Italien . Sie rechnet Jugoslawien vor, daß der italienische Imperialismus ein Lebens- interesse an der Losreißung Kroatiens habe, und sie will mit solchen Argumenten erzielen, daß sich Jugoslawien in die Arme Hitlerdeutschlands wirft. Die Dauerberatung des braunen Systems mit den Balkanherrschern und Diplomaten, der Besuch Horthys bei Hitler — welche historische Begegnung übrigens zwischen diesen beiden Männern des gegenrevolutionären Terrors — die Sondierungen über die Herstellung einer d eu t s c h- ö s t e r r e i- ch i s c h- u n g ar i s c h e n Militärkonvention— das alles zeigt das Streben des braunen Systems nach der Vorherrschaft auf dem Balkan , das sich mit dem gleichen Streben Mussolinis keineswegs verträgt. Diese Treibereien auf dem Balkan sind ein ebenso gefährliches Spiel wie die Machenschaften gegen das republikanische Spanien . Sie werden von den Staaten der Kleinen Entente mit großem Emst betrachtet. Die verlogene, brandstiftende Propaganda des ungarischen Revisionismus ist in diesen Tagen von der»Prager Presse« mit großer Ruhe aber noch größerem Nachdruck zurückgewiesen worden, und die Interventionslust gewisser deut scher und englischer Revisionspolitiker in die innerstaatlichen und territorialen Verhältnisse der Nachfolgestaaten ist eine deutliche Deklaration des tschechoslowakischen Staatspräsidenten entgegengesetzt worden. Die abenteuernde hysterische Politik des Dritten Reiches muß erkennen, daß die Machtlage noch keineswegs für den großen Putsch reif ist. Daher die Fortsetzung der Aufrüstung in verstärktem Tempo. Zur Begründung der Verlängerung der Dienstzeit, die auf eine glatte Verdoppelung des stehenden Heeres in Deutsch land hinausläuft, muß wieder das bolschewistische Gespenst herhalten. In den Tagen vor der Verkündung der Hitlerverordnung über die Verlängerung der Dienstzeit hat sich die nationalsozialistische Presse geradezu überschlagen in der Hetze gegen Sowjetrußland. Im Deutschen Nachrichten-Büro konnte man lesen; »Man hat Kronstadt das»rote Malta « genannt. Hier bereitet sich die Flotte des Weltbolschewismus auf den Tag vor, an dem sie nach dem Willen Stalins und der Komintern im Dienste der Weltrevolution auslaufen soll.« Der»Völkische Beobachter« schrieb am 21. August: »Aus allen frechen Provokationen menschlicher Moral und europäischer Kultur durch die Greuelparolen der Moskauer Agenten wird klar und deutlich, daß man dort jetzt den direkten Wunsch hat, den spanischen Bürgerkrieg zum Anfang eines bolschewistischen Weltbrandes zu machen. Im Hintergrund steht darauf wartend die rote Armee , um ihren Marsch gegen die letzten Staaten der europäischen Ordnung und Zivilisation anzutreten.« Die letzten Staaten europäischer Ordnung und Zivilisation— das sind offenbar die Despotien Hitlers und Mussolinis! Aber: den bolschewistischen Sack schlägt man und den englischen und französischen Esel meint man. Wenn die deutsche Diktatur aus ihrem spanischen Abenteuer den Schluß zieht, daß sie noch stärker rüsten muß, so heißt das: wir wollen so stark werden, daß uns bei einem künftigen Abenteuer nicht mehr Frankreich , aber auch nicht mehr England hemmend in den Weg treten kann. Darüber ist nicht der mindeste Zweifel möglich. Wir haben kürzlich vorausschauend bemerkt, daß schließlich bei der braunen Propaganda selbst ein Mann wie Sir John Simon es noch zum Bolschewisten bringen könne. Nun, heute ist es soweit. Dieselbe Propaganda, die mit wilder Bol- schewistenhetze Begleitmusik zu der neuen deutschen Heeresverstärkung macht, fällt wütend über die Männer des englischen Liberalismus und der englischen Demokratie her, die angesichts der Rebellion der spanischen Faschisten an die große demokratisch-liberale Tradition Englands erinnern— und das sind die angesehensten Männer Englands. Sie nennt sie(siehe »Völkischer Beobachter«)»Salonbolschc- wisten liberaler Prägung, Klubsesselspartakisten«. Ist die Zweckbestimmimg der neuen Aufrüstung nicht klar? Sie dient dem Angriff auf alles, was in Europa mit den Ideen der Freiheit und der Demokratie verknüpft ist, sie soll freie Bahn schaffen