Nr. 215 BEILAGE llcutftbtiimrfs 25. JuK 195? Der erste Akt IHe Tragödie Dollfuß— der Beginn der europäisdien Katastrophe Das Organ von Göbbels , der»Angriff«, hat sich aus Anlaß des japanischen Ueber- falles auf China über das veraltete Völkerrecht lustig gemacht:»Längst über- ziehtmansichandersmitKrieg, wortloser, verschwiegener und immer raffinierter.« Sie wissen es; denn sie handeln selbst längst nach diesem Rezept. Sie haben es von den ersten Tagen ihrer Herrschaft an befolgt. Der Dollfuß - Putsch in Oesterreich , die Ermordung von Alexander und Barthou , die Treibereien auf dem Balkan und der Krieg in Spanien bezeichnen ihre Praxis. Am 2 5. Juli 1934— vor drei Jahren— wurdeDollfußinWien ermordet. Ein von der nationalsozialistischen Partei befohlener Putsch sollte Oesterreich dem Dritten Reich gleichschalten. Dieser 2 5. Juli 1934 ist ein verhängnisvolles Datum. Zwar brach der Putsch zusammen— aber Hitler hatte zugleich erkannt, wie weit er in der offenen Verhöhnung des internationalen Rechts gehen konnte. Er hat gegenüber Oesterreich alle Methoden der Kriegfüh- rong ohne Kriegserklärung geübt, die wortlosen wie die wortreichen, die verschwiegenen wie die offen brutalen, die raffinierten wie die plump gewaltsamen. Der Angriff auf Oesterreich ist seit dem März 1932 vorbereitet worden. Am IS. März 1933 schon erfolgte eine Art von Ultimatum. Der Reichsjustizkommissar Frank warnte die österreichische Regierung,»etwa die Nationalsozialisten im Reich zu veranlassen, die Sicherung der Freiheit der deutschen Volksgenossen in Oesterreich zu übernehmen.« Oesterreich protestiert. Am 27. Mai verhängt der Reichsinnenminister die Tausendmarks per- re gegen Oesterreich , am 11. Juni erfolgt in Innsbruck ein Attentat eines deutschen Nationalsozialisten auf Dr. Steddle, am 12. Juni beginnt in ganz Oesterreich der terroristische Bombenfeldzug, am 13. Juni wird in Berlin unter Bruch der Exterritorialität der Presseattache der österreichischen Gesandtschaft verhaftet. In Bayern wird die sogenannte österreichische Legion zusammengezogen, Hitlers Gauleiter für Oesterreich, Habicht, leitet den Feldzug gegen die österreichische Bundesregierung. Da die österreichische Bundesregierung nicht kapituliert, wird der Apparat der deutschen Propaganda gegen sie losgelassen. Des Aetfaers und der Lüge Wellen Längst überzieht man sich anders mit Krieg— so heißt es heute im»Angriff«. Die braune Praxis gegen Oesterreich schildert Konrad Heiden in seinem Buche »Ein Mann gegen Europa«. »Viele Gesiebter hat der moderne Krieg. Während auf dem Lechfeld die Legion an den Minenwerfern übt, wühlt Habicht das Volk von Oesterreich gegen seine Regierung auf. ®ne wunderbare Waffe ist der Rundfunk, eine wunderbare auch das Flugzeug; beide namentlich gegen einen schwächeren Feind, der wenig große Sender und immer noch zu viel Behutsamkeit in deren Benutzung hat. Der Breslauer und namentlich der Münch ner Sender eröffneten eine Belagerung des österreichischen Aethers. die vielleicht für künftige Kämpfe von Land zu Land als Muster gelten wird. Die Pressestelle des bayrischen Rundfunks kündigte an, die Sendungen sollten die Hörer in Oesterreich über die Lage unterrichten; nach Oesterreich geschmuggelte Flugblätter forderten auf, den Münchener Sender zu hören. In vierundachtzig Agitationsvorträgen forderte dieser Sender den Sturz der Regierung Dollfuß ; Habicht , der nunmehr in München residierte, hielt davon einundzwanzig. Er spricht am 5. Juli 1933 einen »Aufruf an das deutsche Volk Oesterreichs « ins Mikrophon: am 10. August ruft er die Bevölkerung Oesterreichs zum Kampf gegen ihre Regierung auf, die er dabei aufs schwerste beschimpft: am 19. Februar 1934 ermuntert er, die Aufregung des Landes über die blutige Niederwerfung der Sozialdemokratie durch die Heimwehr ausnützend, üben: alle deutschen Sender die österreichische Wehrmacht, ihrer Regierung den Gehorsam zu verweigern. Der unglückliche Tauschi tz(der österreichische Gesandte in Berlin ) muß protestieren und sich im Auswärtigen Amt verhöhnen lassen; eine Note der Reichsregierung vom 1. Februar 1934 bedeutet ihm:»Die Behauptung der österreichischen Regierung, daß im deutschen Rundfunk eine Verhetzungskampagne betrieben werde, ist nicht richtig. Die Vorträge des Rundfunks richten sich an die reichsdeutschen Hörer und unterrichten diese über die Entwicklung in Oesterreich .