Nach der Konfiskation zweite Auflage.

Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblakk

Verlag: Karlsbad , Haus„ Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 157

SONNTAG, 10. Mai 1986

Aus dem Inhalt:

Terrorjustiz

Der Kampf der illegalen SPD |

Das Ghetto Europas

Politik der Kriminellen

Das Militär diktiert den Etat

Göring über Schacht Vorherrschaft der Kriegswirtschaft

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Am 27. April erschien folgende amt- der Umsatzsteuer für Agrarprodukte, Er- und eine Unzahl von Organisa -| sentliche Teil seiner diktatorischen Befug Mche Mitteilung: höhung der Vermögenssteuer etc. und| tionen und Verbänden das Indivi- nisse genommen. Damit ist sogleich seine > Da bei der Bearbeitung der die Roh- wehrten sich gegen eine große Vermö- dualeinkommen sogar noch durch Bei- Stellung als Reichsbankpräsident zu der stoffe und Devisen betreffenden Fragen zahl- gensabgabe, die von den> radikaleren« tragserhöhungen etc. schwächen und da- eines ausführenden Organs des Devisen­reiche staatliche und parteiliche Stellen zu- Elementen verlangt wurde. Aber sie sind durch den kollektiven Erstgeburtsansprü- und Rohstoffkommissärs Göring herabge­sammenwirken müssen, hat der Führer und gescheitert, und obwohl bereits der erste chen in den Rücken fallen. Das Reich mindert. Reichskanzler den Preußischen Ministerprä- Monat des neuen Etats abgelaufen ist, ist allein könne die Vordringlich­Die Rohstoffsorgen sidenten mit der Führung und Anordnung die Diktatur vor der Verhängung neuer keit der Rüstung gegenüber anderen aller erforderlichen Maßnahmen beauftragt. Steuern nicht zurückgeschreckt. Wünschen, sei es kultureller oder sonstiger Das andere Spannungsmoment bildet Ministerpräsident Generaloberst Göring Schacht änderte seine Taktik um so Art, abwägen. Deshalb forderte Schacht die Rohstofflage. Die Einfuhr von kann hierzu alle staatlichen und eher, als selbst ihm klar sein mußte, daß eine Reichszentralstelle, sei es Rohstoffen ist heute ausschließlich abhän­parteilichen Stellen anhören und auch noch so einschneidende Steuererhö- der Reichsfinanzminister oder ein Reichs- gig von der Höhe der Ausfuhr. Der Aus­anweisen. Er kann sich von den zuständigen hungen, selbst wenn sie wirtschaftlich und ausgaben kommissar. In jedem landsabsatz der Industrie, also nicht der Reichsministern unterstützen und nötigen- sozial überhaupt noch erträglich wären, Falle müßte diese zentrale Stelle mit um- Agrarproduktion, sondern der industriell falls vertreten lassen.< sinnlos bleiben müssen, so lange die tolle fassendsten Vollmachten aus- erzeugten Rohstoffe, Halbfabrikate und Bisher hatte Schacht die unum- Ausgaben wirtschaft so weiter gerüstet werden. Fertigwaren betrug laut Konjunkturinsti­schränkte Verfügung über die Rohstoff- geht. Im Deutschen Volkswirt< ließ er Der Reichsausgabenkommissar sollte tut 1935 nur 4,1 Milliarden RM( 1934: und Devisenzuteilung. Erst dies machte verkünden, die Ausgaben müßten einge- natürlich Schacht sein. Statt dessen er- 4,0), während er 1932 noch 5,4 Milliarden ihn, den Wirtschaftsminister und Reichs- schränkt werden. Das Reich habe, hieß es fuhr er darin stimmen die Meldungen und 1929 gar 12,4 Milliarden RM betra­bankpräsidenten, zum unumschränk- in dem Artikel, das heilige Recht, alles der best unterrichtetsten Auslandszeitun- gen hatte. 1935 wurden nur 11,5 Prozent ten Wirtschaftsdiktator. Jetzt das, was zusätzlich gegenüber 1932 an gen überein in seinem Urlaub in Baden- der Industrieproduktion exportiert, 1932 geht die entscheidende Machtposition auf Steuern und Abgaben im weitesten Sinne weiler, daß ihm die Verfügung über die waren es 24,9 Prozent und 1931 sogar 29,4 Göring über. Die Wirtschafsdiktatur eingenommen werde, zu sich herüberzu- Rohstoffe und Devisen entzogen sei. Statt Prozent. Dabei betrug 1935 der Wert wird jetzt von ihm, nicht mehr von Schacht zweigen. Es könne aber nicht zusehen, wie der erwarteten Machterweiterung wurde der Industrieausfuhr nur 33 Prozent des ausgeübt. Das ist der unbestreitbare Tat- die Länder, die Gemeinden, die Kirchen Göring über ihn gesetzt und ihm der we- Wertes der Ausfuhr von 1929, dagegen die bestand. Die gleichgeschaltete Presse darf außer der nackten Mitteilung kein Wort über das seit Juni 1934 wichtigste Ereignis in der inneren deutschen Politik bringen, trotz der großen Aufregung, die in allen Wirt­schaftskreisen entstanden ist und sich auch zunächst in einem Kursrück­gang der deutschen Aktien Am 21. April hat in Dortmund ein Mund zu Mund und die Verbreitung In Hamburg laufen seit Monaten manifestiert hat. Um so lebhafter hat die Massenprozeß gegen 54 sozialdemokra- der Gedanken der SPD , weiterhin Bei- Massenprozesse. Ein Prozeß gegen 270 tische freigewerkschaftliche Funktionäre tragszahlungen oder sonstige geldliche Zu­Angeklagte aus Elmshorn und aus Remscheid , Solingen und Lüdenscheid wendungen. Bei den zur Verhandlung ste- Umgebung und ein Prozeß gegen 540 begonnen. Der Hauptangeklagte ist Er- henden Fällen bilde die Verbreitung von Angeklagte aus Harburg wer win Welke, früherer Kreisleiter der Flugschriften eine besondere Rolle. Entgelt- den in Teilabschnitten durchgeführt. Schufo. Alle Angeklagten sind frühere be- liche oder unentgeltliche Entgegennahme und Seit Januar erfolgen in Essen Mas­Wir haben hier seit Beginn der Schacht- kannte Vertrauensleute der Arbeiterbewe- Weitergabe derartiger Flugblätter sei als Un- senverurteilungen unter strengstem Aus­politik zweierlei vertreten: einmal, daß sie unvermögend sei, die wachsenden Schwie- gung. Welke erschien mit dem Arm in der terstützung der hochverräterischen SPD zu schluß der Oeffentlichkeit. Die Gerichte Binde vor dem Gericht, da man ihm den bewerten. Es sei daher immer wieder vor tagen im Gefängnis, damit durch den rigkeiten, die sich aus der uferlosen Aus- Arm gebrochen hat. Alle übrigen Ange- dem Umgang mit illegalen Druckschriften zu Transport der Angeklagten Aufsehen ver­gabenpolitik ergeben, zu lösen; zweitens, klagten sind wie er im Mordkeller in der warnen. Wer derartige Druckschriften ver- mieden wird. Selbst die Angehörigen er­

