Nr. 1*3 BEILAGE
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17. Mai 1936
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1. Umwertung der sozialistisdien W er te? Es gibt keine Patentmedizinen gegen den Faschismus. Nichts ist gefährlicher als der Versuch, ihn mit einem künstlichen Prophetentum bekämpfen zu wollen, das die geistige Verworrenheit der ■faschistischen Anhänger sich aneignet, statt sie durch bessere Erkenntnis zu bekämpfen. Jeder solche Versuch nimmt eine Begleiterscheinung für die Sache selbst, er muß notwendig in der Charla- terie enden, die die Ideologen des Faschismus auszeichnet, und seine Wirkung wird lediglich eine Vergrößerung der geistigen Verwirrung sein, aus welcher der Faschismus Nutzen zieht. Jeder solche Versuch schließt aber auch eine geistige Kapitulation in sich: die Verzweiflung an den eigenen Werten und ihrer Ueberein- stimmung mit den Werten des Volkes, die stillschweigende Anerkennung, daß die Sprache und die Argumente des Gegners wirksamer seien. Wer daran verzweifelt, seine eigene Wertordnung mit seiner eigenen Sprache, seinen eigenen Argumenten vertreten zu können, wer seine eigenen Erkenntnisse mit denen des Gegners glaubt maskieren zu müssen, um sie an den Mann zu bringen, der ist innerlich erschüttert. Bei manchem Sozialisten ist unversehens aus der Prüfung der Frage, wie die sozialistische Politik in der konterrevolutionären Periode zu orientieren sei, eine Frage nach der Neuorientierung der Idee geworden, und einige sind dabei unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Macht und ihrer Propaganda über die Grenzen hinausgetragen worden, innerhalb derer wirkliches Bekenntnis zur echten sozialistischen Idee noch möglich ist. Das Tasten und Rufen nach neuen Werten, nach neuen Göttern und nach. neuen Gebetsfonnen, das Streben, den Sozialismus durch den»Volkssozialismus«: zu ersetzen, durch den»deutschen « oder den»nationalen« Sozialismus offenbart den Zweifel dieser Kreise an der Güte der sozialistischen Idee an sich, die durch das vom Gegner erborgte Flitterwerk höherwertig gemacht werden soll Dabei wird aus der Erkenntnis, daß der National sozialismus eine geschichtliche Tatsache ist, vor der die sozialistischen Politik die Augen nicht verschließen kann, unversehens eine Anerkennung und Ueber- nahme des Nationalismus. Auf diesem Wege ist die Linie sehr leicht überschritten, die erkenntnismäßige Verarbeitung neuer politischer Tatsachen von der geistigen Gleichschaltung mit der konterrevolutionären Ideologie trennt. In diese Reihe gehört das Buch von Emil Franzel , Abendländische Revolution(Verlag Eugen Prager , Bratislava ). Es ist weit jenseits der Linie. Mit seiner Verherrlichung des Mittelalters, seinen nachempfundenen Kapuzinerpredigten gegen den Liberalismus, seiner geistesgeschichtlichen Ableitung des Sozialismus aus der kriegerischen Gemeinschaft der germanischen Stamme, seinem Pessimismus gegenüber den Fortschritten und kulturell-technischen Eroberungen des bürgerlichen Zeitalters, seiner Schwärmerei für Friedrich IL von Hohenstaufen, den Vertreter der antidemokratischen absolutistischen Staatsidee und des totalen Staates, gehört es in eine ganz andere Literaturklasse als in die sozialistische. Es ist Geist vom Geiste jenes falschen Prophetentums, das das geistige Vorlauf erstadium des Dritten Reiches in der deutschen Republik ausgezeichnet hat. Zufällig lenken zwei Ereignisse den Blick schon äußerlich auf diesen Zusammenhang: das Buch Franzel mit seinem Kulturpessimismus und seiner Schwärmerei für das mittelalterliche Ordensntter- tum erscheint in den Tagen, In denen Oswald Spengler gestorben ist, und in denen das braune System seine Ordens- burgem eröffnet hat. Wir haben das Wachsen der nationalsozialistischen Ideologie in Deutschland aus der Nähe beobachtet— von den Anfängen an bis zu der grauenhaften Aus
