JDie Prostitution der ProfessorenVor kurzem ist der Heidelberger Universitätsprofessor Heinrich Rickert, Ordinariusfür Philosophie, nach etwa vierzigjährigerLehramtstätigkeit gestorben. Für einen Forscher von dem Renommee Rickerts, für einenProfessor, zu dessen Vorlesungen Studentendurchs Fenster eindrangen, um ein Plätzchen zu erwischen, für einen Philosophen, derJahrzehnte als Oberhaupt einer neuen Richtung, der sogenannten»süddeutschen Schule«galt, ist das Lebenswerk ziemlich dürftig geraten. Als Ertrag seiner langen Studienüber die Methodik brachte er die Erkenntnisheim, daß die alte Einteilung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften besserdurch die Kennzeichnung»Kulturwissenschaften« und»Gesetzeswissenschaften« zu ersetzen sei.Das ist an sich etwas mager für einejahrzehntelange Forschertätigkeit, besondersdann, wenn man in Anrechnung bringt, daßsein Lehrer Windelband bereits alles prinzipiell Wichtige mindestens aphoristisch beigesteuert hatte. Außerdem ist vieles darananfechtbar.Trotz allem, der Nekrogolist könnte vonRickert und seinem Werk mit dem Gruße derAchtung Abschied nehmen, hätte dieser ihmdas nicht zuguterletzt noch gründlich erschwert. Erschwert, geradezu verdorben durchdie Angleichung seiner Erkenntnisse an dieVersklavungsbedürfnisse und den Blubokul-tus des Dritten Reichs. Es besteht einedeutsche Gelehrtentragödie als wahres Unikum der Kultur: die Standpunkte geratenmit der zeitweiligen Konjunktur in Konfliktund dann gibts den Riß. Die Professorenkuschen, ihre Ueberzeugung geht in dieBrüche oder sie verleugnen, was sie gedacht. Gute drei Jahrhunderte haben deutsche Philosophen und Juristen über die Freiheit gegrübelt, über die Freiheit des Willensund die Freiheit des Individuums von behördlichen Zwang. Man einigte sich schließlich,daß Freiheit der zweiten Kategorie den Besitz eines ergiebig staatsfreien Raumes voraussetzt. Sie gerieten, aller Philosophie undWissenschaft zuwider, in das Untertänigkeitssystem, wurden wie alle anderen Reichsdeutschen Untertanen des Herrn Hitler ausBraunau. Und nun müssen sie Auskunft erteilen, wie das mit der Weisheit der klassischen Denker und ihrer eigenen Philosophieverträglich ist.Geschmeidige Prostitutionskretauren wieCarl Schmitt und Alfred Bäumler behaupten frischweg, daß jetzt erst Freiheit inDeutschland bestehe und daß Hitler dergroße Freiheitsbringer sei. Bäumler nahmunlängst den Mund ganz voll: erst Adolf Hitler habe Deutschland vom Mittelalter befreit.So robust ist Rickert nicht gewesen, aberer nahm doch den Freibeitsraub am Individuum in seinen philosophischen Schutz. Diegewundene Erklärung seines letzten Buches»Probleme der Philosophie«, erschienen 1934,dje Erklärung:»Falls eines Deutschen wissenschaftliche Weltanschauung mit den Forde-Die motorisiertenGermanenWer von uns Neugermanengenug nach innen lauscht,ist von dem Blut der Ahnenin einem fort berauscht, iMercedes-Limousine?Dem Juden scheint es so,uns spiegelt dlo Maschinedas Roß des Gottes Frö.Wo Bärte nicht mehr flattern,da glänzt ein Doppelkinn,und des Vergasers Knatternlenkt eichwaldwärts den Sinn.Hört deutschen Quell ihr sprudeln?(Das Urquell, Pilsen, echt)dort sammelt sich in RudelnGermaniens stolz Geschlecht.Und eh wir Vollgas geben,vom süßen Met beschwipst,wird erst noch Waldeswebenbei Mondenschein geknipst.Wenn's ein Mädchen wird, heißt's Freya,und so das Glück sich beut,wird sie einst waga-weiaAbortfrau in Bayreuth.Wir sind die Shell-Germanen,und uns gehört die Welt,uns hat das Blut der Ahnenzum Herrschervolk bestellt. Huginrungen des Tages nicht übereinstimmt, hat erseine Ansicht der historischen Situation anzupassen« ist eine klare Apologie des Freiheitsraubes.Rickert hat sich aber an seiner Vergangenheit noch widerwärtiger versündigt. Erwar einst überaus stolz auf seine Erkenntnis,daß biologische Bestandteüe wertindifferent seien und er hätte gewiß jeden Studenten zurückgewiesen, der