Nr. 17" BEILAGE

1. November 1936

Warum putschen Spaniens Generale?

Am 14. April 1931 ging die spanische Monarchie unter. Neunzig Prozent der spanischen Bevölkerung sprachen sich gegen die alte Staatsform aus. Mit Tanz und Dorfmusik feierte Spanien den An­bruch sedner zweiten Republik . Der Jubel über die Neugeburt des Landes war um so größer, als viele Spanier, darunter be­deutende Politiker, dem tief im Mittelalter steckenden Lande keine gute Zukunft pro­phezeiten. Pessimistisch klagten sie:»Die­ses Volk hat keinen Pulsschlag mehr«.' Man ahnte nicht, daß schon die aller­nächsten Wochen und Monate diesen Pessimismus als unberechtigt erweisen würden. Glücklich über diese Täuschung und den Sieg der Republik gleichermaßen, schlug der unbegründete Pessimismus schnell in einen ebenso imbegründeten Optimismus um, während der Realismus fast in allen Lagern zu kurz kam. Im Rausch des überwältigenden Sieges und überzeugt von der Gerechtigkeit ihrer Sache, übersahen weite Kreise der repu­blikanischen Bevölkerung die Gefahr reak­tionärer Rückschläge. Der brutale Macht- und Gewaltstaat schien überwunden. Wie sollte er wieder auferstehen, wenn 90 Pro­zent der Bevölkerung ihm den Weg ver­sperren? Die Niederlage des Machtprinzips, das Ende der Diktatur Primo de Riveras und schließlich der Monarchie selbst, war eine wichtige Ursache dafür, daß die Sieger vom April 1931 keine Gewaltanbeter wur­den. Das Volk siegte ohne Gewaltakte und ohne Barrikaden über ein System, das immerhin als ein faschistisches galt. Aber darüber hinaus sind die modernen Gesell­schaftsklassen, das liberale Bürgertum und das sozialistische Proletariat, ganz allge­mein keine solchen Mystiker der Gewalt wie jene Gesellschaftsschichten, die sich im geschichtlichen Prozeß auf der absteigen­den Linie befinden. Die Prinzipien des Feudalismus, des Adels, des Klerus usw. setzen sich nicht mehr im Zuge der ge­schichtlichen Entwicklung durch, sondern stehen dieser Entwicklung hemmend im Wege. Darum können sich die versinken­den Mächte nur durch die nackte Gewalt zu behaupten suchen, darum verstehen sie sich überall psychologisch und handwerks­mäßig besser auf die Handhabung der Ge­walt als die modernen Klassen, und darum glauben sie auch, ihr Untergang sei durch die Macht der Waffen zu verhindern. Ganz anders ist die Mentalität oder gar das Bewußtsein der geschichtlich aufstei­genden Gesellschaftsklassen. Diese Ver­schiedenheit ist nicht nur ganz allgemein eine Erklärung für das»Versagen« man­cher Demokratie, sondern macht auch ver­ständlich, wie die Bevölkerung, die zu friedlicher Aufbauarbeit überging und dar­um jede kriegerische Vorarbeit unterließ, von den putschenden Generalen derart über­rascht werden konnte. Offenbar wurde die Vergangenheit um so leichter vergessen, als sie nicht gerade schön war und die Vorstellungskraft A?r Repifblikaner voll­ständig durch kühne Flüge der Phantasie in die Zukunft hinein erschöpft wurde, ob­wohl ein Blick in die Vergangenheit min­destens ebenso nützlich hätte sein können. Denn Spanien war schon einmal eine Re­ publik . 1873 verjagte das spanische Volk die verhaßte Königin Isabella aber General Pavia Heß die Volksversammlung mit seinen Soldaten auseinandertreiben und so währte der Traum der Republika­ ner nicht lange. Die Armee stand gegen die Nation; es war da­mals so, wie es heute ist. Aber heute ist der Kampf heftiger, denn die versinkenden Klassen sind tiefer gesunken und die aufsteigenden sind höher gestiegen. Unversöhnlich stehen sich zwei Epochen gegenüber. Der Geist des bürger­lichen Fortschritts, der Geist des Sozialis­mus, der Gedanke internationaler Wirt­schaft in dieser oder jener Form, der Ge­danke der Demokratie, des Parlamentaris­mus und der freiheitlichen Beziehung von Mensch zu Mensch haben sich inzwischen neues Terrain erobert. An die Stelle feu­daler und mittelalterlicher Verhältnisse wollen die Prinzipien moderner Oekonomie und individueller Freiheit treten, das feu­dalistische Herrschaftsprinzip wird vom

