Nr. 146 BEILAGE

Heuer Vormärts

29. März 1936

Gestalten aus dem Dritten Reich

Ein deutsches Gelehrtenleben zu Straßburg auf der Schanz"

Martin Spahn

Kölner

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November 1918. Die deutsche Front bricht, die Universität begründet| stimmen. Man wirft ihm sträfliche Vernach­übernimmt man Martin Spahn als lässigung seiner Pflichten vor, verlangt seine zusammen, die Franzosen nahen. Die Straß- wird, Gehalts­So bald er Amtsenthebung, beantragt Martin Spahn , das Spähnchen, wie burger Universitätsbehörden beschließen, zu Lehrer für neuere Geschichte. man ihn zur Unterscheidung von seinem Va- bleiben. Nur einer packt schleunigst seine Sa- wieder im Sattel sitzt, wittert er, nach die- sperrung, wobei auf das Straßburger Beispiel ter, dem alten Zentrumsführer Peter Spahn , chen und flieht aus Straßburg und ser Richtung hin stark talentiert, reaktio- verwiesen wird. Spahn stellt sich zu keiner in politischen Kreisen nannte, ist vor kurzem aus dem Elsaß , so schnell er nur näre Morgenluft. Er bietet sich dem Stahl- Sitzung. Er denkt, als Doppel- und Dreifach­die verhetzt ein französischer Soldat helm an, wird Verdiener noch weniger daran, auf Teile sei­Studenten, sechzig Jahre alt geworden. Schüler des ge- kann, ehe noch ist leidenschaftlich bei nes Gehalts zu verzichten. Er will den Vor­genwärtigen Kölner Geschichtsprofessors sichtbar wurde: Martin Spahn . Die Herren deutschnational, den Ober­vorzeitig Schwarzweißrot während des Kapputsches sitzenden des Kuratoriums, haben aus diesem Anlaß ein 460 Seiten um- Kollegen sind entsetzt über die Adenauer zum fassendes Buch( Dümmlers- Verlag Berlin - feige Preisgabe des Postens. Sie schicken in und gründet gegen das Zentrum einen Bund bürgermeister Duell fordern wobei er natürlich weiß, Bonn ) herausgegeben, das eine Reihe histo­daß dieser als Katholik und Zentrumsmann rischer Arbeiten Spahns bis in die jüngste nicht annehmen kann. Der reaktionäre De­Zeit hinein enthält. Nur aus einem Grunde zernent des Kultusministeriums, das damals lohnt es sich, darauf einzugehen, und der ist von Dr. Becker geleitet wurde, wagt keine freilich durchschlagend: es zeigt das Cha­klaren Beschlüsse. Schließlich droht Spahn rakterbild deutscher Hochschul­mit einer Beleidigungsklage, aber es blieb lehrer, die die Despotie der Maschinen und bei der Drohung. der Kanonen gegen geistige Freiheit und kämpferische Menschlichkeit folgerichtig bis ins Dritte Reich hineinstützten, besonders drastischen, wenn auch leicht tragikomischen Exempel.

an einem

die

In den Aufsätzen von Spahn, sorgfältig ausgewählt, um vor den heutigen Macht­habern gut zu bestehen, rauscht es von Volk und Reich, Blut und Boden, Mark und Ehre. Ein wissenschaftlicher Recke, der schon in jungen Jahren Hitler gewittert habe, wird uns präsentiert; eine ragende Gestalt, das teure Erbgut germanischer Geschicht­lichkeit gegen liberalistische und materialisti­beschützen müssen. sche Verderber habe Spahn wird gezeigt als einer der ersten, der in Räumen< dachte:> Das Schicksal des deutschen Volkes vollzieht sich vom Nord­meere bis zur Adria und vom Pariser(!) Becken bis hinüber nach Nowgo­ rod - Warschau - Kiew . Diesen Raum zu gestalten, ist des deutschen Volkes mittel­europäische Sendung, die darin besteht, Mit­ teleuropa innere aus deutscher Art eine

Form zu geben.<

Dann

1931 schrieb er: Staatlicher Boden und Leben des Volkstums müssen wieder enge Beziehungen zueinander gewinnen. wird Europa seine französische Prägung abstreifen und das Reich. Bismarcks wird zum Dritten Reich werden.<

