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SONNTAG, i Not. 4936

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Aus dem Inhalt: Die Mobilmachung der Wirtschaft Warum putschen Spaniens Generale? Der Betrieb in Wahrheit und Dichtung Terror in Danzig

Die Spuren Ludendorffs Angriffsvorbereitungen des deutschen Militarismus

Hitler folgt den Spuren Ludendorffs. Er zieht die Maschine des deutschen Mili­tarismus neu auf. In der Anlage ist alles gigantischer und totaler als bei Luden­ dorff . Der Wahnwitz ist gleich gigantisch und total. Es ist ein Hasardspiel, das alles auf eine Karte setzt. Und wenn diese Kar­te nicht sticht was dann? Der neue Vierjahresplan, in den sich das System jetzt mit der manischen Wut des neuen Militarismus stürzt, läßt nur noch den Ausweg in die Gewalt. Von die­sem Vierjahresplan geht kein Weg zur Wiedereingliederung Deutschlands in die Weltwirtschaft, der nicht den völligen Zu­sammenbruch des Systems zur Vorausset­zung hätte. Alle Tendenzen der deutschen Kriegswirtschaft, die wie eine Selbstblok- kadfc Deutschlands wirken, werden jetzt auf die Spitze getrieben. Die Anfänge sind sichtbar, sie sind heute schon katastrophen- haft das Ende mit Schrecken kann man nur ahnen. Die Durchführung des Vierjahresplans bedeutet neue Kapitalvergeudung, Neu­anlage von Produktionsstätten, die im Frieden gänzlich sinnlos und wertlos sind, bedeutet weitere Zerstörung der Grund­lagen einer vernünftigen Friedenswirt­schaft, neue Senkung der Lebenshaltung des deutschen Volkes. Eine solche Gewalt­kur geht auch in einer Militärdiktatur nicht ohne Widerstände und Reibungen ab. Um diese Widerstände zu brechen, hat Hitler Göring zum Wirtschafts­diktator gemacht. Mit der Person - rings übernimmt der deutsche Militaris­mus selbst die Leitung der Kriegswirt­schaft. Chef des Amtes für deutsche Roh- und Werkstoffe ist der Oberstleutnant im Generalstab Löb. Wenn bisher das Sy­stem sich noch bemüht hat, den Schein der Trennung von Gesetzgebung und Ver­waltung aufrecht zu erhalten, so wird jetzt darauf nicht der mindeste Wert gelegt. Das sogenannte Reichskabinett existiert nicht mehr, Gesetze werden über diese wichtigsten Dinge nicht mehr erlassen, es wird lediglich angeordnet. Die Ernennung Görings, so wenig sensationell sie an sich ist, bezeichnet den Uebergang zur reinen kriegsmäßigen Militär­diktatur in der Wirtschaft. Nichts wäre falscher als das so beliebte Urteil, daß Hitlers Vierjahresplan und Görings Ernennung Symptome dafür seien, daß der deutsche Militarismus sich erst in dem Vorbereitungsstadium befände und noch nicht»fertig« sei. Dies Urteil ist nur ein Strohhalm, an dem sich die Hoffnung der Friedliebenden klammert. Dieser Ueber­gang zu reiner Kriegswirtschaft, die Lei­tung der Wirtschaft so, als ob Deutsch­ land schon effektiver kriegsmäßiger Blok- kade miterliege, ist vielmehr ein Zeichen dafür, wie fertig der deutsche Militaris­mus schon ist. Die Ernennung Görings dient nicht nur der Ueberwindung einer zeitweilig auftauchenden Teilschwierigkeit, wie es beispielsweise die Aufbringung und Verteilung der neuen Exportabgabe ist, sie ist von viel allgemeinerer Bedeutung. Aus der Zusammenfassung seines Amtes, aus seinen ersten organisatorischen Anordnun­gen läßt sich erkennen, daß sie ein Symp­tom der Kriegsbereitschaft ist. Es handelt sich um die reinste Mobilmachung für den Emstfall. Man muß sich hüten, diese Dinge mit der schon üblich gewordenen Stumpfheit hinzunehmen, die sich über nichts mehr wundert und erregt, was in Deutschland an unmittelbarer Kriegsvorbereitimg ge­

schieht. Diese gigantischen Kapitalaufwen­dungen, die Unterstellung aller Wirtschaft unter den Kriegszweck geschieht wirklich nicht nur aus Spielerei oder weil die Dik­tatoren ein wenig verrückt seien. Sie hat mit einer auf den Frieden abzielenden Po­litik, die dem Volke normale Lebensbedin­gungen schaffen will, aber auch gar nichts zu tun. Sie ist längst nicht mehr zu be­gründen mit den Notwendigkeiten der Landesverteidigung. Sie ist ein Ausfluß des Willens zum Kriege, und dieser Wille zum Kriege ist dem neuen deutschen Mili­tarismus immanent. Die Totalität der Er­fassung der deutschen Wirtschaft für die Zwecke des Krieges ist der sichtbar­ste Beweis für die Angriffs­pläne der deutschen Militärs. Unter dem Drucke einer totalen Kriegs­wirtschaft muß das deutsche Volk heute schon leben wie im Kriege. Wichtigste Le­bensmittel sind knapp geworden von der Teuerung gar nicht zu reden. Gegen­über dem Stande von 1932 dem schwer­sten Krisenjahr, in dem eine rücksichts­

