Nr. 187 SONNTAG, 10. Januar 1937
Aus dem Inhalt; Lippe-Detmold Wegbereiter Hitlers Grandioseste Fehlanlage Lauter Freiwillige
Weltwirtschaft 1936 Konjunkturaufschwung— Wiederbelebung des Welthandels— Agrarkrise überwunden
Das Jahr 1936 war ein Jahr zunehmender internationaler Spannung. Verlauf und Ausgang des abessinischen Krieges zerstörte die �kollektive Sicherheit«, die die Grundlage der auswärtigen Politik der Friedensmächte gewesen war. und schuf den akuten englisch -italienischen Gegensatz; der Bruch des Locarno -Vertrages und die Besetzung der Rheinlande war ein Umsturz der militärisch-strategischen, Machtverhältnisse zugunsten der aggressiven deutschen Diktatur; der spanische Bürgerkrieg drohte, infolge der Schlüsselstellung Spa niens am Westzugang des Mittelmeeres, zu einer allgemeinen europäischen Konflagra- tion zu werden, und im Fernen Osten bleibt die von Japan ausgehende Bedrohung permanent. All diese widrigen politischen Einflüsse haben den Aufstieg der Wirtschaft nicht zu hemmen vermochL Die Erholung der kapitalistischen Welt— wir sehen von der Wirtschaft der Diktaturländer zunächst ab— hat zum Teil erstaunliche Fortschritte gemacht, die Konjunktur hat sich intensiviert und verbreitert. Aber hat nicht gerade die politische Unsicherheit, indem sie die Rüstungskonjunktur auslöste, die Wirtscbafts- erholung bewirkt, handelt es sich also nicht um eine bloße Scheinblüte, die wieder welken muß, sobald in der Aufrüstung ein Stillstand eintritt? Eine solche Meinung überträgt nur allzu leicht eine Auffassung, die für Deutschland , Italien und in gewissem Grade für Japan zutrifft, auf die Weltwirtschaft. Für die führenden Träger des Wirtschaftsaufschwungs hat die spezifische Rüstungskonjunktur keine entscheidende Rolle gespielt: in England setzt die Erholung schon bald nach 1932 ein; sie geht aus von der Belebung des Wohnungsbaus, der nur in geringem Maß von öffentlichen Mitteln unterstützt wird, sie wird gefördert durch die verbesserte Exportfähigkeit infolge der fortschreitenden Entwertung des Pfundes, durch den Uebergang zum Schutzzoll im imperialen Maßstab und durch den Zusammenschluß einer Reihe von wichtigen Rohstoff- und Industrieländern zur Währungsgemeinschaft des Sterlingblocks. Die britische Prosperität hatte bereits ein hohes Ausmaß erreicht, bevor in diesem Jahre, besonders in seiner zweiten Hälfte, die Auf- tüstung einsetzt und die Prosperität eines großen Teils der Industrie zu einer ausgesprochenen Hochkonjunktur steigert. Quantitativ gering war und ist der von der Rüstung ausgehende Impuls auch für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten , auf deren Wiederbelebung viel eher die Wirtschaftspolitik Roosevelts, die Einführung der Arbeitslosenunterstützung, die reichen Subventionen an die Farmer, die Beseitigung der akutesten Krisenherde durch die staatliche unterstützte Sanierung der Banken und Eisenbahnen, von Einfluß gewesen ist. Man darf eben nicht übersehen, daß, so gewaltig die Rüstungsausgaben für einzelne Länder ins Gewicht fallen können, namentlich wenn sie auf eine kurze Zeitspanne zusammengedrängt werden, sie für weltwirtschaftliche Größenordnungen weit weniger entscheidend sind. '* Das entscheidende Ereignis des Jahres ist die Ueberwindung der Agrarkrise! Das Zusammenfallen von Agrar- und Industriekrse war im kapitalistischen Wirtschaftsablauf bisher nur zweimal eingetreten; nach den Napoleonischen Krie
gen und nach der Erschließung der ameri kanischen Weizenflächen zu Beginn der 70er Jahre. In beiden Fällen wurde dadurch eine langwährende Depressionsperiode eingeleitet, die nur durch kurzdauernde Aufschwungszeiten unterbrochen wurde. Die Befürchtung war deshalb berechtigt, daß auch diesmal die Ueberwindung der Krise erst in längerer Zeit und unter den stärksten Hemmungen erfolgen werde. Dies um so mehr, als die Agrar- schutzpolitik der europäischen Staaten zur Verschärfung der Situation noch wesentlich beitragen mußte, indem sie trotz der vorhandenen Ueberproduktion die Ausdehnung des Getreidebaus noch forcierte. Aber bereits im Vorjahr begann eine Wendung, die in diesem Jahre zu