Nr. 170 BEILAGE

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13. September 1936

Die antifasdiistisdie Kritik Zur Aufrüttelung der Trägheit der Herzen

Die antifaschistische Kritik, ob sie in Wort oder Bild ausgeübt wird, hat ach in ihren In­halten und Methoden nach dem Gegner zu richten, den sie bekämpfen muß. Diese Fest­stellung, die sich notwendig aus dem Wesen jeder Kritik ergibt, ist dennoch nicht ganz überflüssig. Denn bei manchen Zeitgenossen, und gerade auch bei solchen, die nicht direkt nationalsozialistisch verseucht sind, stößt der antifaschistische Kampf auf Gleichgültigkeit, Ablenkung oder Widerwillen. Fragt man nach den Gründen dieses Verhaltens, so erhält man fast immer die gleiche Antwort. Die anti­faschistische Kritik, wie sie den Unzufriede­nen in den Zeitungen und Zeitschriften der deutschen Emigration entgegentritt, ist ihnen zu unterstrichen, zu grob oder zu gehässig. Sie wünschen mehr Ruhe, Würde und Objek­tivität. Nun braucht man freilich nicht jeden Exzeß und die mitunter recht primitiven Ver­öffentlichungen zu entschuldigen, die wie in jedem Lager so auch in der weit verzweigten, den verschiedensten Richtungen dienstbaren und unter schwierigsten Verhältnissen arbei­tenden Publizistik der deutschen Emigration anzutreffen sind. Trotzdem soll man sich die Menschen genauer betrachten, die mit ihren generell ablehnenden Urteilen über die anti­faschistische Kritik so leicht bei der Hand sind, und soll sie belehren. Für die Methoden des politischen Kampfes gegen die Reaktion gibt es überzeugende und klassische Beispiele großer Künstler und Dichter. Eines der schla­gendsten Beispiele sind die unerhört scharfen und bissigen Attacken, mit den denen der große englische Ironiker Jonathan Swift , der weltberühmte Verfasser von Gullivers Reisen , die gesellschaftlichen Zu­stände seiner Epoche angriff. Man kann auf die genialen Radierungen des spanischen Malers Goya verweisen, der mit unerbitt­lichem Realismus die Greuel des Kriegs und die Opfer menschlicher Dummheit und fana­tischer Verfolgungssucht zeichnete. Da sind

die exemplarischen Streitschriften Voltai­ res , Diderots und anderer Enzyklopädi­sten gegen die feudale und klerikale Reaktion, jene glänzende Literatur, die den Weg für die französische Revolution bereitete. Da sind die großartigen Zeichnungen und Karikaturen des französischen Malers D a u m i e r gegen die Fratzen eines gewissenlosen Kapitalismus und des Schiebertums in der Politik. An den »Hessischen Landboten « Georg Büch­ners mit seinem Motto»Friede den Hütten, Krieg den Palästen!« muß man erinnern als an das Muster jeder illegalen Aufklärungs­schrift. An die Pamphlete Victor Hugos gegen Napoleon »den Kleinen« soll man ver­weisen, gegen den Scharlatan auf dem fran­ zösischen Thron und den gerissenen Ahnherrn aller faschistischen Methoden. Zolas mutiges J'accuse darf man schließlich nicht vergessen, das er einer militaristisch und antisemitisch verblendeten Justiz entgegenschleuderte. Diese Dichter und Künstler wirken darum auch heute noch so überwältigend, gerade weil sie die Stärke ihres Hasses keineswegs ver­hehlten, weil sie ihn betonten und unter­strichen, soviel sie nur konnten. Sie wußten edle, jja» sie einen Gegner zu bekämpfen hat­ten, der selber keine Schonung und Rücksicht kannte und dem man mit sanften Mitteln nicht beikommen konnte. Bei ihren Feinden, den rückwärts gewandten Privilegierten, herrschte Heuchelei, brutale Unterdrückung und Ausbeutung. Auf ihrer Seite war das Recht, die Freiheit und der Fortschritt des Menschengeschlechts. Sie brauchten keine Rechtfertigung für ihr Tun, da der Stolz die­ses Bewußtseins sie mit einer Leidenschaft erfüllte, vor deren Glut die Bedenken schmol­zen, ob ihre Kritik sich im Ton vergreifen, ob sie zu kraß oder zu scharf sein könnte. Wenn sie nur wirkte, wenn sie den mächtigen Geg­ner nur traf! Ihr Angriff mußte auch darum von größter Heftigkeit sein, weil sie nicht nur die Machthaber zu bekämpfen hatten, sondern mindestens ebenso sehr die Gleichgültigkeit

