Nr. 173 BEILAGE

Neuer Vorwärts

4. Oktober 1936

Brauner Bolschewismus

Selbstentlarvung in Nürnberg  

Dr. Göbbels   hat in seiner durch den nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und der deutschen   Entwicklung hin. Er Literatur, Erziehungswesen, Kultureinrich­Rundfunk verbreiteten Parteitagsrede vom orientierte Handeln ist verbunden mit dem stellt aber ausdrücklich fest: tungen usw. sind Instrumente in den Hän­10. September in Nürnberg   folgende Defi- öffentlichen Vortäuschen einer Freiheit des>> Was Lenin und Stalin   tatsächlich, aber den der Diktatur. Die Masse der Bevölke­nition des Bolschewismus gegeben: Volkes und der Masse. So kann der bol- nicht satzungsgemäß in ihrer Partei waren, rung wird gelenkt und beaufsichtigt durch >> Der Bolschewismus ist die Diktatur der schewistische absolutistische Staat das er- war Hitler   offen in der NSDAP  . Wie auch einen sorgfältig ausgebauten Zellen- und fertig bringen, bei den marxistisch- russischen Bolschewi- Funktionärapparat. Minderwertigen. Zur Macht kommt er mit staunliche Kunstwerk

der Lüge, in der Macht behauptet er sich mit der Gewalt.<<

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Die Hörer des Dr. Göbbels   werden nicht wenig erstaunt gewesen sein, eine so treffende Charakteristik zu vernehmen, die haargenau auf die nationalsoziali­stische Diktatur paẞt. Es verhält sich mit dieser Sentenz so, wie mit vielen an­deren, die in den Parteitagsreden der na­tionalsozialistischen Führer, der Hitler und Rosenberg, der Heß, Frank, Wagner, Diet­rich, Amann usw. zu finden sind. Sie alle sind auf den Ton der Anklage gegen die > jüdisch- bolschewistische Weltverschwö­rung und die Gewaltherrschaft in Sow­jetrußland gestimmt, sie alle appellieren an die kapitalistische Welt, um die Kräfte der internationalen Reaktion zu sammeln und Deutschland   an die Spitze des Kreuz­zuges gegen die Sowjetunion   zu stellen, sie enthalten aber auch gegen den Willen der Redner eine Fülle von Anklagema­das Diktaturregime terial gegen Deutschland   selbst, das in weit stärkerem Maße als die Sowjetunion   den zum» Welt­feind« erklärten Bolschewismus verkörpert.

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Die Ursache dieser eigenartigen Er­scheinung liegt auf der Hand: Man kann nicht den russischen Diktaturstaat und den russischen Bolschewismus anklagen, ohne gleichzeitig den nationalsozialistischen Dik­taturstaat und den braunen Bolschewis­mus zu entlarven, die ihre russischen Vor­Aus bilder weit in den Schatten stellen. der Leidenschaft, mit der die nationalso­zialistischen Parteiführer gegen den rus­sischen Bolschewismus ankämpfen, spricht nicht nur der Wunsch, sich eine Kulisse für internationale Brandstiftungspläne schaffen, sondern auch das böse Gewissen von Gewaltpolitikern, die nach der Me­thode>> Haltet den Dieb!< die öffentliche Meinung der Welt von der Kennzeichnung des Wesens und der Methoden des natio­nalsozialistischen Diktaturstaates abzulen­ken suchen.

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Es ist das Verdienst des katholischen Schriftstellers Dr. Waldemar Gu­rian, die erstaunliche Aehnlichkeit zwi­schen dem Bolschewismus und Nationalso­haben, die zialismus nachgewiesen zu heute mehr denn je zur Selbstentlarvung > Befreiungs­der nationalsozialistischen

politike beiträgt. In einer vor wenigen Monaten im Vita Nova Verlag, Luzern  , erschienenen Schrift» Bolschewis­mus als Weltgefahr hat er nach einer Darstellung des bolschewistischen Machtstaates den Nachweis geliefert, daß der Nationalsozialismus nicht nur die Me­thoden der Machtergreifung und Macht­behauptung dem russischen Bolschewismus entlehnt hat, sondern daß er darüber hin­aus die eigentliche Weltgefahr repräsen­tiert.