einer vollständigen Aenderung der Situation geführt hat. Der Weizenpreis, der in Winnipeg im Januar 87.25 Cents pro Bushel notierte, erreichte am 18. Dezember den Stand von 128 Cents und liegt damit um fast 50 Prozent über dem Vorjahr; Mais stieg in Chicago von 58 auf 108 Cents. Diese Preise stellen Höchstpreise dar, die seit sechs Jahren nicht mehr verzeichnet worden sind. Es sind Preise, welche die Agrarwirtschaft der Getreideüberschuß-Länder wieder rentabel gemacht haben. Das Entscheidende dabei ist, daß nicht nur die neu zur Verfügung stehenden Exportüberschüsse, sondern auch die Getreidevorräte, die in den Vor
jahren angesammelt worden waren und auf die Preisgestaltung drückten, bis zur neuen Ernte fast vollständig aufgebraucht sein werden, und schon wird die Meinung laut, daß für das kommende Erntejahr mit einer Knappheit der Getreideversorgung gerechnet werden muß. Eine ähnliche Besserung, wenn auch nicht immer in gleich hohem Ausmaß, weisen auch die übrigen Agrarprodukte, namentlich die Baumwolle auf. Die Ueberwindung der Krise ist zum Teil auf die einschränkenden Maßnahmen der staatlichen Agrarpolitik in den Ver einigten Staaten , Argentinien und Kanada zurückzuführen, zum größeren Teil aber auf natürliche Ursachen, der raschen Aufeinanderfolge ungünstiger Ernten in Uebersee , und im letzten Jahr auch auf den schlechten Ernteausfall in Europa , der Frankreich , Italien und Deutschland wieder zu Einfuhrländern gemacht hat. Jedoch wird es immer wahrscheinlicher, daß Teile der Anbauflächen in den Vereinigten Staaten und in Kanada , die seit 1914 in Bebauung gewesen waren, auf die Dauer dem Getreideanbau entzogen werden müssen. Denn die Dürre und die Sandstürme, die in den letzten Jahren so große Schäden verursacht haben, sind Symptome einer dauernden Bodenerschöpfung. Die Erweiterung der Anbauflächen dürfte eine erhebliche Verlangsamung erfahren; wahrscheinlich kann sogar mit einer Verminderung gerechnet werden.
Nicht nur um Ueberwindung der Krise, sondern um rasch fortschreitende gute Konjunktur handelt es sich bei fast allen industriellen Rohstoffen. Die Preise der meisten Nichteisenmetalle nähern sich unter Führung von Kupfer und Zinn dem Niveau von 1929 bei stets noch zunehmender Nachfrage. Der Absatz von Petroleum und Kautschuk ist infolge der schnell voranschreitenden Motorisierung und der glänzenden Automobilkonjunktur höher als je. Ausgesprochene Hochkonjunktur herrscht in der Eisenindustrie, und in letzter Zeit wurden fast jede Woche die Ausfuhrpreise des europäischen kontinentalen Eisenkartells, die Inlandspreise in Frankreich , Belgien , England und den Vereinigten Staaten heraufgesetzt. Zur Ueberwindung der Agrarkrise, zur guten Konjunktur der Rohstoffe, kommt als drittes allgemeines Moment die Verringerung der Währungsunsicherheit. Der Ende September erfolgten Devalvation der bisherigen Goldblockländer folgte der Abschluß eines internationalen Währungsabkommens zwischen Frankreich , England und den Ver einigten Staaten , dem dann auch Belgien , Holland und die Schweiz beitraten. Sein Ziel ist, eine tatsächliche Stabilität der wichtigsten Währungen zu sichern, bis eine weitere Besserung und Klärung der internationalen Kredit- und Handelsbe-
Hasardspiel mit dem Frieden
Das DrÜte Reich und die Kriegsgelahr
Die deutsche Regierung kann den traurigen Ruhm buchen, das erste Ultimatum in dieser gefahrvollen Zeit erlassen zu haben. Ihr»Admiral in den spanischen Gewässern« hat der spanischen Regierung eine unverschämte Drohung zugehen lassen, die ganz den Charakter eines Ultima- liuns hat. Dieser Schritt entspringt dem Prestigebedürfnis der Diktatur. Es ist die Wiederaufnahme der Politik der»gepanzerten Faust«— nur daß diese Politik heute noch verantwortungsloser und brutaler betrieben wird als vor dem Weltkriege. Die Taten der deutschen Panzerschiffe und Kreuzer und die Notenbegleit- musik des deutschen Admirals demonstrieren, daß das Dritte Reich die selbstherrliche Gewalt über alles internationale Recht stellen will. Mit diesen brutalen Gewalttaten und diesem Kraftmeiertum will die deutsche Propaganda die deutsche Jugend kriegsbesoffen machen, und das Volk von der ständig wachsenden Not ablenken. Das Treiben der Hitlerschiffe ist eine internationale Gefahr. Es hat bisher die Antwort auf die englisch -französischen Noten über die Nichteinmischung in Spa nien ersetzt. Bis zur Stunde, in der wir dies schreiben, ist die deutsche Antwort nicht erfolgt, und man hat sich in London
