Nr. 175 BEILAGE HcütfUacmfltfe 18. Oktober 1936 Yom Hitler-Christentuaii Professor D. Dr. Fri� Lieb:»Christ und Antidirist im Dritten Reich  «< Paris   1936 Dem Versuch Hitlers   in bezug auf seine Bio- und Historiographie Uber   den eigenen Schatten zu springen, muß begegnet wer­den; es ist das die wichtigste und vorzüg­lichste Aufgabe jenes anderen Deutachland, das, in die Fremde getrieben, das bessere Idealbild vom Vaterland im Herzen trägt. Es gilt aber auch für den zeitgenössischen antifaschisüschen Schriftsteller-Ankläger, der kommenden Geschichtsschreibung über das Di itte Reich über die lähmende und fäl­schende Wirkung der Tatsache hinwegzu­helfen. daß die permanente Exaltation unserer Zeit, gepeitscht von Explosionen und Krämp­fen, von»Siegent,»Durchbrüchenc und »Errungenschaften«, allzu leicht in die per­manente Apathie und Vergeßlichkeit um­schlägt; was gestern noch die Sensation schlechthin war. ist morgen schon in die Rumpelkammer des Gedächtnis der Zeit ge­worfen. Beiden Aufgaben der antifaschisti­schen, zeitgenössischen Kampfliteratur dient das Buch des ehemaligen Bonner   Theologie- Professors D. Dr. Fritz Lieb  :»Christ und Antichrist im Dritten Reich  « dieser Tage im Verlag Du Carrefour   Paris  (227 S.) er­schienen. Es handelt vom sogenannten brau­nen»Kulturkampf«, vom»Pfarrerkrieg« in Deutschland  , von der Notwehr der protestan- tischen Evangeliumsgläubigen(der»Be­kenntniskirche«) gegen die Macht- und Un­terdrückungsansprüche des Hitlersystems im Metaphysischen ebenso wie in den weniger hohen Zonen des Kirchenverwaltungsrechts. Das Buch ist keine vollendete und exakte Geschichtsschreibung dieses fast vierjährigen Ringens mit abgeschlossenen Wertungen und herausgefeilten Perspektiven. Wer könnte sie auch bieten in einer Zeit, die noch nicht die Möglichkeit hatte, die notwendige Dli- stanz zu den Dingen zu gewinnen und weiter erfüllt ist von dem Lärm, den die Entladun­gen der entfesselten Kräfte täglich noch ver­ursachen? Aber das Liebsche Buch ist eine wichtige, für den künftigen Historikar schlechterdings unentbehrliche Dokumen­tensammlung, zuverlässig in seiner natürlich nur relativ möglichen Vollstän­digkeit, unzweideutig und erfrischend klar unter dem Leitmotiv echt kämpferischer Anti-Hitler-Gesinnung. Die»Bekenntniskirche« hat keinen poli­tischen Kampf durchfechten wollen. Wenig­stens bis vor ganz kurzer Zeit ging es im Krieg, der Pastoren nicht um die allgemein- ''It'g'm sittlichen Ideale, um die die Men- u id die Völker Blut- und Gutsopfer zu '-v-gen bereit sind: weder um die Freiheit in i den Rechtsstaat schlechthin, weder um oen Haß gegen PolizeiwlllkUr, weder um den Pretest des Waffenlosen gegen den, der sich das Mordwerkzeug angeschafft hat. So ist denn auch Liebs Buch von presbyterialer Zu­ständigkeit weit mehr die Rede, als von der Schande des Kazetts, von kircbenrechtllcher Verfassungsknifflichkeit sehr viel mehr als von dem allgemeinen Moratorium des Rechts, aber auch des praktischen Christentums in Hitlerdeutschland. Schon die dem Laien be­fremdliche Nomenklatur der kirchlichen Ver­waltungswelt ist spröde und steif. Auch da, wo ein Charakter schon hin und wieder durchbricht, klappen bald wieder die Akten, staubwolkenerregend, über dem Phänomen zusammen und ersticken es. Nur vereinzelt sind die reinen Politica in Liebs Buch ver­streut, es sei denn, daß man das tapfere Werk selbst