biologische Größen wie Blut, Boden, Rasse als Wertqualitäten in seine Doktorarbeit einzuschmuggelngesucht hat. Nun hat es ein Treppenwitzdahingebracht, daß gerade diese biologischenBestandteile auf Befehl des regierenden Ignorantenklüngels zu Höchstwerten der Kulturavancierten. Und Rickert? Landabiliter sesubjecit. Löblich hat er sich unterworfen.Rasse sei eine Ordnung für sich. Es sei er-Zu den vielen Errungenschaften, mit denen der Nationalsozialismus die Welt vorallem auf seinem ureigendsten Gebiete, demder Kultur, beglückt hat, gehören auch dieNamen zahlreicher neuer Wissenschaften, vondenen zu hoffen steht, daß sie noch vor Ablauf der berühmten tausend Jahre ihre Blüteerleben werden. Aber damit eine Wissenschaft blüht, dazu bedarf es nach nationalsozialistischer Auffassung gutbezahlter Stellungen für diejenigen, die sie betreiben. Sohat man denn, um wenigstens am kulturellenHorizont so etwas wie einen Silberstreifen zuerzeugen, gut dotierte neue Lehrstühle für»kommende Wissenschaften« errichtet.Was gibt es da nicht alles auf der nationalsozialistischen Speisekarte des Geistes!Da wurde vor garnicht langer Zeit der letzteberühmte Berliner Physiker, als er in seinemStammlokal mit einem be kanten Ministerialrat aus der Industriesphäre zu Mittag aß,durch die erschütternde Neuigkeit wahrhaftbeglückt, daß die Berliner Universität endlich ihre letzte wissenschaftliche Abrundungauf physikalischem Gebiet in Gestalt einesLehrstuhls für Wehrphysik erhaltenhabe. Zur Wahrnehmung dieses wichtigenPostens sei der»berühmte« Wehrphysi-ker Sch. auserkoren. Der große Physikerkannte zwar diese nationalsozialistische Koryphäe nicht einmal dem Namen nach, aberder tüchtige Ministerialrat, der schon so vielenRegierungen und jetzt natürlich auch denNationalsozialisten seine unbezahlbaren Kräftezur Verfügung gestellt hatte, konnte ihmversichern, daß der neue Mann beim letzten Geländemarsch den erstenPreis davongetragen habe.Betrübt und nachdenklich ging der großePhysiker nach Hause und klagte beim nachmittäglichen Spaziergang sein Leid seinemweltbekanten Kollegen, dem Botaniker N.»Was wollen Sie«, antwortete dieser mitDie SeifenblaseDer Roman»Kamerad Peter« vonHelmuth Groth(Europa-Verlag) ist einmerkwürdiges Buch. Es beginnt im demokratischen Deutschland, scbüdert die sozialenNöte seiner Helden, die Kämpfe mit denBraunen, den Sieg der gemeinsten Demagogieund die bittere Wanderung der Vertriebenendurch Europa. Adam Nolle, der arbeitsloseMusiker, kämpfte in den Staffeln der kommunistisch geführten Antifa, aber als er mitseiner Frau bei der Roten Hilfe vorspricht,wird er überall abgewiesen. Er hofft aufRußland. Neun Monate Kerker erlitt er fürseinen Kampf in kommunistischen Reihen.Dann mußte er fliehen. Nun ist seine Frau,sein Kamerad Petra, trotz aller Tapferkeitmüde, zermürbt, krank, auf allen StraßenEuropas sind sie rundum getrieben worden, nun wird ihnen Rußland helfenmüssen—»die Heimat der Werktätigen, welche keine Arbeitslosigkeit kennt...<Arbeiten wollte er, arbeiten! Aber seinGesuch wird von der Sowjetunion kalt undohne Angabe von Gründen abgelehnt. Wieder zieht der Heimatlose durch Winter undKälte seine Straße, indes die Frau krank imSpital liegt.So schließt der erste Teil und soweit wärealles graue, rauhe Wirklichkeit, etwas chronikhaft berichtet. Die Menschengestaltungschwach, die Dialoge meist uncharakterstisch,blaß und wenig gekonnt, aber alles vom roten Blutstrom des Erlebten umspült. Nunjedoch, im zweiten Teil, beginnt eine ArtVerzauberung. Ueber Nacht ist Nolle einberühmter Geiger geworden, das Geld strömtlaubt, sie als ranggleich dem Geist, dem sieja ohnehin verbunden sei, zuzuordnen. Dashat er Nazistudenten, die ihn ausfragen kamen, kurz vor Toresschluß noch konzediert.Rickert contra Rickert.Das Dritte Reich nimmt in seiner ArtCharaktermustenmg vor und wahrhaftig, diedeutschen Universitätsprofessoren bestehendie Prüfung, von Ausnahmen abgesehen, sehrschlecht Sie sind gewiß selten Barbaren,aber fast alle sind aus Feigheit bereit, sichIn den Dienst der Barbarei zu stellen. Manmuß schon dem großen französischen Gelehrten Boutroup recht geben;»In fast jedemdeutschen Professor steckt ein Korporal, dersich ohne Befehlsempfang in der Welt nichtzurechtfindet.