Nr. 208 BEILAGE

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6. Juni 193?

Vierzehn Jahre Sazlaldemokratle

Eine Antwort an Rudolf Olden

Siegreichen Gegenrevolutionen genügt es nicht, ihre Gegner geschlagen zu haben, sie wollen sie auch moralisch vernichten. Dabei fällt ihnen ein doppelter Vorteil zu: Sie haben die Macht, die Geschichtsschrei­bung nach ihrem Wunsche zu gestalten, und sie stoßen dabei kaum auf Gegenwehr, weil eine geschlagene Revolution zunächst nicht leicht einen Verteidiger findet Ent­täuschte Anhänger werden zu erbitterten Anklägern. Entmutigte schweigen. Jahrzehntelang lebte die Revolution von 1848 in der Erinnerung der deutschen Durehschnittsbürger als ein Ereignis, des­sen man sich nur mit Beschämung er­innern durfte. Galt es den einen als eine schändliche Rebellion gegen die gott­gewollte Obrigkeit, so schien es den ande­ren ein schwächliches, halbkomisches Un­ternehmen, das mit einer Blamage geendet hatte. Die sozialdemokratischen Arbeiter frei­lich pflegten die Erinnerung an die demo­kratische Erhebung von 1848. Mit gutem Instinkt sahen sie in ihr einen Anfang, der zur rechten Zeit fortzusetzen war, einen Versuch, an dem man lernen mußte, es ein andermal besser zu machen. Die preu­ßische Wahlrechtsbewegung ließ die Züge, die sich alljährlich zu den Gräbern der Märzgefallenen bewegten, zu Strömen an­schwellen. Die Republik von Weimar schließlich zog wieder die schwarzrotgolde­nen Fahnen auf und huldigte den Männern der Paulskirche. Mit Recht. War sie doch die Verwirklichimg dessen, was die Kühn­sten von ihnen gewollt hatten. 1933 liegt die Republik am Boden. Der Sieger kommandiert seine Geschichts­schreiber zum moralischen Vernichtungs­feldzug gegen den geschlagenen Feind. Soll sich nicht, da Tausende der Besten in Deutachland zum Schweigen gezwungen sind, wenigstens im Ausland einer finden, der den Lügen des Siegers die ge­schichtliche Wahrheit, wie er sie kennt, entgegenstellt? ron solchem Gedanken geleitet ging ich an die Abfassung meines Buches>D i e vierzehn Jahre der ersten deut­ schen Republi k«, das im vorigen Jahre bei der Verlagsanstalt Graphia in Karlsbad erschienen ist Dieses Buch sollte einer künftigen unbefangenen Geschichts­schreibung die Bausteine liefern. Darum habe ich darin nur aufgezeichnet, was entweder dokumentarisch feststellbar war oder nach gewissenhafter Prüfung in mei­ner eigenen Erinnerung feststand. Auf Hintertreppenklatsch habe ich mich nicht eingelassen. Ueber die Meinungen, die ich äußere, bin ich bereit zu diskutieren ich habe übrigens bereits in der Vorrede meines Buches darauf hingewiesen, daß ich für sie wie für das Buch die Verant- wortung allein trage. Für die Tatsachen, über die ich berichte, stehe ich ein. Kritik muß ich mir gefallen lassen. Sie reizt mich nicht zur Polemik. Wenn also Herr R u d o 1 f O 1 d e n in Nr. 17 des »Neuen Tagebuchs« damit beginnt, witzig gemeinte Vergleiche zwischen mir und Julius Streicher zu ziehen, um mich schließlich mit einer eleganten Handbewe­gung in das»modrige Grab der Zukunft« zu schleudern, so muß ich das hinnehmen. Etwas anderes freilich ist es, wenn sich herausstellt, daß es Herrn Olden gar nicht darauf ankommt, ein Buch und sei­nen Verfasser zu kritisieren, sondern viel mehr darauf, die deutsche Arbei­terbewegung und ihre Geschichte kri- tik- und verständnislos zu verunglimpfen. Dann ist eine öffentliche Erörterung zum Zwecke der Richtigstellung und Abgren­zimg allerdings nicht zu vermeiden. Herr Olden geht so weit, sein Bedauern darüber zu äußern, daß mein Buch über­haupt gedruckt werden durfte, da es in den Köpfen Uninformierter Schaden anrichten könnte. Nachdem nun infolge eines be­klagenswerten Versagens der Zensur dieser Schaden doch entstanden ist, muß unter­sucht werden, worin er nach Herrn Oldens Meinung besteht. Sozialismus und Republik Am Anfang meines Buches schüdere ich die ungeheueren Schwierigkeiten der