prägung der nationalsozialistischen Herrschaftsperiode, und die innere Verwandtschaft der Franzelschen Auffassung mit dieser Vorläuferideologie schlägt unseren Blick. Es genügt, diese Vorläuferideologie mit wenigen Strichen zu zeichnen, damit dem Leser des Buches das Verständnis für diese Verwandtschaft aufgeht. 2. Die ideologisdien lorläufep der deut* sehen Konteppevolu* tion Als das deutsche Volk aus der Verwirrung des Krieges auftauchte, waren für die nichtsozialistischen Deutschen die alten
Tafeln zerbrochen. Die Kriegsliteratur mit ihrer Verherrlichung und Verabsolutierung des Krieges, mit ihrer Lehre vom auserwählten Volke, in der aller Wust und aller Wahnwitz der alldeutschen Literatur in die offizielle Literatur emporgehoben worden war, mit ihren afterwissenschaftlichen Geschichtsdeutungen für die Zwecke des deutschen Imperialismus, war mit einem Schlage abgeschnitten. In dies Vakuum stieß nun die Literatur der politischen Romantik der Nachkriegszeit vor. Zu ihren frühesten Erscheinungen gehören Spenglers»Untergang des Abendlan des « und Rubinsteins»Romantischer Sozialismus«, der Kulturpessimismus und die Flucht aus der Gegenwart in die romantisch verklärte Vergangenheit. Es gehört zum Wesen der politischen Romantik, daß sie schülert und tausend Möglichkeiten offen läßt, während sie die Gegenwart verneint— und darauf hat in diesem Stadium der Geschichte der Nachkriegszeit die Wirkung dieser Literatur beruht. Ihre wesentlichste Punktion war, daß sie der sozialistischen Idee und der sozialistischen Politik entgegenwirkte, und dabei den verschiedensten Anschau
ungen ihrer Gegner dienlich war. Der Spenglersche Kulturpessimismus und der romantische Sozialismus sind in ihren wesentlichsten Elementen in die gesamte konterrevolutionäre Literatur eingegangen. Man findet diese Spuren nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Politik. Von Spengler geht eine Linie zu C a r 1 Schmitt, der alle Politik auf das Freund-Feind-Verhältnis zurückführt, und damit den Krieg verabsolutiert, aber auch zu den Fememördern und den Führern der Bürgerkriegsbanden, die die Spenglerschen Lehren von der Raubtiernatur des Menschen und vom Cäsar zur inneren Rechtfertigung ihrer blutigen Verbrechen benutzten; von Rubinstein geht eine Linie zu G r e-
gor Strasser und Otto Strasser , und, damit wir es gleich sagen, zu jenen Leuten, die heute mit Otto Strassers »nationalen Sozialismus« liebäugeln, weil sie sonderbarer Weise diese konterrevolutionäre Angelegenheit für revolutionär halten. In einer folgenden Schrift Spenglers »Preußentum und Sozialismus«, wurde der Versuch unternommen, die sozialistische Idee militaristisch zu pervertieren. So wie Franzel heute lehrt, daß die germanische Kriegshorde der Inbegriff des Sozialismus gewesen sei, und wie er die Habsburgische Reichsidee mit dem Sozialismus zusammenschmeißt, so erhob Spengler die Tradition des militaristisch-merkantilistisch-absoluti- stischen Staates Friedrich II. zum Range einer sozialistischen Organisation und erklärte den preußischen Generalstab für die reinste Ausprägung der sozialistischen Idee. Zur Zeit des Erscheinens dieses Buches war der deutsche gegenrevolutionäre Nationalismus schon wieder zu einer gefährlichen politischen Kraft geworden und seine Literatur sammelte Anhänger aus allen Kreisen um ihn. Der Nationalbolschewismus war einmal sowohl im sozia listischen