Den bolschewistischen Staat bezeichnet Gurian   als ein bewußt primitives Gebilde, als einen Zwangs- und Gewaltapparat, der dazu dient, die in ihre Elemente aufgelöste Gesellschaft vor völligem Zerfall zu bewah­ren und zu verhindern, daß die stets dro­hende Anarchie offen ausbricht. Die Mög­lichkeit zur Aufrechterhaltung des Staa­tes schafft die straffe Parteiorganisation, die militärischen Gehorsam und militä­

Wie lange noch?

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Die Rechtsanschau­ungen gleichen sich auffallend: Recht ist, was dem herrschenden Regime nutzt, und Unrecht, was ihm schadet. Alle Zwangs­maßnahmen sind eigentlich nur Antwor­ten auf» Angriffe«. Terror und Ausnahme­zustand sind der Normalzustand beider Regime. Sie sind in ihrem ganzen Wesen Regime gegen Feinde. Das heißt, sie müs­sen stets gewärtig sein, gestürzt zu wer­den, wenn sie in der Machtkonzentration auch nur etwas nachlassen. Um sich an der Macht zu halten, werden alle Anders­denkenden eingeschüchtert und mundtot gemacht. Andererseits wird die Wider­standskraft der Gegner dadurch gelähmt, daß eine Oeffentlichkeit erzeugt wird, in der nur Begeisterung und Zustimmung erscheint. Hierbei ist die Staatsmaschi­nerie des Dritten Reiches   von Anfang an viel zuverlässiger als die des russischen Bolschewismus, da sie sich auf eine höhere technische und wirtschaftliche Entwicklung und auf traditionsgemäß gebundene natio­nal- konservative Elemente stützen kann.

Bei aller Ablehnung des Bolschewismus, wie des Nationalsozialismus, ist Gurian  dennoch geneigt, in der Sowjetunion   einen historisch fortschrittlichen Prozeß festzustellen, während er im Na­tionalsozialismus nur einen Rückfall in den nackten Machtstaat erblickt:

>> So paradox es ist: Beim marxistisch­russischen Bolschewismus zeigen sich bei näherer Untersuchung trotz seiner theo­retischen Unrichtigkeit und seiner prak­tisch sofort erkennbaren Grausamkeit In­halte, die noch aus einer an das Natur­recht, an die übersoziale Vernunft glau- d benden Welt stammen. Beim Nationalsozia- g lismus dagegen sind diese Inhalte völlig aufgelöst, bei ihm ist der Prozeß viel wei­ter fortgeschritten, der die weltanschau­lichen Inhalte zu Formeln werden läßt, um bestimmte politische und soziale Kräfte zu entfesseln, zu beschwören und zu lenken. Der Idealtypus bols chewisti­scher Weltanschauung ist also Nationalsozialismus  klarsten zu erkennen.«( S. 68.)

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Der Marxismus  , der den russischen Bolschewismus bestimmt, ist, nach Gu­ rian  , an ein bestimmtes politisch­soziales Programm gebunden. Er bewirkt auch, daß in der Sowjetunion   der Glaube an Vernunft und Fortschritt leben­dig ist. Dem Nationalsozialismus dagegen fehlt dieser Glaube. Die Vernunft wird überhaupt nicht mehr als solche aner­kannt. Ein politisch- soziales Programm mit bestimmten Inhalten ist nicht vor­handen. An die Stelle dieses Programms ist das sogenannte Führerprinzip getreten. Nationalsozialistische Weltanschauung ist der Glaube an den Führer Adolf Hitler  . Das Dasein seiner Macht schlechthin er­scheint als der Sinn der gesamten Existenz. Die Macht ist Selbstzweck. Der Antimar­xismus und Antibolschewismus sind Lockmittel für die besitzenden Schichten. » Der Antimarxismus dient der Entfesse­lung von Trieben, die dann von der natio­nalsozialistischen Organisation eingefangen und ständig für ihre Machtbehauptung und Machterweiterung benutzt werden.<<

