Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Aussprechen, was ist!

Nr. 237 SONNTAG, 26. Dez. 1937

Aus dem Inhalt:

Um die Freiheit der Presse Deutsche Verlustlisten Legalisierter Raub Vor 50 Jahren

Trotz alledem!

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knechtet, bedroht es auch andere mit gen, uns ermutigt das tapfere Verhal-| schlimmer als das reichsdeutsche So­Wir haben keinen Grund, auf das Knechtschaft und Gewalt. Wenn wir ten unserer Bruderparteien in der Sozialistengesetz und der österreichische vergangene Jahr mit Genugtuung zu- also für das deutsche Volk und seine zialistischen Arbeiter- In- Ausnahmezustand. Härter als je ist der rückzublicken oder das neue mit rosi- Freiheit kämpfen, und wir sind uns ternationale, vor allem unserer Kampf, schlimmer als je die Not der gen Hoffnungen zu begrüßen. dessen bewußt, daß dies und dies allein deutschen Genossen in der Kämpfer, und der Ausgang liegt noch Re- weit in der Ferne. Aber die Heilige Noch ist die Despotie im Vor- unsere Aufgabe ist so kämpfen wir Tschechoslowakischen rücken. Brennende Städte in China zugleich für die Freiheit ganz Europas publik. Ihre Leistung in den letzt- Allianz ist gewesen, die Reaktion nach bezeichnen ihren Weg. Das politische und für den Frieden der ganzen Welt. vergangenen Jahren wird in der Ge- 1848 ist gewesen, das Sozialistengesetz Dreieck, das unter der falschen Fahne Dieses unseres Weges sind wir so schichte der Internationale ein Ruh- ist gewesen, und immer ist nach Perio­des Antibolschewismus marschiert, ge- gewiß, daß auch bittere Erfahrungen mesblatt füllen. den finsterster Unterdrückung das Ban­bärdet sich schon als wäre es der Herr uns von ihm nicht abbringen können. Aussprechen, was ist! Nur Schwäch- ner der Freiheit wieder aufgestiegen. der Welt. Keine Macht hat den Mut, Wir fühlen uns durch sie nicht im min- linge können die Wahrheit nicht ver- Diejenigen, denen es in der Zeit schwer­ihm entgegenzutreten. desten entmutigt. Uns erhebt der An- tragen. Seit Jahrhunderten ist die Des- ster Bedrängnis anvertraut ist, sind Auch dort, wo die Kanonen noch blick des um seine Freiheit kämpfen- potie in Europa nicht so stark gewe- trotz alledem Bevorzugte des Schick­schweigen, macht die Despotie längst den spanischen Volkes, uns sen, Freiheit und Menschenwürde nicht sals. Wir sehen also keinen Grund, uns nicht mehr an den Landes- stärkt das Bewußtsein der Verbunden- so in den Boden getreten worden wie zu beklagen oder an unseren Gesinnun­grenzen halt. Mit ihren Heeren heit mit unseren Genossen in jetzt. Was wir erleben, ist schlimmer gen etwas zu ändern. Wo wir ste­bezahlter Spitzel und Agenten, mit Deutschland , die für die Sache als die Heilige Allianz , schlimmer als hen und wohin wir gehen, ihren gekauften Zeitungen dringt sie in der Freiheit mutig Unnennbares tra- das Wüten der Reaktion nach 1848, bleiben wir, was wir sind! die Nachbarländer ein. Mit Lockungen

Das

Emigranten- Tragödien

Lieber tot als nach Deutschland - Freitod eines Philosophen

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zur Ab­

ge­

deuten.

