Nr. 179 BEILAGE

Neuer Vorwärts

15. November 1936

Grundlagen der auswärtigen Politik

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Die stürmische Entwicklung, die die schen Kolonien, also die den bürgerlichen sind oder vom Staat neue Schichtungen| aller Schichten sammeln, Teile fast aller auswärtige Politik seit dem Machtantritt Interessen am ehesten entsprechende wirt- gebildet werden, ist verstaatlicht. Gesellschaftsklassen und der herrschenden Hitlers genommen hat, die anscheinend schaftliche Kartellvereinbarungen an den Der totalitäre Staatsapparat übertrifft Kreise Militär und hohe Bürokratie unaufhörüch wechselnden Konstellationen, machtstaatlichen Gegensätzen und nament- alle früheren erstens durch den Umfang gewinnen. Und diese Entstehung war wie­das Getöse der ideologischen Propaganda, lich an den deutschen Machtinteressen seiner Machtmittel: Militär, Polizei, staats- der entscheidend für die Führung ihrer das sie begleitet, macht den Versuch einer scheiterten, würde hier zu weit führen. unterworfene Justiz und Verwaltung, die Politik. marxistischen, das heißt aber einer reali- Festzuhalten ist nur, daß auch tiefe wirt- allein schon eine vom Staat abhängige, Die Machtpolitik der Diktaturen ist eine stischen, hinter dem ideologischen Schein schaftliche Interessengegensätze erst dann ihm dienstbare, interessierte Massengrund- sehr kostspielige Politik. Sie ist die wirklichen Triebkräfte und Interessen zum Kriege führen, wenn sie, zum Inhalt lage darstellen. Zweitens durch den Um- es schon im Innern, denn die Erhaltung herausschälenden Analyse erst recht not- der Staatspolitik geworden, die Existenz fang seiner Betätigung: die autonome und Ausdehnung des spezifischen diktato­wendig. Dieser Versuch ist viel schwerer, der Staaten selbst unmittelbar bedrohen. Wirtschaft wird in ihrer Betätigung in zu- rialen Apparates, der zu dem eigentlich also auch viel leichter Irrtümern unter- Im Krieg hat die Erstarkung und zu- nehmender Weise vom Staat nach seinen staatlichen hinzutritt, erfordert allein worfen als in der Vorkriegszeit, und die gleich die Verselbständigung der Staats - politischen Zwecken dirigiert. Drittens die schon bedeutende Ausgaben. Aber diese Aufdeckung des Unterschiedes der Trieb- macht ungeheuere Fortschritte gemacht. gesellschaftsautonomen Organisationen sind verschwindend gegenüber den An­kräfte ist die erste Vorbedingung für das Die Gesellschaft wurde unter die Diktatur und wieder entscheidend die wirtschaft- forderungen des Machtapparates für

Verständnis der gegenwärtigen Situation.

Die Zeit vor dem Kriege war eine Zeit stürmischer intensiver und extensiver Ent­wicklung der kapitalistischen Wirtschaft. Sie war ökonomisch charakterisiert durch die Herausbildung des Finanzkapi­tals, politisch durch die Erstarkung des Imperialismus. Der überhordende kapitalistische Reichtum suchte nach im­mer neuen Anlagesphären, nach unentwik­kelten Gebieten, die dem eigenen Wirt­schaftsgebiet einzuverleiben und durch Kapitalexport zu erschließen waren. Die­selbe Entwicklung führte zur Erschließung der zurückgebliebenen europäischen Gebie­te, zur kapitalistischen Durchdringung des Südostens, zum Erwachen der bisher ge­schichtslosen, fremder Souveränität unter­worfenen Nationen und zu ihrem Drang nach nationaler und staatlicher Selbstän­digkeit. Der spanisch- amerikanische Krieg um Cuba und die Philippinen, der Krieg Englands gegen die Buren um den Besitz Südafrikas , der türkisch - italienische Krieg um Tripolis , die Balkankriege gegen die Türkei und der Balkanstaaten unterein­ander vermehrten die Spannungen zwischen den Großmächten und rückten die letzte Entscheidung aus der Peripherie immer näher an das europäische Zentrum.

In dieser Periode wird die auswärtige Politik ganz und eindeutig dominiert von den imperialistischen Flügel des Bürger­tums. Die ökonomische Analyse des Im­perialismus, die Analyse der Wirkungen der kapitalistischen Expansion auf die na­tionalen Unabhängigkeitsbewegungen läßt die Triebkräfte der auswärtigen Politik deutlich erkennen, ihre Resultate mit hoher voraussehen. Denn Wahrscheinlichkeit noch bestimmen die Interessen der impe­rialistischen Bourgeoisie unmittelbar das Verhalten der Staatsmacht.