Damals saẞ Martin Spahn in der deutsch­nationalen Reichstagsfraktion neben Hu­ genberg , der den schmiegsamen Jünger heftig protegierte. Unter Hitler , als der alte Geheimrat aus der Reichsregierung ausge­schifft wurde und sich als betrogener Be­trüger grollend in den Schmollwinkel zu­rückzog, tat dies Martin Spahn mitnichten. Er trat freudig und begeistert an die Seite seines Führers, der, wie Spahn schreibt, das deutsche Volk vom Kommunismus gerettet, mit einer unvergleichlichen politischen Ge­nialität den Schwung der Jugend zum Aus­gleich der zur Zerstörung eilenden Massen benutzt habe; ja, er, der Führer, habe durch die Jugend auch das> Volkserlebnis des Krieges wieder geweckt.

Man sieht, Martin Spahn gehört zu den wissenschaftlichen Aktualitäten des Dritten Reiches . Er sitzt sicher im Vertrauen der zuständigen braunen Instanzen und bewacht seriös seine Fakultätskollegen in Köln , deren nationalsozialistische Ueberzeugungstreue

nicht über jeden Zweifel erhaben ist.

heroisch­

Leider weist das dickbändige Erinnerungs­buch einige Lücken auf. Es geht über die weltanschauliche, politische und soldatische Vergangenheit Martin Spahns so flüchtig hinweg, daß der gewissenhafte Chro­nist eines bewegten deutschen Gelehrten­lebens sich der Verpflichtung zur Ergänzung wichtiger Daten nicht entziehen kann.

Der Traumwandler

REICHSTAGSBRAND - KAMERADENMORD­

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,, Pst! Nicht wedken, sonst fällt er uns auf den Kopf!"

Schon rückte das Dritte Reich heran. Jetzt hieß es für Spahn erneut, rechtzeitig Anschluß zu finden, und glücklich, eine Promi­nenz zu haben, die voll und ganze, zu ihm steht, hat ihm die Diktatur die Schmach von In ihren Ge­Straßburg völlig vergeben. burtstagsartikeln bestätigt die nationalsozia­listische Presse Martin Spahn » tiefgründige wissenschaftliche Erkenntnisse

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im Geiste

einer völkischen Geschichtsschau.< Zeitlebens habe er, Spahn, als ein ehrlich um Volk, Staat und Reich ringender Wissenschaftler hier wird Spahn und Publizist gewirkt und wörtlich zitiert gegen das immer brei­tere Eindringen der uns rassen­und raumfremden kapitalisti­ schen Wirtschafte Stellung genommen.

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Erst mit Wilhelm, dann mit Hugenberg , heute mit Hitler! Dieser Martin Spahn steht auf der Liste der Camorra Deutschlands , und wenn es ihm heute mit andern manchmal auf der Hakenkreuzgeleere etwas unheimlich wird im mephistophelischen Sinne:

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Laßt uns aus dem Gedräng entweichen; Es ist zu toll, sogar für meinesgleichen so laßt uns geloben, daß es in der Stunde der wiedergewonnenen Freiheit für ihn und seinesgleichen kein Entweichen mehr gibt. Andreas Howald.

Oberpräsident

Terboven

Achtundvierzig Stunden vor dem Ein­marsch der deutschen Truppen in die ent­militarisierte Zone fand in Köln ein Abend der zweiunddreißig Generalkonsuln und Kon­suln statt, die als Vertreter ausländischer Regierungen im Rheinland sitzen. Die Sache war zu Ehren des Oberpräsidenten der Rheinprovinz einberufen, den der französi­ sche Generalkonsul Dobler in einer schmei­chelhaften Ansprache begrüßte, worauf der also Gefeierte gerührt das Wort ergriff, um zu versichern:

>... daß das Deutsche Reich unter der Führung des Führers und Reichskanz­lers keine andere Absicht hat, als in einem Frieden der. Ehre und Gleichberechtigung dem unbedingt notwendigen Aufbau­werk Europas ohne Hintergedanken mit­

an

zuarbeiten.<

Ohne Hintergedanken... den, der an die­sem Donnerstag abend zweifellos im Kopfe des Herrn Oberpräsidenten herumging, natür­lich ausgenommen. Davon würden Herr Dob­ler und seine Kollegen, wenn sie ihren Be­richt über die oberpräsidentliche Rede eben an ihre Regierungen abgesandt haben, noch rechtzeitig erfahren.