ersten Jahre nach dem Kriege. Sie nahmen die Partei so stark in Anspruch, daß die Frage einer sozialistischen Umge­staltung der Wirtschaft weit in den Hintergrund trat. Von den Sozial­demokraten wird in diesem Zusammenhang gesagt; »War erst, so dachten sie, das Schlimmste überwunden, die demokratische Republik ge­rettet, so kam der Sozialismus immer noch nicht zu spät.« Das bezieht sich auf 1918 1920. Zum Schluß aber, nach 1932, heißt es: »Die Republik zerbrach an der Weltwirt­schaftskrise. Es fehlte die Kraft, die imstande gewesen wäre, durch Maßnahmen eines prak­tischen Soziallsmus die Krise zu mildern oder zu beseitigen.« »Zwei einander diametral widerspre­chende Anschauungen!« ruft Herr Olden triumphierend aus. Und er knüpft an die glückliche Entdeckung dieses katastropha­len Widerspruchs folgende Schluß­folgerung: »Haben wir erst einmal realisiert(?). wie verwirrt und in sich widerspruchsvoll die Auffassung Stampfers von der Geschichte der Republik ist, an deren Gestaltung er tätig teilgenommen hat, so wird es uns weniger er­staunen, daß auch seine nachträgliche Dar­stellung, unklar und verwirrend ist. Sie ist nur eine folgerichtige Konsequenz seiner, und anderer, politischen Haltung«. Was will nun Herr Olden eigentlich von mir? Wenn meine Darstellung»die folgerichtige Konsequenz« der von mir und meinen Genossen eingenommenen Haltung ist, so ist sie doch gerade das, was man von mir verlangen konnte. War in unserer Haltung ein Widerspruch, so mußte er auch in meiner Darstellung zum Ausdruck kom­men. In diesem Fall liegen jedoch Wider­spruch und Verwirrung durchaus beim Kritiker. Wäre er in seinem Eifer noch einiger Ueberlegung fähig gewesen, so hätte er selber bemerken müssen, daß das, was 1920 richtig war, 1932 falsch sein konnte, und umgekehrt. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, an die man im Chaos der Niederlage und der Putsche noch nicht denken konnte, moch­ten nach zwölf Jahren angebracht und nützlich sein. Der Schaden besteht in diesem Fall ein­zig und allein im Kopf des Kritikers. Ich habe ihn nicht angerichtet. Leider wird es mir auch nicht gelingen, ihn zu reparieren. Die Anti-Eberilegende /um zweiten rechnet mir Herr Olden es als eine schwere Sünde an, daß ich den Ausspruch, den der Prinz Max von E b e r t gehört haben wül,»ich hasse die Revolution wie die Sünde«, für unecht halte. Darüber ist er so aufgeregt, daß er, unfähig einen ganzen Satz zu bilden, nur noch stammeln kann: »Und also Prinz Max, den alle für einen ehrlichen Mann hielten, ein Lügner?« Warum die Aufregung? Ich habe die Gutgläubigkeit des Prinzen mit keinem Wort angezweifelt. Aber der Prinz hat in seiner kurzen Kanzlefzeit auch verschie­dene andere Dinge, nicht nur dieses, durcheinandergebracht. Was Ebert wirk­lich gesagt hat, oder wer das gesagt hat, was er Ebert in den Mund legt, kann ich nicht wissen, und Herr Olden kann es auch nicht wissen. Ebert aber habe ich genau gekannt, und ich weiß, daß dieser Aus­spruch gar nicht zu ihm paßt.' Warum ist mein gelinder Zweifel an der Max-Ueberlieferung Herrn Olden so wichtig, daß er ihn zu einem Hauptpunkt seiner Anklage macht? WeU jener Aus­spruch zu den Prunk- und Paradestücken der Anti-Ebertlegende gehört. Er ist für diejenigen, die ihre Pflege auch heute noch für wichtig halten, ein so kostbarer Besitz, daß sie jeden als ihren Feind betrachten, der an ihn rührt Sie haben noch nicht begriffen, daß Ebert nach seinen geschichtlich bezeugten Taten und nicht nach den Klatschgeschichten, die über ihn erzählt werden, beurteilt zu wer­den verdient. Schließlich hat doch dieser Mann ein Hauptverdienst daran, daß die Republik immerhin vierzehn Jahre ge­