Bereits in dieser Periode vollzieht sich aber eine bedeutsame Aende­rung im Verhältnis von Staats­macht und Gesellschaft. Die im­perialistische Politik erfordert eine star­ke konzentrierte Staatsge­walt. Das liberale Prinzip der Nichtein­mischung des Staates in die Wirtschaft, der friedlichen Kooperation der durch den Freihandel zur Weltwirtschaft verbunde­nen Nationen, der möglichsten Reduktion der Staatsgewalt weicht dem Bestreben, die Gewalt des Staates unmittelbar in den

Die Herren der Welt

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die Außenpolitik. Die Machtpolitik erfordert die Herstellung der militärischen Ueberlegenheit. Es ist das Charakteristi­sche der Diktaturstaaten, daß sie die Bin­dung, die zwischen der jeweiligen wirt­schaftlichen Leistungsfähigkeit und der militärischen Leistungsfähigkeit besteht, möglichst zu lockern und aufzuheben trachtet. Dazu befähigt sie die terroristi­sche Herrschaft, die die Wirtschaft und alle Wirtschaftssubjekte dem Machtzweck unterwirft. Die Kriegsrüstung folgt jetzt nur den Anforderungen der an sich schran­kenlosen, in steter Umwälzung befindlichen Technik. Die militärische Leitung entschei­det selbst nach rein militärisch technischen Erwägungen über ihre Anforderungen, für deren restlose Erfüllung die Staatsmacht zu sorgen hat. Die steigende Maschinisie­rung des militärischen Apparates, der wachsende Anteil der gelernten hochquali­fizierten Berufssoldaten aller Grade läßt die Kosten im Vergleich zu früher ins Gi­gantische anschwellen. Ebenso schranken­los ist das Streben, die militärische Ueber­legenheit gegen jede feindliche Koalition zu erreichen, und sie auch gegenüber den zunehmenden Gegenrüstungen zu behaup­ten. Und dazu kommt die Notwendigkeit, diese Aufrüstung in denkbar kürzester Zeit zu vollziehen, um die Gefahrenzone zu überwinden.

Das Mittel die Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den militärischen Anforderungen we­nigstens über die kritische Zeit hinweg zu überwinden, ist die Inflation und die diri­gierte Kriegswirtschaft, die durch die Be­wirtschaftung des Außenhandels, durch die Zuteilung der Rohstoffe, durch die Staatsaufträge und durch die Auflagen, die sie der Industrie, z. B. zur Errichtung von Ersatzstoffanlagen, Erweiterungen ihrer Anlagen usw. erteilt, die vorhande­nen Produktivkräfte in den Dienst der Rüstungsproduktion auf Kosten der pro­duktiven Güterherstellung zwingt.

Die notwendige Folge dieser Macht­politik ist die fortschreitende Zerrüt­tung der Wirtschaft, die hier in ihren verschiedenen wirtschaftlichen Aspekten fortlaufend geschildert wurde. Sie wird aber zugleich bestimmend für Inhalt und Ziel der Außenpolitik.

Der Krieg hat der klassi­

Viertens m us, der Politik des Finanzka­

Dienst der Expansion der nationalen Ka- des Kriegszwecks gestellt; nur in der Art lichen werden zerstört oder durch staat- schen Politik des Imperialis­pitalismen zu stellen, den Staat deshalb der Finanzierung und der Kriegsgewinn- liche Zwangsverbände ersetzt. so mächtig als möglich auszugestalten. Die beteiligung blieb der Einfluß des Bürger- wird ein Kreis von in verschiedenster Ab- pitals, vorerst ein Ende ge­Wirtschaftskonkurrenz wird zum bedroh- tums sichtbar. Zugleich vollzog sich ein stufung an der Erhaltung der Staatsmacht macht. Die Gründe dafür im einzelnen umstürzender psychologischer Interessierter und für die Teilnahme Privi- zu analysieren würde zu weit führen. Auf lichen Wettkampf Prozeß. Der Staat erschien als allmächti- legierter zu einem von der Staatsleitung drei entscheidende Momente sei hingewie­staaten.

dieser

der Macht- wahrhaft

den sind.

