Hr. 176 SOHHT4G.25. Oktober 1936

60S!aldgmfllraKfd)gg Verlag ; Karlsbad , HausGraphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Aus dem Inhalt; Schacht lustlos Belgien kein Meisterstück Das Hakenkreuz in Madrid Lohn- und Preisalann

Wird Danzifi preisseseben? Freie Hand für Hitler Im Osten Neue Katastrophe des Völkerbundes?

Die Auflösung der Danziger Sozialde­mokratischen Partei durch die Polizei­organe des nationalsozialistischen Senats bedeutet den entscheidenden Schlag des Hitler-Faschismus gegen die vom Völker­bund garantierte Verfassung der Freien Stadt Danzig , sie ist zugleich der entschei­dende Schlag, den der Nationalsozialismus gegen die letzten Kräfte führt, die trotz allen Schwierigkeiten in der Lage waren, auf einem ehemals reichsdeutschen Gebiet den Kampf gegen die Entrechtung des deutschen Volkes legal zu führen. Das Verbot der Danziger Sozialdemokratie ist als Faktum der internationalen Politik, ebenso wie im Rahmen des Schicksals der deutschen Nation von gleich großer Be­deutung. Sollte der Nationalsozialismus mit den Mitteln des Rechtsbruches auch in Danzig endgültig den Sieg davontragen, und das muß nach Lage der Dinge be­fürchtet werden so heißt das nicht nur, daß der Völkerbund die den 400.000 Dan- zigern feierlich verbürgten Rechte preis­gibt und die Mehrheit der Bevölkerung der Freien Stadt dem braunen Terror Uberant­wortet, sondern auch, daß die Welt aber­mals der Zerreißung internationaler Ver­träge durch das Dritte Reich tatenlos zu­sieht, und vor einer einseitig herbeige­führten Aenderung der Machtverhältnisse in Osteuropa widerstandslos zurückweicht. Das Verbot der Sozialdemokratie Das Verbot der Danziger Sozialdemo­kratie geht in seiner Wirkung für Danzig weit über die Lahmlegung einer einzigen Oppositionspartei hinaus, es dürfte in sei­nem Ergebnis auch das Ende der übrigen nichtnationalsoziali­stischen Gruppen und Organi­sationen in sich schließen. Obwohl der Wortlaut der Polizeiverfügung nur von einer Auflösung der Sozialdemokratie und ihrer Nebenorganisationen spricht, hat die Polizei auch alle anderen, von der Partei Unabhängig und selbständig verwalteten Arbeiterorganisationen aufgelöst: die Ar­beitersportler, die Arbeiter­sänger und alle übrigen Arbeiter- Kulturorganisationen, ja selbst die Freie Volksbühne. Die freien Gewerkschaften, der Allgemeine Arbeiter­verband, sind schon im November vorigen Jahres mit der Begründung polizeilich aufgelöst worden, daß sie sich nicht nur gewerkschaftlich, sondern auch politisch betätigt hätten! Bemerkenswert ist dabei, daß man auch nicht vor dem Verbot des Danziger Arbeiter-Tum- und Sportverban­des halt gemacht hat, obwohl es sich bei ihm um eine Bezirksorganisa­tion des Polnischen Arbeiter- Turn- und Sportverbandes han­delt Darüber hinaus aber muß die Un­terdrückung des ganzen sozialistischen Sektors der verfassungstreuen Opposition auf die mit ihm Schulter an Schulter kämpfenden Organisationen des Zen­trums und der Deutschnationa- 1 e n eine lähmende Wirkung haben. Durch sie wird die Opposition nicht nur ihrer stärksten, aktivsten und leistungsfähig­sten Gruppe, sondern auch ihrer weltan­schaulich gefestigten Stütze und ihrer po­litischen Führung beraubt. Diese Tatsache ist im Bewußtsein der Danziger Bevölke­rung tief verwurzelt, die Vernichtung der sozialistischen Organisationen wird des­halb von ihr symptomatisch für das Schicksal des Kampfes aller Nichtnatio- nalsozialisten gewertet, ganz abgesehen davon, daß selbstverständlich in Kürze

