Europälsdie Gesamtlosunj»? Die Wiederholung eines gefährlichen Experiments hatte. Aggressiver Nationalist und Expa;,�ionist wie nur einer, betrieb Schacht die Wiederaufrüstung und stellte rücksichtslos und bedenken­los die Reichsbank und die Kreditorga­nisation in den Dienst der inflationisti­schen Finanzierung, durch die Zwangs­wirtschaft die offenbaren Fol­gen einer Inflation zunächst hinausschiebend und hemmend. Die Hoffnung blieb, daß das wieder­erstarkte Deutschland in Verhandlun­gen die politischen Konzessionen er­trotzten und wirtschaftlich die Kredite erlangen werde, die noch rechtzeitig die Inflation liquidieren erlauben soll­ten. Nicht minder groß waren die Dienste, die Schacht nach außenhin dem Regime erwies. Kaum einem anderen als Schacht, der als Reichsbankpräsident, als angeblicher Wiederhersteller der deutschen Währung, als Gegner un­solider Schuldenaufnahme, als Ver­fechter trotz allen liberal-kapitalisti­schen Prinzipien, in der internationalen Bankwelt ein ungerechtfertigtes, aber geschickt geschaffenes und sorgsam gepflegtes Ansehen genoß, an dem kri­tiklosen Gouverneur der Bank von England einen einflußreichen Helfer und in der City und Wallstreet man­nigfache Freunde hatte keinem an­deren wäre die Expropriation der aus­ländischen Gläubiger, die Durchset­zung des Außenhandelsmonopols und Devisenzwangswirtschaft, die für das gesamte Ausland schwerste ökonomi­sche Beeinträchtigung bedeuten, so leicht gelungen. Dank seiner engen Verbindung mit dem von den Nationa­listen so verabscheuten internationalen Finanzkapital wurde die parodoxe Tat­sache zur Wirklichkeit, daß das»feind­liche« und neutrale Ausland einen er­heblichen Teil der Kosten für die deut­sche Wiederaufrüstung und die Durch­führung der Autarkie getragen hat. Aber die noch so erfolgreiche, ge­schickte und nützliche Wirtschaftsdik­tatur eines Außenseiters, noch dazu eines nicht ganz ungefährlichen, ist mit den Herrschaftsprinzipien der totalen Diktatur auf die Dauer unver­einbar. Ihr Ziel bleibt es, die hohen Bürokraten und die Minister, die sie zunächst wegen ihrer Routine und Sachkenntis nicht entbehren und durch Pg's nicht ersetzen kann, zu Techni­kern, zu bloßen Beratern und Hilfs­arbeitern herabzudrücken, wie sie es zum Beispiel bei Neurath und der gan­zen Wilhelmstraße gemacht hat. Das­selbe geschah mit dem viel wichtigeren, unentbehrlicheren, zugleich auch ein­flußreicheren Schacht, dem einzigen, außerhalb des eigentlichen Kreises der Diktatoren mit einem noch unabhängi­gem Machtbereich. Deshalb setzte sich Göring selbst in Bewegung, des­halb wurde der Prozeß nur allmählich und gar nicht mit der sonst gewohnten »Schlagartigkeit« vollzogen. Aber jetzt ist es erreicht. Der Sinn des Vorganges ist der; Schacht, der frühere Wirtschaftsdik­tator, der als solcher noch in gewissem Grade eine selbständige politische Po­tenz war, ist endgültig entpoliti­siert worden. Er hat der Diktatur das für sie brauchbare, ihren macht­politischen Zwecken entsprechende wirtschaftliche System geschaffen. Das System ist errichtet, sein Urheber nicht mehr unentbehrlich, es kann auch von anderen weitergeführt wer­den. Schacht hat für die Diktatur so viel getan, daß ihm zu tun wenig übrig bleibt. Aber auch auf das Wenige will die Diktatur nicht verzichten. Schacht soll weiterdienen, aber entmachtet, zum bloßen Techniker und Hilfsarbei­ter degradiert wie die Neu­ rath , Schwerin-Krosigk, Seldte und alle übrigen. Denn im heutigen deutschen Wirtschafts­system hat ein Reichsbankpräsident trotz des stolzen Titels ohne Verfügimg über die Devisenwirtschaft und das Handelsmonopol in Wirklichkeit nicht mehr die geringste Macht und Selb­ständigkeit. Er wird zu einem ausfüh­renden Organ. Die wirkliche Macht ist bei Göring konzen­triert. Für Deutschland selbst wird damit eine Entwicklungsphase abgeschlossen, die mit der Einsetzung Görings als De­visenkommissar begann. Es ist die Sanktionierung des