nicht als eine sogar recht wich­tiges Pollticum ansehen soll; wo man sie allerdings antrifft, sprechen sie die allerbe- redteste Sprache über den wahren Befund der Diktatur! Wie vieles davon ist längst wieder vergessen worden; und der künftige Historiker dankt es dem Bonner   Theologen aus dem berühmten Kreis um den untadeli­gen Karl Barth   beide waAn übrigens Mit­glieder der Sozialdemokratie und sie haben die Folgerung aus dieser ihrer Gesinnung durch die Zuflucht im Exil gezogen daß der Tatbestand der Hitlerel. der sachliche und vor allem auch der menschliche, wenig­stens in diesem kirchlichen Sektor des all­gemeinen Geschehens der kommenden Aus­wertung und Abrechnung erhalten blieb und bleibt. Wahllos einige Stichproben dieser Politica! Da ist der Herr Oberpräsident von Hit­lers Gnaden a. D., Pg- K u b e! Gewiß, heute weiß man, daß ihn wegen ganz schlimmer Korruption sogar der»Führer« fallen lassen mußte; der hohen Aemter ist er auf jeden Fall seit einiger Zeit entkleidet. Aber wer weiß eigentlich noch, daß derselbe Herr K u b e es war, der am 6. Juni 1932 die »Glaubensbewegung Deutsche Christen  «, als SA Jesu Christi vorgesehen, in Berlin   ins Leben rief? Dieser Wilhelm Kube   ist an seinem höchst schmutzigen persönlichen Lebenswandel und er säße noch heute im hoben Staatsamt, wenn ihn nicht seine ge­schiedene Frau bei Hitler   verpetzt hätte schließlich gescheitert. Aber wie trefflich charakterisiert sich ein System mit solcher »Auslese der Tüchtigen« selbst, wenn dieses selbe Subjekt noch am 14. Juni 1935 als Autor mit oberpräsidialer Würde im »Märkischen Adler« folgenden Artikel schrei­ben durfte:»Ich möchte aus der Heiligen Schrift der Juden, deren Lektüre ich nur jedem Nationalsozialisten empfehlen kann, drei Beispiele für dieses vorbildliche jüdische drastischeres Politicum, entschieden aber auch noch mit Kriminalität gemischt, ist die schon so gut wie völlig im Zeittrubel unter­gegangene Affäre B e y e. Der Pg. Beye wurde mit einunddreißig stattlichen Lenzen seines Lebensalters Landesbischof von Braunschweig   im Namen des »Führers«. Er unterschlug schon nach Wochen Koliektengelder en masse, wo er sie kriegen konnte. Betrugsprozesse also am Braunschweiger   Landgericht, freilich alles so im Flüsterton, wie es die Rücksicht auf den»nationalsozialistischen Staat« in so heiklem Falle der würdigen Justitia   gebietet! Man sprach also den hoffnungsvollen Hie­rarchen»wegen mangels an Beweisen« frei und zwar, immer nach dem Urteil,»mit Rücksicht auf seine Persönlichkeit«, ohne ihn freilich»als unschuldig anzusehen«... Nur ein hitlerdeutsches Gericht ist solcher Akro­batik fähig. Oder wem dämmerts noch, daß einmal der Herr Bierschwale, den der Bischof Der Krebssdiaden Familienleben in Erinnerung bringen: 1. Die Tatsache, daß der Jude Lot mit seinen Töchtern Kinder zeugte: 2. Das Verhalten des einen Sohnes Noahs, als sein alter Herr(!) voll des süßen Weines war. 3. Die Vergewaltigung einer Tochter des sau­beren Königs David; des»Sängers des Herrn«, durch ihren sauberen Bruder. Diese Ehrenliste ließe sich... usw. usw.« Dieser Kube ist als Erwachsener noch ein Tertia-Flegel. Wie soll man es anders aus­drücken?! Jetzt ist das im Dritten Reich  auch amtlich bestätigt. Aber damals? Noch vor einem halben Jahr? Oder wer weiß noch etwas davon, welche Figur einmal Herr Oberheid  , der von den Nazis bestimmte Bischof von Köln- Aachen, war? Seine Herr­lichkeit er war zugleich einmal eine Zeit lang»Chef des Stabes beim Reichs- b i s c h o f« und ließ das erst auf dringlich­ste Vorstellungen Gesinnungsverwandter hin fallen, um sich dann schlichter»Vikar des Reib!