Nr. 185 BEILAGE

IkißcTteMs

13. Dezember 1936

Die fefahe den diktoiamkn KkihsiaMen

Von Oda Olberg (Buenos Aires ). Die im Exil erscheinende österreichi. seile»Arbeiter-Zeitung « wies in einer ihrer Septembernummern auf beachtens­werte Worte hin, die Jakob B u r c k- h a r d t über die kleinen Staaten ge­schrieben hat: »Der Kleinstaat ist vorhanden, damit ein , Fleck auf der Welt sei, wo die größtmögliche Quote der Staatsangehörigen Bürger im vol­len Sinne sind. Kleine Tyranneien sind die un­sicherste Staatsform und haben die beständige Neigung, in einem größeren Ganzen aufzu­gehen. Denn der Kleinstaat hat überhaupt nichts als die wirkliche tatsächliche Freiheit, wodurch er die gewaltigen Vorteile des Groß­staates, selbst dersen Macht, ideal völlig aufwiegt; jede Ausartung in die Despotie ent­zieht ihm seinen Boden.« Hier wird das Problem des Kleinstaa, tes von innen betrachtet. Auf d!e Außen­politik wirkt nur die»Neigung, in einem größeren Ganzen aufzugehen«. Diese Neigung ist heute den der Despotie ver­fallenen Kleinstaaten gründlich vergan­gen, weil sie dabei vom Regen in die Traufe kämen. Im übrigen hat die Be­völkerung dieser Kleinstaaten, deren Staatsangehörige eben keine Bürger mehr sind, überhaupt keine Möglichkeit, ibre Neigung irgendwie in die Waagschale zu werfen, da die heutigen Despotien viel »totalitärer« sind als der vorwiegend den antiken Republiken zugewandte Burck- hardt sich träumen lassen konnte. In dieser Unmöglichkeit für das Volk, die Politik des eigenen Landes zu lenken, liegt die außenpolitische Gefährlichkeit der diktatorial regierten Kleinstaaten. Jeder demokratische Kleinstaat hat tiefe feste Wurzeln im Boden seiner Le­bensinteressen. Klassisches Beispiel, die Schweiz . Sie wird nie ein europäisches Problem sein, nie ein Pulverfaß, nie ein »neuralgischer Punkt«. Solange sie wahr­haft demokratisch bleibt, wird sie nie von einer Großmacht in Schlepptau genommen werden, wird immer politische Eigen­wärme haben. Ihr dreisprachiges Volk, aus verschiedenen Rassen zu nationaler Einheit verschmolzen, kann am Schicksal der andern Völker, je nach Klasse und Kulturkreis, verschiedenen Anteil nehmen, aber es wird sich so wenig in fremde Kon­flikte hineinziehen lassen, wie sich seine Mpen zu fremden Festungsgürteln gestal. en können. Die freie Schweiz ist der un­erschütterlichste Punkt in ganz Europa , überhaupt nur von innen zu sprengen. Sobald aber ein Kleinstaat von seinen demokratischen Wurzeln losgerissen wird, stößt ihn die Habgier der Großstaaten hin und her. Er wird zu einem Element der Unruhe. Klassisches Beispiel, Oester­reich. Seit es aufgehört hat, ein demo­kratischer Staat, ein Rechtsstaat zu sein, ist es eine Prestigefrage für Hitler, ein mögliches Aufmarschgebiet für Italien , Gegenstand der Sorge und etwaigen Ab­wehr für Frankreich und die Tschecho. Slowakei kurz, es ist alles, nur ke;n Land für Oesterreicher , daß sie es nach ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen erhalten und bestellen. Es ist ein un­berechenbares Etwas in Europa gewor­den. Was ein Volk braucht, ist mit eini­ger Bestimmtheit vorauszusagen: Frie­den, billige und rechtschaffene Verwal­tung, Selbstbestimmung, Rechtssicherheit, Handelsaustausch usw., eben das, was es in einer Demokratie zu verwirklichen strebt Was aber ein Diktator und sein Klüngel brauchen, entzieht sich der Vor­aussage, etwa, wie das Ergebnis einer Versteigerung. Es hängt von der inneren Gefährdung des Regimes ab, von den Um- werbungen oder Erpressungen der Groß­mächte. Da wird mit Kommunistengefahr und Weltkrieg jongliert, mit Kronen und Königstöchtern. Eines Volkes Interessen sind in seinem Lebensraum, seiner Frei­heit, seinen Arbeitsmöglichkeiten, kurz, in seinem Vaterlande verankert. Die des Dik­tators und seines Klüngels sind auf Macht gerichtet, Macht durch Waffen oder Geld; sie haben mit dem eigenen Volke nur inso­fern zu tun, als dieses das Mittel sein soll zu Machtzwecken. Wenn in einem

