Neuer Vormärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia", Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 174 SONNTAG, 11. Oktober 1986

Aus dem Inhalt:

Schacht in Verlegenheit

Hermann Wendel tot Braune Kolonialpläne

Neue Zuchthausurteile.

Der Volksgerichtshof spricht frei...

Die Geschichte eines Freispruchs- Ein Höllenweg Ein Höllenweg des Leidens

In Untersuchungshaft.

Am 25. September 1934 wurde in Zit-| aufgesetzte Protokoll, das seinen eigenen mußte ins Krankenhaus gebracht werden. sich um die Wohnung Neumanns kümmer­tau der Inhaber eines Vermittlungsbüros, Angaben in allen wesentlichen Punkten Die beiden Töchter Neumanns, Mädel im te. Die Miete blieb unbezahlt. Der Haus­Gerhard Neumann, verhaftet. widersprach. Die erlittenen Verletzungen Alter von 15 und 10 Jahren, waren nun wirt ebenfalls ein Nazi hatte ange­Die Gestapo begründete die Verhaftung waren so schwer, daß der Gefängniswärter völlig auf sich selbst angewiesen. Man gab sichts des schweren Schicksals der Fami­sofort zum mit der Behauptung, Neumann habe in Neumann Gefängnisarzt daraufhin beide Kinder in die Obhut eines lie keine andere Sorge, als zu seiner Miete Verbindung mit der Emigration Hoch- und brachte und ihn verbinden ließ. Der Kopf SA- Scharführers. Im Hause dieses SA- zu kommen. Er beantragte daher die Landesverrat betrieben. Am 28. Juli 1936, blieb wochenlang in Binden. Scharführers verkehrte ein zweiter SA - Pfändung des Hausrats. Auf den Scharführer namens Hebetanz. Vorschlag Neumanns, das Mobilar als Dieser Freund des» Vormunds< der beiden Sicherheit für die rückständige Miete zu Kinder verführte die noch nicht sech- betrachten, die Möbel aber der Familie zur zehnjährige Tochter Neumanns. Als dieser Benutzung zu überlassen, fand keine Gna­famose alte Kämpfer Adolf Hitlers so das de vor den Augen dieses Nationalsozia­Mädchen in seine Gewalt bekommen hatte, listen. Er setzte die Versteigerung erzwang er von ihr ein Geständnis der Möbel Neumanns durch, und die Eltern. Sie gestand«, daß ihr Vater in und Gut. einer Emigrantenversammlung gesprochen

also nach mehr als 22 Monaten Untersuchungshaft, sprach der Am 8. Oktober 1934 endete die» Schutz­zweite Senat des Volksgerichtshofes Ber­hafte und Neumann kam ins Liegnitzer lin den Angeklagten Neumann aus Mangel Untersuchungsgefängnis . Dort wurden zu­an Beweisen frei. Am 3. August 1936 Columbiahaus nächst Neumanns Kleidungsstücke gründ­wurde Neumann aus dem Berlin entlassen. Nach fast zweijähriger lichst untersucht. Sein Anzug wurde völ­Haft war Neumann wieder ein> freier lig aufgetrennt, die Sohlen und Absätze über die hochverräterische Tätigkeit seiner Familie Neumann verlor ihr letztes Hab

Mann<, und wenn ausländische Besucher wurden von den Stiefeln gerissen, um Be­den Machthabern des Dritten Reiches die weise für Neumanns Schuld zu finden. Da Gefängnis stark überfüllt war, wurden Hitlerdiktatur stellen, dann kann es pas­sieren, daß man den Fall Gerhard Neu- Anzug und Schuhe in den Gefängniswerk­mann als einen Beweis für das starke Ge- stätten wieder zusammengeflickt.

Frage nach den Rechtsverhältnissen in der es keine Gefängniskleidung gab, weil das habe, daß er illegale Flugblätter über die

Grenze gebracht habe und daß ihm seine Frau bei diesem Transport verbotener Die Schriften behilflich gewesen sei. Zuletzt

rechtigkeitsempfinden des Dritten Reiches Kosten für diese Reparatur wurden Neu- habe er seine Tochter sogar mit Schlägen

Der

Dieses Geständnis hatte zunächst zur Folge, daß die schwerkranke Frau Neu­mann aus dem Krankenhaus in Schutz­haft überführt wurde. Dort wurde sie unter Zuhilfenahme von Gummiknüppeln