Der Aufstand der Rebellen Prinzip der selbstverantwortlichen Lebens­gestaltung und des Vertrages nach innen und nach außen verdrängt. Der internatio­nale Faschismus, der die Weltwirtschaft in Hunderte von Kriegswirtschaften auf­lösen und den Menschen u. a. dadurch in jenes Mittelalter zurückstoßen wül, aus dem das rückständige Spanien gerade gegenwärtig herausstrebt, dieser inter­nationale Faschismus, der die Beziehungen auf diesem Erdball allein durch das Schwert zu»regeln« gedenkt, er sucht der Welt einzureden, daß der Sinn des spani­ schen Ringens in der Alternative: für oder wider den»Bolschewismus« begründet liege. Allerdings träfe das zu, wenn man sich Hitlers und Rosenbergs Privatvor­stellung vom Bolschewismus zu eigen machen würde. Bekanntlich sind diese bei­den Ideologen nebst ihren Mit- und Nach­läufern der Meinung, daß der Bolschewis­mus bereits 1789 geboren wurde, woraus man ersehen kann, daß der deutsche Fa­schismus alle Errungenschaften der bür­gerlichen Epoche als»Bolschewismus« denunziert. In diesem Sinne geht es in Spanien wirklich darum, ob der»Bolsche­wismus« oder der Faschismus siegen soll, denn Spanien macht heute durch, was England und Frankreich längst hinter sich haben: den Prozeß der bürger­lichen Umwälzung. Spaniens Gene­rale kämpfen darum nicht gegen den»Bol­schewismus«, sondern gegen die bürger- Uche Erneuerung. Daran ändert ihre na­tionale Phraseologie gar nichts. Man sollte sich doch daran erinnern, daß der Graf J. de Maistre im Verlauf der französischen Revolution die Frage: was ist eine Nation? so beantwortete:»Der Souverän und die Aristokratie«, A. Thierry aber so:»Wir glauben eine Nation zu sein, und wir sind zwei Nationen im selben Land, zwei Natio­nen, zwei Feinde in ihren Erinnerungen, unversöhnbar in ihren Plänen«. Franco wird den Begriff der Nation so formu­lieren: eine Nation ist die Generahtät plus Kolonialtruppen. Und der Liberale Madariaga, der uns nicht nur durch sein ausgezeichnetes Buch über Spanien ,

gegen die Nation sondern mehr vielleicht noch durch seine Tätigkeit am Völkerbund bekannt ist, hat lange vor Ausbruch der Revolution schon klar ausgesprochen, für was diese»natio­nale« Generalität im Bunde mit den ge- schichtslosen Söldnerbanden in Wirklich­keit kämpft. Madariaga klagte: »Eine Gesellschaft von Offizieren kontrol­liert das gesamte öffentliche Leben. Ohne sonderliches Interesse für die Außenpolitik.. hat diese Gesellschaft nur ein Ziel... ihre Macht zu behalten, zu erweitem und einen verhältnismäßig großen Teil der Einnahmen des Staates mit Beschlag zu legen.« Das ist ihr Kampf gegen den»Bolsche­wismus«! Das ist ihr»Befreiungswerk«! O ja, es ist ein Befreiungswerk: die Gene­rale sind nämlich bestrebt, sich von den Einengungen ihres Interessenkampfes durch die Demokratie zu»befreien«. Auch das hat uns Madariaga in seinem Buch über Spanien (Deutsche Verlagsanstalt , Stuttgart 1930) schon mitgeteilt. Wörtlich sagt dieser führende Spanier: »Instinktiv wußte die Armee, daß die neuen Kräfte, wenn ihr Wachstum nicht be­hindert würde, nach und nach die politische Betätigung der Militärs unterbinden und den Heeresapparat auf den bescheidenen Umfang, der für eine vom Ausland nicht bedrohten Nation wie Spanien ausreicht, zurückführen werden.« Um dies zu verhindern, sind außer deutschen und italienischen Waffen! die Kolonialtruppen gerade gut genug! Und für derartige Interessen müssen Städte vernichtet und Zehntausende von Menschen hingemordet, vor allem aber muß dazu eine Nation, die Zeit und Kraft zu ihrem Aufbau braucht, bei friedlicher und schöpferischer Arbeit überfallen wer­den überfallen von»ihren« Generalen, die den Krieg brauchen, um ihre Existenz aufrecht zu erhalten, und wenn es nicht der Krieg gegen außen ist, dann muß eben einer gegen innen inszeniert werden! Es ist überaus bezeichnend, daß die Republik von den etwa 25.000 Offizieren rund 10.000