Großstaat die eigenen Ressourcen hinrei­chen für den Dienst dieses Zweckes und er sich daher national gebärden kann, ob­wohl er den Lebensinteressen des eigenen Volkes entgegenarbeitet, muß in einem despotisch regierten Kleinstaat die Macht­gier über die Grenzen hinausgreifen. Er wird gleichsam als Spielball für fremde Interessen auf den diplomatischen Markt gebracht. Ein gefundenes Fressen für die faschistischen Großstaaten, die nach 'Ausdehnung ihrer Machtsphäre streben. Daher die nie ruhende Wühlarbeit, das 1 demokratische Regime der kleinen Staa- |ten zu vernichten. Nicht, daß den großen Diktaturen an dem Wohl oder Wehe in 1 diesem Falle an dem Wehe andrer Län. der gelegen wäre, oder etwa an der Aus­breitung der eigenen Ideologie als solcher. An Vasallenstaaten ist ihnen gelegen. Die internationale Gefahr eines sol­chen Kleinstaates ohne Selbststeuerung, die bei Oesterreich eine Drohung ist, sehen wir als Wirklichkeit in Portugal . Wäre Portugal ein demokratisch regierter Staat gewesen, so wäre es nie zum spanischen Bürgerkrieg gekommen. Ein demokrati­scher Staat wäre rein technisch untaug- jlich gewesen zu der langen Vorbereitung der spanischen Meuterei; rein technisch, weil die ungeknebelte Presse und die Freiheit der Kritik im Parlament und 1 Volksversammlung die Anhäufung von ; Kriegsmaterial, die Zusammenkünfte spa­nischer Offiziere, die Machenschaften der 1 Rechtsemigranten, die Inspektion der portugiesischen Flughäfen usw. zur öffentlichen Kenntnis gebracht hätten. Und wie hätten die Meuterer den Auf- stand gewagt, ohne auf Portugal als wirk­lich kugelsichere Etappe zählen zu kön­nen, als Lazareth für ihre Verwundeten, Stapelplatz für ihr Kriegsmaterial, Lan­dungshafen für ihre Flugzeuge, Falle für regierungstreue Flüchtlinge, die das fa­schistische NachbarländcKen zum Er­schießen auslieferte? Deutschland und Italien sind weit, Portugal ist nahe, und die Diplomatie der ganzen Welt hätte seine heüigen Grenzen geschützt, wenn

das»bolschewistische« Spanien es ge­wagt hätte, dies Asyl des Vertragsbruchs anzutasten. Und wenn Portugal ein demokratisches Land gewesen wäre, was es allerdings auch vor dem heutigen diktatorialen Re­gime nicht war, mit einer eigenen, aus den eigenen Lebensbedürfnissen erwachsenen Politik, hätte vielleicht England eine andre Haltung gegenüber Spanien eingenommen. Wenn sich auch die Feder sträubt, es niederzuschreiben, so ist es doch unleug­bar, daß Englands Außenpolitik in dieser Tragödie ausgesprochen faschistenfreund. lieh ist Diese Feststellung ist fast eben­so schmerzlich, wie unser Wissen um das furchtbare Morden in Spanien , aber eben­sowenig ein Phantasieprodukt, wie dieses. Für alle, die an eine weitbückende Politik und an eine zur Tat werdende demokrati­sche Ueberzeugung Großbritanniens ge­glaubt haben, waren die letzten Monate die schwerste Enttäuschung. Das einst so mächtige Inselreich unterhandelt mit einem Meuterer, wie mit einer gleichge­stellten Macht! Ihre Erklärung findet diese Haltung in der Tatsache, daß Eng­land in seinen Rüstungen sich nicht auf der Höhe der faschistischen Staaten fühlt, was die demokratischen Elemente lähmt. Daneben bestehen aber sicher ein Ueber- gewicht kapitalistischer Interessen, Sym­pathie eines Teil der Offiziere mit den Meuterern, faschistische Stimmungen brei­ter Schichten, wobei der Kommunisten­schreck kaum eine größere Rolle spielen dürfte, weil das englische Publikum für solchen Bluff zu gescheit ist. Sollte aber die britische Diplomatie, deren Blick nicht soweit reicht, die Folgen des Weißblutens des spanischen Rechtsstaates zu ermessen vor allem die Ueberwältigung der De. mokratie Frankreichs sich nicht durch ein kleines, aber naheliegendes Objekt haben beeinflußen lassen: Englands Vor­herrschaft in Portugal ? . Siegt in Spanien der Rechtsstaat, so wird er die Form einer iberischen Föde­ration annehmen, in welchem»größeren Ganzen aufzugehen« die demokratischen