bereits geschaffe­nen Zustandes, des absoluten Primats Die englisch -französischen Besprechun­gen in London eröffnen eine neue Periode diplomatischer Besprechungen, in denen das europäische Gesamtproblem geprüft werden soll. In jenen Ländern Europas , in denen noch demokratische Zustände vorherrschen, wird gegenüber dem Ergeb­nis der Londoner Besprechungen offiziel­ler Optimismus zur Schau getragen. Die Tatsachen rechtfertigen diesen offiziellen Optimismus keineswegs. Er mag einem erzkonservativen englischen Politiker wohl anstehen, dem die Macht Englands über alles geht vom Standpunkt der euro­ päischen Demokratie aus gesehen aber liegt zu seinem Optimismus wenig Anlaß vor. Die Londoner Besprechungen lassen vielmehr erkennen, welche wichtigen Etap­pen Hitlerdeutschland und Italien bereits zurückgelegt haben bei der Durchführung ihres Planes, das Gesicht Europas nach dem faschistischen Modell zu verändern. England und Frankreich sind in die Methoden der Geh e i m d i p lo m a- t i e der Vorkriegszeit eingelenkt. Die amt­liche Mitteilung über das Ergebnis der Londoner Besprechungen läßt noch weni­ger klare Linien erkennen als seinerzeit das Verhandlungsprogramm nach der Rheinlandbesetzung. Die erste Folge die­ser amtlichen MitteUung sind weitere offi­ziöse Erklärungen, daß man die Mitteilung nicht falsch auslegen dürfe. Welches ist also die richtige Auslegung, und warum ist sie nicht sofort und öffentlich gegeben worden? Man erfährt aus der englischen Unterhausdebatte, daß H i 1 1 e r Lord Ha­ lifax gegenüber Forderungen gestellt hat. Die Kolonialforderung ist bekannt, ebenso, daß Hitlerdeutschland die Hegemonie zu- mindestens in Mittel- und Osteuropa for­dert. Aber welche konkreten Einzel- und Anfangsforderun­gen sind gestellt worden? Dar­über herrscht vollkommenes Schweigen, und dieses Schweigen ist Grund zu tiefster Unruhe. In der Sache wird nach wie vor von der Aufrechterhaltung des Prinzips der kollektiven Sicherheit gespro­chen. Dies Prinzip hat in den vergange­nen Jahren einen eindeutigen Inhalt gehabt. Es war verbunden mit dem Prinzip der Aufrechterhaltung des Status quo in Europa , es schloß in sich den Entschluß, keine Lösung der Fragen der Entwicklung Europas durch Gewalt oder unter dem der Wehrwirtschaft, der Aufrüstung, der Kriegsvorbereitung und der mög­lichst weitgehenden Autarkie. Mit Schacht sind zugleich alle Widerstän­de gegen den hemmungslosen Fortgang der Wehrwirt­schaft und ihrer Finanzierung aus­geschaltet, alle politischen Bedenken gegen diese Führung der Außenpolitik beseitigt. Es ist dabei bezeichnend, welche Rolle im Stab Görings die Offi­ziere spielen. Ludendorffs Ideal des totalen Feldherrn beginnt sich in Deutschland schon im Flieden auszu­wirken, die Führung der Wirtschaft wird immer mehr von der Armee über­nommen. Mit Schacht werden die letz­ten»zivilistischen« Erwägungen zu­gunsten der militärischen zurückge­drängt. Damit vollendet sich zugleich die Integrierung zwischen der Diktatur und der Armee­führung, ihre immer mehr fort­schreitende Vereinheitlichung. Die Stütze, die Schacht ursprünglich in der Reichswehr hatte, wurde in dem Augenblick morsch, als die Generale wahrnahmen, daß sie von Göring eine ungleich rücksichtslosere Durchsetzung ihrer Bedürfnisse erwarten konnten als selbst von Schacht. Etwas anders ist die Wirkung im Ausland, wo Schacht noch mit Recht oder Unrecht als Vertreter einer gemäßigten Politik gegolten hatte. Das Ausland wird jetzt um eine Illusion ärmer und mag endlich begreifen, daß es neben der Diktatur keinen selbstän­digen politischen Einfluß innerhalb ihres Umkreises geben kann. Aber eben um diese Illusion doch noch einiger­maßen aufrechtzuerhalten, muß Schacht bleiben, darf dem Hund der Schwanz nur stückweise gestutzt wer­den, darf Schacht die Reichsbankpräsi­dentschaft nicht aufgeben. Schacht war viel stärker als Hugen- berg, aber er erleidet ein für diesen ehr- Druck aggressiv-militärischer