außerdeutsche Presse reagiert, zum Teil sichtbar irregeführt durch Berliner Infor­mationen, die sich bemühen, die Bedeutung

des Wechsels in der obersten Wirtschafts­führung zu vernebeln,

daß sie immer neue Spannungen zwischen dieser Politik und nationalsozialistischer

Parteischichten hervorrufen werde, ganz unabhängig von den subjektiven Absichten und Motiven Schachts und seiner Gegner. Ein wirkliches Urteil über die Unterord­nung Schachts unter Göring läßt sich nur gewinnen, wenn wir die objektiven Schwierigkeiten und die daraus sich erge­benden Spannungen betrachten, die zu die­ser Personalveränderung geführt haben.

Diese Spannungen sind jetzt am stärk­sten auf dem Gebiete der Finanzpoli­tik und der Rohstoffversorgung.

Die Finanzfragen

Die Reichssteuereinnahmen sind infolge der inflationistischen Wirtschaftsbelebung, der Erhöhung der Steuern und der schär­feren Steuereintreibung nicht unbeträcht­lich von 6,65 Milliarden RM 1932 auf 8,22 in 1934 gestiegen. Das am 31. März be­endete Etatjahr 1935/36 soll rund 9,5 Mil­liarden RM erbracht haben. Die gesamte Steuerbelastung hat unter Hitler beträcht­lich zugenommen. Die Erträge sind wäh­rend der letzten vier Jahre um rund 45

Terrorjustiz gegen Volkswillen

tete Presse:

Die wahre Stimmung in Deutschland Massenprozesse gegen die illegale Sozialdemokratie Der Wahlschwindel wird Lügen gestraft

Steinwache in Dortmund mißhandelt wor- teile oder annehme, setze sich der Gefahr der halten keine Mitteilung. In deutschen Zei­den. Ueber den Prozeß selbst und die Anklage wegen Vorbereitung eines hochver- tungen wurde nur das Urteil gegen sechs Urteile berichtet die gleichgeschal- räterischen Unternehmens und entsprechen- Angeklagte veröffentlicht. der Bestrafung aus. Auch das Unterlas Es lautet auf Zuchthausstrafen von sechs der Ablieferung solcher Flug- bis fünfzehn Jahren. > Der Strafsenat des Oberlandesgerichts sen Hamm verurteilte nach neuntägiger Verhand- schriften und das Unterlassen einer Die Angeklagten haben sich in allen lung eine Anzahl von Angeklagten wegen Anzeige bei Kenntnis ihrer Verbreitung Prozessen sehr tapfer benommen. Ein Angeklagter wurde in einem anderen Pro­Vorbereitung eines hochverräte stehe unter Strafdrohung. rischen Unternehmens und Beihilfe Die im vorliegenden Falle verteilten Flug- zeß als Zeuge vernommen. Auf die Frage des Vorsitzenden erfolgte die Antwort: dazu

zu Zuchthausstrafen von anderthalb bis fünf Jahren und Gefängnisstrafen von acht Monaten bis zu einem Jahr neun Monaten.