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neu aufstrebenden

Entspringt so die neue Staatsmacht den ger Herr über die Wirtschaft. Daß er die zusammengefaßten Bund der sogenann- sen. Zunächst ein ökonomisches. Die Nach­imperialistischen Tendenzen, so bleibt sie Wirtschaft leiten, dirigieren, ordnen könne, ten Partei- zusammengefaßt, deren Teil- kriegsperiode hat auch in den führenden ihrer Entstehung verhaftet, sie wurde unbestritten herrschende Meinung, nehmer materiell und ideell mit der Staats - kapitalistischen Ländern den Drang zum stellt sich bereitwillig in den Dienst der die letzten Reste des ökonomischen Libe- macht auf Gedeih und Verderb verbun- Kapitalexport erheblich vermindert; soweit der Kapitalexport, der sich von den Schlä­imperialistischen Politik, von deren Stär- ralismus versanken. Diese Akzeptierung der Das alles besagt nun nicht, daß die gen der Kreditkrise noch lange nicht er­kung ihre eigene Stärkung anhängt. Im Verlauf des Prozesses verschafft ihr diese Staats omnipotenz blieb in den Einflüsse, die von den einzelnen Klassen holt hat, wieder möglich wird, findet er Stärkung zugleich immer größeres Krisen der Nachkriegszeit er- und Schichten ausgehen, ausgelöscht sind. in den Entwicklungsbedürfnissen der in Eigenleben; die staatliche Machtorga- halten. Die Staatsmacht wurde von allen Aber es besagt, daß neben den Klassen der kapitalistischen Entwicklung zurück­nisation entwickelt ihre eigenen, auf Er- Seiten der Gesellschaft zugleich zu allem und über ihnen eine gewaltige Potenz sich gebliebenen oder der haltung und Mehrung ihrer Macht gerich- fähig und für alles verantwortlich ge- verselbständigt hat, die stark genug ge- Rohstoffländer leichte Betätigungsmög­teten Tendenzen; eine gewisse Verselb- macht. Persönliche oder wirtschaftliche worden ist, den ihr eigentümlichen Zielen lichkeit. Politisch ist aber in den demokra­ständigung gegenüber der Ge- Schranken für die Staatsbetätigung wur- und Zwecken die Klasseninteressen, soweit tischen Ländern die Alleinherrschaft des sellschaft, der sie entsprossen, be- den nicht mehr anerkannt, die Ausdehnung sie ihr entgegenstehen, unterzuordnen oder imperialistischen Teils des Bürgertums über die Außenpolitik durchbrochen. Dazu ginnt. Diese Verselbständigung ist am der Staatsbefugnisse über die Gesellschaft sie zu brechen. Oberstes Ziel des totalitä- kommt als ein sehr bedeutsamer Umstand größten dort, wo die Staatsmacht im Ge- begegnete immer weniger psychologischen ren Staatsapparates ist die Er- der wachsende Widerstand, dem die impe­gensatz zu den Westmächten von je eine Hemmungen. Die höchste Machtvollkommenheit und haltung und Ausdehnung sei- rialistische Politik bei ihren bisherigen größere Unabhängigkeit von der bürger­in zugleich den größten Grad von Verselb- ner Macht. Das ist der Inhalt seiner Objekten begegnet. Das Erwachen der ge­lichen Gesellschaft behauptet hatte Deutschland und in Rußland . Zu ständigung gegenüber der Gesellschaft er- inneren, wie seiner äußeren Politik. Zur schichtslosen Nationen, ihr Drang nach zeigen, wie gerade diese relative Selbstän- reicht die Staatsgewalt im totalitären Macht gekommen sind die faschistischen nationaler Selbständigkeit und Unabhän­digkeit zum Ausbruch des Weltkrieges ge- Staat, in den Ländern der Dikta- Diktatoren, die Massengrundlage ihrer gigkeit hat durch den Krieg und nachher führt hat, wie die zur Unterschrift bereits tur. Der Staat hat sich gleichsam in den Herrschaft haben sie gewonnen im Zei- außerordentliche fertige Verständigung zwischen England Besitz der Gesellschaft gesetzt, die Gesell- chen des Nationalismus. Nur so konnten Das Erwachen der arabischen Welt, das und Deutschland über die Einflußsphären schaft, gleichgültig ob ihre Schichtungen sie die in der Nachkriegszeit Deklassierten für die Stellung Englands und Frankreichs der Deklassierung Bedrohten schwierige und gefährliche Probleme auf­in Vorderasien und über die portugiesi- zunächst erhalten bleiben, ob sie nivelliert oder von

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Fortschritte gemacht.