für die wahnwitzige Politik imperialistischer Abenteuer und Brandstiftung. Der Moskauer Terrorprozell Der blutige Machtkampf um die Nachfolge Lenins Auf Grand des Urteils des anßerordent- liehen Gerichts sind in Moskan 13 Kommunisten erschossen worden, unter ihnen führende Mitglieder der alten kommunisti schen Garde und ehemalige höchste Staatsfunktionäre, wie Kamenew , Sinow- j e w und S m i r n o w. Mit einem neuen Prozeß und Erschießung sind bedroht weitere alte Kommunisten, wie Bucharin , Rykow, Sokol- nikow, Radek. Der alte Kommunist T o m s k I hat Selbstmord begangen. Das Staiinsche Regime kündigt einen Ausrottungsfeldzug gegen die gesamte Opposition an. Höchste Staatsfunktionäre und höchste Offiziere, sowie Großwürdenträger der Partei werden damit bedroht. Es ist das Ende der alten Bolscbewild. Der Moskauer Prozeß hat die Blicke der Welt auf die innere Struktur des Sowjetregimes gelenkt. Von allen großen politischen Prozessen, die seit der Entstehung des Sowjetregimes in Rußland geführt worden sind, ist dieser der aufwühlendste. Alle diese Prozesse, denen durch großzügigste Propagandamethoden eine gewaltige Resonanz in Rußland gegeben worden ist, haben nach außen hin nicht propagandistisch für die Sowjetunion gewirkt. Es war dies auch nicht ihre Zweckbestimmung. Auch dieser Prozeß ist eine innere Angelegenheit des Sowjetregimes. Das schließt nicht aus, daß aus ihm Schlüsse auf die Stabüität und Kontinuität der gegenwärtigen Herrschaft in Sowjetrußland gezogen werden und daß er auf die europäische Stellung der Sowjetunion zurückwirken kann. Er trägt alle Merkmale der bisherigen politischen Prozesse in Sowjetrußland, einer Gerichtsbarkeit in einem Diktaturlande, die verurteilt, aber keine restlose öffentliche Klärung hinterläßt. Es ist charakteristisch, daß die ganz allgemeine Frage außerhalb Sowjetrußlands diesem Prozeß gegenüber nicht ist;»Wo ist Recht und Unrecht, was ist Wahrheit?«, sondern daß sie lautet:»Was sind die Motive? Welcher Zweck soll mit diesem Prozeß erreicht werden?« In der Tat sind die Begriffe Recht und Ünrecht auf diesen Prozeß nicht anwendbar. Die Verurteilten waren weder im Recht noch im Unrecht. Ihr Unrecht bestand lediglich darin, daß sie die Schwächeren waren. Denn dieser Prozeß ist nichts ande- resals der blutige Abschluß eines Machtkampfes, der nach L e ni n s T o d üb e r ein Jahrzehnt geführt worden ist. Es war der Kampf um die Nachfolge. Lenin hatte eine natürliche Autorität. Dank seiner natürlichen Autorität und dank seiner überragenden politischen Klugheit vollzogen sich Meinungsbildung und Entschlußfassung in der russischen kommuni stischen Partei— Zumindestens in ihrer führenden Schicht, in demokratischen Formen, die einen Kampf auf Tod und Leben um Streitfragen verhinderten. Nach seinem Tode ist die führende Schicht der KPR zerrissen worden von wüden persönlichen Machtkämpfen. Verschiedene Gruppen und Anwärter um die Herrschaft kämpften gegeneinander mit den Mitteln der innerparteilichen Konspiration und des Terrors. Die Verurteilten des Moskauer Prozesses sind nicht weniger diktatorisch gesinnt als die Freunde Stalins, sie haben zum Teü nicht weniger nach der Alleinmacht und der Vernichtung der anderen gestrebt. Dieser Kampf um die Herrschaft ist mit Theorien und Verhüllungsideologien umgeben worden. Verschiedene Plattformen, der Kampf um die sogenannte Generallinie, die Taktik in verschiedenen außenpolitischen Fragen, die Verteilung des Schwergewichts zwischen Arbeitern, Bauern und kommunistischer Partei haben in diesem Kampfe eine große ideologische Rolle gespielt. Aber die Politik des Stalin - schen Regimes war weitgehend zwangsläufig, von großen gesellschaftlichen Notwendigkeiten bestimmt. Ein anderes Regime— ein Regime Trotzki-Sinowjew z. B.— hätte in der großen Linie sich den gleichen Notwendigkeiten beugen müssen. Die Staiinsche Generallinie enthält so sehr wesentüche Elemente der Trotzkischen Plattform, daß aus der Sache nicht klar wird, warum dieser unerbittliche Kampf geführt werden mußte. Das ist es auch, was die großen Auseinandersetzungen, die Kämpfe in der russischen kommunistischen Partei den Beobachtern von außen fast unverständlich gemacht hat Der Streit um Theorien, um die Geschichtsschreibung, um die Auslegung der Geschichte, um die Auslegung der Lehre Lenins — alles das verhüllte nur den persönlichen Machtkampf, der um die Kommandohöhen der Partei geführt wurde. Es ist ein erbitterter, erbarmungsloser, haßerfüllter Kampf gewesen, in dem Parteiausschluß, Verhaftung, Verbannung, Existenzvernichtung, Mord und Selbstmord ihre Rolle gespielt haben. Das innere Gesetz der Parteidifctatur und der Diktatur in der Partei, die Abwesenheit jeder wirklichen Selbstverwaltung und die damit verbundene zentrale bürokratische Diktatur, die Abwesenheit einer öffentlichen Parteimeinung, das innere Gesetz der neuen Bürokratie— alles dies hat in den Jahren des Kampfes zugunsten Stalins gewirkt. Er hat eine Opposition nach der anderen rücksichtslos niedergeworfen. Ein Teil der Männer, die das Todesurteil getroffen hat— so Sinowjew haben in den ersten Phasen dieses Machtkampfes gemeinsame Sache gemacht mit ihm zur Vernichtung Trotzkis, mit dem sie sich später gegen Stalin verbündet haben, und mit dem gemeinsam sie jetzt I die tödliche Anklage traf. Das innere Gesetz der Diktatur und des Terrors, das sie alle bejahen, hat gegen sie und für Stalin entschieden. In der gegen sie erhobenen Anklage ist viel propagandistische Erfindimg. Aber die Hauptanklage ist wahr. Sie haben auf den Terror des Siegers und des Mächtigen, des Herrschers über die Staatsgewalt, mit dem Terror der Besiegten, der Schwachen und Verzweifelten antworten wollen und geantwortet. Die Ermordung Kirows war eine innere Angelegenheit der kommunisti schen Partei. Die Unterlegenen, rechtlos gemacht, ohne Möglichkeit, auf die Partei einzuwirken, sind zur blutigen Antwort auf ihre Unterdrückung übergegangen. Ka menew hat diesen Schritt vor Gericht begründet;»Weil die blutige Konzentrienmg der Macht in Stalins Händen zum Verderben führen müsse.« Die Ermordung Kirows ist vor zwei Jahren geschehen. Seitdem ist ein Teil der Angeklagten in Haft. Was seitdem im Lande geschehen ist, ist undurchsichtig. Aber der Prozeß selbst enthüllt, wie ein Beobachter mitteüt,»ein wirres, die ganze Sowjetunion umspannendes Netz von allerlei Verschwörergruppen verschiedener geistiger Herkunft, deren gemeinsames Ziel die Beseitigung Stalins gewesen zu sein scheint«. Ein solcher Zustand ist alarmierend für ein diktatorisches System, und es ist ganz offenkundig der Zweck des Prozesses, eine mögliche Terrorwelle gegen die Spitzen des Systems auszutreten.(Terrorwellen gegen mindere Funktionäre hat es immer gegeben.) Zu diesem Zwecke soll gleichzeitig alle einstige und jetzige und alle in der Zukunft mögliche Opposition zertreten werden, ohne Rücksicht auf ihre Parteitradition, ihre Verdienste um die Revolution, ohne Rücksicht darauf, ob sie in terroristische Pläne verstrickt war. Das Auftreten des individuellen Terrors aber zeigt immer, daß ein System nicht in Ordnung ist. Der Terror ist keine normale Oppositionsform— er ist geknüpft an diktatorische und autokratische Systeme.- Die Sowjetregierang hab-�or kurzem eine neue Verfassung dekretiert. Auch diese Verfassung läßt völlig unklar, wie sich normale Oppositionsformen entwickeln können, sie läßt vollkommen unberührt, wie innerhalb der kommunisti schen Partei andere Meinungen als die von den Kommandohöhen der Partei her vertretenen verteidigt und durchgesetzt werden können. Das Austreten des Terrors allein heüt das Uebel nicht. In der Tatsache, daß Kommunisten gegen Kommunisten mit terroristischen Mitteln kämpfen, und vor allem in dem blutigen Ausgang dieses Machtkampfes, liegt eine Ver- urteüung des Systems der Parteidespotie und der Despotie in der Monopolpartei. „Dumpfes oder bequemes Schweigen". Selbst manchem Großverdiener des Drit ten Reiches geht die deutsche Kirchhofstille langsam auf die Nerven. Bis wird nicht mehr debattiert oder beraten, es wird gehorcht— im Reichstag genau so wie in der kleinsten Gemeindevertretung. Die Untertanen dürfen den