Nr. 168 BEILAGE

Ucuttteootfe

30. August 1936

Die siegreldie T erteidigung in Spanien

Die Pflidit der internationalen Arbeitersdiaft

Madrid , August 1936. Das Spanien des Volkes und der Ar­beiter ist mit dem militärfaschistischen Aufstand vom 17. und 19. Juli 1936 in einen neuen Abschnitt seiner Geschichte eingetreten. Nur durch ein Wunder ist es dem An­schlag gegen seine Freiheit entgangen, den Militärs, Pfaffen und Faschisten unter der Oberleitung des Kapitals unternahmen. Es hat sich gezeigt, daß fünf Jahre nach der Revolution vom April 1931 die Armee, die Gendarmerie, die hohe Beamtenschaft des Staates sich nahezu vollzählig gegen die Republik erhoben, der sie den Treueid geleistet hatten. Dies bestätigt nur, daß es keine wirkliche Revolution gibt, die nicht zur systematischen Zerstörung und organischen Umschmelzung des militäri­schen, polizeilichen und Verwaltungsappa­rats des Staates greift Die negative Seite des Wunders, dem die Republik ihre Rettung verdankt, war die Unentschlossenheit der müitärischen Kommandanten in Madrid und Barcelona . Der Militäraufstand brach in Marokko am 17. Juli aus, in Madrid und Barcelona aber erst am 19. In Madrid insbesondere haben sich die faschistischen Militärs, statt das Präsidentenpalais, die Ministe­rien und die Straßen zu besetzen, in ihren Kasernen eingeschlossen. Der Präsident der Republik, A z a n a, hat dem Genossen de Brouckere und mir erzählt, daß ihn die Rebellen im Prado, wo er sich da­mals befand, mühelos hätten überwältigen können. Wahrscheinlich haben sie es gar nicht für nötig gehalten, sich des Staats­chefs zu versichern, und ebenso hat­ten sie den Widerstand des Vol­kes nicht vorausgesehen. Dieser Widerstand, schlagfertig und heldenmütig, bildete die positive Seite des Wunders, von dem wir sprechen. Die Ein­nahme der Montana -Kaserne durch das Volk hat dem Aufstand den ersten töd­lichen Schlag versetzt. Inmitten der Un­ordnung, die der Rebellion der Militärs und dem Aufstand der Faschisten folgte, gab es eine kleine Insel der Ordnung; die Kaders der sozialistischen Arbeitermiliz, die schon im Oktober 1934 gekämpft hatte. Um diese Kader herum bildete sich die neue bewaffnete Macht der Republik , Auf diese Weise wurde das Grundproblem jeder Revolution, wenn nicht gelöst, so doch der Lösung nahegebracht: waffnung des Volkes und die einer revolutionären Armee. Ich habe soeben einige Tage an der Sierra-Front verbracht. Noch gibt es auf dem Gebiet der Organisation unendlich viel zu tun. Langsam nur vollzieht sich die Verschmelzung der Elemente der alten Armee mit den verschiedenen Milizen. Die beherrschende Tatsache aber ist, nach meiner Meinung, die Entstehung und Ent­wicklung eines revolutionären Patriotis­mus und einer revolutionären Disziplin. Natürlich hat dieser Patriotismus nichts mit dem Nationalismus gemein, gleichwie diese Disziplin nichts mit dem alten Kaser­nengehorsam oder der kirchlichen Unter­ordnung zu tun hat. Sie beruht nicht auf dem Geist der Subordination, sondern auf dem Geist der Solidarität im revolutionä­ren Schaffen. Bei diesem, dem allerwich- tigsten Werke, legen die Männer und Frauen, die der Partei und dem vereinig­ten Jugendverband entstammen, außer­gewöhnliche Fähigkeiten an den Tag. Ihr Mut, ihre Redlichkeit, ihre Ehrlichkeit und ihre Intelligenz erhöhen sie in den Augen der gesamten Bevölkerung und der weni­gen Offiziere der alten Armee, die der Re­ publik treu geblieben sind. Neben dieser Geburt einer neuen Armee, die in unseren Genossen ihre Elitetruppen findet, entsteht im Feuer der Aktion ein neues Recht, eine neue Lebens­auffassung. Das Kollektivgefühl des­sen Wurzeln in Spanien wir nicht kennen , trägt den Sieg über das individualisti­sche Empfinden davon; die Schöpferkraft der Revolution überragt ihre Zerstörungs­kraft. Auch auf diesem Gebiet leisten die Genossen der Partei, der vereinigten Jugend und der sozialistischen Miliz die wichtigste und erfolgreichste Arbeit. Ich begnüge mich für den Augenblick mit dem

