr Nachbar, das ist ja Zug um Zug und Haar um Haar das Bild von Psst! Psst! Keine Namen nen­nen! Die Gestapo lauert! Der Staat aber, dessen mächtigster Mann dieser Durchschnittsmensch ist, er­hebt den»Totalitätsanspruch«. Um das Individuum restlos in die Nation einzu­schmelzen, fallen alle»Zwischengewalten«, die schützend zwischen dem Einzelmen­schen und dem Staat standen, oder wie Sieburg es faßt:»Die Kasten und Klassen, die Stände und Körperschaften, die Kir­chen und die Obrigkeiten, ja die Familie und der Besitz werden fragwürdig und verhindern die unmittelbare Wechselwir­kung zwischen Mensch und Staat«. Darum verschlingt»der Staat erst alles Leben, dann den Menschen selbst«. Es gibt»kei­nen Schlupfwinkel des Privatlebens mehr«; der Staat saugt»täglich stärker das Ge­samtleben auf und breitet sich schnell auf alle Gebiete des Alltags und persönlichen Daseins aus«(Sieburg ), und wiederum: