Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblakk

Verlag: Karlsbad  , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 159 SONNTAG, 28. Juni 1936

Aus dem Inhalt:

Hitler   erobert Danzig

Englands falsche Rechnung

Reformierter Nationalsozialismus

Jubiläum in Walhall  

Das Evangelium der Gewalt

Brauner Justizterror am Werk am Werk- Stettiner Sozialdemokraten

zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt

Stettin  , Ende Juni 1936.| hinwegzukommen. Die Anklage lautete auf Jugendverband. Weiter sollen sie von der Ge- Im Zeichen Auf Seite 188 des 1. Bandes seiner Selbst- Vorbereitung eines> hochverräterischen Un- stapo Verfolgten zur Flucht geholfen und biographie> Mein Kampf< erklärt Hitler  , daß ternehmens<<, und zwar sollen die Angeklag- eine Hilfsorganisation

nur> in der ewig gleichmäßigen Anwendung der Gewalte die Voraus­setzung zum Erfolge liege. Diesem Ausspruch bleibt er, im Gegensatz zu anderen Ankündi­gungen seines Buches und seines angeblich unabänderlichen Programms, durchaus treu. Ohne jede Abschwächung läßt Hitler  , ewig gleichmäßig, die nackte Gewalt auf das deut­ sche   Volk niedersausen. Gefügige Richter verhängen unausgesetzt vieljährige Zucht­ haus  - und Gefängnisstrafen, am laufenden Band werden die politischen Prozesse mit hunderten von Angeklagten abgerollt. Im Dritten Reich   wird alles ins gigantische über­dimensioniert: die Rüstungen, die Rechtlosig­keit und auch die Prozesse.

Diese Prozesse jagen einander. Sie ent­hüllen, was es mit der Stabilität des Systems auf sich hat. Die Zahl der ungebrochenen Feinde des Systems, die in die Konzentra­tionslager geworfen worden sind und noch geworfen werden, kann notdürftig verborgen oder abgeleugnet werden aber die Opfer des Justizterrors werden weithin sichtbar: Der braune Justizterror ist die Ergänzung zu den erpreẞten, verlogenen, gefälschten Ple­bisziten der Diktatur. Hier wird die wahre Stimmung des Volkes sichtbar, die Empörung gegen die Despoten, der Geist der Revolution, der vor dem Opfer der eigenen Person um der Sache der Freiheit willen nicht zurückschreckt. Jedes Zuchthausurteil gegen einen illegalen Kämpfer in Deutschland   ist ein Schlag gegen die Propagandalügen des Systems. Massenprozesse gegen Illegale das ist der Beweis für die Massenhaftigkeit der systemfeindlichen Bewegung, mit der der braune Terror nicht fertig wird.

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Es gibt keinen Bezirk in Deutschland  , in dem nicht Massenprozesse an der Tagesord­nung sind.

für Ver­

ten im Jahre 1934 und 1935 mit Funktio- haftete und Verurteilte und deren

des 30. Juni

Dreiundfünfzig Nationen rüsten ihre nären der SPD   in Kopenhagen   in Angehörige organisiert haben. Die Pro­Verbindung getreten sein, Nach- zeßführung erfolgte immer in Gruppen und Delegationen, die an den olympischen Spie­richtenmaterial aus Deutschland   nach Kopen- Teilabschnitten gegen die Angeklagten. Die len in Berlin   teilnehmen sollen. Es stört hagen   geleitet und weiter illegale Propa- Urteile waren überaus hart und haben die sie nicht, daß in Deutschland   geschunden, gandaschriften von Kopenhagen   nach Deutsch  - Erbitterung der Stettiner Bevölkerung gegen gefoltert, gemordet wird, während sie Fe­land gebracht haben. Sie sollen ferner ver- das Hitler- Regime noch erhöht. In der brau- ste feiern werden, es stört sie nicht der sucht haben, die Sozialdemokrati- nen Presse wurde die Hakenkreuzjustiz in Weheruf von zehntausenden gefangenen sche Partei Deutschlands   in Stet- Stettin totgeschwiegen. Ueber die verhängten Opfern des Systems, nicht das Knirschen tin neu zu errichten, ebenso die freien Strafen können wir folgende Uebersicht seiner Feinde. Die Herzen sind träge, und Gewerkschaften und einen kommunistischen geben:

Karl Krahn Richard Friedel Walter Bredow Hermann Glander  Erich Wiesner  

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Gerhard Debrow

die Gewissen robust. Sie könnten daran denken, daß hier in Berlin   die große Ver­

5 Jahre Ehrverlust schwörung gegen den Weltfrieden betrie­

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31 Jahre alt, 5 Jahre Zuchthaus,