« zu titulieren dauerte genau vom 5. Oktober 1933 bis zum 15. Juni 1934. Herr Oberheid   hatte vor dem Krieg einmal ein paar Semester Theologie studiert, dann aber bei Kriegsausbruch das Moratorium der Bergpredigt auch persönlich wahrgenommen und sich später als FTeikorpsmann betätigt. Zuletzt landete er im Ramschladen des In­flationsgiganten Stinnes als eine Art Syndi­kus. Als er dann nach dessen Pleite das Theologiestudium wieder aufgenommen hatte, bestand er das erste Examen nur mit frem­der Hilfe: beim schwierigeren zweiten fiel er durch; und erst nach der»Machtergrei­fung«(mittlerweile war das Herrchen alter Kämpfer und protektionsempfangsberechtigt geworden) konnte diese kuriose Vorberei­tung auf den geistlichen Beruf erfolg- und siegreich von ihm beendet werden. Der Kir­chenpräses von Mülheim an der Ruhr   und der dortige Ortspfarrer haben ihm einmal öffentlich bestätigt, daß er als»Schürzen­jäger und Trinker« in der Gemeinde den übelsten Leumund gehabt habe... Ein noch Hoßenfelder von Brandenburg   zu seinem »Relchskulturwart« im von ihm geführten Bunde»Deutscher Christen« gemacht hatte ein ehemaliger Häusermakler, der das Vermögen seiner Frau in Höhe von 120.000 Mark versoffen hatte piff-paff»beur­laubt« werden mußte, weil er in Wechsel- fälschungen aus seiner»Reicbskulturwart«- Beschäftigung verstrickt war? Wer erinnert sich noch des Verlagsleiter der»Deutschen Christen  «, des Pg. Grevemeyer, der sei­nen Drucker um 20.000 Mark betrog. Streiflichter, wenn auch nur spärliche, fallen in Liebs Dokumentensammlung auf das Nebeneinander des»anderen«, des stum­men ynd des besseren Deutschland   unter dem Bleigewicht der Diktatur und in der Stickluft des Gestapo  -Staates. Da stehen eines Tages vor dem Schweriner   Sonderge- richt sieben angesehene Geistliche, ein Dom- predlger unter ihnen, wegen»Herabwürdi­gung des nationalsozialistischen Staates«. Ihr Verbrechen ist, daß sie für die Hitler  - oppositionelle Bewegung»Evangelium und Kirche  « von der Kanzel und in Flugschriften sich eingesetzt haben gegen die Nazi-Or­ganisation, die bereits die Kirche okkupiert hatte. Einem der Angeklagten, dem Pfarrer Holtz, wirft der Staatsanwalt vor. daß»er sich für die Gewerkschaften in­teressiert habe«... Was hatte der arme Pastor verbrochen? In einem Rund­schrelben hatte er geäußert, durch die ge­waltsame Zerschlagung der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie seien viele Men­schen innerlich heimatlos geworden, die auf ein Wort des Pfarrers heute zu hören bereit seien; er(Holtz) meine, daß die Kirche den Dienst des Evangeliums- grade an diesen Menschen nicht vernachlässigen dürfe. Dar­auf in seiner Schlußrede der Staatsanwalt: »Hah, es bestehen da also Zusammenhänge! Die Kräfte, die Deutschland   gestürzt haben, sind auch heute an der Arbeit und suchen die Werkzeuge. Die internationalen Mächte wollen Geschäfte machen!« Bums! Sechs] Monate Gefängnis für den Pfarrer; den Lei­densgefährten ergeht es kaum besser. Wie dumm und wie gemein enthüllt hier Hitlers  Werk seinen im Grunde neurasthenischen und epileptischen Grundzug! In irgend einem Zusammenhang zitiert Lieb das starke Wort, das irgendwo in Deutschland   in einer Abwehrversammlung bedrängter Bekenntnis-Pfarrer fiel:»man müsse in dieser Zeit auf Christas mehr hören, als auf die Ehe­frau...