« Die gedruckten, stenographierten, auf Schallplatten genommenen Beweise des Gegenteils lagen in den österreichischen Akten und Registraturen. Gleichzeitig stiegen von Bayern Flugzeuge auf und warfen Flugblätter über die österreichischen Grenzstädte. Kufstein , Salzburg , Reutte , Hallein , Zell am See und andere Orte wurden durch die Propaganda beregnet. Es waren manchmal ganze Flugzeuggeschwader. Die Erfahrungen, die Tauschitz mit seinen Protesten im Auswärtigen Amt zu machen schon gewohnt ist, sind diesmal besonders lehrreich. Zuerst erfährt er, daß die bayrischen Behörden von Propagandaflügen nach Oesterreich nichts wüßten. Dann läßt sich der Staatssekretär von Bülow selbst herbei, zu erklären, es hätten mit großer Umsicht und Gründlichkeit Erhebungen stattgefunden; von keinem öffentlichen Flugfeld Bayerns sei ein solches Flugzeug gestartet. Alle Privat- und Sportflugzeuge in Bayern hätten ihr Alibi nachweisen können. Somit war alles in bester Ordnung bis auf die Kleinigkeit, daß die Flugzeuge geschwaderweise über Oesterreich erschienen waren; auf den abgeworfenen Blättern war zum. Steuerstreik und zur Abhebung der Spareinlagen aufgefordert worden. Bülow meinte weise, das seien eben der Behörde unbekannte Flugzeuge, und sie seien vielleicht von irgend einer Wiese aus gestartet. Tauschitz hätte erwidern können, die stille Wiese sei vermutlich das Lager Lechfeld, und wenn der Flugzeugpark der österreichischen Legion den deutschen »Behörden anbekannt sei, so sei das nur eine von den neuen zu den vielen alten Erfahrungen über deutsche Zustände seit dem 30. Januar 1933«. So wandten sich die Leiter und die Puppen der deutschen Politik zwischen Standpunkten und Ausflüchten hin und her. Die Erklärungen und Beschönigungen wechselten: treu blieben sie sich in der dauernden Entfernung von der objektiven Wahrheit. Tatsache blieb der gewaltsame Kampf einer hinter Unwahrheiten verschleierten Macht gegen den kleinen Nachbar.« Der Anfang des Grundübels Dollfuß aber kapituliert nicht. Er nimmt den Kampf auf, er verläßt sich auf die Interessen der Westmächte und der Kleinen Entente . Welche Hilfe fordert er? Heiden schildert: »Für Hitler ist dieser Kampf der erste große Probeschritt aufs europäische Gelände. An der öerterreiohi sehen Pulsader tastet er ab, wie tief er das europäische System ohne Widerstand anschneiden darf. Der Griff nach Oesterreidh fordert Italien und Prankreich direkt heraus und weckt die Sorge Englands, das Verwicklungen in Mitteleuropa immer fürchtet(denn so entstehen Kriege), sie aber kaum je wirksam hindert(denn so wird man in den Krieg hineingezent). Aus dreiviertel Einsicht und halben Entschlüssen entwackelt sich eine diplomatische Komödie, deren Ergebnis, weit über Oesterreich hinaus, eine Ermunterung für Hitler und eine bittere Lehre für Dollfuß ist. Frankreich fordert von der Welt einen Protest zum Schutze Oesterreichs ; England läßt sich zum Mittun bewegen. Dagegen Ita lien , über den nationalsozialistischen Terror in Oesterreich vielleicht am meisten erbittert, betrachtet das Donauland so sehr als eigene Domäne, daß es sich nicht einmal in deren Schutz mit andern teilen will; vor allem aber will es zwar Hitler aus Oesterreich hinausmanövrieren, doch nur, damit er sich um so wilder auf das übrige Europa stürze und Italiens alten Feind Frankreich kräftig in Schach halte. Darum lehnt es die Teilnahme an dem gemeinsamen Protestschntt der Mächte ab, der in den ersten Augusttagen des Jahres 1933 reif ward. Die ganze Aktion, zur Lösung des Feuers unter einem europäi schen Pulverfaß erster Ordnung unternommen, hatte als