auch die polizeiliche Auflösung der beiden anderen Parteien zu erwarten ist. Die Bedrohung der bürgerlidien Parteien Man darf nicht glauben, daß die Nazi- Polizei keinen Vorwand für eine solche Maßnahme gegen die beiden bürgerlichen Gruppen finden wird: Vielleicht wird man beim Zentrum Sowjet-Rubel»finden« und bei den Deutschnationalen irgend einen von ihnen zugunsten Polens begangenen Landesverrat»aufdecken«. Die Vorwände können gar nicht abenteuerlich genug gewählt werden. Ausgerechnet im Sekre­tariat der Sozialdemokratischen Partei, in den Geschäftsräumen der»Danziger Volksstimme« und in den Wohnungen von Mitgliedern des Landes Vorstandes der Par­tei, darunter bei dem Parteivorsitzenden (!), fand man Revolver, Sprengstoff, Eierhandgranaten, Maschinenpistolen: also an Stellen, an denen hätten die Sozial­demokraten überhaupt Waffen besessen nur ausgemachte Dummköpfe sie aufbe­wahrt hätten; dazu in Räumlichkeiten, in denen noch in den allerletzten Tagen vor den angeblichen Waffenfunden eingehende polizeiliche Durchsuchungen ergebnislos vorgenommen worden waren. Nicht weni­ger unglaubwürdig sind die Waffenfunde, die man bei einer Reihe von Arbeitersport­lern gemacht hat, um zu begründen, daß eine ihrer Unterorganisationen, die soge­nannte SSS(Sozialistische Sport-Staffel), die ihre Tätigkeit seit 2% Jahren unter

den Augen der Polizei durchgeführt hat, und deren Schwesterorganisationen in ganz Polen in der gleichen Weise arbeiten, eine Fortsetzung des 1931 polizeilich auf­gelösten Arbeiterschutzbundes darstelle. Die Entstehung der Hazi-Diktatur Die Jahreszahl 1931, die auch in der polizeilichen Auflösungsverfügung gegen die Partei genannt wird, weist übrigens auf die lange Leidensgeschichte der Dan­ziger Sozialdemokratie, aber auch auf ihren unbeugsamen Kampfeswillen und ihre zähe Widerstandskraft hin, ohne die der schwere opfervolle Kampf, den sie sechs Jahre lang gegen eine sich ständig steigernde Unterdrückung geführt hat, undenkbar gewesen wäre. Nicht erst seit 1933 sind die Nationalsozialisten an der Macht, schon seit dem Ausgang des Jah­res 1930 haben sie die Danziger Regie­rungspolitik maßgebend beeinflußt. Die behördüchen Zwangsmaßnahmen und der braune Terror steigerten sich na­türlich um das Vielfache seit der national­sozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933. Unter dem Eindruck der entsetz­lichen Ereignisse im Reich gingen im Mai die Neuwahlen vor sich, die den National­sozialisten allerdings nur eine schwache Mehrheit von 3 Prozent brachten. Da­mals kapitulierten in Danzig jedoch die bürgerlichen Par­teien zum zweiten Male vor ihnen, das Zentrum versuchte für kurze

Zeit, mit den Nazis Koalitionspolitik zu treiben, die Deutschnationalen stimmten ihrem Regierungsprogramm zu, die Gleich­schaltungsaktionen erfaßten mit denselben Mitteln und in fast gleichem Umfange wie im Reich alle Bezirke des staatsbürgerli­chen und privaten Lebens. Die freien Ge­werkschaften wurden durch Gerichtsurteil den Nazis überantwortet, die Beamten, Angestellten und Arbeiter in Zwangsorga­nisationen gepreßt, der Hitlergruß in allen Aemtem offiziell eingeführt. Die Verfas­sung wurde völlig durchlöchert, das Par­lament außer Funktion gesetzt, die Presse­freiheit so gut wie aufgehoben. Nur die sozialistische Arbeiterschaft wagte es, dem Ansturm des Nationalsozialismus Wider­stand entgegenzusetzen. Sie hielt die So­ zialdemokratische Partei kampffähig, sie gründete neue freie Gewerkschaften, sie organisierte den Kampf für die Verteidi­gung der demokratischen Verfassung, je­nen Kampf, der zu einer einzigartigen und mächtigen Volksbewegung in Danzig wer­den sollte: Die Volkslagswahl vom 7. April 1935 Als auf Betreiben der Nationalsoziali­sten am 7. April 1935 eine neue Volks­tagswahl durchgeführt wurde, von deren Ergebnis sich die Herren Forster und Grei­ser, der Gauleiter und der Senatspräsi­dent, eine verfassungsändernde Zweidrit­telmehrheit versprachen, gelang es ihnen trotz Anwendung unerträglichsten morali-

Gestapo -T cppop In Hannover MassenTerhaftungen von Sozialdemokralen Zwei Todesopfer