lose Deflationspolitik die Lebenshaltung der deutschen Volksmassen schon erheb­lich gesenkt hatte ist eine weitere Sen­kung der Lebenshaltung um 20 Prozent eingetreten. Der neue Vierjahres­plan soll sie noch weiter senken. Die nüch­ternen, menschenverachtendlen Machtpoli­tiker des Systems wollen sie gegenüber 1932 um 50 Prozent senken! Sie machen aus Teuerung und Lebensmit­telknappheit gar kein Hehl. Die Parole»Ka­nonen statt Butter« zeigt, wie sie auch geistig das Volk auf den Krieg einzustel­len trachten. Zum Kriege aber gehört Haß, sinnloser Haß, der die Empö­rung über den Druck, das Elend, den Hun­ger auf den äußeren Feind ablenkt. Dar­um plant das System einen neuen großen Propagandafeldzug zur Ergänzung des Vierjahresplanes. Am 30. Oktober beginnt in Deutschland eine neue Versammlungs­welle unter der Parole»Wir greifen an!« In hunderttausend Versammlungen soll die antibolschewistisch-antisemitische Hetze, die den Grundton der Reden auf dem

Nürnberger Parteitag bildete, ins Volk ge­tragen werden. Die Kriegshetze gegen Sowjetrußland soll mit einer Intensität be­trieben werden, als ob der Krieg schon ausgebrochen sei. Auf der einen Seite das Zugeständnis, daß die Volksemährung im­mer knapper wird auf der anderen Seite die Hetze gegen Sowjetrußland. Der Sinn des Propagandakrieges des Systems gegen die Vernunft, die die Schuld an der deutschen Volksnot der Diktatur zu­schreibt, ist es, die Stimmung zu erzeu­gen: Sowjetrußland ist schuld, daß wir hungern müssen, Sow­jetrußland ist der Feind! So wie das System in ganz Europa mit seiner Antisowjethetze die Friedensfront zu zerstören sucht, so will es im Lande selbst die Kriegsstimmung gegen.Sowjet­rußland hochpeitschen. So handelt kein System, das sich noch in den Anfängen seiner Vorbereitungen fühlt, so handelt nur ein System, das mit praktischen Aus- kungen seiner Maßnahmen in unmittel­barer Gegenwart rechnet!

Der Terror in Danzig

Am 14. Oktober, abends um etwa S'/J Ubr, wurde eine Mitgliederversammlung des Bezirkes Altstadt der Katholischen Zentrumspartei der Freien Stadt Dan­ zig , die im Vereinsbaus Breitgasse stattfand, von einem Trupp bewaffneter Na­tionalsozialisten Uberfallen. Die Versammlung war von etwa 200 Personen be­sucht. Redner in der Versammlung war der Abgeordnete Wawer. Kurz nach Beginn sei­nes Vortrages drangen die Nationalsozialisten in geschlossenen Trupps in den Saal und schlugen blindlings auf die wehrlosen Ver­sammlungsteilnehmer mit Stahlruten, Gum­miknüppeln und anderen Waffen ein. Vier Versammlungsteilnehmer wurden so schwer verletzt, daß sie ins Krankenhaus überführt werden mußten, sechs Versammlungsteilneh­mer wurden leichter verletzt. Die Polizei griff nicht ein. Der Ueberfall war von den Nationalsozialisten in ähnlicher Weise organisiert worden wie jener bekannte Ueber­fall auf die deutschnationale Versammlung im St.- Josephs-Haus im Juni d. J. Nationalsozialisten haben einen Ueberfall auf das Hans des ehemaligen sozialdemokra­tischen Senators Karl Rehberg verübt. Die Nationalsozialisten zertrümmerten sämt­liche Fensterscheiben, warfen die Eingangs­tür des Hauses in die Weichsel und drangen in die Wohnung ein. Aus dem Hans wurden landwirtschaftliche Geräte gestohlen. Rehberg befindet sich in Schutzhaft. * In der Redaktion und in den Geschäfts­räumen der sozialdemokratischen»Danziger Volksstimme« nahm die politische Polizei er­neut eine Haussuchung vor. Die Polizei be­schlagnahmte eine Reihe von Büro- und an­derem 3Iaterial, das sich angeblich im Besitz der Partei befunden haben soll. Der Hof der»Danziger Volksstimme« wird polizeilich bewacht. » Die politische Polizei nahm erneut Haus­suchungen bei dem Vorsitzenden des Dan­ziger Arbeiter-Tur n- und Sport­verbandes, Thomat, und bei dem Kassie­rer des gleichen Verbandes, Werner, vor. Der Danziger Arbeiter-Turn- und Sportverband ist bekanntlich eine Bezirksgruppe des Polni­ schen