dauert hat und nicht, wie es zunächst scheinen wollte, nur vierzehn Tage. Auch sein»historisches Telefongespräch mit Groener« habe ich so wenig wie Herr Olden mit abgehört. Dagegen steht durch übereinstimmende Aussagen von Ohren­zeugen fest, daß Ebert am 9. November zu den Unabhängigen sagte:»Bringen Sie unsLiebknecht. Wir werden mit ihm arbeite n.« Es war nicht Eberts Schuld, daß die»Volksfront«, die er damals wollte, und die länger als 14 Jahre lang den Bestand der Republik hätte sichern können, nicht zustande kam. Wie dem auch immer sei, welchem po­litischen Zweck glaubt Herr Olden zu dienen, wenn er Eberts Andenken verun­glimpft? Deutschland wäre wahrlich ein glückliches Land, wenn es vor Ebert und nach ihm Oberhäupter besessen hätte, die ihm an Klugheit und Rechtschaffenheit gleichwertig waren. Keiner ist gezwungen, alles, was der erste Präsident der Deutschen Republik getan hat, zu billigen die Ver­dienste und die Bedeutung dieses phrasen­losen Arbeiters am Wohle des Volkes sollte jedermann neidlos anerkennen, der den Feinden der Republik nicht in die Hände arbeiten wül. Die Reidiswehrlegende Herr Olden erblickt die Irreführung der Uninformierten durch mich besonders auch darin, daß ich den Einfluß der Ge­nerale auf die politische Entwicklung in Deutschland nicht so hoch einschätze wie er. Er ist geradezu entsetzt darüber, daß Schleicher bei mir erst auf Seite 561 vorkommt. Ich will ihm gerne glau­ben, daß er mit diesem sagenumwobenen General schon auf Seite 1 begonnen haben würde. Ist doch Herr Olden ein Haupt- träger jener Legende, für die die Reichs­wehrgenerale die eigentlichen Beweger des Menschengeschlechts und die Urheber aller Dinge sind. Wie anderen Leuten die Juden oder die Engländer, die Freimaurer oder die Jesuiten als Urquell aller Uebel er­scheinen, so den Gläubigen dieser neuen Lehre die Generale. Ich muß dagegen aus meiner Kennt­nis der Dinge und Personen daran festhal­ten, daß diese Auffassung auf einer maß­losen Uebertreibung beruht. Wäre der märchenhafte Einfluß, den man den Ge­neralen zuschreibt, Wirklichkeit gewesen, so hätten sie wenigstens untereinander einigermaßen einig sein müssen. In Wirk­lichkeit hat aber in entscheidenden Situationen fast immer jeder von ihnen an einem anderen Strang gezogen. Hindenburg gegen Ludendorff , Ludendorff gegen Hin­ denburg , Hindenburg gegen Groener, Groe­ner gegen Hindenburg , Schleicher gegen Groener, Groener gegen Schleicher. Die Her­ren haben wie Hiob erst die Republik über sich ergehen lassen, die sie nicht gewollt haben und dann das Dritte Reich, das sie auch nicht gewollt haben. Immerhin brach­ten sie gegen dieses etwas mehr Energie auf als gegen jene sandten sie doch einen der ihren zu Hindenburg , um gegen den Hitler -Papenplan zu protestieren. Aber es half nichts.»Der Alte hat ihn raus­geschmissen«, lautete tags darauf der Schlachtbericht. Und ihr persönlicher Erfolg? Wer von ihnen hätte mit ihm zufrieden sein kön­nen? Hindenburg mit der traurigen Rolle, zu der er durch seinen eigenen Streich verurteilt wurde? Groener mit seinem klanglosen Verschwinden in der Versenkung? Oder gar Schlei­cher? Richtig ist, daß die Generalität in der Vertretung ihrer Ressortinteressen zu al­len Zeiten viel Glück hatte. Das lag aber weniger an ihrer Geschicklichkeit, als an der berechtigten Auflehnung des ganzen deutschen Volkes gegen die Diskriminie­rung,<üe ihm durch den Frieden von Ver­ sailles auferlegt worden war. Wenn ich also durch meine eigene Be­obachtung gegen den Aberglauben von den Weisen in der Bendlerstraße hinreichend geschützt bin, so bin ich doch weit davon entfernt, die Bedeutung der bewaffneten Macht für den Staat zu unterschätzen. Darum bin ich, wie viele anderer meiner