als auch im bürgerlich-nationalistischen Lager als eine reale Alternative der Politik angesehen worden, die die Nationalversammlung schließlich eingeschlagen hatte, und so kam es, daß die Wirkung dieser Literaturgattung über die Grenzen hinausgriff, die ihr früher gesetzt waren. Dazu kam ein anderes; aus der Tatsache der Organisation an sich war auch im sozialistischen Lager ein gewisser»Formalsozialismus« hervorgewachsen, ein Glaube, daß Organisation überhaupt, sei es auf wirtschaftlichem, politischem oder sozialem Gebiete, schon die Entwicklung zum Sozialismus manifestiere und fördere. Daß»Kriegssozialismus« nicht Sozialismus ist, Waffen- und Munitionsbeschaffungsämter und Kriegsgesellschaften nicht Ausprägungen der sozialistischen Idee, das hat der Sozialismus auch in der Nachkriegszeit immer aufs neue gegenüber der konterrevolutionären Literatur nachweisen müssen, die den Formalsozialismus für ihre Zwecke gebrauchen wollte, und das ist heute noch eine der wesentlichsten Aufgaben der sozialistischen Aufklärungsarbeit gegenüber den Versuchen des Nationalsozialismus, die dem Volke einreden wollen, daß in Ordnung, Zucht und militärischer Disziplin das Ganze des Sozialismus beschlossen sei. Dieser Kampf muß schon deswegen immer wieder erneuert werden, weil dieser Formalsozialismus, das dem»nationalen« oder»deutschen Sozialismus« oder»Volkssozialismus« von heute zugrundeliegende pseudosozialistische Gedankenelement ist. Zur Zeit als Spenglers»Preußentum und Sozialismus« erschien, begannen auch die Gedankengänge der Kriegsliteratur und der alldeutschen Afterliteratur wieder in die konterrevolutionäre Literatur in Deutschland einzufließen. Die gedanklichen Elemente, aus denen die späteren »Besteller« der deutschen Gegenrevolution, Hitlers Kampf und Rosenbergs Mythos zusammengeflickt wurden, erschienen nun allmählich alle wieder auf der Bildflächa. Es ist wesentlich, daß in der gleichen Zeit, in der Landsknechtsführer und politische Abenteuerer politische Gewalthaufen sammelten, sich um die konterrevolutionäre Literatur Gruppen und Cliquen zusammenschlössen, die alle für sich den Führungsanspruch erhoben und sich für die einzig wahren Propheten hielten. Sie sind teils untergegangen, teüs im braunen System verschmolzen, aber ihre romantische verworrene Ideologie ist zu einer ideologischen Kraft zusammengeflossen, die der Nationalsozialismus benutzt hat. Zu diesen Kreisen gehörte Moeller van den Bruck , der Jünger um sich sammelte. Von diesen Kreisen gehen Linien zu Hitler und Rosenberg, der schließlich allen Wust zusammenkehrte, den die Afterliteratur aller Zeiten jemals produziert hat, aber auch zur Literatur jener kleineren Propheten, Charlatane und Hellseher, die den Aufstieg der deutschen Konterrevolution begleiteten. Sie waren niemals politisch ganz unter einen Hut zu bringen, aber sie erkannten einander wie am Abzeichen eines Ordens an einer bestimmten Terminologie, an einer bestimmten Sprache—• und sie dienten alle gemeinsam der Konterrevolution. Während die einen mordeten und putschten, arbeiteten die anderen am Verderben der Jugend. Sie fischten nach der bürgerlichen Jugend, die alle Orientierung verloren hatte und den modernen Heüandsfirmen, den Rudolf Steiner , Johannes Müller und Graf Keyserling nachlief. Hier ist nicht der Ort, die soziologische Bedingtheit dieser Erscheinung und des schließlichen Erfolges der nationalistischen Heilandsfirmen über die anderen bei der Jugend aufzuzeigen, hier genügt es auf die geistesgeschichtlich-ideologischen Zusammenhänge hinzuweisen. Sie fingen sie mit der Parole;»Gegen das Bürgertum, gegen den Liberalismus«. In der gröbsten Form, in der Propaganda der vaterländischen Verbände hieß das: »Die Feinde der vaterländischen Verbände sind ebenso die zum Umsturz geneigte und dem Bolschewismus nahe verwandte Sozialdemokratie, wie das materialistische, ideal- lose, Internationale, pazifistische, zersetzende Asphaltbörsianertum, das keinerlei Verständnis für Heimat, Eodenständlgkeit, Blut, Ge-