Arbeiter-Turn- und Sportverbandes mit dem Sitz in Warschau . » In polizeilicher Schutzhaft befinden sich zur Zeit in Danzig im ganzen 120 Sozial­demokraten. Der Gauleiter der NSDAP in Danzig , der deutsche Reichstagsabgeord­nete Albert Forster , hat erklärt, daß die Ver­hafteten nicht eher freigelassen würden, als bis alle Organisationen der Danziger Opposi­tionsparteien zerschlagen wären. » Der Danziger Polizeipräsident Froböß und der Leiter der Politischen Polizei, Grötzner, wurden vor Erlaß des Verbotes der Sozial­demokratie zu Besprechungen nach Ber­ lin berufen. Bei der Danziger Pollti­schen Polizei wurden in den letzten Tagen zwanzig Gestapo -Leute ans dem Reich neu eingestellt. * In der am 3. Oktober veranstalteten Ver­sammlung der Danziger Richter hatte der Gauleiter der NSDAP , Forster, unter ande­rem auch erklärt: es sei ein Skandal, daß die jüdische Aerztin Lily Beck, die in erster In­stanz zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und aus der Haft entlassen worden war, nicht lebenslänglich Zuchthaus erhalten hätte. Frau Beck wurde daraufhin in Schutzhaft genom­men. Das Urteil gegen sie ist noch nicht rechtskräftig, da sie Revision beim Ober­gericht angemeldet hat.

Das Gespenst des Fasdilstenblocks Deutschland und Italien . Es gehört zum Stil der Diktaturen, daß sie alles, was sie tun, bombastisch tun. So wurde auch der Besuch des italienischen Außenministers, Grafen Ciano, des Schwie­gersohns Mussolinis, in Berlin und im Füh­rerschloß bei Berchtesgaden von der deut­ schen Presse und im gewissen Abstand auch von der italienischen als ein welt­historisches Ereignis gefeiert. Er wäre das gewesen, wenn durch ihn die Grundlagen zu einem deutsch -italienischen Bündnis ge­legt worden wären, doch spricht nichts dafür, daß dies wirklich geschehen ist. Von der Möglichkeit einer Kooperation der beiden

faschistischen Hauptländer im Kriegsfall und dieser»cauchemar des coalitions« liegt Frankreich schwer auf der Brust spricht man ja schon lange aber etwas Neues, das solche Bourgeoisie verstärken könnte, Ist nicht eingetreten. Niemand kann heute sagen, wie sich die Konstellation der Mächte in einem künftigen Kriege gestalten wird, und noch immer spricht alles für die Annahme, daß Deutsch­ land dann noch isolierter sein wird als 1914. Ist es schon fraglich, ob die Rolle des Siegers in Zukunft noch eine beneidens­werte sein wird, so gilt das noch viel mehr für die eines M i t siegers an der Seite Deutschlands . Es ist nicht anzunehmen, daß sich Mussolini nach dieser Rolle sehnt. Ver­dankt er doch seinen inneren Sieg vor allem der Tatsache, daß sich Italien im Jahre 1919 als ein zu kurz gekommener M i t sieger fühlte. Schwerlich hat er den Ehrgeiz, für Hitler Europa zu erobern, um dann als Vasall an der untersten Stufe seines Thrones stehen zu dürfen. Darüber hinaus sprechen aber auch ernste militärische Erwägungen gegen die Möglich­keit eines deutsch -italienischen Kriegsbünd­nisses. Beide Länder nehmen zusammen dank ihrer geographischen Lage in Friedenszeiten in Europa eine gewaltige Machtstellung ein; im Kriegsfall würden sie sich zwischen eine englisch -französische Westfront eingeklemmt finden, die ihnen hier den Weg in die Weite des Kontinents, auch den zum freien Meer, versperrt. Ohne endgültige Zertrümmerung wenigstens einer der beiden Fronten gäbe es keinen wirklichen Sieg. So hat denn die Behauptung, daß die deutsch -italienische Freundschaft ein»Frie­densinstrument« darstellt, so hohnvoll sie auch klingen mag, ihren guten Sinn, wenn sie nur richtig verstanden wird. Diese Freundschaft ist stark genug, um in Frie­denszeiten als Mittel in diplomatischen Er­pressungen hervorragend zu wirken. Eine ganz andere Frage ist, was von ihr übrig bleiben wird, wenn es einmal hart auf hart geht. Italien kann als Erfolg von Berchtesgaden zunächst die Anerkennung des Kaiser­reiches Aethiopien durch Deutsch­ land buchen. Keine geringe Leistung, wenn