Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblakk

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 184 SONNTAG, 20. Dez. 1936

Aus dem Inhalt:

Das Urteil von Chur Europäische Kriegsgefahr

Der japanische Freund Kriegsabitur

Kriegswinter ohne Krieg

Die Leiden des deutschen Volkes unter der Diktatur

Das deutsche Volk erlebt einen echten,| Aehnlichkeit mit den letzten Kriegswintern, sie erregte. Es war eine General­leidensvollen Kriegswinter. Er ist ihm von nicht im klaren ist. der Diktatur auferlegt worden. Hier ist keine Rede von unentrinnbaren Notwendig­keiten, von Zwangslagen, die jeden, der

dankt das deutsche Volk der willkürlichen,

planmäßig, zielbewußt herbeigeführt wor­

den. Es sind gewollte Leiden- ge­

Die gewaltige Ausdehnung, die die Grippe Epidemie in Deutschland

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zum

Aber ist es denn wirklich ein Kriegs­probe des Verschweigens wich- winter ohne Krieg, den das deutsche Volk tigster politischer Tatsachen. In welcher jetzt durchlebt? Hallt nicht die Welt wider seelischen Verfassung wird sich auf die vom Kriegslärm in Spanien ? Werden nicht Dauer ein Volk befinden, das mit solchen in Deutschland die Fliegerbomben fabri­regiert, zu gleichen Schritten zwingen wür- gefunden hat, beruht auf der langsamen, Mitteln in unwürdiger Unwissenheit gehal- ziert, mit denen in Madrid Frauen und aber sicheren Schwächung durch den be- ten wird? Die letzten Kriegsjahre des Kinder ermordet werden? Schickt nicht den. Was heute in Deutschland ist, ver- hördlich angeordneten Mangel. Die deut- Weltkrieges in Deutschland geben darauf das braune System Formationen den spa­freiwilligen Entscheidung seiner Regie- sche Medizin bemüht sich, dem Volke die eine Antwort. Damals nahm ein großer nischen Rebellen zu Hilfe, die Franco und rung. Seine Leiden sind nicht wie eine Na- wohltätigen Wirkungen der Nahrungsmit- Teil der Bevölkerung ohne weiteres an, daß Genossen> blonde Mohren< nennen, turkatastrophe hereingebrochen. Sie sind telknappheit und der fleisch- und fett- jede amtliche Nachricht erlogen sei, weil Unterschied von den braunen Mohren, die armen Ernährung vorzureden wie im sie amtlich sei. Nach dieser Generalprobe sie aus Marokko beziehen? Treffen nicht Kriege- aber die Natur widerlegt die des Schweigens erhebt sich übrigens die schon wieder in Hamburg Verwundeten­Zweckargumente der gleichgeschalteten Frage: Wenn das System in der Lage ist, transporte aus Spanien ein und führt nicht Wissenschaft. so wichtige, die ganze Welt berührende das System selbst einen brutalen Ausrot­Die Propagandakünste aber Dinge zwei Wochen lang dem deutschen tungskrieg gegen alle, die sich ihm nicht die Methode der Zweckerzählungen hier Volke zu verschweigen, was kann es schweigend unterwerfen wollen, brutaler und des Schweigens da übertreffen dann alles mit dieser Methode der dirigier- als jemals ein Kriegsfeind gegen fremde Wenn man die aus Deutschland einlau- alles, was auf diesem Gebiet in den letzten ten Wahrheit dem Volke erzählen? Völker vorgegangen ist? fenden Berichte überblickt, die sich mit der Kriegsjahren geleistet worden ist. Das Pro- Von der Verschweigung weltwichtiger Tat­Ernährungslage, mit der Wohnungsfrage, pagandaministerium hat gerade jetzt dem bestände bis zur Erfindung weltwichtiger schied gegenüber den Kriegswintern 1916­deutschen Volke eine Lektion über das Tatbestände ist nur ein Schritt. Es ist 1917 und 1917/1918. Damals gab es im mit der Bekleidung und dem Gesundheits­Wesen der dirigierten Wahrheit erteilt. Es alles schon dagewesen. Als im Herbst 1918 deutschen Volke wenigstens noch einen zustand der Bevölkerung beschäftigen, so die entrollt sich ein Bild, das verzwei- hat zwei Wochen lang der Presse völliges der Führer der preußischen Konservativen, Ausblick und eine Hoffnung mit den Schweigen verordnet über die mit der Ab- Heydebrand v. d. Lasa, über die wahre Hoffnung auf Frieden. Die deut­letzten Kriegswintern des dankung des englischen Königs zusammen- Kriegslage unterrichtet wurde, rief er aus: schen Kriegswinter von heute aber lassen Weltkrieges hat. Die großen Paral- hängenden Vorgänge. Das deutsche Volk Wir sind belogen und betrogen worden!< keinen Raum für diese Hoffnung; denn lelen zwischen den letzten Kriegswintern hat volle zwei Wochen lang nicht erfahren Und das sagte ein Systemmann von da- sie dienen der Vorbereitung des und der heutigen Lage auf dem Gebiete dürfen, was die ganze Welt wußte und was mals!

wollt nicht vom Volke, aber von seiner Re­gierung. Sie sind der Preis, den die deut­sche Regierung für ihre Politik der Kriegs­vorbereitung zahlt nicht auf ihre Ko­sten, sondern auf Kosten des Volkes.