Macht zuzu­lassen. Das Wort ist heute noch vorhan­den, aber was ist heute der Inhalt des Begriffes? Die Machtkonstellation ist ver­ändert, die Fronten haben sich verschoben, und die Front der wirklichen kollektiven Sicherheit ist erheblich geschwächt auch von innen heraus. Die machtpoliti­schen Anschauungen der englischen Kon­servativen haben sich in den Vordergrund geschoben, und in der Sache ist das Prin­zip des europäischen Gleichgewichts an die Stelle des Prinzips der kollektiven Sicher­heit getreten. Das ist es, was Hitler­ deutschland wollte. Die englische und die französische Re­gierung erklären, daß sie nach einer europäischen Gesamtlösung streben. Seit den Versuchen mit dem Ost­pakt, dem Mittelmeerpakt, dem Luftpakt im Westen, dem neuen Westpakt und der Zerreißung des Locarnopaktes ist es klar geworden, daß Hitlerdeutschland auf eine europäische Gesamtlösung nur eingehen wird, wenn es dafür weitgehende machtpolitische Zugeständ­nisse erhält und das Ausmaß dieser Zugeständnisse müßte heute größer sein denn zuvor. Wer soll die Zeche be­zahlen? Darüber herrscht Schweigen. Es war die Absicht Hitlerdeutschlands, in diplomatischen Einzelver­handlungen die Front der kollektiven Sicherheit zu sprengen, Sowjetrußland von England und Frankreich zu isolieren. Das war der Streitpunkt nach der Rheinland­besetzung, und wieder bei den Fragen der Seekontrolle im Mittelmeer . Die Methode, die jetzt von Frankreich und England ein­geschlagen wird, kommt dieser Absicht weit entgegen. Aus den Erklärungen des englischen Ministerpräsidenten im Unter­haus geht klar hervor, daß die Verhand­lungen zunächst auf die Mächte des be­rüchtigten Viererpaktes beschränkt sein werden. Die Achse London Paris wird im geheimen mit der Achse Berlin Rom verhandeln. Wem fällt es nicht auf, daß weder im Communique noch in den Erläuterungen dazu das Wort Sowjetruß­land nicht vorkommt? Was ist der fran­zösisch-russische Pakt heute in Wahrheit noch wert? Was schwebt den Regierungen in Lon­ don und Paris heute als Inhalt einer euro­ päischen Gesamtlösung vor? Die Sache der spanischen Republik ist geizigen und machthungrigen Mann noch ärgeres Geschick. Einflußlos, ohnmächtig muß er»im Boot, in dem sie alle sitzen« bleiben als Aushänge­schild für eine Politik, deren Folgen er fürchtet, und für die er doch die Ver­antwortimg weiter trägt, von dem Wa­gen der Diktatur, aus dem er gestoßen wurde, nun mit vergoldeter Kette hin­terhergezogen. Eine Holländerin in deutsdier Gefangenschaft Neue Schandtat von Gestapospionen. Hundert Meter von der deutschen Grenze in dem Limburgischen Bergarbelterdorf Waubach liegt das unansehnliche Buch- lädchen von dem früheren Bergmann Bene- dik. Die Leihbücherei besteht neben billigen Romanen in solcher Lektüre, die in Deutsch­ land verboten ist und deshalb bei den in Waubach wohnenden Deutschen großen An­klang findet. Ist das der Gertrud Benedik zum Verhäng­nis geworden? Diese kränkliche Frau ging im 9. Oktober d. J. nach Düsseldorf , um sich durch einen Nierenspezialisten untersuchen zu lassen. Sie ist von dieser Reise nicht zurück­gekehrt und sitzt seit dieser Zelt Im Ge­fängnis, verdächtig von»staatagefähr- liohen« Beziehungen zu deutschen Kommuni­sten. Diese Frau ist an Politik vollkommen uninteressiert, sie weiß nicht einmal was ein Kommunist im genauesten Sinne eigentlich ist. Dir Mann befaßt sich sehr wenig mit Politik. Als er noch Bergmann war, war er Mitglied beim Modernen Bund. Das ist seine einzige»politische« Verbindung gewesen. Benedik hat kein anderes Ziel als sein Brot mit seinem Leihbuchladen zu verdienen. Er fährt jeden Tag zu seinen Kunden, um sein»Dubbeltje«(10 holl. Cents) pro Woche für jedes ausgeliehene Buch zu empfangen. Andere Sorgen kannte er nicht. Bereits mehr als einen Monat befindet sich ganz offenkundig verraten. Das bedeutet aber, daß England und Frank­ reich die durch den spanischen Krieg ge­schaffenen deutschen