präsentieren wird: Hier hat das höchste mann von den spärlichen Geldsendungen deutsche Gericht, der Volksgerichtshof , seiner Angehörigen in Beträgen von 25 gezwungen, ebenfalls illegales Material über die Grenze zu bringen. unter Wahrung aller Rechtsgarantien und 50 Rpf. abgezogen. Die Vernehmung vor dem Unter­einen Mann freigesprochen, der in dem schweren Verdacht des Hoch- und Landes- suchungsrichter verlief ergebnislos. Untersuchungsrichter warf Neumann verrates stand. In Wahrheit birgt die Geschichte die- Hoch- und Landesverrat vor. Er stützte ses Freispruches eine der entsetzlich- seine Anklage im wesentlichen auf brief­sten Tragödien, die sich in den drei liche Mitteilungen eines Spitzels, der Jahren der Hitlerdiktatur in dem großen behauptete, Neumanns Vermittlungsbüro Zuchthaus , Drittes Reich genannt, abge- sei in Wirklichkeit eine Zentrale für ille­Lehre für alle diejenigen der Oeffentlich- ten gewesen. Hinzu kamen> Geständnisse<< keit übergeben, die allzu leicht geneigt einiger anderer verhafteter Sozialdemokra­sind, an eine> Normalisierung des politi- ten über Zusammenkünfte und politische schen und rechtlichen Lebens in Hitler - Besprechungen im Ausland, an denen Neu­mann aktiv teilgenommen haben sollte. deutschland zu glauben. Der Untersuchungsrichter kündigte Neu­mann schließlich an, daß seine Aburtei­

Vor dem Volksgerichtshof . Endlich nach fast zweijähriger Haft kam es zur Verhandlung vordem Volksgerichtshof . In den sechs­

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tägigen Verhandlungen bot die Gestapo von der Schuld des Angeklagten Neumann alle Mittel auf, um den Volksgerichtshof zu überzeugen. Die älteste Tochter Neu­manns wurde veranlaßt, vor Gericht ge­gen ihren Vater auszusagen. Sie mußte dann auf eingehendes Befragen hin die besonderen Umstände des Zustandekom­mens ihres Geständnisses zugeben. Frau Neumann war auf Grund eines ärztlichen Gutachtens vom Volksgerichtshof vom persönlichen Erscheinen vor Gericht ent­

spielt hat. Wir wollen sie hier zur guten gale politische und militärische Nachrich. kraft des zweiten Auges stark geschwächt bunden worden. Die Gestapo konnte und

Die Verhaftung.

wollte aber auf die Anwesenheit dieser schwerkranken Frau angesichts ihres Mannes nicht verzichten. Sie ließ Frau

» vernommen. Die Miẞhandlungen waren so schwer, daß Frau Neumann auf einem Auge erblindete, während die Seh­wurde. In ihrer Not führte die Frau einen vierzehntägigen Hungerstreik durch, so daß sie nach einigen Monaten Schutz­haft so entkräftet war, daß sie fünfzig Neumann kurzerhand noch einmal durch Kilo ihres Gewichts verlor und statt 105 einen der Gestapo genehmen Arzt unter­nur noch 54 Kilo wog. In diesem Zustand erfolgte die erneute Ueberführung Frau Neumanns ins Krankenhaus. Auch hier

Gerhard Neumann lebte bis zum Tage lung durch den Volksgerichtshof erfolgen fand die Frau keine Ruhe und keine Ge­seiner Verhaftung in der kleinen sächsi- werde, da er nicht nur der Vorbereitung schen Stadt Zittau als Inhaber eines Ver- zum Hochverrat, sondern auch des Lan- sundung. Da die Kosten für die Kranken­Neumann stammt aus desverrates angeklagt sei. mittlungsbüros. einer alten sozialdemokratischen Familie, er selbst war seit seiner Jugend bis zum Hitlerumsturz Mitglied der Sozialdemokra­

schaften. Nach dem Hitlerumsturz

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Haus­

Vernichtung der Familie.

Aber auch mit diesem furchtbaren

Volks"-Gericht gegen Sozialdemokraten

Neue Zuchthausurteile

mann

Neumann einer neuen seelischen Tortur auszusetzen, war erreicht. Als Frau Neu­den Verhandlungssaal verlassen wollte, trat ein Gestapobeamter auf sie zu und nahm sie erneut in Schutzhaft. Sie wurde in Moabit eingeliefert. Freispruch.

