6o|!a(temolralifd)cg Verlag; Karlsbad , HausGraphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite Nr. 303 SONNTAG, 2. Mal«937 Aus dem Inhalt; Weltwirtschaft mit Kriegs­wirtschaften? Braune Schande Brüchige deutsch -polnische Freundschaft Reichsanwalt Jörns Der Fall Oesterreich Die Realpolitik Hitlers und Mussolinis Im Südosten Europas ist eine gefähr­liche Sorte von»realistischer« Politik im Gange. Realismus in dem Sinne, in dem die italienische wie die deutsche Propa­ganda das Wort begreift, betreibt ein jeder, der auf das internationale Recht und auf bestehende Verträge pfeift und aus dem Verrat an seinen Freunden ein Geschäft macht. Realismus hat man in Belgrad ge­zeigt, realistische Tendenzen sind in Buka­ rest fühlbar, wo gewisse Leute sich von der Kleinen Entente weg zur»Achse Gdin- gen-Konstanza« hinwenden wollen. Wenn dieser realistische Sinn weiter um sich greift, wird schließlich vor lauter»Achsen� kein Platz mehr für den Frieden in dieser Gegend sein. Das ist ein TeU einer allgemeinen euro­ päischen Erscheinung, die durch den Ver­rat an der Sanktionspolitik und durch die Ausschaltung des Völkerbundes herbeige­führt worden ist. Seit der systematischen Ausschaltung des Völkerbundes ist die Kontrolle der Kabinettspolitik der Groß­mächte durch die öffentliche Meinung zu­rückgedrängt, und in den kleinen Ländern ein Zustand herbeigeführt worden, der un­verantwortlichen Kräften, Cliquen und »realistischen« Kabinettspolitikern freies Spiel gibt. Stück für Stück zerfällt die kol­lektive Organisation des Friedens, die zu­gleich die Regierungen zu internationaler Verantwortung gezwungen hat. Das Ausscheiden Belgiens aus den Locarnoverpflichtungen ist ein wesent­licher Akt in diesem Drama. Der Rückzug auf die Neutralität ist unvereinbar mit dem Sinn des Völkerbundpaktes. Daß die belgische Regierung vorgibt, nach wie vor ihren Völkerbundsverpflichtungen treu zu bleiben, hat demgegenüber wenig Bedeu­tung in einer Zeit, in der die Völkerbunds­verpflichtungen im Falle Spanien offen­kundig mit Füßen getreten werden. Der Rückzug auf die Neutralität kommt den Prinzipien der Hitlerpolitik keine kol­lektive oder regionale Sicherheit, Lokali­sierung, von Konflikten statt Konfliktsver­hinderung durch gemeinsame Wendung gegen den Angreifer sehr weit entge­gen. Deshalb begleitet die Presse des Drit­ ten Reiches die Politik der belgischen Re­gierung mit lautem Beifall. Was hier an Eriedensorganisation zerbro­chen wird, kann keine Machtpolitik, auch keine englische Rüstung ersetzen. Im verstärkten Maße noch zeigt sich der Verfall der Organisation des Friedens im Südosten Europas . Hier herrscht eine fieberhafte Aktivität, aber eine Akti­vität der Auflösung, nicht des Zusammen­sehl us s. Der Südosten Europas droht wieder zum>Balkan « zu werden, und man ist versucht zu sagen, daß die Kurzsich­tigkeit der W estmächte diese Zerfallser- scheinungen geradezu organisiert hat. Wie fehlerhaft ihre politischen Spekulationen gewesen sind, erweist sich am Falle Oester­ reich . Die deutsche Presse, die ebenso wie die italienische befohlene Ansichten äußert, hat die Begegnung von Mussolim und Schuschnigg in Venedig benutzt, um zu demonstrieren, daß in1 deutsch­italienischen Verhältnis Deutschland die Vormacht ist. Sie stellt fest, daß die öster­reichische wie die italienische Politik fest auf die römischen Protokolle wie auf die Abmachungen vom 11. Juli 1936 gebunden worden ist.»Dies beweist« so schreibt die»Frankfurter Zeitung «»daß gewisse Bestrebungen, Oesterreich aus dem Be­reich dieser Zusammenarbeit mit Italien und Deutschland herauszuziehen, den in Prag und Paris erwünschten Erfolg nicht gehabt haben. In Anbetracht der ganzen Verhältnisse überrascht uns das nicht, wie überhaupt die ganze Verlautbarung von Venedig für uns Deutsche keinerlei Ueberraschungen enthält was unsere Lage von der anderer Interessen­ten nicht unwesentlich unterscheidet.« Man will mit dieser Sprache zu verstehen ge­ben, daß sich Deutschland der italienischen Haltung versichert hat In der Tat hat Mussolini großen Eifer bewiesen, den Wünschen Hitlers zu entsprechen fast zu viel Eifer. Dem österreichischen Bundes­kanzler ist dieser Eifer peinlich geworden aber die unbestreitbare Tatsache ist es, daß Oesterreich von Mussolini , dem einsti­gen Beauftragten der Stresafront zur Wahrung der österreichischen Unabhängig­keit, an Deutschland ausgeliefert wor­den ist. Gegenüber der italienischen Presse, die in der zynischsten Form die Abhängigkeit der österreichischen Innenpolitik vom Wil­len der mächtigen Herrenstaaten bloßstell­te, hat sich der österreichische Bundes- k an zier mit einem Dementi und einer Geste der Unabhängigkeit zur Wehr gesetzt. Aber darauf, wie er sich innenpolitisch einrichtet, kommt es gar nicht an. Tatbe­stand ist, daß er in der deutlichsten Form an seine Vasallenrolle erinnert worden ist, und daß er sich darnach richten wird. Ist denn die Entstehungsgeschichte der»römi­schen Protokolle« schon vergessen? Wäh­rend des abessinischen Krieges, als der Verrat der Westmächte am Völkerbund noch nicht feststand, hatte der österreichi­sche Vasall Unabhängigkeitsgelüste ge­zeigt. Das war die Zeit, wo wirtschaftliche Projekte zur»Organisierung des Donau­raumes« lebhaft verfolgt wurden, die vor allem von der Tschechoslowakei ausgingen. Sie waren nur zu verwirklichen zwischen politisch freien Ländern, nur dann, wenn die österreichischen Nachfolgestaaten un­gestört von den Machtbestrebungen der Großmächte natürliche Beziehungen hät­ten wieder herstellen können. Damals war in den tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen ein Stadium erreicht, das für solche Pläne noch günstiger erschien als die heutigen Beziehungen. Damals war aber auch die Kleine Entente noch ein wirklich geschlossener Block. Kaum aber bekam Mussolini Luft durch die Preis­gabe der Sanktionspolitik wie durch die Rheinlandbesetzimg so rief er den Va­sallen zur Ordnung. Die»römischen Pro­tokolle« vom 17. März 1936 stellten das Herrschaftsverhältnis in vollem Umfange wieder her, sie verpflichteten Oesterreich, mit anderen Staaten keine politischen oder wirtschaftlichen Verhandlungen ohne vor­herige Konsultation mit Italien zu führen. Schuschnigg wurde daran erinnert, daß Oesterreich nicht frei ist, sondern Objekt der Kabinettspolitik der Großmächte, die das Land einander hin- und herreichen so wie ja auch das innere System dieses IS raune Schande Der Vormarsch des Rebellengenerals Mola auf Bilbao ist ein einziges großes Verbrechen. Er gilt nicht nur militärischen Zielen, son­dern soll zur Ausrottung der baskischen Zi­vilbevölkerung dienen. Mola hat gedroht, daß er die ganze Provinz verwüsten werde, wenn sie nicht kapituliere. Auf dem Gebiet, das er bisher erobert hat, macht er diese Dro­hung wahr. Es ist ein Bachefeldzug. Die Basken sind ein frommer katholischer Volksstamm. Daß sie sich für das Recht, gegen Franco, entschieden haben, zerstört die Absicht der Rebellen, sich als Verteidiger de« katholi- | sehen Glaubens hinzustellen. Das sollen die | baskischen Katholiken mit ihrer Ausrottung bezahlen. Den Gipfel haben diese Greuel mit der ! Zerstörung der altbaskischen Stadt Guernica erreicht. Sie ist von Flugzeugen völlig zer­stört worden, die flüchtende Zivilbevölke­rung ist auf freiem Felde mit Maschinenge­wehrfeuer aus Flugzeugen niedergemacht worden. Es ist die Methode der Greuel und des Ter­rors, die die Italiener in Addis Abeba ange­wendet haben, die gegen die Zivilbevölkerung von Malaga geübt worden Ist. Die F I n g- z e n g e und die Flieger aber, die im Bas­kenlande zur Zerstörung offener Städte, zum Mord an der Zivilbevölkerung benutzt wer­den, sind deutscher Herkunft. Die Flieger Hitlers werden benutzt zum Rache­feldzug gegen die baskischen Katholiken. Es ist ein unanslöschllcher Schandflek für das braune System! Der totale Franco Sein Ziel; faschistische Diktatur und fa­schistischer Militarismus. Der Rebell Franco, Hitlers und Mussolinis Agent in Spanien , hat in dem von den Rebel­len beherrschten TeU Spaniens den totalen Staat eingeführt. Er hat am 19. April alle Parteien für aufgelöst erklärt, und aus Car- Usten und Phaiangisten eine»Einheitspartei« gegründet, die als Bindeglied zwischen dem Staat und der Gesellschaft dienen soll. Der »Staat «, das ist er selbst und das verbreche­rische Gesindel der Rebellenclique, die Spa­ nien an Mussolini verkaufen wollte. Die Lei­stung dieser famosen Partei wird von ihm er­nannt. Kurzum, es ist der Faschismus nach deutsch -italienischem Modell. Seine Mitver­schworenen aus der Zeit der Putschvorberei­tung, die Partei des GU Roble und die katho­lische Partei sind aufgelöst und unterdrückt. Aus dem Bündnis der Reaktion und der Ge­genrevolution aller Schattierungen, wie es in Deutschland die Harzburger Front darstellte, ergibt sich überall am Ende d i e Diktatur der faschistischen Mo­nopolpartei, das heißt die Diktatur ver­brecherischer Cliquen. Diese spanische faschi­stische Monopolpartei hat bereits ihren 30. Juni erlebt. Das Deutsche Nachrichtenbüro hat aus Salamanca mitgeteilt, daß mehrere Phalangistenführer mit der Neuregelung und ihrem von Franco ernannten neuen Partei­führer unzufrieden gewesen wären, daß die Diskussion darüber mit Revolverschüssen ge­führt worden wäre, und daß es dabei Tote und Verwundete gegeben hätte. Dieser Schritt Francos, bei dem man so­fort die Einwirkung der deutschen Hinter­männer erkennt, zwingt seine Freunde in den demokratischen Ländern Farbe zu bekennen. Bisher haben sie ihre Sympathien für den verbrecherischen Putschisten mit dem Schwin­del bedeckt, daß er der Retter des spanischen Volkes vor dem Bolschewismus, der Retter der Religion vor der Gottlosigkeit, der Kul­tur vor dem Chaos sei. Englische Konser­vative und französische Reaktionäre mögen nun laut und deutlich sagen, ob sie die Par­tei des eindeutigen unverhüllten Faschismus in Spanien nehmen. Sie haben bisher die Kühnheit besessen, trotz der Wahlentschei­dung in Spanien , die verfassungsmäßige Le­galität der spanischen Regierung anzuzwei­feln mögen sie nun laut sagen, daß die faschistische Diktatur in ihren Augen die einzig wahre Legalität ist! Gleicb seinen deutschen und italienischen VorbUdern hat Franco als den Zweck des totalen Staates den Krieg bezeichnet. Spanien soll unter seiner Diktatur eine Groß­macht mit starkem Heer und noch stär­kerer Flotte werden immer voraus­gesetzt, daß er mit Hilfe Deutschlands und Italiens über die Regierung siegt. Aber eben seine Erklärungen sind ein Zeichen dafür, daß er nicht sehr fest an seinen Sieg glaubt. Denn mit diesen Erklärungen spielt er mit verzweifelter Offenheit das Spiel eines Bun­desgenossen Mussolinis gegen die englische Stellung im Mittelmeer , er gibt damit selbst alle Unklarheiten und falschen Erklärungen auf. mit denen er bisher diese Rolle ver­schleiern wollte. Daß Franco nach einem Siege mit Unverschämtheit in dieser Rolle auftreten würde, war klar. Daß er es heute tut, wo sein Sieg unwahrscheinlicher ist als jemals zuvor, ist die Geste eines Hasardeurs, die von Verzweiflung zeugt. Kuriere aus Prag " Neue Lockspitzelmethoden der Gestapo Ein Bewohner des Dritten Reichs, der sich vorübergehend in England aufhält, hat die Gelegenheit wahrgenommen, im».Manchester Guardian« über neue Spitzclmethoden der Gestapo zu berichten. Er erzählt: Im Januar wurde eine große Anzahl von Leuten in einer kleinen Stadt nördlich von Berlin verhaftet. Die meisten waren frühere Funktionäre oder Mitglieder der sozialdemo- f kratischen und der kommunistischen Partei. Die Verhaftungen gingen folgendermaßen vor sich: Zunächst wurde ein Arbeiter verhaftet. Ein paar Stunden, nachdem diese Verhaftung bekannt geworden war, erschienen zwei Gestapoagenten bei einem anderen antifaschi­stischen Arbeiter. Sie führten sich bei ihm als»Ku riere aus Prag « ein und behaup­teten, sie kamen gerade von dem Mann, der verhaftet worden sei und hätten antifaschi­stisches Material abzugeben. Sie wiesen die­ses Material vor und ersuchten den zweiten Mann, es zu übernehmen, wobei sie hinzu­fügten, sie hätten seine Adresse in Frag erhalten. Wenn das Material übernommen wurde, verließen die Agenten das Haus und inirz darauf erfolgte die Verhaftung. Kam es aber zu einer Erörterung, bei der der Be­suchte seine antifaschistische Gesinnong ent­hüllte, so erfolgte die Verhaftung sofort. Es gingen auch Gestapoagenten mit Sam­mellisten herum und forderten Personen, die als Gegner der Nazi bekannt sind, auf, fjln, die spanischen Revolutionäre Geld zu gebnlch Gab einer wirklich, oder machte er eine B- im merkung, aus der seine Sympathie mit dei.lf. spanischen Volke hervorging, so wurde er verhaftet.