Nr. 227 BEILAGE

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17. Oktober 1937

Sozialisten und Krieg

Aus Karl Kautskys neuem Budi

Wie haben sich die sozialistischen Den­ker und Politiker von der Hussitenzeit bis zur Gegenwart gegenüber den Problemen des Krieges verhalten? Auf diese für uns alle und für die Zukunft der Welt wich­tige Frage gibt Karl Kautsky , der uner­müdliche Lehrer des Sozialismus, in 702 Seiten seines neuen Buches Auskunft. Das Buch heißt»Sozialisten und Krieg« und ist im Verlag Orbis in Prag ersch'enen. Von dem Geist, der die histo­rische Darstellung durchleuchtet, geben die folgenden Zitate eine kleine Stich­probe: Jeder Sozieli-.t ist Menschenfreund Thomas Mores Utopier hassen den Krieg, wissen aber kein Mittel, ohne ihn auszukommen, da sie ja nicht allein auf der Weit sind, von nicht kommunistischen Staaten umringt werden. Sie üben sich sehr eifrig im Kriegswesen, und zwar nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Und sie führen Krieg nicht nur, um einen Angriff auf das eigene Gebiet oder das einer befreundeten Nation abzu­wehren, sondern auch»um ein von Tyran­nei bedrücktes Volk, dessen sie sich erbar­men, vom Joche des Tyrannen und von der Sklaverei zu befreien, was sie aus reiner Menschenliebe unternehmen«. Also sie führen nicht bloß Verteidi. gungs-, sondern auch Propagandakriege. Trotzdem widerstrebt More im Grunde seines Herzens dem Blutvergießen, als wahrhafter Sozialist, also Menschenfreund. Nicht jeder Menschenfreund ist Sozialist, aber jeder Sozia­list ist Menschenfreund. Die Humanität ist der Ausgangspunkt jedes sozialistischen Denkens. Pazifisten im Kriegsfieber Als Kinder der Aufklärung blieben die französischen Revolutionäre Gegner des Krieges, doch auch diesmal erlag die Theorie der Praxis, als es 1792 zum Kriege der Revolution gegen die verbündeten Monarchen Europas kam. Das Kriegsfie­ber erfaßte von da an immer mehr die Verfechter der revolutionären Grundsätze. Der Widerspruch zwischen pazifisti­schen Grundsätzen und kriegerischem We­sen unter den radikalen Republikanern Frankreichs überdauert die Revolution, sowie das Kaiserreich und die folgenden Regierungen. Freie Männer im freien Staat Staatswirtschaft gab es schon im grauen Altertum, aber sie war, wie jeder Großbetrieb damals, auf der Unfrei­heit der Arbeiter begründet. Was der moderne Sozialismus anstrebt, ist die Wirt­schaft freier Männer im freien Staat, ist, soweit sie Staatswirtschaft ist, Wirtschaft des Arbeiterstaates, in dem vollste Bewe­gungsfreiheit für alle Arbeitenden besteht und wer gehört in einem solchen Staate uicht zu(jgjj Arbeitenden! Schicksal der Revolutionen Bisher ist noch jede Revolution an­scheinend gescheitert, mit den Augen ihrer Zeitgenossen gesehen. In keiner haben sich die Revolutionäre als solche dauernd behauptet. Entweder wurden sie früher oder später niedergeschlagen oder sie wandelten sich. Das hat verschiedene Ur­sachen. Kerne der bisherigen Revolutio. nen war das Werk einer einzigen Klasse. Eine Revolution ist bisher stets nur unter Umständen möglich gewesen, unter denen sich die verschiedensten Klassen gegen eine Regierung zusammenfanden, so daß diese keinen Boden mehr im Volke hatte. Ist das alte Regime gestürzt, dann begän­nen die Gegensätze der Klassen hervorzu­treten, die an der Revolution teilgenom­men haben. Außerdem war die Notlage, die durch das alte Regime geschaffen wor­den, viel zu tiefgehend, als daß sie mit einem Schlage hätte beseitigt werden kön- nen. So nützt sich jede revolutionäre Re­gierung mit der Zeit, oft sehr rasch ab, ein Teil der Revolutionäre sieht sich ent­täuscht, entzieht ihr das Vertrauen, sucht ein Kompromiß mit den gegenrevolutionä­ren Faktoren, oder wendet verbittert allen

