Nr. 174 BEILAGE UcunrHatnnflcfs 11. Oktober 1936 Hermann W emlel ZUI uGedädhtnis »Es lebe Deutschland ! Vive la France!» Deicht hat es Hermann Wendel dem Tod nicht gemacht, ihn zu holen. Mo­natelang setzte sich seine trotzige Lebens­kraft gegen ihn zur Wehr, bis endlich auch sie dem Allbezwinger erlag. Nun, da das längst Befürchtete geschehen ist, wird uns erst die ganze Größe des Ver­lustes klar, den das geistige Deutsch­ land durch den Hingang dieses Mannes erlitten hat. Hennann Wendel war Künstler, Kämpfer und Forscher in einer Person. Es ist schwer zu sagen, welcher von die­sen drei Charakteren in ihm überwog. Manchmal, wenn er sich wie ein Maul­wurf in eine historische oder literarhisto­rische Aufgabe vergrub, konnte man glauben, der Gelehrten trieb sei vorherr­schend. Hatte er das Problem erfaßt und ging er daran, dem Ergebnis Form zu geben, so schien er, von der Lust des <3:staltens ergriffen, ganz Künstler zu sein. Stieß er aber auf Widerstand, kam er an einen Feind, dann begann es in seiner Sprache zu funkeln und zu blitzen, und niemand konnte mehr daran zweifeln, daß der Kämpfer in ihm der stärkste war. Wendel hatte mehr als eine Liebe, aber er hatte nur einen Haß. Er liebte seine Partei, in deren Dienst er seine ersten Ritte in die Politik gemacht hatte. Er liebte die großen Könner der Weltlite­ratur, er liebte Süddeutschland , die Fran­ zosen und die Serben. Aber das einzige, was er aus tiefster Seele haßte, das war die wattierte Heldenbrust, wie sie im deut­ schen Norden zu Hause war, das blecherne Schnedderengdeng, den falschen Prunk und Pofel des anbefohlenen Patriotismus. Eben weil er eine echte Kraftnatur war und alles liebte, was kräftig und gerade gewachsen war, gab es für ihn kein Kom­promiß mit der geschwollenen Kraft­meierei und jener Sorte von Heldentum, die der Furcht vor dem Vorgesetzten ent­springt. In französischen Zeitungen ist zum Lobe des Verstorbenen gesagt wor­den, er, der in Metz geboren, habe fran­zösisches Blut in den Adern gehabt. Aber Wendeis Vorfahren stammten aus Inner­deutschland, und der Haß, mit dem er Dingen begegnete, die bei Ausländer nur Ekel und Gelächter erregen, ist deutsch . Mit 21 Jahren, im Jahre 1905, ist Wendel, der in Metz das Gymnasium be­sucht, in München Philosophie und Ge­schichte getrieben hatte, Redakteur der Sächsischen Arbeiterzeitung« in Dresden . Er durchläuft rasch die Redaktionen von Chemnitz und Leipzig , um sich dann 1908 nach Frankfurt a. M. zu begeben, das bis 1933 seine Heimat wird. Er ist in dieser Zeit ein junger Radikaler aus Mehrings Schule, als solchen sendet ihn im Jahre 1912 ein sächsischer Kreis in den Reichs­ tag . Hier gerät der 28jährige bald in die geistige Nähe des zehn Jahre älteren Ludwig Frank . Es war die Zeit, in der Frank an der Vorbereitung jener deutsch­französischen Parlamentarierkonferenzen arbeitete, die den Frieden zwischen den beiden Völkern sichern sollten- Für den jungen Wendel, der an der Grenze der beiden Kulturen aufgewachsen und von beiden durchdrungen war, konnte es keine schönere Aufgabe geben. Mit draufgän­gerischem Eifer wirft er sich auf die auswärtige Politik, und eines Tages ste er auf der Rednertribüne des Reichstags. um seine Jungfernrede zu halten. Sofort erweist er sich als ein Meister ge­sprochenen Wortes wie des gesehnebe- nen. Scharf fallen seine geschWfenen Sätze in den Saal, bis der Schloß wie eine Bombe hineindonnert; moe Deutschland !- Vive la France!« Die patriotischen Heldenväter auf der Rechten hatten von dem ganzen wenig bemerkt- Der Schluß weckte me. Hatte da nicht einer nicht und was hatte er ges gt. cchien Frankreich hochleben lassen? er aa eto» Kreuzw* stand. Der eine Weg führte in das Parla­ment, der andere in die Literatur. Wendel haßte den parlamentarischen Alltag mit seiner ungeistigen Betriebsamkeit; Sitzun­gen, in denen über hundert Nebensäch­lichkeiten geredet wurde und in denen kleine Leute ihre Eitelkeit spazieren führ­ten, ödeten ihn an. Und vor allem, er verabscheute Berlin . Die Redaktion des >Vorwärts« hätte Wendel, ihren glänzen­den Mitarbeiter, mit Stolz als ihr Mitglied begrüßt, aber keine Macht der Welt konnte ihn dazu überreden, nördlich der Mainlinie einen Arbeitsplatz zu über­nehmen. Nur in Frankfurt , so versicherte er immer wieder, könne er arbeiten. Oder in Paris . Inzwischen war der Krieg ausgebro­chen, und Wendel hatte sich in der Partei eindeutig auf die Seite derer gestellt, die die Landesverteidigung bejahten. Aber ein Chauvinist war er darum noch lange nicht geworden. Es ist vielmehr kenn­zeichnend für die Eigenwilligkedt seines Wesens, daß er sich gerade während des Krieges unter den> Landesfeinden« die zweite große Liebe seines Lebens holte. Das tapfere, ursprüngliche, bäuerlich- demokratische Serbenvolk gefiel ihm. Für die Kriegspropaganda waren die Serben Leute, die auch im Frieden Läuse hatten und die die meiste Zeit ihres Lebens da­mit verbrachten, einander die Hammel wegzustehlen. Wendel wurde der große Verteidiger dieser viel verleumdeten und zu Unrecht mißachteten Nation. Er er­lernte ihre Sprache, versenkte sich in ihre Geschichte und Kultur und ließ kaum ein Jahr vergehen, ohne eine Reise zu ihr zu machen. Das Ergebnis legte er in einer Reihe von Schriften nieder, die Wichtiges dazu beitrugen, die zerrissenen Verbin­dungen nach dem Südosten wieder herzu­stellen. Als Adolf Köster , der ausge­zeichnete Schriftsteller und Diplomat, den deutschen Gesandtenposten in Belgrad übernahm, fand er die Hälfte seiner Ar­beit schon getan. Die Leute, die heute von Berlin in Geschäften nach Jugosla­ wien reisen, werden dort überall auf die Spur zweier Sozialdemokraten stoßen, die ehrlich für die Verständigung der beiden Völker gewirkt haben: Adolf Köster und Hermann Wendel . Die französische und die jugoslawische Presse hat dem deutschen Schriftsteller Hermann Wendel bei seinem Tode hohe Ehren erwiesen, die deutsche , soweit sie sich in der Reichweite Hitlers befindet, hat geschwiegen. Nirgends in reichsdeut- deutschen Zeitungen konnte man lesen, daß ein glänzender Schriftsteller, ein Mei­ster der deutschen Sprache gestorben war. Man hat in Deutschland selbst in guten Zeiten weniger als in anderen Län­dern verstanden, was ein Mann für ein Volk bedeutet, der seine Sprache gut zu schreiben versteht. Es ist darum vom heutigen Deutschland erst recht kein Ver­ständnis dafür zu erwarten, daß eine Seite aus einem Buch Wendeis oder ein Artikel von ihm in höherem Sinne natio­nales Besitztum sind als sämtliche ge­bundene Jahrgänge des»Völkischen Be­obachters«. Wendel war ein fruchtbarer Schrift­steller. Neben seinen Schriften über Jugoslawien verzeichnen wir seine Ge­schichte der Stadt Frankfurt , seine Bebel- Biographic, die»Französischen Men­schen«, den»Danton «, das Buch über Heinrich Heine , die wundervollen Jugend­erinnerungen. Dazwischen her laufen un­gezählte Aufsätze des fleißigen Journa­listen in den verschiedensten Zeitungen der Welt. Liest man eine Schrift Wendeis, so scheint alles mit spielerischer Leichtig­keit hingeworfen. Wer Wendel näher kannte, weiß aber, daß er schwer gear­beitet hat. Vor journalistischer