Hinweis auf die außerordentlich wichtige Rolle der Genossenschaften innerhalb des Verpflegsdienstes und auf das ganze Netz von Fiirsorgeeinrichtungen für die Kämp­fenden und ihre Familien, die in wenigen Tagen aus dem Boden gestampft wurden. In diesem Zusammenhang muß ein Märchen zerstört werden, das die Runde durch die bürgerliche Welt macht und den Lügen über angebliche Greuel der Republikaner nacheifert. Man spricht von der Plünderung der Klöster und Paläste. Tatsächlich sind eine ge­wisse Anzahl von Palästen der Madrider Aristokratie und von Klöstern besetzt worden; aber in neun von zehn Fällen hat diese Besetzung nicht die geringste Zer­

mäßig zukommen. An ihrem Besitz soll sich das Verbrechen der Reaktion rächen. Allgemein gesehen, wird der Verräter­general F r a n c o die Rolle des Generals Kornilow gespielt haben. Er wird den Ver­lauf der demokratischen Revolution be­schleunigt und Spanien auf den Weg der proletarischen und sozialistischen Revolu­tion gedrängt haben. Aber wehe uns, wenn das internatio­nale Proletariat sich der Meinung hingäbe, daß die Schlacht bereits gewonnen ist. Sie ist es noch nicht In diesem Punkt habe ich mich bemüht, mich so umfassend wie mögüch zu informieren; daraus ergeben sich nachstehende Schluß­folgerungen:

die Be­schaffung

Störung mit sich gebracht. Ich habe das Palais Girardelli, den Klub del Campo, den Klub Grace Pena besucht, die von der ver­einigten Jugend besetzt sind; desgleichen das Palais des Herzogs von Medina Coeli, wo die motorisierte Brigade untergebracht ist, und die Palais, die die Bataillone»Ok­tober« und»Largo Caballero « der sozia­ listischen Miliz besetzt haben. Ueberall herrscht musterhafte Ordnung. Ueberall wurde ein Inventar der Wertgegenstände, der Möbel, Bilder, Teppiche usw. auf­genommen. Neben den von Gold- und SUbergedecken strotzenden Kasten essen die Milizkämpfer ihre Büchse Sardinen, neben den schwellenden Betten Uegen sie auf der Erde. Sie tragen ihr altes, zer­rissenes Hemd und fühlen sich gar nicht versucht, sich etwas von der Wäsche der ehemaligen Besitzer anzueignen. Natür­lich sind sie überzeugt, daß es sich um eine Besetzung für immer handelt, aber sie betrachten sich als die Beauftragten der Gesamtheit des Volkes, dem die Reich­tümer derjenigen, die der Republik den Bürgerkrieg aufgezwungen haben, recht-

Die Schlacht könnte als endgültig ge­wonnen gelten, wenn der Grundsatz der Neutralität, um dessen Aner­kennung durch alle Staaten sich die fran­ zösische Regierung bemüht, für einige von ihnen eine bloße Heuchelei wäre.£ s i s t gewiss, daß, wenn keine Ein­mischung von außen erfolgte, die Zeit für uns arbeitet. Wer sich über die Langsamkeit der militäri­schen Operationen wundert, an denen schließlich zahlenmäßig nur sehr schwache Kräfte beteiligt sind, möge nicht verges­sen, daß am Abend des 19. Juli die Re­ publik ohne Armee, ohne Gendarmerie und fast ohne Verwaltung dastand. Das alles mußte neu geschaffen werden, und erst jetzt geht aus dem Wirrwarr der Improvi­sation eine technische und militärische Organisation hervor, so daß, während die Rebellen schwächer werden, die Republik an Kraft gewinnt. Aber dieser Prozeß könnte leicht be­einträchtigt und selbst in sein Gegenteil verkehrt werden, wenn die Neu­tra 1 i t ä t n u r f ü r die Republik