sten Nachrichten über die Landung italienischer Truppen in Spanien sind von der englischen Regierung selbst verbreitet worden. Während sich die demokratischen Westmächte um die Baunnng der Kriegsgefahr bemühen, erhält die deutsche Politik das Feuer der Kriegsgefahr am Brennen. Sie ist es, die die PoUtik der Nichtinterven Jon zu einer unwürdigen Farce macht, indem sie die Rebellen mit Mannschaften und Material unterstützt. Sie hat der Niclil- interventionspolitik das Prinzip der Intervention entgegengestellt. Die deutsche Erklärung, daß eine kommunistische Regierung in Spanien nicht geduldet werden wird, macht jedes deutsche Bekenntnis zur Nichtinterv entionspolitik sinnlos. Man weiß längst, daß der Begriff»kommunistisch« für das deutsche System alles deckt, was kommunistisch, sozialistisch, demokratisch, lieberal, freiheitlich im weitesten Sinne des Wortes ist. Hinter dieser Formel verbirgt sich der Vorbehalt, gegen jedes System in Spanien zu intervenieren, das dem Hitlersystem nicht paßt. Die Politik der Zerstörung des internationalen Rechts wird systematisch fortgesetzt. Die Hasardeurpolitik eines Ladendorff ist nichts gegen die Hasardeurpolitik, die
bereits an das Schicksal des berühmten das Hitlersystem betreibt. Der Einsatz da- Fragebogens erinnert gefühlt. Wann immer! bei ist der europäische Friede— ist vor diese Antwort erfolgt, und wie immer ihre allem aber auch Zukunft und Existenz des Formeln lauten werden— ihr Wert und deutschen \ olkes.
die Aufrichtigkeit ihrer Zusicherungen ist uberschattet von der fortgesetzten Unterstützung der spanischen Rebellen durch deutsche Mannschaften und deutsches Material, wie von dem Treiben der deutschen Kriegsschiffe in spanischen Gewässern. Dasselbe gilt übrigens auch für die italienische Antwort und das neue Gentlemen- agreement über das Mittelmeer . Die neue-
Lauier Freiwillige! In den Zeitungen war dieser Tage zu lesen, daß einige deutsche Prinzessinnen beinahe an der holländischen Hochzeit nicht hatten teilnehmen können, weil ihnen die Behörden die Pässe verweigerten. In denselben Zeitungen war zur selben Zeit von den 20.000 oder 25.000»deutschen
Freiwiligen« die Rede, die sich in der Armee des Generals Franco befinden. Man spricht von französischen, deutschen tschechoslowakischen. Freiwilligen, die in der Internationalen Brigade für die legitime Regierung kämpfen und von deutschen Freiwilligen. die gegen sie stehen, als ob zwischen Freiwilligen und»Freiwilligen« gar kein Unterschied bestünde. So werden durch Gedankenloeigkeit oder Furcht vor der Wahrheit die Tatbestände verdunkelt. Alle Welt weiß, daß niemand gegen den Willen der Berliner Machthaber ohne Lebensgefahr die Grenze passieren kann, und man tut so, als ob zehntausende junger Männer Deutschland anders hätten verlassen können als auf ausdrücklichen Befehl. Die sogenannten»deutschen Freiwilligen« •— das ist so selbstverständlich, daß man sich fast schämt, es auszusprechen— sind Truppen, die zur Unterstützung, des Rebellengenerals Franco nach Spanien kommandiert worden sind. Hitler führt zu Lande und zu Wasser gegen Spanien Krieg.
Mobilmachung der Opfer Freiwillige antreten zum Erschießen! Mite Dezember haben, wie ans München . Augsburg und Kempten glcichiaatend berichtet wird, alle ehe ma Ilgen Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau eine Zuschrift erhalten, in der sie angewiesen werden, am ersten Tage nach der erfolgten Mobilmachung durch den deut schen Rundfunk um 8 Uhr vormittags sich Im Polizeipräsidium in den Räumen der b a y- rischen politischen Polizei zu melden. Diese Zustellung haben auch Personen erhalten, die längere Zeit in einem Polizeigefängnis in Schutzhaft gewesen sind. Was hat das System mit diesen Menschen im Kriegsfalle vor?