Elemente Portugals erstreben müßten. In dem am innigsten mit Portugal verbunde­nen TeU Spaniens , in Galicia , hat man seit Beginn des Bürgerkrieges die Haltung Englands dieser Sorge um seine Hegemo­nie zugeschrieben. Der Fluch der Unfrei­heit der andern an der England frei­lich keine Schuld trägt fällt auf ihre Nutznießer zurück. Denn daß England gegen die Interessen seines Volkes und auch die seines Weltreichs handelt, dar­über lassen z. B. die Kolonisationspläne Deutschlands und Italiens keinen Zweifel, die die»United Preß« am 23. November verbreitet hat. Beide Länder wollen groß­mütig ihren Bevölkerungsüberschuß nach Spanien senden, Deutschland seine Berg­arbeiter nach Asturien , weil es wahr­scheinlich ist, daß der Bürgerkrieg die Mehrzahl der asturischen Bergleute eli­miniert«, Italien seine Landleute nach Andalusien , dessen Großgrundbesitzer keine Handbreit Erde hatten für das eigene Volk, das zu Hunderttausenden nach Amerika mußte. Aber neben dem deutsch -italienischen Spanien bliebe ja ein englisches Portugal , also eine Ein­flußsphäre, die in einem freien Spanien verloren wäre. Man lasse das diktatoriale Regime auf weitere kleine Demokratien übergreifen auf die Tschechoslowakei und Belgien , wird seit langem gezielt, Irland ist schon auf gutem Wege, von den Balkanstaaten ganz zu schweigen und die Reiche, die sich als demokratische Großstaaten fühlen, werden wie eine reife Frucht dem Faschismus in den Schoß fallen. Es mag verschroben scheinen, in dem verfilzten Gewebe der Geschichte ethi­schen Verknüpfungen nachzuspüren. Be­denkt man aber, zu welchem Fluch für alle sich die Freiheitsberaubung der klei. nen Staaten auswächst, so kann man nicht umhin, an die sittliche Forderung Kants zu denken, die jeden Menschen als Selbst­zweck betrachtet sehen will und nicht als Mittel. Das gilt auch für die Staaten. Aber Selbstzweck ist nur ein Staat, den der freie Wille seiner Bürger lenkt.

Das Hakenkreuz In Spanien Die deutsdie Botsdiaft In Madrid war In eine Festung verwandelt

In spanischen Zeitungen lesen wir: Als vor kurzem auf energisches Ersuchen der Madrider Regierung die Gebäude der ita­lienischen und deutschen Botschaften in Ma­ drid geräumt wurden, ergab sich ein großer Unterschied zwischen dem Zustand der bei­den. Die italienische Botschaft wurde ohne den geringsten Widerstand über­geben, sie war nur noch von einem Portier und 2 Nonnen bewohnt. In der deutschen Botschaft war zwar auch nur wenig diplo­matisches Personal vorhanden, dagegen desto mehr Personen allein 45 von spani­scher Nationalität die sich unter den Schutz der Hakenkreuzfahne*) geflüchtet hatten. Unter diesen waren verschiedene Spanler. die aus irgendwelchen Gründen sich bedroht gefühlt hatten, die zuerst bei der französischen Botschaft Unterkunft ge­sucht, als diese sie ihnen verweigerte, fanden sie durch gute Beziehungen Einlaß bei der deutschen . Als der spanischen Polizei nun zur Uebergabc die Tore geöffnet wurden, glaub­ten diese spanischen Flüchtlinge sich wohl zu salvieren, indem sie sofort das Vorhandensein von Waffen, Muni­tion, Gasbomben und einem Flug- abwehrgeschütz verrieten. Bei der weiteren Haussuchung ergab sich, daß das zurückgebliebene deutsche Botschaftspersonal die ganzen Gebäude und den Garten befestigt hat. Alle Fenster, Türen. Dachkammern etc. waren verbarrikadiert, im Garten hatte man Schanzen aufgeworfen. Alle Insassen, inklu­sive der Spanler, hatten Waffen erhalten, jeder bekam seinen bestimmten militärischen

*) Dies ist nur bildlich gemeint, denn In M. war seit dem 18. VII. kein Hakenkreuz zu sehen, während alle anderen ausländischen Gesandtschaften und private Firmen und Häuser weithin sichtbar ihre Nationalfarben hißten.

