Nr. 184 BEILAGE

IcutfloraÄ

20. Dezember 1936

Die Konstellation im Osten

Die Wandlungen der Hitlerpolitik

Im Westen hat sich, wie wir gezeigt haben, eine akute Kriegskonstellation herausgebildet. Der Bund Deutschland - Italien bedroht England und Frank­ reich , die jetzt endlich sich zu einem Defensivbündnis zusammengeschlossen haben, in das Belgien ausdrücklich und Holland stillschweigend einge­schlossen sind. Die Erweiterung des deutsch -italienischen Bündnisses zur Tripelallianz mit Japan denn darum handelt es sich bei der deutschen Ab­machung gegen den Kommunismus und der italienisch- japanischen über die ge­genseitige Anerkennung der Eroberung von Mandschurei und Abessinien be­droht die englischen und französischen Besitzungen und Stützpunkte im Fernen Osten und den an Rohstoffen Petro­leum, Gummi, Zinn, Oelfrüchten unge­mein reichen niederländischen Kolonial­besitz. Andererseits hemmt Japan die Bewegungsfreiheit der Sowjetunion in Europa . Die Machtverschiebung ist außerordentlich. 1914 war keine der für das englische Empire lebenswichtigen Ver­bindungswege entscheidend gefährdet. Italien und Japan waren Englands Ver­bündete, die deutsche Seemacht, die ein­zige feindliche, war strategisch zur Un­tätigkeit verurteilt: nicht Seeschlachten entschieden den Krieg, sondern die eng­lische Beherrschung der Meere. Heute ist der Weg durch das Mittelmeer , sind Malta und Aden durch Italien , Hongkong und Singapore durch Japan bedroht. Die stra­tegische Stellung Englands ist von vorn­herein heute viel gefährdeter als 1914. Es ist eine gefährliche, dem englischen Selbst­bewußtsein nur zu naheliegende Illusion, die Bedeutung dieser Machtverschiebung zu unterschätzen. Wie groß sie bereits geworden ist, beweist die vom englischen Außenminister kaum mehr in Abrede ge­stellte Tatsache, daß Italien sich der spa­ nischen Balearen bemächtigt hat, natür­lich sind es nur»Freiwillige«, die in Mal­ lorca weilen. Die Inselgruppe beherrscht die Verbindung zwischen Frankreich und seinen nordafrikanischen Besitz und stellt eine ausgezeichnete Basis für eine Luft­flotte dar, die Gibraltar und die Schiffe, die die Straße von Gibraltar passieren, bombardieren will. England und Frank­ reich haben schon jetzt, bevor noch Spa­ nien und Portugal an die Achse Berlin- Rom angegliedert sind, den ersten Ab­schnitt des nächsten Krieges verloren. Lange nicht so klar ist die Kon­stellation im Osten. Ein Vorgän­ger von Adolf Hitler , der Reichskanzler Bismarck , hat es stets als einen unver­brüchlichen Grundsatz der deutschen aus­wärtigen Politik bezeichnet, einen feind­lichen Zusammenstoß mit Rußland zu vermeiden. Adolf Hitler war anderer An­sicht. Im»Mein Kampf « proklamiert er für das Neue deutsche Reich neben der vorhergehenden Vernichtung Frankreichs auch den Kampf gegen Rußlan . Er begründet ihn keineswegs mit ideologi­schen Motiven. Die Rettung der europäi­ schen Kultur vor dem Bolschewismus lag dem nicht am Herzen, der zunächst die Austilgung des vemiggerten Frankreichs als Großmacht im Auge hatte. Es ging um reale Dinge: in Uebereinstimmung mit dem Balten Rosenberg verlangte Hitler für Deutschland neues Siedlungsland im Osten, in den Randstaaten und in der Ukraine . Diese Ziele sind offiziell auf­gegeben worden. Aber sie sind sehr merk­würdig. Die Ukraine ist ein vom Klein­bauern dichtbesiedeltes Gebiet, national verbunden mit den ruthenischen Teilen Polens . Die Bevölkerung müßte gewalt­sam vertrieben werden, um deutschen Siedlern Platz zu machen. Wo sind die deutschen Siedler, die nach der Ukraine wollen? Deutschland verfügt über keine großen Siedlermassen: bei guter Beschäf- tigung seiner Industrien akzentuiert sich sofort die Landflucht und der Land­arbeitennangel verstärkt sich. Dazu kommt, daß der Besitz neuen Weizen­landes die deutschen Wirtschaftsbünd­nisse in keiner Weise befriedigt. Was die deutsche Kriegswirtschaft in erster Linie will, ist Petroleum , Zinn , Kupfer, Gumnu, Mangan, Eisen, Dinge, die in der Ukraine nicht zu haben sind. Verglichen mit dem,

