Nr. 193 SONNTAG, 21. Februar 193? (&os!a(dcmolraHfd)eg Verlag: Karlsbad , Haus„Graphia"— Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite Aus dem Inhalt: Hinter den Kulissen von Krupp Eine halbe Milliarde Rüstun gsgewinn Die Maske des Friedens Internationale Entspannung?— Keine Kriegsgefahr, nur Kriegspsychose?— Deutschland , das Friedenslamm? Der deutsche Reichsaußenminister von Neurath hat in einem Interview behauptet, daß die außenpolitische Konstellation weitgehend entspannt sei, daß Deutschland absolut friedfertig sei, und daß eine wirkliche Gefahr nur in der Kriegspsychose bestehe, die systematisch von Leuten geschürt werde, die ein Interesse an einer derartigen Tätigkeit hätten. Eine schöne Entspannung beobachten wir, wenn wir um uns blicken! In Spa nien wird ein Krieg geführt, dessen Schamlosigkeit nur noch von den diplomatischen Lügen übertroffen wird, mit denen der klare Tatbestand verdunkelt werden soll— sei es in Berlin oder Rom , sei es im englischen Parlament. In D a n z i g werden die letzten Reste der verfassungsmäßigen Freiheit und damit des Ansehens des Völkerbundes zu Boden gestampft. Gegenüber der Tschechoslowakei wird ein haßerfüllter Propagandakrieg voll wilder und unverhohlener Drohungen geführt, der in seiner Art schon Kriegsgefahr ist. Auf dem Balkan wird eine Zersetzungsarbeit betrieben, die alle Elemente friedlicher Ordnung auflösen soIL Gegen Osten reißen die Feinderklärungen gegenüber Sowjetrußland nicht ab, gegen Westen werden die alldeutschen Kolonialforderungen vertreten, Italien , Hitlers Partner, sucht Keile zwischen England und Frankreich zu treiben mit der Versicherung, England werde am Binde die deutsche Forderung mit französischen Kolonien honorieren. Dem spanischen Konflikt im Westmittelmeer entspricht ein Konflikt Frankreich - Türkei im Ostmittelmeer, in Südosteuropa herrscht Verwirrung. Und dabei haben wir noch nicht einmal von den Rüstungen gesprochen. Rüstungen in Deutschland , in Frankreich , in Sowjetrußland wie in der ganzen Welt— und nun dazu das gigantische eng lische Rüstungsprogramm, das nichts anderes ist als unmittelbare Vorbereitung auf einen ganz nahe gefürchteten Krieg.— Nicht das Mutterland allein rüstet, sondern auch die Dominien, und wenn etwas die Zweckbestimmimg dieser Rüstung aufzeigt, so die Tatsache, daß die südafrikanische Union bei den Rüstungen der Dominien vorangeht. Diese Rüstung des englischen Weltreichs richtet sich gegen Deutschland und Italien . Wozu denn die Rüstungen, wenn die außenpolitische Konstellation weitgehend entspannt ist, wozu der deutsche Vierjahresplan, wozu die englische Rüstungsantwort auf diesen Vierjahresplan? Soll man annehmen, daß diese Rüstungen nur der Ausfluß der böswillig erzeugten Kriegspsychose sind, von der der deutsche Außenminister gesprochen hat? Es gibt allerdings eine»Kriegspsychose«, die keinen Wahn darstellt, sondern ein Gefühl für die Wahrheit! Der einfache Mann auf der Straße nimmt an, daß diese gigantischen Rüstungen einen Zweck haben müssen, und der Zweck von Kriegsrüstungen ist bekanntlich der Krieg. Hat denn nicht die Politik des Dritten Reichs die Kriegsdrohung zum Mittel ihrer Politik gemacht? Droht sie nicht ununterbrochen mit dem Amoklauf, mit der allgemeinen Brandstiftung in Europa , wenn ihrem gemeingefährlichen Treiben nicht freie Bahn gelassen werde? Sucht sie nicht dauernd, kleinere und schwächere Länder unter den dauernden Druck einer unverhohlenen Drohung mit dem verbrecherischen kriegerischen Ueber- fall zu halten? Dies Treiben ist so deutlich, daß heute selbst die Diplomatie offen von der deutschen Politik des internationalen Terrors spricht. Angesichts dieser Zustände in Europa sollen die Völker sich nicht vor dem Krieg fürchten? Wie steht es denn in Deutschland ? Jeder, der Berichte aus Deutschland erhält und die Lage unbefangen prüft, weiß es: landauf, landab eine einzige große Kriegsfurcht, schlimmer noch als bei anderen Völkern! Wer sind denn hier die Leute, die nach den Worten von Neurath»in ihrem Interesse systematisch die Kriegspsychose schüren?