Bestrebungen nach sozialer Verbesserung den Rücken. Hoffnung auf Krieg!? Bürgerkriege und Revolutionskriege sind oft unvermeidlich gewesen. Sie wa­ren vielfach das einzige Mittel, an Stelle einer brutalen Gewaltherrschaft eine fried­liche Demokratie zu setzen oder diese ge­gen eine Vergewaltigung zu verteidigen. Aber wir dürfen nie vergessen, daß jeder Krieg ein Uebel ist, auch der um die Frei­heit. Wir mußten ihn bisher mitunter um der Freiheit willen in Kauf nehmen, wir haben aber gar keinen Grund, einen neuen Krieg zu ersehnen oder gar herbeizufüh­ren, in der Erwartung, dadurch das Kom- | men der Freiheit zu beschleunigen. Revolutionen immer anders I Auch das gewaltigste Genie kann sich die Zukunft kaum in anderen Formen vor­stellen, also solchen, die uns durch die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt werden. Was noch nicht da war, ist nicht gut vorstellbar. So erwarten auch die Revolutionäre regelmäßig die nächste Re­

Mißachtung der Demokratie Es gibt selbst unter den Sozialdemo­kraten Leute, die die Demokratie gering­schätzen. Sie lehnen die Demokratie nicht ab, betrachten sie aber als bloße theore­tische Liebhaberei einiger unpraktischer alter Stubengelehrten, als eine Lieb­haberei, die der Prüfung an der Hand der tatsächlichen Erfahrungen einer reiferen Jugend nicht standhalte. Öder als das Produkt geistiger Unselbständigkeit und Schwächlichkeit, die sich ängstlich an die Legalität klammere und jede Illegalität verurteile, auch dann, wo diese allein uns vorwärts bringe. Manche endlich sehen das Proletariat in der Rolle eines überlegenen Pädagogen, der die unartigen Jungen der Bourgeoisie zu besseren Manieren zu erzie­hen hat. Aus Nachsicht begnügt er sich zunächst mit den milden demokratischen Zuchtmitteln. Aber wenn diese nicht aus­reichen, dann droht der Schulmeister, zur scharfen Zuchtrute der Insurrektion oder des Generalstreiks zu greifen. In der Zeit der zweiten Internationale gab es so kuriose Sozialdemokraten noch

Die Stimme von USA

BLASPHEMV! H&T FIT WR WUMfi i'AKS*

Der berühmte Zeichner Low veröffentlicht in der englischen Presse die obenstehende Karikatur. Sie bezieht sich auf die Tatsache, daß die Rede Roosevelts in den Diktaturlän­dern nicht veröffentlicht werden darf. Der Text unter dem Bild lautet:»Lästerung! Nicht geeignet für junge Ohren!« Im Bild:»Roosevelts Rede, in der die friedliebenden Nationen aufgerufen werden, zusammen gegen die Angreifer-Staaten zu handeln, wurde in Japan »passend zusammengeschnitten« und in Deutschland und Italien fast gänzlich von der Zensur unterdrückt.«

volution, auf die sie rechnen, werde ebenso aussehen wie die vorhergegangene. Nur die Revolutionäre würden diesmal klüger sein. Doch jede kommende Revolution nimmt andere Formen an als ihre Vorgängerin. »Klassenkampf« nach Papageienart Eis war eine große wissenschaftliche Leistung von Marx und Engels, daß sie die Rolle der Klassenkämpfe in der Geschichte darlegten. Aber es ist durchaus nicht mar­xistisch gedacht, wenn man meint, es ge­nüge, das Wort»Klassenkampf« auswen­dig zu lernen und es nach Papageienart immer wieder in die Welt zu schreien, um alle Probleme des Erkennens der Vergan­genheit und der Gestaltung der Gegen­wart zu lösen. Es gibt zeitweise geistige Strömungen, die nicht auf einzelne Klassen beschränkt sind, sondern eine ganze Nation oder doch fast ihre Gesamtheit mit sich fortreißen, durch Verhältnisse bestimmt, die auf alle Klassen wirken, sie alle bestimmtem Sinne anregend. Meist sind es Ausbrüche allgemeiner Verzweiflung, allgemeiner Furcht vor einer Gefahr oder allgemeiner Flucht zu einem Retter, bei dem allein man sein Heil sucht. Derartige geistige Ausbrüche erweisen sich als unwidersteh­lich, lähmen jene, die sich ihnen zu wider. setzen suchen.

nicht. Die Mißachtung der Demokratie fand man nur bei Anarchisten. Furcht vor Invasion Wohl fürchtet die Masse den Krieg, aber noch mehr die feindliche Invasion sowie die Niederlage. Ist der Krieg ein­mal ausgebrochen, dann ist die größte Sorge der Bevölkerung vor allem die, alle Kraft aufzubieten, den Feind am Eindrin­gen in das eigene Land zu hindern und ihm die Möglichkeit zu nehmen, dem Volk unerträgliche Bedingungen aufzuerlegen, etwa einzelne seiner Teile einer Fremdherr­schaft zu unterwerfen. Diese Befürchtun­gen sind oft phantastisch übertrieben. Ehe Panik bei Ausbruch eines Krieges fördert das Aufkommen der sinnlosesten Vorstel­lungen über die schwarzen Absichten des Landesfeindes. Je größer die Panik, je rasender der Sturm, der bei Kriegsbeginn die Massen aufwühlt, desto mehr geschieht das in einer Weise, die Haß und Wut gegen den Landesfeind aufpeitscht und die hingehendste Förderung, nicht Störung der Landesverteidigung als heiligste Pflicht jedes Nationsgenossen erscheinen läßt. Bei Ausbruch eines Krieges wirkt nicht nur die Strenge des Kriegsrechts, sondern auch die Volksstimmung derart, daß eine kriegführende Regierung nie stärker ist als in einem solchen Moment. Nie ist es