wirkliches Ergebnis, die Uneinigkeit unter den ehemaligen Allüerten des Weltkrieges schallend zu verkünden. Dies ist die geschichtliche Bedeutung der Schritte vom 5. und 7. August 1933, und man muß feststellen, daß Hitler sie sofort erkannt hat. Er nützte seinen Vorteil. Ein amtliches Kommunique über den französisch-englischen Schritt und seine Zurückweisoing, das offenkundig von ihm persönlich stilisiert war, sagte: »Der französische Botschafter hat heute vormittag unter Bezugnahme auf den Viermächtepakt zur Sprache gebracht, daß nach Auffassung der französischen Regierung die deutsche Propaganda mit Bezug auf Oesterreich in gewössen, in der letzten Zeit vorgekommenen Fällen mit den bestehenden vertraglichen Bindungen nicht vereinbar sei. Dem Botschafter woorde erwidert, daß der Reichsregierung eine Anwendung des Viererpaktes in dieser Form nicht angebracht erscheine, daß auf deutscher Seite Vertragsverletzungen irgendwelcher Art nicht vorlägen, und daß Deutschland daher diese Einmischung in die deutsch -österreichischen Auseinandersetzungen nicht für zulässig halte. Der englische Geschäftsträger, der nachmittags in der gleichen Angelegenheit vorsprach, erhielt denselben Bescheid.« Unhöflich bis in die Form und skrupellos in der Ableugnung weltbekannter Tatsachen, sagt dies Kommunique den Alliierten, daß Hitler ihnen die Einmischung in Oesterreich verbiete und sie sich selbst vorbehalte. Die Getroffenen empfanden die Niederlage und nahmen sie hin. Mit diesem diplomatischen Triumph begann eine Serie außenpolitischer Erfolge Hit lers , die alle auf der Grundeinsicht beruhen, daß in der Politik einer mehr ist als drei Halbe. Es begann zugleich die Serie jener wirksamen Versprechungen, die dem nationalsozialistischen Regime lange Zeit so viel Zugeständnisse und zuletzt so viel Mißtrauen eingetragen haben.« Dollful! sudif Sdiu�f Nun steigt der Krieg mit Bomben und Papierböllem auf den Höhepunkt. Hitler droht offen. Am 15. Dezember 1933 erklärt Reichsinnenminister Frick dem österreichischen Gesandten: »Wir haben den Kampf aufgenommen. Sie werden wohl im Laufe ihrer Tätigkeit die Ueberzeugung gewonnen haben, daß wrtr jeden Kampf, den war einmal aufgenommen haben, kompromißlos zu Ende führen. Sie können auch überzeugt sein— und ich kann Ihnen versichern, daß ich in vollkommener Ueber- einstimmung mit meinem Führer spreche— — daß auch dieser Kampf, wie er begonnen wurde, so weh er unsem deutschen Herzen tut, bis zum Schluß durchgeführt wird.« Dollfuß sucht Hilfe bei Mussolini . Am 18. März 1934 werden in Rom zwischen Mussolini , Dollfuß und Gömbös die römischen Protokolle unterzeichnet. Hitler aber holt zum entscheidenden Schlag aus. Die nationale Erhebung vom März 1933 im Reich soll in Oesterreich wiederholt werden. Der Plan des Aufstandes Ueber den Kriegsplan Hitlers gegen Oesterreich berichtet Heiden: »Das geschichtliche Phänomen der Wiederholung ist oft ein Hinweis auf einen zunächst nicht erkennbaren oder nicht beweisbaren Zusammenhang. Der nationalsozialistische Aufstand in Oesterreich am 25. Juli 1934 wiederholt ein früheres wichtiges Ereignis der nationalsozialistischen Parteigeschichte so auffallend, daß die gewissermaßen stilistische Aehnlichkeit einer Enthüllung gleichkommt. Im Lauf des Juli wurde in München der Putschplan ausgearbeitet. Durch einen Zufall ist er bekannt geworden. Am 26. Juli fiel der österreichischen Zollwache an der Grenze bei Kollerschlag ein deutscher Kurier, der stellenlose Hotelsekretär Franz Heel in die Hand. Man fand in seinem Hemd und in den Schuhen versteckt zwei Dokumente, von denen eines einen vollständigen Aufstandsplan und das andere einen Chiffre-Schlüssel enthielt. Die erste Zeile dieses Chiffre-Schlüssels lautete; Dollfuß f alte Besteckmuster eingetroffen. Der Tod von Dollfuß war also geplant, vorgesehen oder erwartet; er stand, das läßt sich mindestens sagen, an der Spitze aller Erwartungen. Das zweite Dokument, der eigentliche Aufstandsplan, wurde etwas zerfetzt aus den Schuhen Heels herausgeholt, so daß einige wenige Worte unkenntlich geworden waren. Der Sinn ist aber deutlich geblieben. Das Schriftstück begann: »1. Es besteht die Möglichkeit, daß die Regierung Dollfuß eines Tages zum Rücktritt gezwungen...wort»Sommerfest« entweder wird eine neue Regierung ernannt oder es entspinnt sich ein Kampf um die Nachfolge. 