Seit Ende Juni dieses Jahres stehen die Provinz und die Stadt Hannover unter stärkstem Gestapoterror. Bis jetzt wurden mehrere hundert Sozial­demokraten, Gewerkschaftsfunktionäre und Reichsbannerführer verhaftet, die bis zu Hitlers Machtantritt leitende Stellen in der sozialistischen Arbeiterbewegung be­kleideten. Unter den Verhafteten befin­den sich der frühere Bezirkssekretär der SPD , Genosse Johannes Lau , der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Genosse Josef Schaffner, der frühere Vorsteher der Bürgerschaft Hannover , Ge­nosse Wilhelm Weber, der frühere Ober­bürgermeister von Hannover , Genosse Ro­bert L e i n e r t, der Bezirkssekretär des ADGB , Genosse Otto Brennecke , die früheren Sekretäre des Reichsbanners, Genossen Jahn und Sander. Verhaf­tet wurden ferner alle früheren Kamerad­schafts- und Schnfoführer des Reichsban­ners, zahlreiche Funktionäre der Gewerk­schaften und viele Abteilungsleiter der SPD Hannover . Die ganze Verhaftungsaktion wird von Berliner Gestapobeamten geleitet, die schon seit einem halben Jahr in Hannover stationiert sind und den Auftrag hatten, eine Geheimorganisation der Sozialdemo­kratie und des Reichsbanners aufzudecken. Nachdem diese Aufgabe trotz des Einset­zens zahlreicher Spitzel nicht gelöst wer­den konnte, schritt die Gestapo zu den oben geschilderten Massenverhaftungen früherer leitender Funktionäre der Arbei­terorganisationen. Die meisten der Verhafteten waren nach ihrer Einlieferung bei der Gestapo den grausamsten Mißhandlun­

gen ausgesetzt. Es wurden alle erprob­ten»Vernehmungsmethoden« angewandt, um die von der Gestapo gewünschten Ge­ständnisse zu erpressen. Bis jetzt war die­ses unmenschliche Verfahren zwecklos; die Gestapo hat ihr Ziel, die Aufdeckung der angeblichen illegalen sozialdemokrati­schen Opposition in Hannover nicht er­reicht. Dagegen haben zwei der verhafte­ten Genossen die Gewaltmethoden der Ge­ stapo mit ihrem Leben büßen müssen. Die Frau des Genossen Otto Bren­ necke erhielt dieser Tage die amt­liche Mitteilung, ihr Mann sei im Ge­fängnis einem Herzschlag er­legen. In Wahrheit ist Otto Bren­ necke ermordet worden. Im Alter von 53 Jahren hat der Genosse Bren­necke ein Leben selbstloser gewerk­schaftlicher und politischer Arbeit in den Folterkammern der Gestapo be­enden müssen. Das gleiche grausame Schicksal ereUte den Genossen Hahn, einen aktiven und tapferen Funktionär der Partei und des Reichs­banners. Schon seit Wochen wußten seine Angehörigen von den fürchter­lichen Mißhandlungen, denen der Ge­nosse Hahn ausgesetzt war, und jetzt folgte diesen qualvollen Wochen die Hiobsbotschaft, der Genosse Hahn habe im Gefängnis seinem Leben durch Erhängen ein Ende gesetzt. Wieder ist die endlose liste des Frei­heitskampfes des deutschen Volkes um zwei Namen vermehrt worden; Namen von Männern, die kein anderes Ziel hatten, als dem Wohl ihrer arbeitenden Volksgenos­sen, der Freiheit ihres Volkes zu dienen. Mögen ihre Mörder heute noch Genugtu­

ung darüber empfinden, daß sie wieder zwei»marxistische Untermenschen« ge­waltsam aus der liste der Lebenden ge­strichen haben; für uns leben die Toten weiter, und ihr grausames Ende wird ihren braunen Kerkermeistern nicht vergessen werden. Das Heer befiehlt dem Staat Göring als Wirtschaftsdiktator. Hitler hat Göring zum Inhaber der abso­luten Macht über das gesamte deutsche Wirt­schaftsleben erklärt. In dieser Ernennung liegt keine neue Machtverschiebung, sondern nur eine formale Regelung, die die tatsäch­liche Machtlage unterstreicht. Sie ist der Ausdruck des Entschlusses, den Primat der Wehrwirtschaft aufrechtzuerhalten, und die RUstung zum Angriffskrieg weiterzutreiben. Seine Ernennung ist ein Zeichen für die rasche und gefährliche Zuspitzung der poli­tischen Spannung in Europa . In Deutschland befiehlt das Heer dem Staat und der Wirtschaft. Von dem Worte Hitlers : die Partei befiehlt dem Staat, wird höchstens noch in der inneren Parteipropa­ganda der Nationalsozialisten gesprochen. Das Heer das heißt die Generale und Politiker, die die Verkörperung des Willens zum Kriege, zur Machtpolitik, zur Vorherr­schaft Deutschlands über ganz Europa dar­stellen. Die Vorbereitung zum Angriff wird fortgesetzt. Während die europäischen Staa­ten ihre Währung ordnen und ihre handels­politischen Beziehungen wieder von den Fes­seln des Nationalismus zu befreien suchen, setzt Deutschland alles auf die Karte der Gewalt.