« Professor Lieb ist wohl mit uns einer Meinung, wenn wir sagen: diese tragische Diskrepanz zwischen Ideal und Glück, zwischen Mann und pater familias, zwischen Leben und Wohlbehagen spukt wahrhaftig nicht nur hinter den Gardi­nen von sauberen Pfarrhäusern! Sind es nicht mindestens ebenso viele Tausende von »Marxisten« als es Hunderte von tapferen protestantischen Geistlichen gibt, die neben­her auch noch Väter, auch noch Gatten, auch noch Freunde und Nachbarn sind? Müssen sie nicht meist sogar unter viel schwereren Umständen ebenso wählen zwischen »Christus« und der»Ehefrau?« Flir die lei­denden Pfarrer rührt sich das Gewissen eines ganzen Oekumenischen Konzils wer er­hebt für jene die autoritative, die anerkannte, die»honorige« Stimme des Mitgefühls und des Rechts?! Bitter, darüber nachzudenken! Freilich, nur für uns bitter. Flir die an­deren 7 Schimpflich! F. E. Roth. Prügelphilosophie »Differenzierte tierhafte Ueberlegenheit« und»handgreifliche Ordnung«. Wilhelm Stapel  , Reklamechef der Hansea­tischen Verlagsanstalt, Hamburg  , schreibt im »Volkstum«, Monatsschrift für deutsches Geistesleben, Seite 202/203, wörtlich: »Ernste Schlußfolgerung: im heidnischen Bauernadel Islands wie im christlichen Ritteradel Deutschlands  , die beide, wenn auch nicht reinrassig, so doch sauber geordnet waren, galt Prügel­strafe gleichermaßen als ehrenrührig und unziemlich. In den arischen und semitischen Erziehungsliistituten des städtischen, rassisch sehr gemischten Mittelmeerpublikums kam man nicht ohne Prügelstrafe aus. Zweite Schlußfolgerung: Die dritte Schul­klasse der Bezirksschule 937 in Berlin   O ist nicht auf dieselbe biologische und soziologi­sche Ebene zu stellen mit den drei bis zehn Kindern einer vornehmen Bauern- und Wik- kingerfamllie auf lalarri oder eines ritter­lichen Burgherren im mittelalterlichen Deutschland  . Asoziale Rüpel und edle Wildfänge, das ist zweierlei. In einer rassisch schwer gemisch­ten und ungeordneten Kinde r- schar ziehen die Kinder ohne Ehrgefühl einen gemeinen Vor­teil daraus, wenn sie den Kin­dern mit Ehrgefühl gleich behan­delt werden. Drittens: Ein fünfund- zwanzigjährlger Vater, eine 22jährige Mut­ter sind ja eigentlich. selbst noch Kinder. Sie prügeln nicht Ihre Kinder, sondern sie prügeln sich mit ihren Kindern. Da ist das»Prügeln« keine»Strafe«, sondern eine naive Tem­peramentsäußerung einer in ge­legentlichem Zorn entbrannten Seele. Ich finde das ganz lustig. Feiner ist es freilich, nicht zu prügeln. Wohl­erzogene und edle Elitern(und Lehrer) wer­den»sich nicht gehen lassen«. Aber wehe den Kindern, deren Eltern und Lehrer so wohlerzogen sind, daß sie sich kein Gewitter mit Blitz und don­nerndem Einschlag erlauben, dafür aber die Luft ungereinigt lassen und die Kinder mit einer Atmosphäre peini­gen, die dauernd mit pädagogischer Elektrizität überladen ist... Viertens:... Es gibt aber verdor­benem Blut gegenüber Fälle, in denen nur die physische, die geradezu tierhafte Ueberlegenheit des Stärkeren, der Ordnung statuiert, die Ordnung hand­greiflich herstellen kann. Auch im hochentwickelten, differen- zlertestera Menschentum kön­nen zuweilen primitive Lebens­nötigungen aus der Juraforma­tion oder der mittleren Eiszeit