Oberfläch­lichkeit bewahrte ihm das Gewissen de« Forschers. Erst wenn er den Stoff gründ­lich durchgearbeitet und sich mit Wissen über seinen Gegenstand bis zum Bersten vollgeladen hatte, fiel ihm das Gestalten leicht. Das Tempo der Arbeit wurde auch nicht durch den Umstand beschleunigt, daß es zumal in der Zeit des Exils um das tägliche Brot ging. Von der Tagespolitik hatte er schon lange vor dem nationalsozialistischen Um­sturz Abschied genommen, und die Gnade der Sieger hätte ihm darum vielleicht auch ein weiteres Verweilen in seinem Vaterlande gestattet, wenn er nur selber gewollt hätte. Aber er ging. Er fühlte, daß in diesem Deutschland für ihn kein Platz war. Dennoch, es wird einmal ein anderes Deutschland kommen, das ein Denkmal errichten wird, auf dem die Worte zu lesen sein werden: Hermann Wendel , geboren 2. 3. 1884 zu Metz , gestorben 2. 10. 1936 zu Paris . »Es lebe Deutschland ! Vive la France!« F. St, Budierfolg im Dritten Heidt Duff Cooper, des englischen Kriegs­ministers»Talleyrand « hat in Deutschland einen Riesenerfolg. Ein Kriegsminister, der statt mit dem Säbel zu rasseln und»Sieg­heil« zu schreien, geistvolle Bücher schreibt, ist ja an sich schon eine Sensation. Erst recht muß der Stoff, den er sich gewühlt hat, auf reichsdeutsche Leser eine magne­tische Anziehungskraft ausüben denn welche historische Erscheinung wäre der beutigen Zeit näher als jener Charles Mau­rice von Talleyrand, der der absoluten Mon­archie, dem konstitutionellen Königtum, der Republik , dem Direktorium, Kaiser Napoleon . dann wieder den Bourbonen und schließlich den Orleans Treueide am laufenden Band lei­stete, unter sieben verschiedenen Systemen Karriere machte, Geld nahm, wo er es'bekam und schließlich hoch betagt als berühmter Staatsmann starb. Dieses Buch liest sich nicht nur»wie ein Roman«, sondern wie ein Roman unserer Zeit, ja manchmal sogar wie ein Zukunfts­roman mit tröstlichen Aspekten. Wäre es von einem Deutschen geschrieben, so würde man in jedem Satz eine Anspielung vermu­ten, mancher trifft die heutigen Machthaber wie ein Peitschenhieb ins Gesicht. Kein Wun­der, daß das Buch mit Heißhunger ver­schlungen wird! Wenn man da zum Beispiel das Wort eines Spötters liest, Talleyrand habe wohl­getan, seine Seele zu verkaufen, denn er habe für Dreck Gold bekommen wer würde da nicht an den Staatssekretär Dr. Otto Meißner denken? Oder, wenn ein Wort Talleyrands selbst zitiert wird, daß das Verbrechen das Hilfsmittel politischer Tröpfe sei wer sähe da nicht G 6- r i n g und den brennenden Reichstag hin­ter ihm? Oder gar, wenn einmal ge­schildert wird, wie Napoleon in einem Wutanfall mit den Fäusten auf Talleyrand losgebt, ihn ein Stück Mist in Seidenstrümp­fen und einen Krüppel schimpft welcher Deutsche könnte das lesen, ohne daß sich ihm flugs der Korse in einen Braunauer , der lahme Abbd in einen hinkenden Journalisten wrwandelte, wobei er freilich alsbald beden­ken wird, daß Hitler von einem Napoleon i nichts hat als die schlechten Manieren, Duff Cooper : Talleyrand Göbhels von einem Talleyrand nichts als den Klumpfuß! Die Pariser Gestapo glaubt, daß der Herzog von Enghien mit den Roya- listen komplottiert; ein Rollkommando hebt Ihn in Baden aus, schleppt ihn über die Grenze, und er wird kriegsgerichtlich umge­legt.»Damals«, schreibt Duff Cooper ,»über­nahm Napoleon allein die volle Verantwor­tung für die Tat, Es wäre ihm übrigens auch nichts anderes übrig geblieben. Ein Diktator kann nicht andere tadeln für das, was In seinem Namen geschieht, es sei denn, er bestraft sie auch dafür. Auch kann er niemals zugeben, daß er sich geirrt hat.