« Das war zu Beginn desKrieges gesagt: 1936 beweist es wieder.Dr. Bruno Altmann.milde-nachsichtigen Lächeln,»Sie sind dochnoch garnicht so schlecht dran! Wehrphysikmuß ja nicht imbedingt völliger Unsinn sein.Man kann sich ja zur Not darunter nochetwas leidlich Vernünftiges vorstellen. Aberwas soll ich nur machen, wenn morgen derneue nationalsozialistische Gartenbaudirektorvon Berlin zum Professor der Wehrbotanik ernannt wird?«Aber die neuen Herren sind sich selbernicht so ganz über die verschiedenen neuenWissenschaften klar: So gibt es nicht nurOrdinariate für Wehrphysik, sondern auchsolche für Wehrwissenschaft undobendrein noch solche für Heereswissenschaft. Dem Uneingeweihten ist derfeinere Unterschied nicht erkennbar. Aberan der Uniform des vortragenden Professorskann der Student erkennen, in welchem Kolleg er sich befindet. Wehrwissenschaftist den höheren S A-F ü h r e r n vorbehalten,Heereswissenschaft dagegen denReichswehrgeneralen. So ist z. B.der Brigadeführer der SA, Achim von Arnim,derzeit maßgeblicher Repräsentant der Wehrwissenschaft, während General Becker sichdie wissenschaftlichen Sporen In der Heereswissenschaft verdient.— Als unter WilhelmII. der Klassiker der Physik, Helmhöltz inden erblichen Adelsstand erhoben wurde, registrierte der Simplizissimus diese welter-schüttemde Tatsache mit der Glosse:»Heutewurde durch allerhöchste Kabinettsorder dempreußischen Adel der Professor Helmhöltzverliehen.« Als aber kürzlich der ProfessorGeneral Becker zum Mitglied der PreußischenAkademie der Wissenschaften ernannt wurde,blieb es der Flüsterzeitung vorbehalten, festzustellen:»Die Preußische Akademie derWissenschaften wurde der Reichswehrgeneralität verliehen!«Aber nicht nur neue Männer haben neuePosten zur Förderung neuer F'seudowlssen-schaften bezogen. Auch alte Forscher, dieihm nur so zu, mit einem Konsortium emigrierter Techniker und Chemiker setzt mansich auf einer der Faröer-Inseln fest, zweihundert Emigranten gehen mit, ein gewaltiges Kraftwerk wird von einem idealistischenKollektiv geschaffen. Und eines Tages, ohWunder über Wunder, ist es soweit: eine Erfindung wird losgelassen, von der das brauneRegime zerfetzt wird. Eine fabelhafte Rakete, die Flugblätter ausstreut und die Munitionsdepots zerstört. Die Menschen habenallemal gerade noch Zeit, die Werke zu verlassen. Soldaten meutern, die Revolutionbricht aus, ohne daß ein Schuß fällt, derKriegsschrecken ist vorbei, den kein Kriegswahn kann fürder gegen diese Erfindung an.Der Traum des radikalen Fäzifisten ist nachjeder Richtung hin erfüllt, der Despotentroßflüchtet, die Emigranten dürfen wieder in dieHeimat, der ihr Sehnen gilt.Aber es ist zu schön, um wahr zu sein.Im Schlußkapitel erwacht Adam Nolle aufder harten Pritsche eines Bahnwärterhauses,wird wieder in den Schnee hinausgeweht,zieht eine trostlose Straße weiter. Alles, vomberühmten Gelger bis zur Wunde rrakete,war nur ein Traum, der stille Wunschtraum vieler Emigranten. Der Pazifist tramptwieder durch eine Welt, die in Waffen starrt,man muß die Verteidigung mit allen Mitteln wollen, wenn man die Freiheit will, esgeht nicht ohne Kampf und kämpferischenWillen— und es ist besser, weniger vonZauberraketen zu träumen, Das wäre dieKonsequenz dieses utopischen zweitenTeiles, aber sie wird leider nicht ausgesprochen. Würde diese Erkenntnis zum innerenErlebnis, so hätte der Traum für das Buchetwas zu erben hofften, haben gesehen, wosie blieben. So konnte man es beispielsweiseerleben, daß der Mathematiker Hamel, einMann von achtbaren Leistungen, plötzlich dieinnige Verbundenheit ausgerechnet der Mathematik mit Blut und Boden entdeckte. Als erseinen Vortrag über diese sonderbare Verbindung gehalten hatte, stellte einige Tagespäter die akademische Flüsterzeitung fest,daß dem Kollegen Hamel eine große Ehrewiderfahren sei:»Der Führer habe ihm daszweite»m« zu seinem Namen verliehen.