abbaute, Primo de Rivera jedoch darauf verzichtet hatte und die Generale nun wieder das alte Verhältnis herstellen wollen. Dabei ächzt das spanische Volk unter der Last seiner Militär- und sonsti­gen Ausgaben für den furchtbar über- bürokratisierten Staat. Der katalanische Schriftsteller Almirall sagte einmal: in zwei Dingen marschiert das sonst weit zu­rückgebliebene Spanien an der Spitze Europas ,»in der Höhe seiner Staats­schulden und in der Zahl der Generale«. 1927 zählte das Heer nach Madariaga 207.000 Soldaten und 219 Generale! Seit den Freiheitskämpfen gegen die Napoleo­nische Fremdherrschaft dominieren die Generale, deren Bedeutung durch Bürger­und Kolonialkriege noch gesteigert wurde. Wie in Preußen-Deutschland griff die Armee immer kühner ins zivile Leben ein. »Das Heer und seine Verwaltung wurden ein Staat im Staate«.(Madariaga.) Im Jahre 1905 brachte ein katalanisches Witz­blatt eine Karikatur auf gewisse Militär­zustände. Daraufhin drangen die beleidig­ten Offiziere beinahe wie SA-Leute in die Redaktion ein, in deren Räumen sie wie die Wilden hausten. Sie wurden aber nicht und das genau wie bei der SA bestraft. Im Gegenteil: sie setzten so­gar nach einigen Ministerkrisen ein be­sonderes Militärgericht durch. Dieses so­genannte»Kompetenzgesetz« empfand der Liberalismus als eine schwere Niederlage. Der König stützte sich immer stärker auf die Armee, die Minister wurden ignoriert, eine Kontrolle der militärischen Ausgaben usw. gab es nicht. Es gab zwar immer kleine Kreise in der Armee, die moderner, bürgerlicher, liberalistischer dachten, aber sie blieben wie in Preußens Armee eine schikanierte Minderheit, die heute im wesenthehen zur Volksfront steht. Die politisierenden Generale gehörten»im besten Falle in die Klasse der aufgeklär­ten Despoten«(Madariaga ). Und weil sie die Despotie aufrechterhalten und ihre Waffen weiterhin zur Ausbeutung der Nation benutzen wollen, darum putschen Spaniens Generale. Fred War.

Das braune Hilfsdienstgese� Plnkcrton Im kommenden deutsdien Siral'redit

»(Der Krieg ist zu einer Arbeiterfrage ge­worden« dies Wort prägte ein prominenter Sachverständiger der deutschen Weltkriega- fütorung, der damalige General Gröner, zuerst bekannt geworden durch seine Leistungen als Chef des Fei deise nbahnwesena, denen Deutschland in der Tat achtzig Prozent seiner strategischen und taktischen Erfolge in den vier Jahren überhaupt verdankte, schon um die Mitte des großen Ringens. Hitlerdeutsch­land, den Weltkrieg von morgen mit aller Sorgfalt und Kaltblütigkeit vorbereitend, würde seinen wahren Charakter aufgeben, wenn es nicht auch das Arbeiterproblem als eine der wichtigsten Kriegsfragen, minde­stens so wichtig als die der materiellen Auf­rüstung, behandelte. Das alles ist getarnt durch Ley-Gewäsch und Kraft-durch-Freude- Humbug, gewiß! Wer aber durohbUcken will durch die grandiose Vernebeiimg, muß sich insbesondere mit den schon vorliegenden Vorarbeiten für das kommende hitlerdeutsche Strafgesetzbuch und dessen»arbeitsrechtlichen« Komplex be­schäftigen! Auf jeden Fall stehen die gesetz­geberischen Arbeiten zur Gestaltung dieses neuen Strafgesetzbuches jetzt, wie aus dem Reich mitgeteilt wird, unmittelbar vor dem Abschluß. Im Sinne der fast ausschließlichen Kriegs- bedeutung der Arbeit, wie das System sie nun schon einmal sieht, liegt sein terroristisches Haßgefühl gegen alles, was es unter»Klas­senkampf« versteht. Ein Streik der Arbeiter, ja auch nur ihr Mangel an Arbeitswillen kön­nen den kommenden Krieg verloren machen. Kriegsfabriken, in denen alles nur so schnurrt, sind wichtiger als ganze Tankregi­menter. Es ist eine soziale Ungeheuerlichkeit, mehr aber noch ein hochpolitisches Symptom und Monstrum, wie in dem neuen Strafrecht dieser entscheidende Fragenkomplex»gelöst« werden soll! Herr Hitler , der»Führer und Reichskanz­