Der Mann, der hier das neckische Ver­Meisters und Protégés

und schließlich als er­

heller Entrüstung Protestikundgebungen ge-| deutschnationaler Katholiken. Als er neben steckspiel seines Martin Spahn begann als praktizierender gen den Flüchtling nach Berlin . Die Studen- seinem Reichstagsmandat noch die Leitung Göring mit Françoit- Ponçet dreist kopierte, Katholik und unter den Traditionen des Va- ten stellen in erregten Entschließungen den einer deutschnationalen politischen Lehrschu- ist der Gauleiter und Staatsrat Josef Ter­vaterländischen le in Berlin übernimmt, verläßt er, ge- boven, derzeit Oberpräsident der terhauses kam er zum Zentrum. Seine 1906 Widerspruch zwischen den wie sieben Jahre vorher Rheinprovinz. erschienene> Geschichte der Zentrumspartei < Worten Spahns und der Tat in der Stunde na u und Kegel Ein aus allen Hoffnungen geschleuderter bestätigt den jungen Gelehrten als Politiker der Gefahr fest. Spahn aber, dessen Fran- Straßburg, mit Kind nach Berlin . Der Weltkriegsleutnant, trieb sich Terboven nach aus dem Glauben. Da wird Wilhelm II. , der zosenangst mit seinen Eroberungsartikeln im Köln und zieht den Katholizismus versöhnlich stimmen woll- Sinne der Vaterlandspartei zusammenhing, ordentliche Professor begnügt sich mit ge dem November 1918 als Angestellter von Win­te, auf den in Gegensatz zu seinem Vater bleibt verborgen. Dick gebündelt liegen noch legentlichen Tagesgastrollen an der Univer- kelbanken, vorübergehend Kommis in einem recht konzilianten Martin aufmerksam ge- im einstigen preußischen Kultusministerium sität, die ihn voll honorieren muß. Im Zu- Eisenwarengeschäft macht. Gegen den Willen der Fakultät, die die Akten zum Fall Spahn, Dokumente einer sammenhang mit seiner Tätigkeit an dieser werbsloser Gelegenheitsagent durch den We­Schulden und anrüchige die wissenschaftliche Eignung Spahns be- Fahnenflucht vor dem Feinde, wie sich ein deutschnationalen Lehrschule stand eine an- sten des Reiches. deutscher Hochschullehrer aus- dere Fähigkeit Spahns: er versuchte in Bel- Affären machten ihn bald auch dort unmög­zweifelte, wird er als Lehrer für neuere Ge- bekannter gien eine vlämische Irredenta zu fördern, in lich, wo er durch erdichtete Heldentaten aus schichte an der Universität Straß- drückte. vor München zunächst In der Stille aber beginnt, in den Tagen Elsaß- Lothringen eine antifranzösische, so- seiner Freikorpszeit Seine Zeit kommt erst burg durchgedrückt. Nun vergilt er Treue um Treue. Er entwickelt sich zum Apologeten der jungen und immer loyalen Republik, Mar- gar den Bretonen wollte er in Flugblättern offene Türen fand. keine Franzosen seien 1923, als er, allerdings aus der sicheren der Hohenzollern . 1914 sah ihn als heftigen tin Spahn erfolgreich an seiner Umstel- beibringen, daß sie Etappe von Elberfeld - Barmen, zu den Organi­Kriegsschreier gegen den Erbfeind und em- lung zu arbeiten. Er entdeckt seine stille und sich von Frankreich loslösen müßten. Andauernd faßt das Kuratorium die satoren der Sprengungen und Attentate im der Straßburger Milchwirt- Liebe zur Demokratie, antichambriert bei dem gegen Spahn, denen französisch besetzten Gebiet gehört. schaft, hin und wieder beunruhigt durch preußischen Kultusminister Konrad Haenisch , schärfsten Beschlüsse deutschnationalen Mitglieder zu- Als er 1925 wieder an der Oeffentlichkeit, und als 1919 unter Assistenz von> Weimar < auch die fernen Kanonendonner.

sigen Behüter