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felte Aehnlichkeit

der Finanzwirtschaft und der Währung werden äußerlich nicht ohne weiteres sichtbar. Aber ihre Rückwirkungen auf die Lebenshaltung des Volkes lassen sich nicht verbergen, sie gehen ins Massenbewußt­sein ein.

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Achtstundentag

Dennoch ist ein entscheidender Unter­

Krieges.

das war einmal!

Furchtbare Ueberarbeit im Baugewerbe

es sich um

zu 30 in der Woche im Baugewerbe keine sind. Aus Südwestdeutschland

Mit nationalistischen Redensarten las- Von den kulturellen Errungenschaften der einer Verlängerung der Arbeitszeit erhob.| nicht die 60- Stundenwoche, sondern die 108­sen sich Hungernde auf die Dauer nicht Arbeiterbewegung geht ein Stück nach dem Gleich darauf kam die Neuregelung im Bau- Stundenwoche bedeuten, wenn man es abspeisen, und selbst der brutalste Terror anderen hin. Der Achtstundentag, der am gewerbe. So muß jedermann sehen, wohin die wörtlich nimmt. Allerdings ist schwer fest­wird wirkungslos, wenn physischer Zusam- 10. November 1918 durch die berühmte Ver- Reise geht. Das Geld, das die großen Scharf- zustellen, was sich ein sogenannter Treuhän­menbruch ein Volk zur Verzweiflung ordnung der Volksbeauftragten proklamiert macher in der NSDAP anlegten, macht sich der beim Erlaß seiner Verordnungen eigent­treibt. Es gibt Symptome genug aus wurde, war schon zur Zeit der Republik Ge- immer besser bezahlt. lich gedacht hat. Tatsache ist jedenfalls, daß Deutschland , die es erkennen lassen, daß genstand ständiger Kämpfe zwischen Arbei- Wie lange die Arbeitszeit ist, die jetzt im die Praxis im Baugewerbe schon längst über das Land rasch katastrophalen Zuständen tern und Unternehmern. Nachdem die Arbei- Baugewerbe für zulässig gehalten wird, läßt die 60- Stundenwoche hinausgeht. So wird uns entgegentreibt. Den Kommandeuren mag ter niedergeschlagen waren, begann man die sich nun nicht ohne weiteres feststellen. Nach aus Sachsen berichtet, daß Ueberstunden bis es tiefe Befriedigung bedeuten, daß wenig- sozialen Einrichtungen, die in den Jahren den Zeitungsberichten handelt stens planmäßig und geordnet der Schmache entstanden waren, eine nach einen Ersatz der 48- Stundenwoche durch die Seltenheit gehungert wird seit den Boxheimer Do- der anderen abzubauen. Nun ist es soweit, 60- Stundenwoche, des Achtstundentages durch wird uns berichtet, daß beim Bau eines gro­kumenten ist bekannt, daß sie ihr Regime daß auch diese Frucht des>> Novemberverbre- den Zehnstundentag. Der Wortlaut der Ver- Ben Militärlazaretts Tag und Nacht und am als ein Regime der Ueberorganisation des chens«<, der Achtstundentag, stückweise be- ordnung, die vom Treuhänder der Arbeit für Sonntag gearbeitet wird. Die Zuschläge für Hungers von vornherein angesehen haben seitigt wird. Durch eine Neuregelung im Brandenburg als dem Sondertreuhänder für Nacht- und Sonntagsarbeit werden nicht ge­dem leidenden Volke aber ist anders zu- Baugewerbe wird für» dringliche Bauten das Baugewerbe im ganzen Reich erlassen ist, zahlt. mute. Die den Weltkrieg bewußt miterlebt welche werden nicht» dringlich<< sein? die läßt jedoch noch eine andere Auslegung zu. haben, Männer und Frauen, blicken um 48- Stundenwoche abgeschafft. Zwar soll die Der§ 3 besagt: sich und stellen fest: alles wie da- Mehrarbeit grundsätzlich als Ueberarbeit gel­>> Der Betriebsführer kann in dringenden schon auf dem Wege zur Verwirklichung, ten, doch ist und darin liegt die besondere Fällen Mehrarbeit bis zu 60 Stunden gleichviel, was sich der Treuhänder bei der Tücke innerhalb von acht Wochen ein Aus­gleich möglich in der Weise, daß die Ueber­stunden gegen verlorengegangene Schlecht­wetterstunden verrechnet werden können.