schwieriger, ihr entgegenzutreten, nie we­niger möglich, sie wirksam zu hemmen. Proletarische Revolution? In Wirklichkeit zerfällt der nichtpro­letarische Teil der Bevölkerung in sehr verschiedene Klassen und Schichten mit mannigfachen, oft sehr gegensätzlichen ' Interessen, von denen manche mit den proletarischen übereinstimmen. Der proletarische Klassenkampf be­steht nicht in einem allgemeinen und un­terschiedslosen Kampf gegen alles, was nicht proletarisch ist. In seinen Anfängen und für lange Zeit gehört zu seinen wich­tigsten Mitteln des Aufstiegs das Zusam­menwirken mit manchen Klassen, Schich­ten und Parteien der nichtproletarischen Welt. Herauszufinden, mit welchen Schich­ten oder Parteien.man zusammenzuwirken hat, wann und in welcher Weise, das wird eine der unerläßlichsten, aber freüich auch schwierigsten Aufgaben der Führer proletarischer Massen und Parteien. Je größer die Aufgaben, die zu lösen j waren, desto weniger konnten sie bei den bisherigen Machtverhältnissen der Klassen und Parteien gelöst werden durch die Tak­tik des Alles oder Nichts, des Ablehnens* jedes Zusammenwirkens mit anderen Klas­sen oder Parteien. Durch reine Klassen. aktionen des Proletariats konnten manche kleinere Teilreformen durchgesetzt wer­den, kein gewaltiger Umsturz des Staates. Gerade die reine KlassenpolL tik konnte bisher praktisch bloß reformistisch sein. Jede wirkliche Revolution entsprang aus dem Zusammenwirken verschiede­ner Klassen gegen einen gemeinsamen Feind an der Spitze des Staates. Es hat bisher noch keinen sieghaften Barrikadenkampf gegeben, bei dem Prole­tarier allein gefochten hätten. Stets kämp- ten auch Kleinbürger und Intellektuelle mit oder unterstützten die Kämpfenden durch lebhafte Sympathie. Das gleiche gilt auch vom Massen­streik. Nicht Haß Mitleid! Das deutsche Volk ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als die ande­ren modernen Völker. Es gilt, die Feind­seligkeit der anderen Nationen gegen die deutsche zu überwinden. Das kann wirk­sam und dauernd und ohne Katastrophen nur geschehen durch das Absterben des preußischen Militärgeistes im deutschen Volke. Das wurde durch die Weimarer Re­ publik eingeleitet. Der Oberösterreicher Hitler will den alten Militärgeist der Preu­ßenmonarchie in den deutschen Seelen wieder lebendig machen, aber der Natio­nalsozialismus läßt ihn erstehen in rohen und primitiven Formen, denen gegenüber das Regime Wilhelms und Bethmanns noch als ein hochkultiviertes erscheint. Das ist nicht der Weg, die Freund­schaft und das Vertrauen der andern Völ­ker zu gewinnen. Doch verdient das deut­ sche Volk darob nicht Haß sondern Mit­leid. Nicht alles verstaatlichen! Was die moderne sozialistische Bewe­gimg anstrebt, ist nicht die Aufhebung jeglichen Privateigentums. Vor allem nicht die des Eigentums an den Mitteln persön­lichen Konsums. Aber auch nicht jeglichen Privateigentums an Produktionsmitteln. Die sozialistische Bewegung geht hervor aus der für die Masse der Bevölkerung im­mer unerträglicher werdenden kapitalisti­ schen Ausbeutung, Ausbeutung der Lohn­arbeiter einerseits, der Masse der Konsu­menten anderseits durch das Monopol an Produktionsmitteln, das die' Kapitalisten,, hier inbegriffen die Großgrundbesitzer, durch das Privateigentum an den großen Produktidhsmitteln besitzen. Diese Mono­polstellung dadurch aufzuheben, daß das Privateigentum an den Monopolen besei. tigt wird durch deren Uebergang in gesell­schaftliches Eigentum, das ist das wich. tigste Ziel des Sozialismus. Vergesell- schaftlichung der großen Monopole, das ist also eine der wichtigsten Aufgaben der ökonomischen Entwicklung unserer Zeit aber auch ihrer politischen Elntwick-