Nr. 221 BEILAGE
5. September 1957
Im kathoüschen Vita Nova-Verlag in Luzern hat Friedrich Wilhelm Foerster sein neues Buch erscheinen lassen.»Euro pa und die deutsche Frage« ist auch ein durchaus katholisches Buch. Der Katholizismus freilich, den es predigt, trägt wieder ganz persönlich Foerstersche Züge. Was ist der Sinn dieser Zeit? Der Sinn aller Zeiten! Kampf des Lichta mit der Finsternis, der Götter mit den Titanen, des Guten mit den Bösen. Das Böse, das ist das»kollektive Tier«, das Gute aber ist die Welt Christi. Das»kollektive Tier«, ist verkörpert im vernaziten, das heißt durch und durch verpreußten, dem Gewaltaberglauben verfallenen Deutsch land . Sein Furor ist»Logik des Teufels«. Und dieser Furor hat eine Dynamik, der nur die Dynamik Christi gewachsen tut. Es genügt nicht, daß die Deutschen friedlich, human, demokratisch, sozialistisch werden— nein, es wird nicht besser, solange sie nicht alle christlich in Foersters Sinne geworden sind. Wir erleben eine Wiedergeburt des Christentums. Im Kampf gegen die nazistische Barbarei erregen katholische und protestantische Geistliche durch ihre Tapferkeit Bewunderung. Wo wäre noch einer auf der Linken, der etwa einen Niemöller, einen Faulhaber»Pfaffen und Volksver- dummerc schimpfte— das Wort würde ihm auf den Lippen erstarren. Kirche und Prozessionen erhalten einen gewaltigen Zulauf von Gläubigen und Ungläubigen. Ja, auch von Ungläubigen— aber daß sich diese Ungläubigen, um nicht zu ersticken, zu den Altären flüchten, ist- das nicht schon für die Altäre ein ungeheuerer moralischer Erfolg? Kommunisten stimmen für die konfessionelle Schule und rühmen sich dessen laut. Gewiß, tun sie es nur aus Opportunismus, gleichviel— Leuten, denen es vor fünf Jahren nicht mehr genügte,»Freidenker« zu sein, die durchaus»Gottlose« sein mußten, sie stimmen jetzt katholisch und rek- ken die Hälse zur Kanzel, wenn Faulhaber j oben steht und spricht.
Foersters Buch lehrt nun wohl ein etwas anderes Christentum, als die Faulhaber und die Niemöller. Aber es bleibt trotzdem ein Zeichen der Zeit, und als solches muß man es ernst nehmen. Sein Verfasser ist sicherlich nicht dümmer und nicht ungebildeter als die meisten seiner Kritiker. Aber er lebt in einer ganz anderen Welt als sie. Und das macht das Ein- anderverstehen so schwer. Foerster glaubt, daß der Welt, in der er jetzt lebt, die Zukunft gehört. Es mag sein, daß seinem heißen Glauben eine stärkere»Dynamik« innewohnt als unseren kühleren Zonen entstammenden Ueberzeugungen. Und doch sind wir genötigt, den Totalitätsanspruch, aus dem Foersters Dynamik entspringt, mit derselben Entschiedenheit abzulehnen wie jeden anderen. Wir können uns verständigen mit einem Christentum, das sich mit uns verständigen wül. Wir lehnen aber jede Diktatur ab, auch die eines Dogmas oder einer Hierarchie. Wenn Foerster, der Föderalist, der Erzfeind des Preußentums, die katholische Position bezieht, handelt er mit einer gewissen rückwärtsgewandten Konsequenz. Deutschland war einmal föderalistisch, unpreußisch und katholisch. Das ist für Foerster die goldene Zeit. Aber dann kamen die Ordensritter(waren sie nicht auch Katholiken?) und kolonisierten mit Mord und Totschlag den slawischen Osten. Und später kam die Reformation, die Säkularisierung, die Verweltlichung so vieler Einrichtungen und Güter, die vordem geistlich gewesen waren, der Aufstieg des protestantischen Preußen, Bismarck, Wilhelm H. und schließlich als höchste Personifikation der antichristlichen nationalistischen Selbstsucht Hitler . Hier muß ich gestehen, daß meine Inhaltsangabe lückenhaft geworden ist. Aber der Leser würde es nicht verstanden haben, wenn ich ihm ohne Vorbereitung mitgeteilt hätte, daß für Foerster Männer wie Ebert, Wirth, Rathenau und Stresemann keineswegs geistige Antipoden Hitler , sondern nur seine Vorläu