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Mit eindringlichen Worten schildert Gu­

rische Disziplin auf das gesamte politische gleichzeitig als der wahre Volks- und Mas- sten alles von oben bestimmt wird und das rian die Gefahren, die daraus für die Volk dazu da ist, diesen Bestimmungen ganze Welt entstanden sind:» Im Namen und soziale Leben überträgt. Es gibt nur senstaat zu erscheinen. Zwischen diesem bolschewistischen Beifall zu spenden, so geschah es auch bei des Kampfes gegen den Marxismus, unter die kalte Zweckmäßigkeit der Machterhal­nur ganz offen, Berufung auf die in diesem Kampfe wie­tung und Machterweiterung. Alle Forde- Machtstaat und dem Staate Hitlers   besteht den Nationalsozialisten, rungen der Tradition, alle Gefühle der Hu- eine weitgehende Aehnlichkeit, die selbst ohne alle theoretisch- doktrinäre Schwie- dererwachten gesunden Instinkte entsteht das Dritte Reich des Nationalsozialismus. manität, alle Schranken des Rechts müs- von nationalsozialistischen Staatsrechtlern rigkeiten.<<( S. 51.) So bezeichnet Hitlers Gurian schildert im einzelnen, wie trotz Es entspricht in seiner Organisation durch­sen zurücktreten. Alles geschieht im Na- anerkannt wird. men der Masse und der Mobilisierung der Kronjurist, Professor Carl Schmitt  , der Verschiedenartigkeit der programma- aus dem bolschewistischen Sowjetstaate. Der in seiner grundlegenden Schrift» Staat, Be- tischen Zielsetzungen die Grundlinien Nur ist der Staat Hitlers   technisch un­Masse für die politischen Zwecke. Herrschaftsmethoden im endlich vollkommener als sein marxisti­einzelne wird nicht nur gezwungen, zu wegung, Volk« die Sowjetunion   ausdrück- der

allem, was das Regime tut, zu schweigen lich als den Staatstyp des 20. Jahrhun- nationalsozialistischen und bolschewisti- scher Bahnbrecher und Vorläufer.<< Zum

und dadurch den Anschein zu erwecken, derts, der im Gegensatz daß er sein Freund sei, er wird darüber des 19. Jahrhunderts stehe.

zum Staatstyp schen Staate die gleichen seien: Der Staat Unterschiede vom russischen Bolschewis­Ebenso wie ist Instrument der herrschenden Partei, mus, dessen Schwergewicht sich immer hinaus benützt, das Regime zu stärken. in der Sowjetunion   wird in Hitlerdeutsch- die diktatorisch regiert und den Anspruch mehr nach innen verschiebt, ist der Na­Die Fälschung der Oeffentlichkeit ist nicht land die Einheit von Volk, Staat und Be- auf die allein gültige Weltanschauung er- tionalsozialismus expansiv. Er verbin­nur eine Unterdrückung des Volkswillens; wegung durch die totale Macht einer allein- hebt. Was diese Weltanschauung sei, be- det seine Gewaltpolitik mit einem Volks­sie wird bewußt zu einer Stütze des Re- herrschenden Partei geschaffen. Gurian   stimmt jeweils die herrschende Partei. Eine und Rasseglauben, der die bisherige poli­gimes verwandt. Das absolutistische, nur weist auf die Unterschiede der russischen freie Oeffentlichkeit gibt es nicht. Presse, tische Ordnung Europas   zu

sprengen