ler« hat, wie man männiglich weiß, den Streik als Waffe des»ein für allemal abgeschafften« Klassenkampfes des Industriearbeiters reden­der Weise schon oft»verboten«; mindestens auf jedem der Nürnberger Parteitage ge­schah das aus seinem Munde. Praktisch liegt der Fall freilich ein wenig komplizierter. In rechtlicher Beziehung gibt es da bisher eigentlich nur die Notverordnung vom 4. Februar*1933(»zum Schutze des deutschen Volkes...«), die nämlich das Verbot solcher Druckschriften periodischer Art vorsieht, in denen zum Generalstreik oder zu einem Streik in einem lebenswichtigen Betrieb aufgefordert wird. Gewiß hat das Regime noch die Menge anderer Pressionsmittel als die Strafjustiz, dem Streik beikommen zu können. Kazette und Partedboykott, Unmöglichmachung des Arbeitsplatzes durch die»Arbeitsfront« und andere typische Errungenschaften der brau­nen Diktatur. Aber mehr und mehr trat doch die Frage gerade an die Regisseure der Dik­tatur hinter den Kulissen heran, wie lange und wie kräftig solche»reinen« Parteimittel noch taugen mögen; sind sie doch mit dem Prestige und der öffentlichen Geltung der NSDAP un­lösbar verknüpft, deren äußere Machtfülle zwar immer noch gesteigert werden kann, die aber innerlich bereits einen nicht zu verken­nenden Verschleiß über sich ergehen lassen muß. Es kommt hinzu, daß in der Rechts­praxis bisher nur von»lebenswichtigen« Be­trieben die Rede war, die nicht bestreikt wer­den durften. Den unsichtbaren Kräften der Diktatur kommt es aber da gerade auf die genauere Umschreibung in ihrer besonderen Kriegsmentalität, eben auf die sogenannten »kriegswichtigen« Betriebe an. Auch das zwingt dazu, den klassenkampf gegnerischen Gmndzug des Dritten Reiches über Hitler- Reden und Notverordnung hinaus gewisser­maßen strafrechtlich zu präzisieren und»von Rechts wegen« zu untermauern. Im Notfall konnte die Strafjustiz gegen den Klassen­

kampf mit den folgenden Begriffen und Nor­men operieren: mit Hausfriedensbruch, Land­friedensbruch, Nötigung, Erpressung und Wu­cher. Auch der Laie erkennt unschwer, daß das in der Praxis freilich selbst für den straf­wütigsten Staatsanwalt und Richter nicht ganz leicht war; es mußte schon ein ganz besonderer Umstand bei einem Streik vor­liegen, um mit diesen Strafrechtsbegriffen zur Justifizieruog des Streikenden kommen zu können. Bs ist nun das neue braune Strafgesetz­buch, das hier in dieser und in jener Weise durchgreifenden Wandel schaffen soll. Seine Einführung zwingt den deutschen Arbeiter in ein geschlossenes Sklaverei-System eines neuen und permanenten»Kriegshilfsdienst­gesetzes«! Die Einzeiheiten darüber bat jetzt der Ministerialrat Grau vom Reichsjustizministerium in ver­schiedenen Vorträgen vor industriellen Fach­leuton und in Zeitschriftenartikel etwas vor­eilig ausgeplaudert. Bei der Art, wie Hitler- Gesetze par ordre de mufti des»Führers und Reichskanzlers« allein noch Zustandekommen, ist aber auch nicht daran zu zweifeln, daß diese hier mitgeteilten Einzelheiten der Reihe nach legalisiert werden. Wichtig ist da zunächst die Feststellung, daß die Väter jenes neuen»Hilfsdienst­gesetzes« im braunen Strafrecht sich als ein wenig klüger und vorsichtiger erwiesen haben, als der»Führer« selbst. Sie haben erkannt, daß, wenn es wirklich einmal in Deutschland wieder zu Streiks in herkömmllcham Sinne kommt, das»Verbot« Hitlers gar nichts be­deutet und daß der Strafrichter einfach ohn­mächtig ist, obsohon doch, wie Grau sagt, »die Strafwürdigkeit des betätig­ten Streik willens außer Zweifel steht«.»Gegen Massenerscheinun- genversagenregelmäßigdie Waf­fen des Strafrechtes« klagt Grau