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vielen

Die Gemeinde derer, die sein an­

und

seiner nahm, starb

und Drohungen macht sie sich die öffentliche Meinung gefügig. Ist sie mit ihren vielen Soldaten nicht mäch­tig, muß nicht jeder Realpolitiker mit ihr rechnen? Wer könnte die Bildung »> ideologischer Blocks« befürworten, die doch sicher zum Zusammenstoß führt? Aus Amsterdam wird uns berichtet: eines Unbekannten gefunden. Zunächst schie-| Hellmund verfiel in Verfolgungswahn. In Rüstungen sind gut für das Geschäft, aber außenpolitische Spannungen scha­Zum zweiten Male hat sich binnen kurzer nen mancherlei Anzeichen darauf hinzudeu- allen Menschen, mit denen er in Berührung den ihm. Schließlich kann man den Zeit in Holland der Fall ereignet, daß ein ten, daß der Tote das Opfer eines Verbre- kam, begann er Spione des Hitlerregimes zu Frieden auch mit ein bißchen Freiheit Emigrant, der nach Deutschland abgeschoben chens sei. Bald jedoch kam die Polizei zu sehen, jedes kleine, oft nur eingebildete Miẞ­ein seiner Auslieferung der Feststellung, daß auf Selbstmord vor- geschick, das ihm widerfuhr, leitete er bezahlen, besonders dann, wenn es die werden sollte, den Tod ihre» Erziehungs<-Methoden liege. Auch über die Identität des Toten kam das Walten allmächtiger Verfolger zurück, ob­Freiheit anderer und nicht die eigene ist. an die SA und Stimmungen solcher Art und ihre Vorzog. Der erste Fall betraf jenen Unglück- man ziemlich schnell ins Klare. Zur Zeit, da wohl es doch auf der Hand liegt, daß die brau­Auswirkungen machen unseren Kampf, lichen, der sich während des Transportes aus diese Zeilen geschrieben werden, kann kaum nen Spitzel ihre Arbeit auf ganz andere Per­war vor noch ein Zweifel daran bestehen, daß der Un- sonen konzentrieren, als auf den unpolitischen der schon schwer genug ist, noch dem fahrenden Zug stürzte. Das schwerer. Ja, wenn wir noch die Hoff- einigen Wochen. Jetzt hat sich der Vater bekannte, der im Wald bei Dijon den Weg Gelehrten Hellmund. Vergeblich versuchten sozialistischen Emigranten in dem aus der Welt suchte und fand, der deutsche Freunde immer wieder den seelisch Zerbro­nungen der klugen Rechner teilen wür- eines und seine Philosoph Dr. Heinrich Hellmund ist... chenen aus Verzweiflung und Angst zu lösen. den, dann wären die Opfer wenigstens Augenblick, wo die Polizei ihn beide bejahrte Leute Heinrich Hellmund wird der Er fand keine andere Befreiung als den Tod nicht umsonst gebracht. Aber wir tei- Frau- len sie nicht, wir glauben nicht, daß der schiebung nach Deutschland abholen wollte, Name dieses Mannes nichts besagen und be- den er sich selbst gab. dessen Frieden, auch die Halsschlagader durchschnitten. Erhaltung Der Philosoph Heinrich Hellmund, der große Opfer rechtfertigen würde, alte Ehepaar war staatenlos und spruchsvolles innerlich und äußerlich groß- einst das» Wesen der Welt« zu deuten unter­durch solche Kalkulationen und Trans - hatte zuletzt in Köln gewohnt. Da es ihnen angelegtes Lebenswerk kennen am Hereinbruch der großen aktionen gerettet werden kann. Dazu dort seit der Hitler - Herrschaft immer elender Bedeutung gemäß einschätzen lernten, ist Barbarei, mit der sich» abzufinden<< ihm nicht kennen wir den Vertragspartner zu ging, so hatte der Sohn, inzwischen mit einer verhältnismäßig klein, wen sie auch erfreu- gegeben war, und die aktiv zu bekämpfen es gut. Wir wissen, daß ein jeder, der ihm Holländerin verheiratet und in relativ lich weit über den engen Umkreis der fach- ihm an vitaler Kraft gebrach. Müde ging er etwas gibt, um etwas dafür zu erhalten, sicherten Verhältnissen lebend, die beiden wissenschaftlichen Interessierten hinausgeht. den Weg ins Nichts. In den Tod gehetzt vom der Betrogene sein wird. Alten zu sich nehmen wollen. Der Plan schei- Hellmunds Hauptwerk» Das Wesen der braunen Kulturhaẞ. Ein Selbstmörder Es ist seit einiger Zeit so viel vom terte jedoch an der Eigenschaft der beiden Welt« lud schon rein räumlich betrachtet Und dennoch: ein Gemordeter. » Pressefrieden« die Rede. Aber worin als Staatenlose. Der holländische Justizmini- nicht gerade eiliger Lektüre ein: drei etwa anderthalbtausend kann ein Pressefrieden zwischen Demo- ster verfügte die Ausweisung. kratie und Diktatur bestehen? Doch Nun besteht in Holland folgender un­nur darin, daß die Diktatur verspricht, glückseliger Zustand: Das Land besitzt nur Als das Buch 1927 bei der Deutschen Ver­nicht mehr über die Demokratie zu zwei Grenznachbarn: Deutschland und Bel- lagsanstalt in Stuttgart erschien( 1928 kam lügen, wogegen die Demokratie sich gien. Mit Belgien besteht seit die zweite Auflage), wurde es von der Kritik verpflichtet, über die Diktatur nicht Vertrag, wonach die beiden Länder sich ihre begeistert als eine der bedeutendsten denke- Oschersleben waren die städtischen Beamten mehr die Wahrheit zu sagen. Die Dik- Emigranten rischen Leistungen der neueren tatur kann leicht ein solches Verspre- schieben dürfen. Es bleibt also im konkreten Philosophie willkommen chen geben; erstens kann sie es erfül- Falle nur eine Ausweisungsmöglichkeit: die Müller- Freienfels und andere berufene Beur- kein besonders hohes Gehalt, aber sie führten len, denn ihre ganze Presse tanzt ja an nach Deutschland . ihren Drähten, und zweitens will sie Nun scheint man in Holland noch immer es gar nicht erfüllen. Wie aber könnte die Demokratie eine solche Verpflich- kehr eines Emigranten nach Deutschland für tung übernehmen, ohne auf ihre Le- diesen bedeutet; aber die Emigranten selber bensgrundlage selbst, auf die Frei- sind sich darüber im Klaren, und wir, die wir heit der Presse, zu verzichten? Ein sogenannter Pressefrieden ist ein wissen, begreifen es, wenn sie den Tod der Handel, bei dem die Diktatur gar nichts Hölle vorziehen, die ihrer im Dritten Reich gibt, die Demokratie aber alles so- wartet. gar sich selbst! Tut sie das aber, wel­ches Banner will sie dann noch erheben an dem Tage, an dem die Illusionen schwinden und die furchtbare Wirklich keit an sie herantritt?