was die Besiegüng der Westmächte brin­gen kann, wäre es eine gleichgültige Ba­gatelle. Dazu kommt, daß eine Festsetzung Deutschlands in der Ukraine , wie über­haupt jede Machterweiterung Deutsch­ lands im Osten, für Polen ganz unerträg­lich wäre und dieses Land Deutschland auf Gnade und Ungnade ausüefern würde. Dieser Umstand, daß das militärisch so erstarkte Deutschland zu einer ge­fährlichen Bedrohung Polens wird, ge­winnt aber immer größere Bedeutung. Denn es zwingt Polen dazu, seine Politik der letzten Jahre zu revidieren. Die Po­litik Becks hat sicher gewisse Augen­blickserfolge gezeitigt. Sie hat Polen den Korridor ge­sichert, hat ihm erlaubt, die Entnationali­sierung des Deutschtums im Korridor und in Oberschlesien zu forcieren, seine Stel­lung zwischen Deutschland und Rußland zu befestigen, seinen Preis bei den West­mächten zu erhöhen. Polen ist stets in einer schwierigen Position. Von sozialen und nationalen Gegensätzen zerklüftet, ökonomisch schwer daniederliegend, mili­tärisch schwach, muß es befürchten, bei einer Konflagration im Osten zum Auf­marschgebiet der überlegenen feindlichen Mächte ausgeliefert zu sein mit der Aus­sicht, wie immer der Kampf ausgeht, zum Opfer der Sieger zu werden. Konnte 1933 das noch schwache Deutschland als ein Schutz gegen Rußland erscheinen, so ist es jetzt selbst zur Gefahr geworden. Da­her die in Entwicklung begriffene Neu­

orientierung der polnischen Politik. Neubelebung des Bündnisses mit Frankreich , das insbesondere Hilfe für stärkere Rüstung bringen soll, Neu­belebung des Bündnisses mit Rumänien , um die Pufferstellung sowohl gegen Ruß­ land als gegen Deutschland zu verstärken und damit den Zusammenprall der beiden großen zu erschweren; deutliche Absage an eine antirevisionistische Außenpolitik, aber alles noch gehemmt durch die na­tional-militaristische Tradition Pilsudskis mit ihrer bornierten Russen- und Tschechenfeindschaft, die eine entschie­dene und damit vielleicht entscheidende Annäherung an die Kleine Entente noch hindert. So unentschieden und zögernd Polens Politik auch ist, sie reicht aus, um eine Erschwerung eines Vorgehens Deutsch­ lands gegen Rußland zu bewirken. Denn ein deutscher Angriff auf Rußland setzt eben nicht nur voraus die Eroberung der Tschechoslowakei und der Randstaaten, sondern auch die Mitwirkung Polens von der Seite des übermächigen Partners, und das wäre politischer Selbstmord. Die Auf­rechterhaltung des Friedens im Osten wird so zu einer Existenzfrage gerade für Polen und muß es von Deutschland all­mählich abdrängen. Dazu kommt, daß Italien zwar im scharfen Gegensatz gegen die Westmächte, namentlich gegen Eng­land steht, dazu die deutsche Kooperation braucht, ohne die es ohnmächtig ist, daß aber sein Gegensatz gegen Rußland nur sekundär ist, es Rußland nur in Schach gehalten wissen will, damit es in seinem