Posten zugeteilt, auch wurden regelrechte Wachen eingerichtet. Daß man diese mllitän- schen Vorbereitungen nicht nur zur Abwehr befürchteter Angriffe getroffen hatte(die Regierungsseite hat sich allerdings bis heute gegenüber allen ausländischen diplomatischen Vertretungen einer Vorsicht befleißigt, die man bei der»Ordnungsseite« durchaus nicht Immer antrifft!), daß man vielmehr darüber hinaus weitere Pläne verfolgte, geht klar aus den Verhören der Flüchtlinge deutscher und spanischer Nationalität bei der Polizei her­vor. Vor allem läßt die geradezu skandalöse Behandlung einiger derselben den direkten Schluß auf das schlechte Gewissen und die Angst vor Verrat verbotener Dinge bei den Botschaftsangestellten zu. Diese Leute waren solche, die durch ihr Benehmen den kleinsten Verdacht erregt hatten, daß sie nicht voll den Enthusiasmus der andern über den Vor­marsch der Rebellen und die Anerkennung der Burgos -Leute durch Deutschland und Italien teilten. Eis war das erstens ein Deutscher, ehemali­ger Gemüselieferant der Botschaft. Als er sich eines Tages wie die meisten andern Deutschen bei der Botschaft zum Rücktrans­port nach Deutschland einschreiben wollte, wurde er inständigst gebeten, doch in Madrid zu bleiben und der Botschaft als Portler oder als Koch Dienste zu leisten. Als er nach eini­gem Hin- und Herschwanken zusagte, war er sehr erstaunt über die große Zahl von Men­schen, die ständig in der Botschaft logier­ten. Als er dies Erstaunen einmal äußerte. stieß er gleich auf große Feindseligkeit, die täglich anwuchs. Eines Tages, am 11. Okto­ber also gerade in den Tagen, in denen der großmäulige General Franco seinen sieg­reichen Einzug in die Hauptstadt angekün­digt hatte bemerkte er bei Eankäufen, daß das Aussehen der Stadt völlig dem Bilde wi­

dersprach, daß man sich in der Botschaft, wo man nur den Sendern der Rebellen Glau­ben schenkte, gemacht hatte. Nach seiner Rückkehr wagte er es, von seinen persön­lichen Eindrücken und von einigen Gesprä­chen In der Straße zu erzählen. Kurz danach wurde er aus dem Küchendienst entfernt und in ein dunkles Zimmer gesperrt, wo er ständig von zwei bewaffneten Spaniern bewacht wurde. Da er durch die Feuchtigkeit des Raumes erkrankte, brachte man ihn in ein anderes Zimmer, aber er blieb unter strengster Bewachung eingeschlossen, von je­dem Verkehr mit den anderen Insassen der Botschaft getrennt, ohne auch nur einmal an die Luft gehen zu können. Die Folge davoa war, daß der 50jährige Mann frühzeitig er­graute und bei der Uebergabe der Botschaft den Eindruck eines 60jährigen machte. 4t Tage war er so gefangen und wäre es weiter geblieben, wenn nicht die diplomatischen Zwistlgkesten zwischen der spanischen Re­gierung und den Hakenkreuzlern ihn befrdt hätten. Daß die Nazis auch nicht vor Gewalttaten gegenüber unschuldigen Angehörigen ihres Gastvolkes zurückschreckten, wenn es sich darum handelt Ihre verbrecherischen Vorbe­reitungen zu verbergen, geht aus der Be­handlung von zwei spanischen Dienstmädchen hervor. In dem Küchendienst der Deutschen Botschaft arbeiteten seit 7 Jahren 2 Spanier­innen, denen man nach der Abreise des Ge­schäftsträgers jede Betätigung In der Kücne verbot und die man in einem Im Garten ge­legenen, von den anderen Gebäuden getrennten Pavillon einquartierte. Ihren wiederholtet» Bitten, sie doch aus dem Dienst zu entlassen, wurde nicht stattgegeben, aus sehr durch­sichtigen Gründen. Jeder mündliche Verkehr mit andern Personen wurde ihnen untersagt, man beschränkte sie auf den Aufenthalt m