« Sind diese Leute so mächtig, daß sie gegen das Reichspropagandaministerium, gegen die gleichgeschaltete Presse, gegen die Gestapo das ganze Volk in Kriegspsychose versetzt haben? Oder sind es nicht vielmehr die Taten der deutschen Regierung selbst, die die Kriegsfurcht im Volke erzeugen— eineberechtigteKriegsfurcht? Ein System, das die letzten Reserven der Volkswirtschaft in die Rüstung wirft, das seine Qualitätsarbeiter Tag und Nacht nur Waffen und Munition erzeugen läßt, das seinen ganzen Erziehungsapparat auf Erzeugung von Kriegsbegeisterung abstellt, erzeugt Kriegsfurcht en gros. Wozu dann das Gerede von der internationalen Entspannung, von der unbegründeten, künstlich erzeugten Kriegspsychose? Weil das Treiben der deutschen Politik die Kriegsgefahr so unmittelbar nahe gebracht hat, daß für die Kriegspropaganda die Schuldfrage von Bedeutung wird. Dies Interview des deutschen Reichsaußenministers steht im Dienste einer neuen Unschuldslüge des' kriegslüsternen deutschen Militarismus. Eis soll ablenken von der Tatsache, daß der neue deutsche Militarismus die Kriegsgefahr von heute heraufbeschworen hat, daß er es ist, der alle Völker auf die Bahn des Wettrüstens gezwungen hat. Der deutsche Reichsaußenminister befolgt eine altbekannte und bewährte Taktik, wenn er schreit: Haltet den Dieb! Aber wen glaubt er heute noch täuschen zu können? Der holte Mootutrelch in Donzis Die Taktik der Nationalsozialisten Der Freistaat Danzig befindet sich heute in der gleichen Lage wie Deutschland im Mai 1933. Die Verfassung ist tatsächlich gebrochen. Mit einigen formalen und terroristischen Handgriffen zerreißen die Nazis die wenigen Zwirnsfäden, die davon noch vorhanden sind. In der Vorwoche hat der Senat durch eine Verordnung einen neuen verfassungswidrigen Anschlag gegen die Rechte der Volks tagsabgeordneten durchgeführt. In einer von ihm erlassenen Novelle zum Volkstagswahlgesetz wird angeordnet, daß als Verzicht auf das Abgeordneten-Mandat auch anzusehen sei, wenn sich ein Abgeordneter außerstand setze, die Pflichten, die ihm sein Amt insbesondere zur Mitarbeit auferlegt, zu erfüllen. Die angebliche Pflichtversäumnis eines Abgeordneten soll festgestellt werden durch den vom Senat eingesetzten Wahlausschuß, der zu zwei Dritteln aus Nationalsozialisten besteht. Diese Verordnung ist bereits in einem Falle, und zwar gegen den sozialdemokratischen Abgeordneten Johannes Krupp- ke aus Tiegenhof, Kreis Großes Werder, angewandt worden. Durch die neue Verordnung wird den verfassungswidrigen disziplinarischen Maßnahmen gegen oppositionelle Abgeordnete Tür und Tor geöffnet. Im Falle des sozialdemokratischen Abgeordneten Kruppke hat der Naziterror gewirkt: dies dem Genossen Kruppke aberkannte Mandat hat sich inzwischen in ein nationalsozialistisches Mandat verwandelt Nachdem der Führer der Deutschnationalen, Dr. B lavier, mehr als 3% Monate im Danziger Polizeigefängnis in Schutzhaft gesessen hat, hat er sich jetzt unter dem Druck der gegen ihn durchgeführten Maßnahmen veranlaßt gesehen, auf sein Abgeordnetenmandat im Danziger Volkstag zu verzichten. Dr. Blavier befindet sich aber nach wie vor in Schutzhaft Augenscheinlich will man von ihm eine Erklärung erpressen, sich in Zukunft nicht mehr politisch betätigen zu wollen. Auch in diesem Falle ist das Ziel, den Mandatsnachfolger durch Terror zum Stimmen für die NSDAP zu pressen. Gelingt dies, so fehlt den Nationalsozialisten nur noch eine Stimme an der verfassungsändernden. Mehrheit! Das ist die Taktik, und sie ist nicht neu. Bis ist dieselbe Methode, die im Frühjahr 1933 in deutschen Ländern und Gemeinden, zum Beispiel in Braunschweig , geübt worden ist. Diese mit terroristischen Methoden zusammengeschobene verfassungsändernde Mehrheit soll es dem Völkerbund ermöglichen, gegenüber dem offenkundigen Rechtsbruch das Gesicht zu