«Academicus.Die teuere LeniDie Riefenstahl, die von Hitler als Filmregisseur für die Parteitagsfilme, den Filmvon der Winterolympiade und des Olympia-Filmen berufen worden ist. hat mit den bishervon ihr vorliegenden Arbeiten den Beweis erbracht, daß diese Berufung nicht in ihremkünstlerischen Können begründet ist. Obwohl Kritik an offiziellen Filmen kaum geduldet wird, mußte kürzlich erst die»Frankfurter Zeitung« zugeben, daß der Winter-Olympiade-Fllm der Riefenstahl von sportlichen, erziehlichen und künstlerischen Gesichtspunkten aus betrachtet, wertlos ist.Dabei kosten diese Filme eine Riesenstange Geld. So braucht die Riefenstahl fürihren Olympia-Film außer den dabei mitwirkenden Sportlern noch 300 Mitwirkende!Der Film wird auch nicht unmittelbar nachder Olymplade fertig sein, sondern die Regisseurin rechnet bis zur endgültigen Fertigstellung des Hauptfilmes und der Kurzfilme miteiner Zeit von 18 Monaten!18 Monate!— Also nicht einmal die Olympiade darf im Film so gezeigt werden, wiesie wirklich gewesen ist.Das Huhn im Topfder AnderenDer Sportberichterstatter des»ParisSolr« erzählt: Da er schon einmal im olympischen Dorf war. habe er den Einfall gehabt,»auf des Führers Unkosten« am Tischseiner Landsleute, der Radfahrer, zu speisen.Eine kleine Inkorrektheit, aber für einen Reporter natürlich. Wird er nicht berichtenwollen, wie die Mannschaft verpflegt wird?Lapäbie habe ihm also dreimal vom Huhn gereicht, Charpentier hat ihm Beaujolais eingegossen, von Ulrich ließ er sich mit Kompott füttern. Aber er sagt, er tut das nichtnoch einmal. Ihm sei noch kalt iin Rücken,wenn er an den Blick des Kellnersdenke, der zwar nicht Einspruch erhob,—dazu glaubte er sich nicht befugt,— aber derihm mit den Augen folgte. Das war, so meintder Berichterstatter, ein»Beobachterblick«— jener Beobachterblick, mit demman in faschistisch regierten Ländern dieLeute einschüchtert. Gewiß. Aber woran derFranzose nicht gedacht hat: der Mann, derihm beim Essen zusah, der hungert zu Hause.Polizeierziehung.»Die weltanschaulicheSchulung« der deutschen Polizeibeamten wirdauf Befehl Himmlers künftig durch dasRasseamt der SS vorgenommen werden.seine tiefere Berechtigung und wäre mindestens die konsequente Durchführung eineroriginellen Konstruktion. Schade, daß derAutor sozusagen umsonst träumte, daß erseinen Einfall nicht zum logischen Ende abrundete, sondern damit auf der Landstraßestecken blieb. So hängt denn der ganzezweite Teil im Buche wie eine übergroßeverirrte Seifenblase. B. Br.HoffnungslosIn der Nazipresse wird ein Buch begönnert, In dem ein Fritz Forell seine Erinnerungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit wiedergabt und wider das perfide Frankreichwettert. Die vorsichtige»Köln. Volkszeitung«kann sich nicht enthalten, dazu zu bemerken:»Wenn wir dem im übrigen stets fesselnden und stellenweise erschütternden Erlebnisbericht noch etwas an den Randschreiben dürfen, dann dieses; Man kannund darf, so meinen wir, kein ganzes Volk,wie das französische, für die Exzesse einzelner in einer wirren und haßvollen Zeitverantwortlich machen und dieses Volk füralle Zukunft mit seinem Haß beladen, erstrecht nicht in einem Augenblick, da hübenund drüben die Reinsten und Ehrenwertesten, allen voran die FYontkämpfer, umVerstehen und Verständigung auf das heißeste bemüht sind. Würde Forells Verallgemeinerung Schule machen, es stünde wirklich hoffnungslos um dieWelt.«Der Verfasser hat sich mit seinem Urteildurchaus an Hitlers»Mein Kampf« gehalten. Dort macht dieselbe FVanzosenfres-serei noch immer' Schule, wie die»K. V.« soschön sagt.»W ehrbotanik«