Kampf um das Mittelmeer nicht gestört werde. Hitlers ursprüngliche außenpolitische Konzeption war die primitive Stammtisch­vorstellung von einem großen kontinen­talen deutschen Reich, das alle deutschen Stämme, womöglich inklusive von Schwei­zern, Holländern und Vlamen umfassen und durch große aggressive Siedlungs­gebiete im Osten ergänzt und autarkiert werden sollte. Die imperialistische Politik Wilhelms H., die Flottenrivalität mit England, die Erwerbung von Kolonien wurde völlig verworfen. Aber Staats­politik wird nicht allein von den Ideen eines noch so mächtigen Diktators be­stimmt, sondern ist das Kollektivwerk der herrschenden Schicht. Ihre Machtpolitik hat eine bestimmte Wirtschaftsführung erzwungen und diese stellt ihre Forderun­gen. Hitler hat seinen Widerstand gegen die Kolonialpolitik aufgegeben, auch auf die Gefahr der Gegnerschaft Englands. Die Verbundenheit mit Italien zwingt ihn in die Auseinandersetzung mit dem We­sten, die nicht mehr eine kontinentale Auseinandersetzung mit Frankreich allein bleiben kann, sondern eine totale mit der Weltmacht England. Der Gegensatz zu Rußland , ursprünglich als realer Macht­kampf um russische Agrargebiete gedacht, wird so sekundär, die Kontinentalpolitik tritt hinter die Weltpolitik zurück, und aus dem realen Gegensatz würde ein rein ideologischer werden, wenn der Krieg teil­bar, wenn nicht Orient und Okzident so eng verbunden wären. Dr. Richard Kern.

Partei und Nation

Zur »Rir unsere auswärtige Politik« so be­gann am 5. Dezember Leon Blum seine große Kammerrede,»sind sehr einfache Grundsätze maßgebend: der Entschluß, über alles andere die Interessen Frank­ reichs zu stellen, und die Ueberzeugung, daß Frankreich kein größeres Interesse hat, als sein Interesse am F r i e d e n, die Gewißheit, daß der Frieden Frankeichs untrennbar mit dem Frieden Europas ver­bunden ist.« Leon Blum hat damit eine ausgezeich­nete Formel gefunden, um den nur schein­baren Gegensatz zwischen international- marxistischer und nationaler Außenpolitik verschwinden zu lassen. Unser Internatio­nalismus ist nicht den Interessen der Na­tion entgegengesetzt, sondern ihnen ge­mäß: was uns über die Grenzen hinaus mit Gleichgesinnten verbindet, ist die Ueber­zeugung, daß durch unseren Internationa­lismus allen Nationen, ganz besonders auch der unseren, am besten gedient ist. Wenn also die deutschen Sozialdemo­kraten zur Außenpolitik des Dritten Rei­ ches Stellung nehmen, so tun sie das als Angehörige einer Partei, die Fleisch vom Fleische, und Blut vom Blute des deut­ schen Volkes ist. Diese Partei ist mit der Geschichte des deutschen Vol­kes untrennbar verbunden, sie hat in ihr eine große und ehrenvolle Rolle gespielt, sie wird früher oder später zu einer noch größeren berufen sein. Sie wird sich diese Berufung für die Zukunft desto gewisser erhalten, je klarer sie sich auch im Exil und*in der Illegalität jener tiefen Zusam­menhänge bewußt bleibt, die keine mecha­nische Gewalt zerreißen kann. Gerade auf dem Gebiet der Außenpoli­tik des Deutschen Reiches ist der Unter­schied zwischen nationaler Tatgesinnung und nationalistischem Maulheldentum mit Händen zu greifen. Denn wenn eine Nation jemals treue, gewissenhafte und selbstlose Diener gehabt hat, dann die deutsche an den deutschen Sozialdemokraten. Wenn aber jemals e<ine Nation von falschen Freunden hintergangen und mißbraucht worden ist. dann die deutsche von jenen Leuten, die die nationale Gesinnung zu ihrem Parteimonopol gestempelt haben. Die Machthaber des Dritten Reiches rühmen sich ihrer außenpolitischen Er- folge. Worin bestehen sie? Vor allem in einer Reihe von Herausforderungen, die