« Ueberhaupt: die Autokratie:»Es ist einer der schwersten Fehler der Autokratie, daß sie keinen Raum für eine gesetzmäßige Op­position läßt... Offene Opposition ist Em­pörung, heimliche wird zum Hochverrat, und doch kann es Voraussetzungen geben, durch die ein solcher Landesverrat zur Pflicht eines vaterlandliebenden Mannes wird.« Das darf in Deutschland gedruckt wer­den, wenn es in einem dicken Buch steht und einen englischen Kriegsminister zum Verfasser hat. Selbst der heUigen Dolchstoß­ legende darf es mit ein paar entschei­denden Stößen zuleibe gehen;»Für das Wort Niederlage ist in der Weltanschauung des Chauvinismus kein Platz. Wenn auch das Wort Chauvinismus in den Tagen des ersten Napoleon noch nicht geprägt war, so war es doch dem Geiste nach schon damals leben­dig, und den von diesem Geiste Besessenen war es nur recht und billig, daß ganz Europa der französischen Nation als Füßschemel zu dienen habe. Nun, da die Welle des Sieges Frankreich nicht mehr trug, gab es für Pa­trioten dieses Schlages dafür nur eine Erklä­rung: Verrat und da ein Politiker von so fragwürdiger Vergangenheit wie Talleyrand den Frieden unterzeichnet hatte, war es kei­neswegs unnatürlich, daß man ihn verdäch­tigte, sein Vaterland verkauft zu haben. Der kriegshetzerische Nationalist ist immer der erste, der seine Landsleute als Verräter schmäht.« Napoleon ist geschlagen: eine neue Kam­mer wird gewählt Talleyrand hofft auf einen Erfolg der Gemäßigten.»Statt dessen gelang es den Royallsten, das ganze Land zu überrennen. Bonapartist en, Republikaner und Jakobiner waren ganz einfach ausgetilgt.« Dieses hundertprozentig gleichgeschaltete Parlament verwandelt sich nachher in die »chambre introuvable«, die»unauffindbare«, weil niemals tagende Kammer eine wür­dige Vorgängerin des unauffindbaren Reichs­tags. Mit Waterloo schließt das Abenteuer der hundert Tage, die siegenden Fürsten halten Ihren Einzug in die Pariser Oper, vom fran­ zösischen Publikum so stark war das Ge­fühl der Befreiung mit Händeklatschen begrüßt. Kurz zuvor freilich hatte es noch ausgesehen, als ob die nun endgültig sieg­reiche Restauration ebenso ausgetilgt wäre, wie bald darauf bei den Wahlen der Bona­partismus. Hat Duff Cooper den Deutschen eine Lek­tion In Geschichte erteüen wollen? Vielleicht sicher aber gilt sein pädagogischer Eifer mehr den Franzosen und noch mehr den Engländern. Als Anhänger eines engen englisch -französischen Bündnisses sieht er In Talleyrand seinen Vorläufer. Trat doch auch Talleyrand mit großer Konsequenz für ein solches Bündnis ein und mit der sehr modern klingenden Begründung, England und Frank­ reich gehörten als Länder, in denen die öf­fentliche Meinung entscheidend sei, gegen­über der Autokratien Preußen, Oesterreich und Rußland zusammen. Aehnliche Ansich­ten vertritt heute auch der englische Kriegs­minister, wie jeder weiß, der sich seiner auf-, sehenerregenden Pariser Rede erinnert. Gleichviel, für den Deutschen bleibt sein Werk ein Buch der Anklage, aber auch der trösthehen Verheißung. Wer könnte unbe-. wegt bleiben, wenn er die hinreißend große Szene liest, in der Talleyrand die Presse­freiheit verteidigt. Man hört ihn sprechen: die Freiheit der Presse sei eine Forderung der Zeit und jede Regierung gefährde Ihren Bestand, wenn sie sich eigensinnig weigere, das zu gewähren, was die Zeit von ihr for­dere.»Ich kenne jemanden, der klüger Ist als Voltaire, klüger als irgend ein Mini»ti»r der Gegenwart und der Zukunft; dieser Je­mand ist Jedermann. Sich in