und italienischen Po­sitionen in Südwesteuropa und im Mittel­ meer zunächst stillschweigend hinnehmen. Sollen diese mit eklatantem Rechtsbruch und offener Gewalt eroberten Positionen zu Elementen einer künftigen europäischen Gesamtlösung werden? Man hört wieder, daß England und Frankreich auf eine europäische Konvention über die Rüstungen hinarbeiten wollen. Wel­che Machtverteilung soll einer solchen Konvention zu Grunde gelegt werden, wel­che Machtpositionen werden sich die fa­schistischen Mächte im Laufe der Ver­handlungen über eine solche Konvention noch schaffen dürfen? Ganz abgesehen von der Frage, was eine Rüstungskonven­tion zwischen faschistischen Mächten und parlamentarisch regierten Ländern über­haupt wert ist. Anerkennung der gewalt­sam erfolgten Verschiebung der Macht­lage, Beschwichtigung des Expansionswil­lens der faschistischen Mächte durch kolo­niale und wirtschaftliche Zugeständnisse und dann Rüstungskonvention wie reimt sich das zusammen? Was die Fragen Mitteleuropas anbe­trifft, so ist eine Reise des französischen Ministerpräsidenten D e 1 b o s zu den Bun­desgenossen Frankreichs in Mitteleuropa angekündigt. Schon einmal hat ein fran­zösischer Außenminister diese Reise unter­nommen, um die Verhältnisse in Mittel­ europa gegen imperialistischen Expansions­willen zu verteidigen. Ahr als B a r t h o u seine Reise unternahm, stand Frankreich noch auf der Höhe der Macht und vertrat eine selbständige Politik. Heute ordnet Frankreich seine Politik der Führung durch die englischen Konservativen unter, und das Gewicht der englisch -konservati­ven Anschauungen über die mitteleuropäi­schen Fragen ist heute größer als das Ge­wicht der französischen Interessen. Unter englischer Führung wird ein ge­fährliches Experiment unternommen: das Experiment, den faschistischen Mächten ihren unbändigen eingeborenen Macht- und Herrschaftswillen über Europa und die Welt durch Zureden und Konzessionen ab­zukaufen. Mit diesem Experiment sind bis­her böse Erfahrungen gemacht worden. Wie oft und wie lange soll es noch wieder­holt werden und auf wessen Kosten? seine Frau im deutschen Gefängnis. Zwei kleine Kinder vermissen ihre Mutter. Nie­mand weiß, für wie lange. Familienmitglieder helfen In der Hauahaltui� und im Laden. Sie alle leben in großer Ungewißheit und Besorg­nis um Gertrud Benedik. Der einzige Brief, den sie aus Düsseldorf schrieb, befaßte sich nur mit Nebensächlich­keiten. Die Zensur wacht darüber, daß sie nichts Bedeutendes schreibt, Eine holländische Frau sitzt vollkommen unschuldig in einem deutschen Gefängnis. Sie ist das Opfer von Gestapoapionen, die auf unserem Gebiet ihre schmutzige Arbelt tun! (»Het Volk«, 17. November.) Das Gaunerredit Unter den vielen Wort- und Sinnverdre­hungen, deren sich das Dritte Reich zu seiner Rechtfertigung bedient, fällt die eine in letz­ter Zeit besonders auf. Hunderte von Red­nern bemühen sich neuerdings, dem Volke klar zu machen, Gesetz und Recht seien entgegengesetzte Begriffe, eines schlösse das andere aus, und ein ganzer Mann müsse sich entscheiden, ob er sich»an das Gesetz klammern« oder dem freien Recht, das»im deutschen Blute lebt«, zum Sieg verhelfen wolle. Ein klassisches Beispiel dieses seltsamen Begriffswandels wurde soeben auf der Tagung der Gauamts­leiter und Kreisleiter in der Ordensburg Sont­ hofen geliefert. Dort sagte der»Reichsieiter des Hauptamtes für Kommunalpolitik«, Fieh- ler, laut Bericht:» »Auch die Verwaltung müsse da selbst­verständlich nationalsozialistisch sein. Rechtmäßigkeit, nicht Gesetz­mäßigkeit, sei maßgebendes Verwal. tungsprinzip.« Worte solcher Art sollen ein Freibrief sein, ein Freibrief für alle Rechts­brüche in Vergangenheit und Zu. kunft . Wenn eines Tages Recht wieder Gesetz und Gesetz wieder Recht ist, wird sich herausstellen, wieviel deutsches Volks­vermögen im Namen nationalsozialistischer »Rechtmäßigkeit« vertan, verschoben, ver­praßt und veruntreut worden ist.