suchen, und es wurde selbstverständlich die Vernehmungsfähigkeit der Frau fest­beamten und zwei Schwestern begleitet, gestellt. Im Auto, von einem Gestapo­wurde Frau Neumann nach Berlin ge­nicht bezahlt wurden, hausbehandlung schafft. Als Frau Neumann vor dem Volks­brachte man sie ins Marienstift, wo sie gerichtshof erschien, war sie nicht mehr unter ständiger Aufsicht der Gestapo stand. in der Lage, ihren Ehemann zu erkennen In der Zeit dieser Vernehmungen traf und ihre Personalien richtig anzugeben. Schlag: seine Schicksalsschlag riß die Leidenskette Neu- Sie verzichtete auf die Aussage, aber die tie und betätigte sich auch organisatorisch Neumann ein neuer und agitatorisch für Partei und Gewerk- Frau, vor ihrer Verheiratung tschecho- manns nicht ab. Nachdem Frau Neumann Absicht der Gestapo , den Angeklagten ver- slowakische Staatsbürgerin, erlitt infolge im Krankenhaus und die Kinder in der die Einrichtung eines der großen Aufregungen mehrere schwere Pflege des SA- Scharführers unterge­und bracht waren, gab es niemand mehr, der Vermittlungsbüros für sich und seine Nervenzusammenbrüche eine Familie Frau und zwei Töchter neue Existenz zu schaffen. Als Hitler zur Macht kam, hatte er die für sozialdemo­kratische Funktionäre üblichen suchungen und andere Aufmerksamkeiten Obwohl die Behauptungen der Anklage durch die SA über sich ergehen lassen gegen Gerhard Neumann in keinem Fall müssen, aber er blieb zunächst von der Verhaftung verschont. Aufgeschoben ist Am 25. September ist nach tagelangen| körperlichen Widerstandskraft gebracht durch die Beweisaufnahme bestätigt wer­nicht aufgehoben. Am 25. September 1934 Verhandlungen vor dem Berliner Volks- worden Gen. Löffler hat im den konnten, und obwohl der Sachverstän­wurde Gerhard Neumann unter dem Ver- gerichtshof ein Prozeß gegen Berliner Laufe der Voruntersuchung eine» Behand- dige des Kriegsministeriums die Frage, ob dacht, Verbindungen mit sozialdemokrati- Sozialdemokraten gegangen. lung« erfahren, die eine Ueberführung in Landesverrat vorliege, verneinte, beantrag­schen Emigranten unterhalten zu haben, Brutale Zuchthausstrafen einer Willkür- das Staatskrankenhaus notwendig machte. te der Oberreichsanwalt gegen Neumann verhaftet. Man hatte außerdem bei einem justiz bilden den Abschluß eines entsetz- Gen. Riedel ist Schwerkriegsbeschädig- eine Zuchthausstrafe von zwölf anderen, ebenfalls verhafteten Sozialdemo- lichen Martyriums der Angeklagten. ter, der im Verlauf des Prozesses monate- Jahren. kraten Neumanns Adresse gefunden. Unter der Anklage des Hochverrats lang wegen Haftunfähigkeit auf freien und Stellung unter Polizeiaufsicht. Der standen eine Reihe von Sozialdemokraten, Fuß gesetzt werden mußte. Trotzdem auch Volksgerichtshof folgte dem Antrag des dem Hitler- Umsturz gegen diese Sozialdemokraten jahrelange Oberreichsanwalts nicht und sprach Neu­Mit dem Tage der Verhaftung begann die teilweise mann mangels Beweisen frei. In ehrenamtliche Funktionen bekleidet hat- Zuchthausstrafen! der Leidensweg Neumanns. Die Rache der Gestapo . T Hirschberg nahm ihn die Kriminal- ten. Ihnen wurde zum Vorwurf gemacht, Doch kaum war der Freispruch verkin­polizei in Behandlung. Sie verlangte, Neu- noch nach dem Sommer 1933 an der Fort­det, begann ein neues Kapital der Tragö­mann solle die Behauptungen der Gestapo führung der verbotenen Parteiarbeit be­die Neumann. Als Neumann nach Schluß über seine angebliche hochverräterische teiligt gewesen zu sein. der Verhandlung sich eine Zigarette an­Tätigkeit durch ein Geständnis bestätigen. zünden wollte, machte ihn ein hinter ihm stehender Beamter höflich darauf auf­merksam, daß er nur mit seiner Erlaubnis rauchen dürfe. Er gestatte ihm das Rau­chen, aber er müsse ihm gleichzeitig mit­

Die Polizei prügelt.

vor

zu Ende

Es wurden verurteilt: Löffler 7 Jahre Zuchthaus Markwitz 6 Jahre Zuchthaus Oltersdorf 6 Jahre Zuchthaus Riedel 4 Jahre Zuchthaus Spieritz 42 Jahre Zuchthaus Hirschfeld 3 Jahre Zuchthaus Rackow 22 Jahre Zuchthaus Siebold 2 Jahre Zuchthaus .

Man hat die Angeklagten zum Teil also seit fast zwei Als Neumann sich weigerte, wurde er mit seit Dezember 1934 Ohrfeigen und Schlägen mit Gummiknüp- Jahren!- in Untersuchungshaft gehalten, peln bearbeitet. Neumann unterschrieb Fast alle wurden fürchterlich miẞhandelt, nicht. Daraufhin wurde die Prozedur am geschlagen, getreten und niedergeboxt, nächsten Tag mit verstärkten Prügeln mit um» Geständnisse« aus ihnen zu ent­dem Gummiknüppel ins Gesicht wieder- locken. Unter den jetzt Verurteilten be- Elscher und Pipow wurden zu je ein holt. Aus vielen Wunden blutend, unter- finden sich zwei Totkranke, die von den Jahr Zuchthaus verurteilt, der Angeklagte schrieb Neumann das von der Gestapo Gestapoleuten um den letzten Rest ihrer Gobschack freigesprochen.

Die Angeklagten Zischock i,

Dazu zwölf Jahre Ehrverlust

teilen, daß er erneut in Schutzhaft genommen sei. So kam der freigesprochene

Neumann als Schutzhäftling in seine Moa­