Genossen, für den Eintritt der sozialdemo­kratischen Arbeiter in die Freikorps ein­getreten. Herr Olden weiß nicht, daß ein Bezirksparteitag im Jahre 1919 dem»Vor­wärts« den Abdruck von Werbeaufrufen für den Wehrdienst verboten hat. Ich mache ihm daraus keinen Vorwurf. Im­merhin war seinerzeit diese Tatsache dem »Vorwärts« zu entnehmen. Sie ist leichter beweisbar als die willkürliche Behauptung des Herrn Olden, die sozial­demokratischen Arbeiter hätten sich zur Reichswehr gedrängt, und die Kontingente, die im Jahre 1923 in Sachsen einmarschier­ten, hätten zum großen Teil aus Sozial­demokraten bestanden. Nach meiner Un­terrichtung waren die Soldaten, die sich damals bedauerliche Uebergriffe gegen die wehrlose Zivilbevölkerung zuschulden kom­men ließen, rechtsgerichtete Angehörige »besserer« Kreise und keine sozialdemokra­tischen Arbeiter. Die Anti« Welslegende Den Hauptschlag gegen mich führt aber Herr Olden mit der höhnenden Frage, warum ich denn meine Darstellung mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ab­schließe. Er hat mit gutem Spürsinn her­ausgefunden, daß es in der Zeit nach Hit­ lers Ernennung Dinge gegeben hat, über die zu reden für einen Sozialdemokraten schmerzlich ist. Jawohl, es ist damals man­ches geschehen, was ich nicht rechtfertigen will und kann. Wie aber um alles in der Welt kommt Herr Olden dazu, zu diesen nicht zu rechtfertigenden Dingen die Er­klärung zu zählen, die Otto Wels am 23. März 1933 für die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag abgab? Hat Herr Olden überhaupt eine Ahnung, was in die­ser Erklärung steht, wie sie zustande ge­kommen. ist, und welche Bedeutung ihr in der damaligen Situation zukam? In der sozialdemokratischen Fraktion kämpften damals zwei Strömungen mit­einander; eine, die keine Möglichkeit mehr sah, den Kampf weiter zu führen, und eine andere, die trotz alledem seine Fort­führung forderte. Die zweite war es, die in der Fraktionssitzung vor dem 23. März siegte. Man beschloß, in den Reichstag zu gehen, gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen und eine entsprechende Erklärung abzugeben. Daß das unter den damaligen Verhältnissen mit einer gewissen Gefahr für Leib und Leben verbunden war, darf wohl behauptet werden. Es gab auch in der Fraktion einige Ehrgeizige, die dem Parteivoraitzenden das Risiko gerne abge­nommen und an seiner Stelle die von der Fraktion beschlossene Erklärung verlesen hätten. Wels bestand jedoch auf seinem Recht, als Vorsitzender der Partei und der Fraktion, im Augenblick der Gefahr vorne zu sein. Ein Zentrumsführer beschwor ihn händeringend, von seinem Vorhaben abzu­stehen. Er und die ganze sozialdemokrati­sche Fraktion würden den Reichstag nicht mehr lebend verlassen, wenn diese Erklä­rung abgegeben würde. Wels dankte dem wohlmeinenden Warner, ging durch die Spaliere der SA und SS vom Reichstags­ gebäude in die Kroll-Oper hinüber und sprach. Herr Olden fragt mich höhnend, waru�, ich über»das Auftreten Wels in der Kroll- Oper«, das er eine»erschütternde Episode des sozialdemokratischen Ausgangs« nennt, nicht spreche. Wie man sieht, tue ich ihm den Gefallen, das nachzuholen. Aber ich frage auch: Auf welchem Monde hat wohl Herr Olden im März 1933 gewohnt, wenn er von jenen Vorgängen so wenig weiß? Wie kommt dieser Mann dazu, von oben her höhnisch aburteilend über etwas zu sprechen, wovon er doch offenbar nicht die geringste Ahnung hat? Da zeigt sich, daß es ihm gar nicht darauf ankommt, zu erkennen und zu urteüen, sondern nur darauf, einer blinden Schmähsucht Be­friedigung zu verschaffen.

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Die vierzehn Jahre der SPD "

Mein Buch heißt:»Die vierzehn Jahre der ersten deutschen Republik«. Herr Ol­den überschreibt seine Kritik:»Die vier-