fer und Wegbereiter gewesen sind. Sie füllen in seiner Darstellung die Lücke zwischen WUhelm H. und Hitler mit einem homogenen Stoff. Für Foerster ist die demokratische Republik nicht etwas vom Dritten Reich grundsätzlich verschiedenes, sondern nur eine Maske, die sich das böse Preußentum vorgebunden hatte, um seine Gegner zu täuschen. Als es sich wieder stark genug fühlte, zeigte es sein wahres Gesicht. Der Ungläubige wird einwenden: Aber Hitler ist doch kein Preuße, sondern ein Oesterreicher, Göring ist ein Bayer, Göb- bels als Rheinländer nur Muß-Preuße. Heß, Rosenberg, Darre sind Exoten— wo bleibt da die überragende Macht des Preußentums? Es gibt offenbar für Foerster ebenso weiße Preußen, wie es für die Antisemiten weiße Juden gibt. Der Ungläubige könnte ferner einwenden, daß das Konfuse, Ekstatische, Psychopathische, das dem Nazismus anhaftet, etwas absolut Unpreußisches, ja geradezu Antipreußisches ist. Foerster würde darauf antworten, daß der Gewaltwille, der hinter diesen Oberflächen-Erscheinungen stehe, eben ganz anders als diese geartet sei, nämlich preußisch. Gläubigen hat es nie an Argumenten gefehlt, um Ungläubige zu widerlegen. Wir stimmen mit Foerster vollkommen darin überein, daß das, was e r als Preußentum ansieht, vernichtet zu werden verdient. Was wir aber ebenso entschieden ablehnen, ist die Identifizierung einer bestimmten Geisteshaltung mit bestimmten geographischen oder ethnographischen Begriffen. Eine solche Identifizierung schlägt den höchsten sittlichen Forderungen, die Foerster selbst stellt, ins Gesicht, sie ist ungerecht, unsittlich und unchristlich. Woher dieser ungeheuere Widerspruch? Er erklärt sich daraus, daß Foerster nicht ein internationaler sozialistischer oder christlicher Richtung, sondern ein auf den Kopf gestellter Nationalist ist. Für ihn heißt es keineswegs:»Gehet hin und lehret die Völker!« Für ihn gibt es nur
ein einziges Volk, an das er sich mit seinem fanatischen Bekehrungseifer wendet, und das ist sein Volk. Dieses Volk und dieses allein, macht er zum Objekt seiner pädagogischen Bemühungen, und er ist ein harter Erzieher, ein unerbittlicher Bußprediger. Er schenkt ihm nichts, es muß seine ganze Schlechtigkeit im Spiegel sehen: die Schuld am Weltkrieg, die Grausamkeit der Kriegsführung! Dafür war der Frieden von Versailles noch zu gelinde, und die Erleichterungen, die gewährt wurden, kamen zu früh. Kein Zweifel, Foerster erwartet eine noch schlimmere Niederlage, und einen noch härteren Frieden als ein notwendiges Erziehungsmittel für sein Volk, damit es schüeßlich aus allen Prüfungen geläutert hervorgehe und die Welt doch noch einmal an deutschem Wesen genesen kann. Foerster nennt sich selbst einen glühenden deutschen Patrioten. Ich glaube, damit sagt er zu wenig. Er ist e i n C h a u- v i n i s t und chauvinistischer als alle Chauvinisten. Es ist sein umgestülpter Chauvinismus, der ihn an allen Nichtdeutschen, mögen sie Stalin , Mussolini , Schuach- nigg, Clemenceau oder Poincare heißen, nur die guten Seiten erkennen läßt, während er einen Rathenau als»Mitmacher« abkanzelt, Stresemann aber geradezu als einen Betrüger hinstellt, der den braven, leichtgläubigen Briand hineingelegt hat. Foerster hält die Deutschen ebenso wie die Juden für ein Missionsvolk. Wir glauben nicht an auserwählte Völker und gehen darum in unserem Läuterungseifer nicht so weit. Richtig scheint uns dagegen zweierlei: erstens, daß jede von den menschlichen Sittengesetzen abstrahieren" de Politik, gleichviel, wer sie treibt, ein furchtbares Uebel ist, und zweitens, daß eine solche Politik, wenn sie von Deut schen betrieben wird, außerdem noch ein ungeheuerer Unsinn ist. Denn das Deutachtum nimmt durch seine Zahl, seine Leistungsfähigkeit, seine Verbreitung auf zahlreiche Staaten und Länder, besonders im Osten und Südosten Europas , eine sol-