ihrer Zeitgenossen. Denn nur zu leicht ge­wöhnen sich die Menschen auch an die schlimmsten Zustände, auch an das schreiend­ste Unrecht, vor allem wenn die zahlreichen, mehr oder minder bestochenen Hüter der be­stehenden Mächte, wenn Schule, Presse und alle Organe der öffentlichen Meinungsbildung von einer gottgewollten, durch die Jahrhun­derte geheiligten Ordnung reden. Eine derart befestigte Welt kann man wirklich nicht mit zarten Farben und mit säuselnden Worten in Trümmer legen. Die Männer, die für eine neue und bessere Erde kämpften, waren sich dar­über im klaren. Hinter all ihren Aeußenmgen stand als Antrieb der Schlachtruf Voltaires , mit dem er nicht müde wurde, seine Mitwelt anzufeuern:»Ecrasez ITnfäme vernichtet die Schmach!« So war es einst und wie könnte man es heute anders halten, wo sich im Herzen Euro­ pas eine Gewaltherrschaft eingerichtet hat, die ihresgleichen in der Geschichte sucht! Da­bei waren in den Zeiten der französischen Aufklärung, selbst noch in der Epoche des großen Realisten und Menschheitsfreundes Zola die Begriffe der Humanität und der sozialen Gerechtigkeit nur erst ideale Forde­rungen, die keine oder eine recht mangelhafte Realisierung gefunden hatten. Nicht zuletzt dank der Wirksamkeit dieser Männer hatten sich die progressiven Tendenzen seitdem immer ungestümer entfaltet. Die ungeheure Erschütterung des Weltkrieges hatte sie nur noch beschleunigt. In manchen Ländern waren sozialistische Regierungen zur Macht gekom­men, in andern hatten die mächtig angewach­senen sozialistischen Parteien einen Druck ausgeübt, der zum Wohl der ganzen Mensch­heit humanere Gesetze zeitigen half. Der Ge­danke des Sozialismus marschierte und es war bei der fortschreitenden Zersetzimg der kapitalistischen Ordnung klar, daß er den Sieg erringen würde. Da hatte der Faschis­mus zum Gegenschlag ausgeholt, am furcht­barsten und grausamsten in Deutschland , dem

Land, dem wir angehören und das wir lieben, dem Land, in dem die Ideen des Sozialismus und der Humanität geboren wurden. Was verlangt man von uns, den anti- faschistischen Kritikern? Kann man im Ernst von uns erwarten, daß wir mit kühler Ruhe das wahnsinnige Treiben von Menschen be­trachten, die das Rad der Geschichte rück­wärts drehen wollen und in ihrer blinden Zerstörungswut bis auf die Wurzeln alles ver­nichtet haben, was es an mühsam erkämpften politischen, kulturellen und sozialen Errungen­schaften in Deutschland gegeben hatte? Viele unserer Freunde und Genossen, die dem barbarischen Gesindel in die Hände fielen, wurden viehisch ermordet. Manche von ihnen wurden gefoltert, Nacht für Nacht aus den Betten geholt, von besoffenen Bur­schen getreten, gepeitscht; mit Stahlruten wurden ihnen die Nieren zerschlagen, sie wurden in Stehsärge eingeschlossen. Viele von ihnen schmachten noch immer in der Hölle der Konzentrationslager unter Qualen, die nur der teuflischste Sadismus erfinden konnte. Und wir sollten das alles ohne Groll und mit sanften Worten besprechen? Wer der antifaschistischen Kritik Ueber- treibungen vorwirft, übersieht oder will ge­flissentlich übersehen, daß es die deutsche Naziwirklichkeit selber ist, die unaufhörlich Uebertreibungen unwahrscheinlichster Art produziert. Shakespeare , der sich in den dun­kelsten Tiefen der menschlichen Seele aus- kannte und überreich an blutigen, grausamen Bildern ist, hat keine Szene sich ausdenken können, die an blutiger und grotesker Ge­meinheit den Vorgängen eines dreißigsten Juni gleichgekommen wäre. Kein Politiker konnte die Schande der Juden- und Rassen­gesetze ahnen. Der Satiriker braucht seinen Witz nicht mehr sehr zu bemühen. Er braucht nur wörtlich darzustellen, was an Dummheit und Unsinn drüben täglich ge­schieht. Der Liebhaber der deutschen Spra­che, der sich mit dem braunen Schriftum be-

Der Parteitag des Friedens

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