wahren. « Der offene Terror In der letzten Woche hat die Danziger Polizei zu einem Schlag gegen die Zentruma- partei ausgeholt, gegen die bereits seit einigen Wochen eine besonders heftige Hetzkampagne durch die NSDAP entfacht worden war. Unter dem Vorwand, ein Ersatzblatt für die verbotene»Danziger Volkszeitung«, das Organ der Danziger Katholiken, herausgegeben zu haben, wurde der 1. Vorsitzende der Partei, der Volkatagsabgeordnete und Geistliche Studienrat D.r. Richard Stachnick, von der politischen Polizei verhaftet, ohne daß der Volkstag vorher seine verfassungsmäßig verankerte parlamentarische Immunität aufgehoben hätte. Dr. Stachnick wurde, gemeinsam mit dem Herausgeber des angeblichen Ersatzblattes,»Das kleine Blatt«, Grzenla, einem Angehörigen der polnischen Minderheit, vor ein Schnellgericht gestellt und zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Dr. Stachnick wurde sofort in Haft behalten. Er hat gegep das Urteil Berufung eingelegt. Nachdem nun auch Dr. Stachnick verhaftet worden ist, befinden sich jetzt die Führer sämtlicher drei Oppositionsgruppen in Danzig hinter Gefängnismauern, neben Dr. Stachnick und Dr. Blavier bekanntlich auch der I. Vorsitzende der polizeilich aufgelösten Sozialdemokratischen Partei, Abgeordneter Arthur Brill, der wegen der bekannten Waffenbesitz-Legende, die auch zur Begründung der Partelauflösung diente, bereits vor zwei Monaten In Untersuchungshaft genommen worden ist. Anfang Februar hat die polltische Polizei femer eine große Aktion gegen ehemalige Mitglieder des polizeilich aufgelösten A r b e 1- ter-Turn- und Sportverbandes der Freien Stadt Danzig durchgeführt. 13 Mitglieder der ehemaligen Ortsgruppe Danzig-Lang- fuhr dieses Verbandes befinden sich wegen angeblicher Fortführung der verbotenen Organisation seit dem 4. Februar in Polizeihaft. Am 12. Februar ist nun auch der bisherig* 1. Vorsitzende des Arbeiter-Tum- und Sportverbandes, das sozialdemokratische Mitglied der Stadtbürgerschaft Hermann Thomat, ein Redakteur der verbotenen»Danziger Voiks- stimme«, von der polltischen Polizei verhaftet worden. Gegen die Arbeitersportler soll eine Gerichtsverhandlung durchgeführt werden. Entgegen der sonstigen Uebung hat die Polizei sie nicht sofort vor des Schnellgericht gestellt, augenscheinlich weil man die Folgen von Mißhandlungen durch die Beamten der politischen Polizei, denen die Sportler während der Vernehmungen ausgesetzt waren, nicht publik werden lassen will. Vom System ermordet Nach amtlichen deutschen Berichten sind in den letzten Tagen drei Hinrichtungen wegen Landesverrats erfolgt. Was heute in Deutschland Landesverrat ist, ist nicht zu übersehen. Es muß angenommen werden, daß es sich um politische Justizmorde handelt. Gleichzeitig wird mitgeteilt, daß der Kommunist Johann Eggert hingerichtet worden ist, weil er sich bis zu seiner Verhaftung für die Komintern betätigt habe. In diesem Falle also wird zugestanden, daß der Kommunist Eggert wegen der Propaganda einer Gesinnung abgeschlachtet worden ist. Dieser Kommunist hat nichts anderes getan, als was die Agenten des Herrn Bohle— jetzt in amtlicher Eigenschaft— unbehelligt in allen Ländern der Erde tun. Er hat nichts anderes getan, als daß er eine Propaganda getrieben hat, wie sie Herr von Ribbentrop täglich in London treibt. Der sogenannte»Antibolschewismus« des braunen Systems ist nichts andere« als der blutige Terror gegen jede Freiheitsregung— und der Ermordete hat die gerechte Empörung gegen dies blutbefleckte System mit seinem Tode besiegelt. Hüler läßt wählen Die Wahlmaschine gegen die evangelische Opposition. Das Regime will Wahlen ausschreiben für eine»verfassungsgebende Generalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche «. Die Reste der alten Kirchenbürokratie haben sich bisher Immer noch gegen die Glelchschaltungsabalch- ten von Hitlers Kirchenminister Kerrl gehal-
Ausgabe
5 (21.2.1937) 193
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten