Die neue Friedensoffensive der Di&tnturen Sie brauchen eine Atempause Den früheren Friedensoffensiven Mus­solinis und Hitlers folgte stets der An­griff auf dem Fuße: die Eroberung Abes­siniens, der Bruch des Locamovertrages, die Besetzung und Befestigimg der Rhein­lande, der deutsch -italienische Angriffskrieg gegen Spanien . Jetzt ist eine neue kombi­nierte deutsch -italienische Friedensoffen­sive im Gang. Monatelang hatte Musso­ lini die wildesten Drohreden gegen die verfaulten, degenerierten Demokratien ge­führt, Frankreich und England der schlimmsten Angriffsabsichten beschul­digt, die italienischen Journalisten aus England abberufen und seiner Presse jede Berichterstattung über die Krönungs­feierlichkeiten verboten. Noch vor zwei Wochen hatte er den Uebergang Italiens zu völliger Autarkie angekündigt und sie als unentbehrliche Kriegswaffe bezeich­net. Jetzt gibt er plötzlich einem amerika­ nischen Journalisten ein Interview, in dem er seine Bereitschaft zu Verhandlungen über eine internationale Rüstungsbegren­zung verkündet er, der kurze Zeit vor­her den großen Faschistenrat neue ver­stärkte Rüstungen hatte beschließen las­sen. Jetzt lädt er Roosevelt ein, eine in­ternationale Abrüstungskonferenz einzu­berufen derselbe Mussolini , der nicht genug Hohn über internationale Konferen­zen ausgießen, nicht genug Verachtung den Bestrebungen zur Rüstungseinschrän­kung erwiesen konnte, er, der ruchlose Verherrlicher des Krieges. Gleichzeitig erscheint Schacht in Paris , spricht von der Notwendigkeit ge­meinsamer wirtschaftlicher Zusammen­arbeit, vom Frieden als dem einzigen Ziel »seines Führers«, und von der heiß ersehn­ten Verständigung mit Frankreich . Stellt Mussolini die militärpolitische Frage, so Schacht die wirtschaftliche in den Vor­dergrund, und so ergänzen sich die beiden Diktaturen trefflich, wie bisher in der Kriegsvorbereitung, so jetzt in der Frie­denssicherung. Man sieht: die Friedensoffensiven fol­gen einander. Aber sie gleichen sich nicht. Gewiß muß man bei jeder außenpolitischen Betrachtung den Vorbehalt machen, daß die Entscheidung über Krieg und Frieden heute in der Macht weniger, machtgieri­ger, geistig nicht ausgeglichener, völlig unverantwortlicher Menschen ruht. Trotz­dem hat die Auffassung wohl die größte Vr ahrscheinlichkeit für sich, daß es den Diktatoren augenblicklich wohl weniger um die Vorbereitung eines unmittelbaren neuen Schlages geht als um die Errin­gung einer Atempause, in der sie Sich von den bisherigen Anstrengungen erholen und neue Kräfte für den künfti­gen Sprung sammeln können. Und die Diktaturen bedürfen gar sehr der Pause! Die Nöte des Fasdiismus Die Kosten des abessinischen Abenteuers werden offiziell auf 12.111 MUlionen Lire angegeben; dazu kommt ein nicht bekannter Betrag von mehreren Milliarden, der während des laufenden Finanzjahres das italienische Etatjahr beginnt am 1. Juli ausgege- wurde. Die Kosten der Erschließung Abossinlena, wo für das erste recht kost­spielige Hafen-, Städte- und Straßenbauten notwendig sind, werden auf eine Milliar- densumme geschätzt, die hinter den Ko- sten der Eroberung nicht zurückbleiben wird. Die Staatsschuld erreichte am 30. April 1937 nach der offiziellen Finanz­statistik 101,2 Milliarden Lire gegenüber 92 Milliarden am 30. Juni 193� En(ie des letzten von Kriegsausgaben noch freien Jahres. Der Goldbestand ist auf 4 Milliarden abgewerteter Lire, zirka 500 MUlionen Goldmark, gesunken. Dazu kom­men noch schwebende Schulden in unbe­kannter Höhe, darunter neue Kredite bei der Notenbank von 3 Milliarden Lire . Der ordentliche Haushalt der beiden letzten Finanzjahre schloß mit einem Defizit von 5 Milliarden, und für das kommende Finanzjahr wird das Defizit auf 3 Milliar­den veranschlagt. In Wirklichkeit ist das finanzielle BUd noch viel ungünstiger. Aus äer kürzlich gehaltenen Budgetrede des italienischen Finanzministers ergibt sich, daß vom 1. Juli 1934 bis Mai 1937 nicht weniger als 25,3 MUUarden Lire aus Kre­ditquellen aufgenommen worden sind; diese mehr als 25 Milliarden stellen also den Betrag dar, der notwendig war, um neben den Steuereinnahmen, die Kriegs­kosten und die Rüstungsausgaben zu finanzieren. Daß solche Beträge es handelt sich dabei, wohlgemerkt, um offi­zielle Angaben, die noch mannigfache Lücken aufweisen nicht aus echten Ersparnissen der italienischen Wirtschaft herrühren, sondern in Wirklichkeit durch eine fortschreitende Inflation aufgebracht werden, versteht sich von selbst, und fand im letzten Herbst in der rund 40prozen- tigen Entwertung der Lire ihren offiziel­len Ausdruck. Die Festhaltung des Preis­niveaus wird immer schwieriger; das Stei­gen der Preise hat bereits zum zweiten Male die Diktatur zu einer Lohnerhöhung gezwungen: die Gefahr der offenen Infla­tion ist in Italien noch unmittelbarer als in Deutschland . Die Erreichung der Autarkie ist in diesem Lande mit seinen unzureichenden Kohlen, Gel- und Erzvor- räten und dem viel unentwickelteren Ap­parat eine noch größere ülusion als in Deutschland . Die englische Aufrüstung, die die englische Ueberlegenheit zur See und in der Luft anstrebt, trifft aber Ita­ lien viel direkter als Deutschland ..Und England finanziert diese Aufrüstung auf dem Höhepunkt seiner Wirtschaftserho­lung fast spielend mit einer leichten Erhö­hung der Einkommensteuer, einer mäßigen Gewinnzuwachs-Abgabe und mit einer An­leihe von 100 Millionen Pfund, ohne im geringsten die Solidität seiner Staats­finanzen zu gefährden. Italiens Wirt­schaft ist dagegen in vorgeschrittener Zerrüttung und seine Finanzkraft der Erschöpfung nahe. Kein Wunder, daß Mussolini plötzlich seine Neigung zu einer Rüstungsbegrenzung entdeckt, die vor allem eine Begrenzung der englischen Rüstung sein soll. Sie soll ihm erlauben, das augenblickliche, für Italien jedenfalls günstigere Stärkeverhältnis zu konsolidie­ren, ihm gestatten, die inflationistische Verschuldung zu verlangsamen und ihm vielleicht gar noch die Hilfe, ausländischen Kapitals für die Erschließung Abessiniens verschaffen, auf die er gar sehr angewie­sen ist. Die Krise der deuisdien Ruslungspolitik Nicht gleich, aber prinzipiell ähnlich ist die Situation Deutschlands . Auch Deutschland gelangt allmählich an die Grenze seiner Finanz- und Wirtschafts­kraft. Deutschlands Aufrüstungskosten haben von 1934 an einen noch höheren Betrag verschlungen als selbst das Abes- sinien-Abenteuer. Die deutsche Rüstung ist aber nach der Ueberzeugung der Ge­neralität für einen großen und langdau­ernden europäischen Krieg nicht ausrei­chend, und die Erfahrungen in Spanien lassen immerhin eine kostspielige völlige Ueberholung der deutschen Luft- und Tankwaffen nötig erscheinen. Die deut­ schen Produktivkräfte sind dagegen an der Grenze ihrer Beanspruchungsmöglich- keit angelangt. Es fehlt an Rohstoffen nicht nur an ausländischen, sondern auch an einheimischen und an der ge­nügend raschen Ausweitung der techni­schen und Arbeitskraft-Kapazität. In der Tat häufen sich seit einiger Zeit Nach­richten aus Deutschland , daß im Rü­stungstempo, das in England und Frank­ reich beschleunigt wird, eine gewisse Ver­langsamung zu verzeichnen sei. Aber sei dem wie es wolle, sicher ist, daß das Sy­stem an einem Punkt angelangt ist, in dem es nur die Wahl hat, einer weiteren starken Einschränkung der Lebenshaltung oder einer stärkeren Bereitstellung von Produktivkräften für die Exporterzeugung statt für Rüstungsproduktion. Dies um so mehr, als es nur dann hoffen kann, die neuen Produktionsstätten für seine Autar­kiepläne, die die künftige Aufrüstung er­leichtern sollen, rechtzeitig fertigzustellen. Deshalb haben Hitler und Göring Schacht erlaubt, jetzt in Paris zu versu­chen, ob sich nicht die dummen Feinde aufs neue einwickeln lassen werden. Des­halb Schachts Anerbieten der Bereitschaft Deutschlands zur wirtschaftlichen Zusam­menarbeit. Denn wenn es Deutschland gelänge, Exporterleichterungen, weitere Schuldenstreichungen oder gar neue Kre­dite oder Rohstoffkolonien zu erhalten, dann wäre es aus allen Schwierigkeiten heraus. Das verlohnte ja sogar das Ein­gehen gewisser politischer Verpflichtun­gen, deren man ja im gegebenen Moment schon rechtzeitig ledig würde. Dann ließe sich eine augenblickliche Verlangsamung der Rüstungen, zu der man ohnehin aus wirtschaftlicher Bedrängnis gezwungen ist, gar teuer verkaufen in der Gewiß­heit, nach Ueberwindung der augenblick­lichen Schwierigkeiten um so freiere und stärkere Hand zu haben. Sdiadit in Paris Schacht ist in Paris mit, wir müssen schon gestehen, übermäßigen Ehren auf­genommen worden. Er hat wieder einmal seinen alten Trick angewendet, seinen Gastgebern zu versichern, er kümmere sich nicht um Politik, von der er nichts verstände, er spräche nur als Wirt­schaftler. In Wirklichkeit hat Schacht von je und eh immer machtpolitische For­derungen vertreten. Er hat in allen Wirt­schaftsverhandlungen mit Belgien die Rückgabe von Eupen und Malmedy verlangt, und die Nachricht klingt recht glaubwürdig, daß er diese Forderung neuerdings wieder in den Gesprächen mit Van Zeeland und dessen Abgesandten Freres angemeldet hat. Er hat 1929 mit seinen Kolonialforderungen fast die Pariser Reparationskonferenz ge­sprengt, und diese Forderungen neben »Siedlungsgebieten« im Osten im Verein mit Hugenberg bei der Londoner Welt­wirtschaftskonferenz wiederholt. Er hat stets die völlige Einstellung zuerst der Reparations-, dann aller privaten Schuld- und Zinszahlungen vertreten und diese Forderung auch jetzt in Paris deutlich angemeldet. Er hat dafür etwas von der Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund gemurmelt, natürlich nur dann, wenn durch entsprechende Aushöhlung des Statuts der Völkerbund aufgehört hätte, auch nur im geringsten als Instrument der Friedenssicherung dienen zu können.... Schacht hat viel gefordert, in Wirk­lichkeit nichts weniger als die Hilfe­leistung Englands und Frankreichs für die Verlängerung und Stärkung der Diktatur, für die Ueberwindung ihrer wirtschaft­lichen Schwierigkeiten und für die Er­leichterung der künftigen Kriegsvorberei­tung. Und er hat als Gegenleistung- einen Fetzen Papier , irgendeine Konven­tion in Aussicht gestellt, die die Diktatur halten würde, so lange sie ihr nützt. Durdisiditige Kriegslist Aber die Zeiten sind diesen Friedens­offensiven nicht allzu günstig. Mussolini hat sich bei Roosevelt eine Abfuhr geholt, denn der amerikanische Präsident weiß, daß England erst seine so spät begonnene Aufrüstung fertig haben will, bevor es sich auf Gespräche mit den Angreifern einläßt, und man darf annehmen, daß Roosevelt diesen Standpunkt aus vollem Herzen billigt. Und ebenso wenig Glück wird dem»Wirtschaftler« Schacht beschie­den sein. Deutschlands Wirtschaftskraft stärken, heißt heute sein Kriegspotential vermehren, und die Zahl der Leute, die das endlich begreifen, hat sich in letzter Zeit denn doch erfreulich vermehrt. Die Friedensoffensiven der Diktaturen sind schwerer geworderl, seitdem man sie als Kriegslist erkannt hat. Dr. Richard Kern. Sieg der Demokratie in Holland Sozialdemokratie gewinnt 100.000 Stimmen Die Wahlen zur zweiten Kammer, die am 26. Mai in Holland stattfanden, be­deuten das Ende eines langen und außer­ordentlich hartnäckigen Wahlkampfes. Die niederländische Sozialdemokratie führte die­sen Kampf gegen zwei Fronten; gegen alle Gegner der Demokratie, insbesondere gegen die holländischen Nationalsozialisten, und gegen die Wirtschafts- und Krlsenpolltik der Regierung Colijin. Im Kampf für die Demokratie entwickelte sich im Laufe des Wahlkampfes eine breite Front aller emst­haften politischen Parteien von der sozial­demokratischen Arbeiterpartei bis zu den bürgerlichen Regierungspartelen und diese Zielsetzung bestimmte schließlich das Ge­sicht des Wahlkampfes In viel höherem Aus­maß als die Propaganda der Partei für ihren Plan der Arbelt. Der Sieg der Demokratie ist vollständig! Die Parteien der Regie­rung und die Sozialdemokratie sind die ein­deutigen Gewinner des Wahlkampfes. Die beiden wichtigsten Regierungsparteien, die anti-revolutionäre Partei und die römisch- katholische Staatspartei, konnten ihre Man­datszahl um je drei Sitze, von 14 auf 17, bezw. von 28 auf 31, steigern, während sich die Mandatszahl der Sozialdemokratie von 22 auf 23 erhöhte. Die holländischen N a- tionalsozialisten erlitten eine ver­nichtende Niederla g«e. Sie waren In dem alten Parlament nicht vertreten, aber sie hatten bei den letzten Gemeindewahlen im Jahre 1935 rund 294.000 Stimmen erhal­ten, was einer Fr&ktionsstärke im Parla­ment von etwa 8 Sitzen entsprochen hätte. Am 26. Mal erzielten die Nationalsozialisten aber nur 171.000 Stimmen, so daß sie In der neuen Kammer nur mit 4 Mandaten vertre­ten sein werden. Die Kommunisten gewannen zwar gegenüber den Gemeinde­wahlen rund 10.000 Stimmen, aber sie ver­lieren einen Sitz, so daß sie mit einem Drel- Männer-Kollegium in die zweite Kammer zurückkehren. Die neue Mandatsverteüung bringt den Erfolg der Demokratie nur unvollkommen zum Ausdruck. Man muß vielmehr In Be­tracht ziehen, daß die Wahlbeteili­gung am 26. Mai eine für holländische Ver­hältnisse Rekordhöhe erreichte. Es betei­ligten sich 9 4,7 Prozent aller Wahl­berechtigten an der Wahl. Die Neu­wähler wandten sich aber nicht den Extre­men zu, sondern sie strömten vornehmlich ins Lager der Regierung und der Sozialde­mokratie. Die römisch-katholische Staats­partei, die stärkste Partei im holländischen Parlament, gewann seit den Gemeindewah­len rund 140.000 Stimmen, die anti-revolu- tlonäre Partei, die Partei des Ministerprä­sidenten Colijin, steigerte ihre Stimmenzahl von rund 421.000 Stimmen im Jahre 1935 auf rund 665.000 Stimmen und die Sozial­ demokratische Arbeiterpartei verbuchte bei einer Erhöhung ihrer Stim­menzahl von rund 782.000 im Jahre 1935 auf 890.880 Stimmen am 26. Mai einen Ge­winn von 10 8.0 00 Stimmen. Da die zweite Kammer eine feststehende Zahl von 100 Mitgliedern zählt, kommt die Aktivierung neuer Wählerschichten für die Demokratie nur unvollkommen in den Verschiebungen der Fraktionsstärken zum Ausdruck. Die große europäische Bedeutung dieses Wahlresultats liegt auf der Hand. Das nie­derländische Volk hat aus dem Anschau­ungsunterricht bei dem großen Nachbarn Hitlerdeutschland eine unmißverständliche Lehre gezogen: Es will in einer Demokratie leben! Und es will nichts wissen von den holländischen Nachbetern Hitlerscher Dikta- turvorstellungen. Auf Brüssel mit seiner glänzenden Absage an De grelle folgt nun der Sieg der Demokratie in Holland und die Faschisten in Mitteleuropa werden sich da­mit abfinden müaseh, daß der Siegeszug ihrer Propaganda an der Westgrenze Deutsch­ lands einen unüberwindlichen Widerstand findet. Für die deutsche Sozialdemokratie ist es eine besondere Genugtuung, daß unter den Siegern der holländischen Demokratie die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Hol­ lands mit an erster Stelle steht! Britischer»Raum ohne Volk« Nazi-Kommentare zur Empire-Konferenz. Die Konferenz der Regierungen des bri­ tischen Empire, eine machtvolle Kundgebung des Willens zur Selbstbehauptung, wird von der Nazipresse zum Gegenstand tiefsinniger Betrachtungen gemacht, in denen man merkt die allgemeine Weisung immer die­selbe Prägung wiederkehrt:»Das englische Weltreich ist Raum ohne Volk Deutsch­land ist Volk ohne Raum.« Die nahelie­gende Konsequenz daraus ergibt sich für jeden propagandagläubigen Deutschen , aber auch für jeden hellhörigen Engländer von selbst. Die englische Presse beeilt sich, die Aufsätze des»Angriffs« der Essener »Natio­nalzeitung« und anderer Schalltrichter des Propagandaministeriums ausführlich wieder­zugeben. Das Echo aus Kanada , Südafrika , Australien , Neuseeland , Länder, auf die die Nazipresse liebevoll als»Raum ohne Volk« einzeln hinweist, ist noch nicht da, doch kann man es sich vorstellen. Es wird ungefähr lauten: Türen zu, die Deutschen kommen! In Hitlers »Kampf« findet sich ein ein­ziger vernünftiger und natürlich nicht neuer Gedanke: daß man sich mit dem englischen Weltreich gut stellen müsse. Auch den haben sie längst aufgegeben!