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1 J. 3 Mon. Gefängnis,

ben wird, daß hier das Zentrum der unge­heueren Rüstungen ist, die sich gegen die meisten der Nationen richten, die zum Festefeiern nach Berlin   kommen. Aber sie Iwollen nicht daran denken, sie wollen die Augen verschließen. Und dennoch steht am Beginn dieser heuchlerischen Feste ein Ge­4 Jahre Ehrverlust denktag, der ihnen allen einen Schauder

Zwei weitere Angeklagte wurden wegen Begünstigung zu je 8 Monaten Gefängnis, ein Angeklagter mit 3 Monaten Gefängnis bestraft. Walter Richter  

Otto Sepke  Albert Last Kurt Westphai Gerhard Zenk Paul Schultz Georg Siegert Franz Falck

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21 Jahre alt, 4 Jahre Zuchthaus,

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2 J. 6 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 J. 6 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 J. 3 Mon. Zuchthaus  ,

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2 Jahre Zuchthaus,

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3 J. 6 Mon. Zuchthaus  , 4

Wilhelm Zander Ernst Decker

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2 J. 6 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 J. 6 Mon. Zuchthaus  ,

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Heinz Brunck

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2 J. 3 Mon. Zuchthaus  ,

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Fritz Raabe

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2 J. 3 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 J. 3 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 J. 6 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 J. 3 Mon. Zuchthaus  , 3

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2 Jahre Zuchthaus,

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9 Monate Gefängnis

Heinz Witte  

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Erich Lukascewicz Otto Will Alfred Holz Kurt Will Heinz Schumann  Werner Behrendt Gerhard Dachner Karl Dorka

Ewald Kultermann Georg Boldt Erich Verwiebe

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2 Jahre Zuchthaus,

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1 Jahr 6 Monate Gefängnis

2 J. 6 Mon. Zuchthaus, 3 Jahre Ehrverlus 2 J. 6 Mon. Zuchthaus, 3

Gegen alle zu Zuchthaus   Verurteilten wurde Polizeiaufsicht angeordnet.

einjagen müßte: der 30. Juni.

Der 30. Juni 1934, der Tag des Massen mordes, an dem Hitler samt seinen Spieß­gesellen sich Stabilität und Fortdauer sei­ner Herrschaft mit Blut erkauft hat. An diesem Tage sind in Deutschland   die Köpfe aller derer gefallen, die zu Führern einer möglichen Opposition, zukünftigen Regen­ten Deutschlands   hätten werden können. An diesem Tage hat die Diktatur Aufga­ben, die sie selbst mit ihren Terrormetho­den nicht bewältigen konnte, mit Blut ge­löst. An diesem Tage ist das Bündnis auf Gedeih und Verderb zwi­schen Hitler   und der Reichs­ wehr   besiegelt worden mit dem Blute Röhms wie mit dem Blute Schleichers. Dieser Tag ist die eigentliche Geburts­stunde von dem, was die Propaganda des Systems die nationale Wiedererhebung Deutschlands   nennt. Von diesem Tage an hatte das Hitlersystem ein festes Gesicht: eine auf den Krieg gerichtete Despotie, gestützt auf die Armee und die monopol­

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Am 15. Juni schloß in Stettin   eine Prozeß- Serie gegen sozialde­mokratische, freigewerkschaft­liche und kommunistische Funk­Die barbarischen Zuchthausstrafen, die das drücken. Sie ist ein Ausfluß fester Gesin- kapitalistische Wirtschaft. Das Blut vom tionäre mit hohen Zuchthaus- Gericht in Stettin   verhängt hat, werden die nung, getragen von den ehrenhaftesten Mo- 30. Juni hat sie alle zusammengeschweißt. strafen ab. Seit dem 12. Mai tagte der Fortsetzung der illegalen sozialdemokrati- tiven, von der Liebe zu Freiheit und Gerech- Die Gewalt, die blutige Gewalt ist das 4. Strafsenat des Berliner   Kammergerichts schen Arbeit nicht hindern. Gegenüber dem tigkeit. Wenn auch die verurteilten Kamera- Evangelium dieses Systems. Alles, was es unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten festentschlossenen sozialistischen   Kampf- den von dem Staatsanwalt als> Staatsfeindes seitdem getan hat, entspringt der Gewalt Dr. Deerberg. Dabei sind die Prozesse noch willen ist die Waffe des braunen Terrors bezeichnet wurden, die Ehrenrechte aberkannt und zielt auf neue blutige Gewalt. Die Ein­nicht abgeschlossen. stumpf geworden. Eine illegale Bewegung, bekamen und unter Polizeiaufsicht gestellt führung der allgemeinen Wehrpflicht, die Terrors wurden, die Bevölkerung Stettins nimmt vor Wiederbesetzung des Rheinlandes, jede überstanden hat, ist nicht mehr zu unter- diesen mutigen Männern den Hut ab!

Ab 30. Juni bis 6. Juli wird weiter gegen die 4 Gruppen sozialistischer Ar beiter verhandelt. Auf der Anklagebank saẞen bisher unbescholtene junge Männer im Alter von 22 bis etwa 40 Jahren, von denen

des 3 Jahre

schlimmsten

eine Reihe den. Krieg im Schützengraben mit Lebenslängliches

Konzentrationslager!

Es ist im Reiche wieder sinkende politi­sche Konjunktur. Die Gauleiter und örtlichen Bonzen erlassen öffentliche Warnungen gegen die anonyme Briefe, anscheinend keine Schmeicheleien enthalten. In zahlreichen katholischen Gemeinden ist es zu stürmischen

Aktion des Systems, die in der gleichen Richtung geht, hat ihren dunklen Aus­gangspunkt im 30. Juni 1934, an dem der Gauleiter Wagner hat deshalb auf einer deutsche Militarismus und Imperialismus seine schrankenlose Herrschaft über das Kreistagung in Ebersberg   gedroht:

bleiben müssen.<<

unseren

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gemacht hat. Sie saßen teilweise seit Juli » Ich habe mir vorgenommen, jeden deutsche   Volk wieder befestigte. Die Züge seiner Herkunft und das Blut der Stunde bezw. August 1935 in Untersuchungshaft. Die Gegner unseres Staates, den wir zum lange Haft hat sie zwar physisch, aber nicht zweiten Male im Kampf gegen seiner Wiedergeburt haften seiner Politik seelisch zermürbt. Stumm warten sie auf den Staat antreffen, nie wieder aus dem Kon- an. Was er vorbereitet, ist der 30. Juni Einzug der Richter, ihr Gesichtsausdruck hat zentrationslager herauszulassen. Diese 1934 im Weltmaßstabe. etwas Feindseliges, manchmal umspielt ein Menschen werden ihr Leben lang dort Auf den 30. Juni 1934 folgte der 25. ironisches Lächeln ihre Lippen und bald be­Juli der Tag des nationalsozialistischen weisen sie durch ihre Aussagen, daß sie trotz Auftritten gekommen, weil man die Unsitt- Mitten in Europa  : Lebenslänglichen Ker- Putsches in Wien  , in dessen Verlauf Doll­der Gefangenschaft nicht umgestimmt werden lichkeitskampagne gegen katholische Pfarrer ker und lebenslängliche Folterung! Verhängt fuß ermordet wurde. Wenn das Dritte konnten und ihre oppositionelle Auffassung für eine politische Mache hält. Die Be- nicht nach einer gerichtlichen Untersuchung Reich heute putscht, so putscht es mit an­gegen das Hitler  - Regime beibehalten. lastungszeuginnen werden geächtet. An meh- und einem Gerichtsurteil, sondern durch den deren Methoden und anderer Macht. Denn Mitunter werden sie vom Vorsitzenden reren Stellen mußte die zuständige Kreis- Rachespruch eines provinziellen Parteiauto- aus dem Bündnis vom 30. Juni 1934 ist auf die Widersprüche zwischen ihren Aus- leitung» Aufklärungsabende« veranstalten, kraten! Und nur für die geistige Vertretung ein Instrument herausgewachsen, das heu­sagen vor der Polizei und denen vor Ge- aber die Zuhörer zweifeln weiter, weil sie einer Idee! richt aufmerksam gemacht, dann packen überhaupt niemandem mehr glauben, der sie aus und erzählen von Drohungen staats- oder parteiamtlich zu ihnen spricht. und Mißhandlungen, denen sie aus- Auch in der Hauptstadt der Bewegung, in Blinden   Eheleuten soll künftig bei der Ehe­gesetzt waren. München   also, scheinen sich die ein Prozent schließung das Buch» Mein Kampf  « in Blin­Der Richter ist dann bemüßigt, so rasch Staatsfeinde der letzten Reichstagswahl un- denschrift überreicht werden. wie möglich über dieses unerquickliche Thema begreiflich rasch vervielfacht zu haben. Der

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Blindheit schützt nicht

te die Sorge aller europäischen   Staatsmän­ner ist, das Millionenheer des Dritten Rei­ ches  . Das ist die Drohung, die den Wil­len der Schwächeren brechen soll, allein durch seine Existenz, das ist das Instru­ment des mörderischen Ueberfalls für den ( Deutsche   Zeitungsmeldung.) Tag, an dem» der Führer<< mit traum­