macht hatten, mußte, wie in der Urteils­

schriften seien ihrem Inhalt nach und we­gen der Aufforderung zu Gewalttätigkeiten nach Auffassung des Gerichts fast schlim­mer als kommunistische Schriften gewesen.<

> Ja, ich kenne viele von den Genossen, kenne aber auch keinen. Ich bin durch die Folterkammer der Gestapo gegangen und habe geschwiegen, und ich werde auch jetzt

Die Straftaten waren durch Unter Das System, das angeblich das deut- schweigen. In ein paar Tagen wird vielleicht stützung der illegalen SPD began- sche Volk hundertprozentig hinter sich mein Kopf rollen, dann werde ich ewig gen. Da es sich hier um das erste Verfah- hat, fürchtet sich vor den Gedanken schweigen.< ren gegen Angeklagte handelte, die sich der der Sozialdemokratie! Es be- Die Angeklagten nahmen die hohen Unterstützung der illgealen SPD schuldig ge- droht den sozialdemokratischen Gedanken Zuchthausurteile gelassen hin, was den an sich mit Zuchthausstrafen, wenn er Senatspräsidenten zu der Bemerkung ver­begründung ausgeführt wird, die Frage ge- auch nur im vertrauten Gespräch geäußert anlaẞte: prüft werden, ob die illegale SPD als hoch- wird. Das ist eine Bankrotterklärung des verräterische Partei oder Orga- Propagandaschwindels in Deutschland . nisation zu gelten habe. Der Senat hat Jene Optimisten und Ignoranten, die im diese Frage bejaht. Der hochverräterische Ausland erzählen, daß der Terror gelockert Im März 1935 sind in Zeitz hunderte Charakter der SPD gehe deutlich aus zwei sei und man in Deutschland frei leben Männer und Frauen verhaftet und grausam

>> Komisch alle stecken die Zuchthaus­strafen ein, wie ich mir eine Zigarette in den Mund stecke!<

Prozent gestiegen, während sich das Ein- Programmatischen Erklärungen hervor, die könne, mögen dies Urteil zur Kenntnis mißhandelt worden. Viele mußten später

kommen aus Lohn und Gehalt, wenigstens nach den amtlichen Angaben, um etwa 22 Prozent gehoben hat. Aber alle Etatsjahre haben mit einem beträchtlichen De­fizit geschlossen, und obwohl die Aus­gaben verschwiegen werden, so schätzt man in Berliner Wirtschaftskreisen den Fehlbetrag des letzten Budgets auch dies­mal wieder auf über 1 Milliarde RM. der Kampf Seit Monaten ging nun Schachts und Krosigks auf Deckung we­

in der in Prag erscheinenden Zeitung» Der Neue Vorwärts im Jahre 1934 zum Abdruck gekommen seien.

nehmen.

aus der Haft entlassen werden. 140 stehen Dieser Massenprozeß ist nicht der ein- jetzt unter der Anklage. Der Prozeß wird zige. Während in Wuppertal noch der in zehn getrennten Abschnitten durchge­Die illegale SPD sei danach nicht nur eine Massenprozeß gegen mehr als 600 Ge- führt. Der erste Teilprozeß gegen 14 An­hochverräterische geistige Bewerkschafter durchgeführt wird, geklagte fand am 16., 17. und 18. April wegung, sondern auch eine hochver- wurde bereits in Essen unter Ausschluß in Magdeburg statt. räterische Organisation, deren der Oeffentlichkeit gegen 300 Antifa­Unterstützung objektiv betrachtet die Vor- schisten verhandelt. In Vorbereitung bereitung eines hochverräterischen Unter- ist die Anklage gegen 400 Sozialde­mokraten, die im Zusammenhang mit

nehmens darstelle.

Dreizehn von den Angeklagten erhielten Zuchthausstrafen zwischen drei und elf Jahren, einer wurde freigesprochen. Alle Verfolgung jedoch vermag die Es sei dabei gleichgültig, welche Form und der Brotfabrik» Germania < im Gebiet von illegale Sozialdemokratie nicht zu brechen. nigstens des Defizits im ordentlichen welchen Umfang diese Unterstützung gehabt Duisburg bis München- Gladbach verhaftet Der sozialdemokratische Gedanke lebt, er Haushalt. Sie verlangten eine Erhöhung habe. Es genüge dabei die Propaganda von wurden.

ist nicht zu erschüttern!