Von Pietro N e n n i. gelten sollte und nicht für die Aufständischen. Es steht außer Zweifel, daß die Rebellen sich nur in dem Maße halten konnten und können, als sie von Portugal , Italien und Deutschland Waffen und Vorräte empfangen. Die Aus­sichten der faschistischen Militärs sind äußerst gering und sie hängen durchaus von dem Tempo ab, in dem es dem Gene­ral F r a n c o gelingt, seine Truppen aus Marokko nach Spanien herüberzuwerfen. So ist die Lage. Die Demokratie und die Arbeiterschaft Spaniens waren es der internationalen Demokratie und dem inter­nationalen Proletariat schuldig, die be­drohte Freiheit in ihrem Land zu verteidi­gen. Das Spanien des Volkes hat diese seine Pflicht mit herrlichem Mut und ohne Wanken erfüllt. Umgekehrt schuldet die Demokratie und die Arbeiterschaft der ganzen Welt den spanischen Demokraten und Arbeitern die Verteidigung des Volkes gegen die An­schläge des internationalen Faschismus. Es gilt, um jeden Preis die Bewaffnung der Aufständischen zu verhindern! Wird dies erkannt und getan, dann ist der Sieg der Republik und des Sozialismus in Spanien außer Zweifel.

Kirdbe am Sdieldcweg! Option für den Nationalsozialismus? Daß der kritische Punkt für die katho­ lische Kirche , die zwischen ihrer konserva­tiv-patriarchalischen Hinneigung zum»auto­ritären« Reglerungssystem jeder Art generell und prinzipiell und der praktischen und ideo­logischen Unvereinbarkeit sowohl ihres Ideen­gehaltes wie ihrer politischen Geschichte in Deutschland mit den Ansprüchen des totalen nationalsozialistischen Staates hin und her sich ziehen läßt und dabei alle Varianten im­provisierten und notstandhaften Reagierens vom vollendeten»Brückenbau« bis zum gehamischten diplomatischen Protest in wenig imposanter und auch wenig sympho­nischer Weise durchspielt, nunmehr so nahe gerückt ist, daß es zur endlichen Option und zu einem allseits befreienden Entweder-Oder (gerade auch vom Standpunkt der in diese fürchterliche Schaukellage mit einverleibten Gläubigen im Reich) kommen muß, wird um so klarer, je unmittelbarer der Vatikan durch die spanischen Ereignisse mit ins große und entscheidende Drama der Weltpolitik der Ge­genwart verwickelt ist. Auf der einen Seite zusammen mit bombenflugzeugliefernden Verbündeten die »Ordnung«, wie sie auch die Kirche tradi­tionell versteht, auf der anderen Seite die Freiheit der bisher Unterdrückten, von der sie nicht nur einen Einbruch in ihren ideo­logischen Bereich, sondern vor allem auch eine mehr als bloß empfindliche Schmäle­rung ihres weltlichen Besitzstandes befürch­ten zu müssen glaubt. Es unterliegt gar keinem Zweifel: so bewußt es der Kirche ist, daß sich eine neue, die dritte Woge des na­tionalsozialistischen»Neuheidentums« in Deutschland bereits in Bewegung gesetzt hat und daß sie nur von der Rücksicht auf das propagandistische Olympia-Bedürfnis vorerst von den Machthabern noch hinter dem Deich gehalten wird, so zwingend scheint für die kuriale Politik die internationale und außer­deutsche Weltsituation sie auf aktiven An­schluß an die gegebenen Mächte der Konter­revolution hinzuweisen. Keine Beschönigung, keine fromme Illusion! Spanien mag aus zehn und hundert Gründen den Herren auf dem vatikani­schen Hügel näher liegen, als jenes Deutschland , in dem der Katholizismus doch nur eine Min­derheitsangelegenheit ist, die bei kluger Politik zwar wegge­tuscht, aber nie beseitigt werden konnte! Die anti-hitlerschen deutschen Emigranten-Katholiken, die vereinsamt und selbst von denen desavouiert, die in anderen Ländern Fleisch von ihrem Fleisch und Geist von ihrem Geist sein müßten, einen sehr schweren und tapferen Kampf bisher kämpf­ten, empfinden selbst diese schicksalhafte Wendung. Sie scheuen sich auch nicht, in bitteren Worten dem Ausdruck zu verleihen, daß manches dafür spricht, daß sie schon sehr bald das Opfer, das deutsche Opfer der