Außenpolitik des Dritten Reidis unbeantwortet geblieben sind. An die Stelle der Republik , ist ganz an die Seite Frank- der vorsichtigen und geräuschlosen Befrei­ungspolitik, wie sie von der Republik be­trieben wurde, haben sie eine halsbreche- risch-spektakelnde gesetzt; sie haben unter ungeheuerem Lärm Deutschland zu einen totalen Militärstaat verwandelt, ohne daß ihnen dabei jemand in den Arm fiel. Das ist ihr unleugbarer Erfolg. Nun klirren sie mit dem Säbel und versichern, Deutschland stehe wieder»geachtet« da, Aber von der Achtung, die ein Bewaff­neter wegen seiner Waffen genießt, kann ein Staat auf die Dauer nicht leben. Wenn Frankreich bald nach seiner Niederlage von 1870 wieder geachtet in der Welt da­stand, so dankte es das nicht nur seiner Armee, sondern in weit höherem Maße sei­ner geistigen Leistung und seiner klugen Außenpolitik. Das siegreiche Deutschland war ihm auf diesen beiden Gebieten ebenso unterlegen, wie es auf militärischem überlegen blieb. Der Welt­krieg hat dann gezeigt, daß auch die größte militärische Tüchtigkeit die Schä­den einer schlechten Politik ndcht aufzu­wiegen imstande ist. Es war der Grundfehler der wilhelmini­schen Außenpolitik, daß sie nicht auf den soliden Erfolg, sondern auf den äuße­ren Effekt gerichtet war. Diesen Feh­ler wiederholt und übersteigert die Außen­politik des Dritten Reiches . Wie sollte sie auch anders, da sie doch noch viel mehr als jene auf den Beifall der Galerie ange­wiesen ist! Eine demokratische Regierung kann sich auf das Vertrauen und das Ver­ständnis politisch erzogener Volkskreise stützen; die Diktatur lebt von der Unwis­senheit, die an politische Wunder glaubt und sie täglich neu erwartet. Vor die Wahl gestellt, sachliche Außenpolitik zu treiben, oder ihr Publikum bei Laune zu halten, muß sie sich notgedrungen für das zweite entscheiden. Denn davon hängt auf die Dauer ihre Existenz ab. Was sie damit erreichte, ist dies: Der Frieden, den Deutschland nicht weniger braucht als Frankreich , ist aufs schwerste bedroht. Von neuem ballt sich eine unge­heure Koalition zusammen, die im Kriegs­fall gegen Deutschland stehen wird. An die Stelle der Freundschaft mit der Sow­ jetunion ist erbitterte Feindschaft ge­treten. England, Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich in der Zeit

reichs gedrängt. Polen hat nach kurzem Schaukelspiel sein Bündnis mit Frankreich erneuert. Die Kleine Entente demon­striert vor der Welt ihren Zusammenhalt und ihre Orientierung nach Paris und Lon­ don . Hinter diesen Staaten, die im Kriegs­fall als unmittelbar Handelnde in Erschei­nung treten dürften, steht mit ihren Sym­pathien so gut wie die ganze übrige Welt: nicht nur die kleinen Neutralen Europas , sondern auch das große mächtige Ame­ rika . Gegenüber diesen Aktiven der Gegen­seite sind die des Dritten Reiches gering. Die sichtbaren Möglichkeiten beschränken sich auf eine Bundeshilfe Italiens mit seinen kleinen Donauvasallen, sowie Ja­ pans . Möglichkeiten sind aber noch keine Sicherheiten. Dr. Richard Kern hat in einer scharf­sinnigen Analyse der Weltlage sehr richtig auseinandergesetzt, daß es sich in einem neuen Kriege um nicht weniger handeln würde als um eine Neuverteilung der Welt. Daraus ergibt sich, wie unge­heuer das Risiko dessen ist, der im Ernst­fall mit Deutschland geht, und wie gering seine Gewinnchancen sind. Ein deutsch - italienischer Block wäre gewiß für Frank­ reich und die Kleine Entente eine furcht­bare Bedrohung. Aber der Weg in der Welt bleibt ihm im Osten durch den russischen Koloß, im Westen durch die Macht des englischen Imperiums versperrt; er kann sein Ziel nicht erreichen, wenn es ihm nicht gelingt, wenigstens eine dieser beiden Bar­rieren zu zertrümmern. Die größere Wahr­scheinlichkeit spricht dafür, daß er schließ­lich zwischen beiden zermalmt werden wird, zumal ihm seine Gegner an Finanz­kraft, Rohstoffen und Zufuhrgelegenheiten weit überlegen sind. Solche Erwägungen lassen es also höchst unwahrscheinlich erscheinen, daß Italien mit Deutschland bis zum bitteren Ende gehen wird. Das Spiel mit dem Bünd­nis ist ihm sehr nützlich, das Bündnis selbst wäre ihm höchst gefährlich. Aehn- liches gilt auch von Japan . Das deutsch -japanische Abkommen gegen den Kommunismus hat die ganze Welt um den Stillen Ozean alarmiert und ihren Argwohn hervorgerufen. Es hat England und Holland , China und vor allem Amerika aufhorchen lassen. Das deutsch «