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mals.

wird.

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Die Arbeiter arbeiten bis zu 100 Stunden die Woche ohne einen Pfennig Zuschlag.

Die Ueberhundertstundenwoche ist also

wöchentlich und zehn Stunden täglich Abfassung seiner grausen Verordnung ge­

anordnen.<<

Das Urteil von Chur

Auf den Plätzen in den Städten stehen Einrichtungen, um die Bevölkerung zum dacht hat. Vielleicht ist die zweideutige Opfern anzuregen so wie man im Welt­krieg in Deutschland überall für 10 Pfen­Das würde nicht den Zehnstundentag, son- Fassung sogar absichtlich gewählt, um den nige den» Eisernen Hindenburg<< nageln Da die Löhne im Baugewerbe längst eine dern den Achtzehnstundentag, und wahren Stand der Dinge zu vernebeln. konnte. Abschraubkommissionen, gebildet sinkende Tendenz zeigen, wird sich das breite von Hitlerjugend und SA, ziehen umher Loch, das in den Achtstundentag gerissen ist, und schrauben Türklinken und Ofentüren sehr schnell erweitern. Die Arbeiter werden ab, beschlagnahmen Küchengeräte, Tür - sich nach Ueberstundenarbeit drängen, um und Treppenverzierungen, Dachrinnen und durch sie einen gerade noch erträglichen Le­Wer drückte Frankfurter den Revolver in die Hand? Aschenbecher. Soldaten sammeln Woll- bensunterhalt herauszuholen. sachen, während die Bevölkerung schon Daß es sich keineswegs nur um eine vor- David Frankfurter wird den töd-| des reichsdeutschen Rundfunks von der längst auf Textilersatzstoffe verwiesen übergehende Ausnahmeregelung handelt, be- lichen Schuß, den er auf einen Vertreter Rede erfahren, in der ihm einer der ange­weist die Vorgeschichte dieses Angriffs. Als des braunen Systems abgegeben hat, mit sehensten Rechtsanwälte der Schweiz die Die notwendigen Nahrungs- vor einiger Zeit der Reichsminister Frank seinem Leben bezahlen. Denn daß dieser Maske vom Gesicht riß. Die servile Presse erklärte,»> wir werden unsere tuberkulöse junge Mann nach achtzehn hat auf Befehl Dr. Curti spaltenlang mittel werden immer knapper. in München Auch hier ist der Kriegsersatz wie- Währung nicht abwerten, aber wir werden Jahren den Kerker lebendig verlassen wird, beschimpft, sie hat in unzähligen Abwand­der auferstanden. Das dauernde Sinken die Arbeit aufwerten«, so wußten viele noch ist wenig wahrscheinlich. Die Richter ha- lungen versichert, daß er nichts als Mär­des Reallohnes verschlechtert den Ernäh- nicht, was dieser dunkle Ausspruch zu bedeu- ben dem Buchstaben des Gesetzes genügt. chen, Lügen und Verleumdungen vorge­aber keine einzige Zeitung rungszustand immer ten habe. Deutlicher wurde man auf dem Wer jedoch mit dem Willen zu einer höhe- tragen habe, der Bevölkerung mehr. Dazu kommt der absolute Mangel Goslarer Bauerntag, wo man eine Verlänge- ren Gerechtigkeit an den Fall herantritt, hätte es wagen dürfen und hat es gewagt, vor allem an Fettstoffen der sich rung der Arbeitszeit in der Industrie ver- wird finden, daß der wirklich Schuldige auch nur eine Zeile von dem zu bringen, worin diese Märchen, Lügen und Verleum­auf die Dauer gefährlich auswirken muß. langte, um den Zug der Landarbeiter nach weit im Hintergrund geblieben ist. Dieser Schuldige hat selbst den deut- dungen bestanden haben sollen. Die ser­Seit der Einführung des Listensystems für der Stadt aufzuhalten. Schließlich war es der den Verkauf von Fett und Butter, das im Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsver- lichsten Beweis seines Schuldbewußtseins vile Presse erklärt mit einem Gleichklang, Prinzip auf die Wiedereinführung der mittlung und Arbeitslosenversicherung Sy- gegeben, indem er die Stimme der Anklage der wenig kurzweilig wirkt, die Rede Cur­Fettkarte hinausläuft, gibt es nieman- rup, der in der» Deutschen Wirtschaftszei- unterdrückte. Nicht ein Wort durften die tis sei sehr langweilig gewesen. Sie mag den mehr, der sich über die verzweifelte tung« ganz allgemein die Forderung nach reichsdeutschen Zeitungsleser, die Hörer freilich den schon Unterrichteten nicht

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