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Frieden und Freiheit sind keine Handelswaren, die man gegeneinander austauschen kann. Auch läßt sich die eigene Freiheit von der Freiheit der anderen nicht trennen. Wie wenig eine solche Trennung möglich ist, hat die furchtbare Lektion der letzten Jahre gezeigt. So lange das deutsche Volk seine Freiheit genoẞ, konnten auch seine Nachbarn in ge­

kurzem ein

nicht mehr wechselseitig zu­

nicht recht zu wissen, was die Zwangsrück­

über die deutschen Verhältnisse Bescheid

Die traurigen Fälle haben die holländische Oeffentlichkeit alarmiert. Man beginnt zu begreifen, daß doch nicht bloße Halsstarrig­keit die Emigranten in Holland festhält. Daß Menschen lieber Selbstmord versuchen, als nach Deutschland zurückzukehren, gibt zu denken: Greuelzustände, vor denen solche Furcht besteht, können unmöglich bloẞ zu Agitationszwecken ausgeheckte sein, sagt sich der einfache Mann.

Märchen

In den Tod gehetzt

zu

mit dicke Bände Seiten...

deutschen

Journalistenlos!

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ja.

Ein Korruptionsfall und seine Folgen. Aus Mitteldeutschland wird uns berichtet: Für das Winterhilfswerk des Kreises

teiler priesen die Kühnheit und Tiefe Hellmundschen Gedankenwelt und sein liches unablässiges Ringen um einen neuen, die Einzelerkenntnisse der Spezialwissen­synthetisch zusammenfassenden Obgleich

schaften Seins- Begriff

Neumann und Treide Beauftragte und geheißen. Richard Leiter. In ihrem Beruf bezogen die beiden der trotzdem ein Leben in Saus und Braus, in ehr- dem Alkohol und Frauen eine große Rolle spielten. 1935 kauften beide schöne große Grundstücke und bauten sich darauf Villen. die ganze Bevölkerung vermutete, daß hier mit dem Gelde des WHW unsauber sahen die verantwort­Der deutsche Philosoph Heinrich Hellmund manipuliert würde, ist von der Barbarei des Dritten Reiches in lichen Stellen nichts. Der Arbeitslose Kujas war in der Kanzlei des WHW als Hilfskraft den Tod gehetzt worden. 1933 hatte er Er kam durch Einsichtnahme Deutschland verlassen müssen, obwohl er mit beschäftigt. Politik nicht das mindeste zu tun gehabt in die Bücher, Belege und Listen darauf, daß obwohl hatte, und Arbeiten einer Neumann und Treide mit den eingegangenen manchmal Geldern und Sachspenden nicht richtig um­Sphäre angehörten, die weit machte dem Kreisleiter der wohl allzuweit jenseits allen Zeitstreites gingen und liegt. Sein Verbrechen bestand darin, daß er NSDAP und Bürgermeister von Oschersleben , >> Nichtarier<< war und Denk- und Forschungs- Panicke, Mitteilung. Er wurde prompt wegen freiheit als wertvolles Kulturgut erkannte... angeblicher Beleidigung der städtischen Be­Hellmund wurde ein Heimatloser, der von amten und Leiter des WHW auf ein halbes Land zu Land pilgerte, überall durch Vor- Jahr in das Konzentrationslager Dachau ge­lesungen und wissenschaftliche Forschungs- schickt.

seine

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pläne Interesse weckend, aber nirgends neue Die Beobachtungen Kujas und seine plötz­Verwurzelung, nirgends Ruhe zum Schaffen liche Verschickung in das KZ sprachen sich findend. Die Friedlosigkeit seines Wander- jedoch bald herum, so daß die verantwort­Selbstmord eines deutschen Gelehrten. lebens zehrte an seinen Nerven, an seiner lichen Partei- und Behördenstellen eingreifen baren be- mußten. Eine Revision ergab einen in der Nähe von Dijon , seelischen Gesundheit. Immer deutlicher

In Frankreich ,

sicherter Freiheit leben. Selbst ge- wurde vor kurzem in einem Wald die Leiche reitete sich in ihm eine Katastrophe vor. Fehlbetrag in Höhe von 85.000 RM. Der Wert