2. In jedem Falle entsteht auf gewisse Zeit, wenigstens eine Stunde, ein gewisses Vakuum. Die Exekutive gehorcht nicht mehr der alten Regierung, sie hat aber auch noch keine Befehle der neuen Regierung und ist infolgedessen in ihren Entschlüssen und in ihrer Tatkraft gelähmt. 3. Dieser tote Punkt muß ausgenutzt werden. Auf die Nachricht vom Rücktritt Doll- fuß unternimmt die SA überall sofort selbständig»unbewaffnete Propagandamärsche«, offiziell, um für die Neuwahlen zu demonstrieren, in Wahrheit, um sofort in den Landeshauptstädten und Bezirksamtsitzen die öffentlichen Gebäude und Aemter zu besetzen und die Macht zu ergreifen...« Ein blitzartiger Hinweis: Neuwahlen, scheinbare Propagandamärsche hierfür, in Wahrheit gewaltsame Machtergreifung. Ein hoher deutscher Diplomat, der Referent für Oesterreich in jenem Auswärtigen Amt zu Berlin , das sich nie in österreichische Verhältnisse einmischte, hatte von Tauschitz Neuwahlen verlangt; das Kollerschlager Dokument erläuterte nun, daß Neuwahlen das geheime Stichwort für den bewaffneten Aufstand war. Doch damit ist die Bedeutung des Dokuments lange nicht erschöpft. An einer späteren Stelle sagte es: »Das Motto lautet: Ein freies, selbständiges Oesterreich, ebenso unabhängig vom Reich wie von Italien , aber Wiederherstellung wahrhaft verfassungsmäßiger, gesetzlicher Zustände.« Die Gemessenheit dieser Formulierung sagt mehr als ein wilder Ausbruch; sie macht deutlich, daß die Instruktionen nicht von heißblütigen Rebellen, sondern von einer sorgsam prüfenden und namentlich auch die außenpolitischen Hemmnisse Deutschlands berücksichtigenden Stelle stammen. Daß diese Stelle ein kluger und in Rebellionen erfahrener Kopf sein mußte, ging aus den folgenden beiden Sätzen hervor: »Hiebei ist weder für noch gegen einen etwa neu ernannten Bundeskanzler Stellung zu nehmen. Dieser ist vielmehr zu ignorieren, so daß es nach außen hin fraglich bleibt, ob nicht die Machtübernahme mit seiner Billigung erfolgt.« Das Dokument faßt dann zwei Möglichkeiten ins Auge: daß die neue Regierung sich entweder den Nationalsozialisten füge, oder daß sie Widerstand leistete. Für diesen Fall befahl es Kampf um die Macht»mit allen Mitteln«. Diese Mittel waren seit langem vorbereitet, die Stichworte schon früher ausgegeben, das Dokument bedeutete nur eine letzte Mahnung zur Bereitschaft:»Kurz gesagt, aus dem»Sommerfest« entwickelt sich spontan das»Preisschießen« mit»italienischer Nacht« wie es bereits vorbereitet ist.« Den Bürgerkrieg nannten sie Preisschießen, und die Abschlachtung ihrer Gegner italienische Nacht. An einer Stelle hieß es; »Führende, uns feindlich gesinnte Köpfe aus Regierung und den Wehrverbänden sind umgehend festzusetzen, bei Widerstand unschädlich zu machen.« Dieser Befehl kam aus Deutschland ; er macht das folgende erst ganz verständlich. Und schließlich die strategische und politische Krönung des Plans:»Ueber die Rückkehr der Legion ergeht besondere Weisung, sie wird schnellstens nach Wien geführt.« Dieser Feldzugsplan ahmte genau die Taktik der deutschen Nationalsozialisten In den Tagen der sogenannten nationalen Erhebung des März 1933 nach. In kritischer Stunde marschiert die SA , und zwar scheinbar nur zum Vergnügen: in Wirklichkeit nimmt sie sich die Macht, Praktisch ist dieser Plan nicht durchgeführt, sondern, offenbar in letzter Minute, durch einen anderen, abenteuerlicheren ersetzt worden.« Die Ermordung von Dollfuß Der abenteuerlichere Plan war der Handstreich, der am 25. Juli untern om-
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5 (25.7.1937) 215
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