strammstehenden»Volksvertretern« beim Gehorchen zusehen und ihren Groll in sich hineinfressen. Die Angst, dieser Groll könnte sich eines Tages entladen, veranlaßte wohl den ehemaligen Sparkommissar, jetzigen Oberbürgermeister von Leipzig , Dr. Goerdeler, zu folgender Meckerei in der»Deutschen Presse«: »Die Gemeinderäte werden nicht mehr gewählt, sondern berufen. Die Gefahr ist also groß, daß die Bürger den auf Vorschlag der Gemeinderätc berufenen Bürgermeister und die ebenso berufenen Beigeordneten nicht mehr als Männer ihres Vertrauens empfinden könnten. Wenn die Beratungen der Gemeinderäte so erfolgen, daß nur die Tagesordnung aufgerufen und womöglich überhaupt kein Bericht erstattet wird, dann kann auch die beste Berichterstattung der Presse kein Interesse der Oeffentlichkeit für solche Beratungen erwecken. Das Interesse der Oeffentlichkeit Ist nur mit einem echten Funken zu erwecken und dauernd lebendig zu erhalten, und dieser echte Funken heißt:»Freie Meinung.« Solange und soweit die Oeffentlichkeit das Gefühl hat. daß die Männer, die da sitzen, nicht ihre Meinungen sagen, sondern nach irgendeiner vorgefaßten oder gar zugewiesenen Auffassung handeln, solange wird für die Handlungen der Gemeinderäte kein wahrhaftes Interesse sich einstellen. Der Gemeinderat muß wissen, daß, wenn er schweigt, er nicht nur zustimmt, sondern für die Zukunft auch moralisch des Rechtes der Kritik beraubt ist. Es ist geradezu Aufgabe des Bürgermeisters, in den Gemeinderäten die Ueber- zeugung wirksam werden zu lassen, daß dumpfes oder bequemes Schweigen von jedem betätigt werden kann, und daß der Staat viel mehr Gefahr läuft durch solches Schweigen als dadurch, daß in einer Gemeinde die Geister aufeinander- platzen und sich klären.« Und alles, was hier den Gemeinden vorgeworfen wird, ließe sich wortwörtlich auf den deutschon Reichstag beziehen, in dem die braunen Abgeordneten für ihre guten Diäten bestenfalls einmal jährlich »Heil« rufen dürfen. Aber hier zieht auch der meckernde Goerdeler»dumpfes oder bequemes Schweigen« vor— denn alles andere wäre lebensgefährlich. Mehr Feiepschichten! Obwohl im deutschen Steinkohlenbergbau die Zahl der Beschäftigten im Monat Juli nur eine ganz geringfügige Erhöhung erfahren hat, haben die eingelegten Feierschichten eine Vermehrung erfahren. Wiesen die Angaben der Wirtacbaftsgruppe im Juni je Arbeiter durchschnittlich nur 0.76 Feierschichten aus, so im Juli 1,26. In Wirklichkeit wird der Umfang der Federschichten noch etwas größer sein, da die arbeitstägliche Förderung im Ruhrgebiet und im Saargebiet im Vergleich zum Vormonat im Juli einen stärkeren Rückgang aufweist. 10.000 Tote— 200.000 Verlebte! Seit einiger Zelt wird wöchentlich die Zahl der sich im Deutschen Reich ereignenden Verkehrsunfälle veröffentlicht. Sie ist überraschend groß: in jeder Woche werden durchschnittlich 160 Personen getötet und einige tausend verletzt Das Statistische Reichsamt hat jetzt für das zweite Vierteljahr 1935 eine Uebersicht der Straßenverkehrsunfälle veröffentlicht. Die Gesamtzahl der Unfälle ist gegenüber dem ersten Vierteljahr um 44 Prozent gestlegen und betrug 72.500! Bei diesen Unfällen kamen 2300 Personen um ihr Leben und 49.765 wurden verletzt. Auf ein Jahr umgerechnet werden also in Deutschland nahezu 10.000 Personen auf der Straße durch Verkehrsunfälle getötet und rund 200.000 verletzt! Diese erschreckend hohe Unfallziffer ist auf die überstürzte Motorisierung zurückzuführen, für die sich die Verkehrswege in Deutschland als' keineswegs ausreichend erweisen. In der Uebersicht selbst wird darauf verwiesen, daß 58 Prozent der verletzten bezw. getöteten Personen Opfer von Verkehrsunfällen in Landgebieten geworden sind. Außerdem wird die starke Vermehrung der Unfälle in Landgebieten Infolge Ubermäßiger Fahrgeschwindigkeit hervorgerufen. Das Rasen der SS - Wagen ist eine bekannte Landplage. 10.000 Tote und nahezu 200.000 Verletzte als Opfer des Straßenverkehrs— das ist ein Rekord, um den niemand das Dritte Reich beneiden wird!
Ausgabe
4 (30.8.1936) 168
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