Nr. 23? BEILAGEllcuccUontifltfs26. Dezember 193?Um die Freiheit der PresseEine lehrreiche französische DiskussionWenn einmal in Deutschland andereleiten kommen werden, wird auch das Pro-em der Presse gelöst werden müssen.Heute gehört tatsächlich die ganze deutsche Presse der regierenden Partei. Sollen die Sieger von morgen die Presse alsgute Beute betrachten und sie, unter Beibehaltung des Systems der Gleichschaltung, nur unter ein anderes Kommandostellen? Oder sollen sie wieder den Zustand herstellen, wie er vor dem nazistischen Staatsstreich bestanden hat, alsodie Zeitungsverlage ganz einfach denEigentümern von 1933 oder ihren Erbenzurückgeben? Wird der neue Staat, derauf den Trümmern des Dritten Reichesentstehen wird, sofort eine unbeschränkteP r essefreiheit im alten Sinne desWortes ertragen können, und wenn nicht,welche Einschränkungen der Aenderungenkönnte man als zulässig und nützlich betrachten?Im deutschen Bürgerkrieg seit 1918hat der Kampf um die Presse eine gewaltige Rolle gespielt. Man hat um Zeitungsgebäude und Rotationsmaschinen gekämpftwie in den Reformationskriegen um Kirchen und Altäre. Der Kampf hat vorläufigdamit geendet, daß sich die Nazi der gesamten Einrichtungen bemächtigt haben—aber dieser Zustand ward nicht ewig dauern. Was soll nach ihm kommen?Noch ist leider— leider!— das Problem für uns nicht akut. Aber in Frankreich ist jetzt darüber eine lebhafte Diskussion entstanden, an der wir nicht achtlos vorübergehen können.Ausgelöst worden ist diese Diskussiondurch eine Versammlung der Druckerei-Nachtarbeiter, in der Leon Blumsprach. Dabei sagte er;»Manchmalfrage ich mich, ob es nicht diePresse ist, bei der man mit Verstaatlichung beginnen sollte.«Dieser Satz hat in der bürgerlichenRechtspresse Frankreich» einen wahrenSturm hervorgerufen und auch in bürgerlich-republikanischen Kreisen Erstaunenerregt. Die Rechtspresse argwöhnte bol-schiwisierende Tendenzen und beschworSchauerbilder herauf, als ob der stellvertretende Ministerpräsident ein ähnlichesPresseregime wie in Rußland, Italien und— nicht zu vergessen— Deutschland begünstigen wollte. Im»Tempo« erinnerteJoseph-Barthelemy an die vergangenen Reaktionszeiten Frankreichs undan das verhaßte Presseregime des drittenNapoleons, um sich emphatisch zur republikanischen Pressefreiheit zu bekennen.Leon Blum antwortete auf diese Angriffe, indem er die Redaktion des»Popu-laire« bat, noch einmal einen Artikel abzudrucken, den er vor bald zehn Jahren dortveröffentlicht hatte. In seinem Schreibenan die Redaktion wies er die unsinnige Unterstellung, als ob er für Frankreich eintotalitäres Presseregime befürworte, entschieden zurück. Er wolle umgekehrt einebessere Pressefreiheit als die bisherige erreichen durch die Befreiung derPresse von der Macht des Kapitals.Der Artikel Leon Blum im»Populaire«vom 1. April 1928, den das Blatt auf seinen Wunsch noch einmal abdruckt, trägtdie Ueberschrift:»Wollt ihr einefreie Presse, dann verstaatlicht sie!«In diesem Artikel führt Leon Blum inder Hauptsache folgendes aus: Unabhängigkeit der Presse ist eine notwendige Voraussetzung für die freie Meinungsbildungder Staatsbürger, für die politische Freiheit in der Demokratie. Ohne Befreiungder Presse von jedem direkten oder indirekten Zwang gibt es keine bürgerlicheFreiheit. Die Pressefreiheit ist nicht nureine juristische und administrative, sondern vor allem auch eine moralischeAngelegenheit Es gilt, die wirklicheUnabhängigkeit der Presse sowohl gegenüber der Staatsgewalt als auch gegenüberden Mächten des Geldes sicherzustellen.Diese Freiheit zu garantieren, sagtBlum weiter, ist die Pflicht des Staates.Uer Staat unterstützt die Presse durchVorzugstarife für Papier und Postbeförde-�ng mit 100 Millionen Francs jährlich, er18t also jetzt schon sozusagen ihr stillerTeilhaber. Aber das ist nicht genug— ermuß den ganzen»industriellen« Teil derPresseherstellung verstaatlichen und aufeigene Rechnung betreiben.Die Ausführung dieses Grundgedankensdenkt sich Blum etwa so, daß der Staat alsVerleger aller Zeitungen fungiert, währenddie Parteien die Redaktionen stellen. DerStaat soll alle Zeitungen in unparteiischerWeise geschäftlich betreuen und ihnen denmateriellen Bedarf sowohl wie— zurfreien Verwendung— das Nachrichtenmaterial liefern, wofür er aus den Einnahmen des Blattes zu entschädigen wäre. Diegeistige Ausgestaltung des Blattes ist dieSache der Partei und der von ihr eingesetzten Redaktion. Auf diese Weise, meintBlum, könne jeder Einfluß wirtschaftlicherInteressengruppen ausgeschaltet, die Unabhängigkeit der Presse hergestellt und eingeistiger Wettkampf unter fairen Bedingungen eröffnet werden.Blum sagt in diesem Artikel selbst, daßder von ihm entwickelte Gedanke ihmerst vor kurzem gekommen und vielleichtnoch nicht ganz ausgereift sei. In der Tatlassen sich viele Einwendungen gegen ihnerheben. Eine weist er schon in seinemArtikel selbst zurück, nämlich die, daß esfür den Staat im Fall eines Staatsstreichs ein leichtes sein werde,neben den Verlagsrechten auch die Rechteder Redaktion an sich zu reißen. Blumbemerkt dazu ganz richtig, daß der Staat,wie das Beispiel Rußlands und Italienzeige, nicht erst eines neuen Systems bedürfe, um sich der Presse zu bemächtigen.Aber mit dieser an sich treffenden Erwiderung sind die Einwendungen nochlange nicht erledigt.Blum will, daß jede Partei, die imParlament vertreten ist, das Recht auf einBlatt oder mehrere— er sagt nicht aufwie viele— haben soll. Wenn aber derStaat, wie es auch in einer Demokratievorkommen kann, genötigt ist, eine Parteioder mehrere zu verbieten, so verschwindet damit auch ihre Presse. Manwird also von einer völligen Unabhängigkeit der Presse gegenüber der Staatsgewalt nicht reden können. Auf der anderenSeite ist nicht einzusehen, warum dasRecht zur Herausgabe politischer Zeitungen auf Parlamentsparteien beschränktsein soll. In Deutschland lieferte z. B. dieNationalsoziale Partei Naumanns, ohne imReichstag vertreten zu sein, durch einevornehm und geistvoll redigierte Zeitungeinen wertvollen Beitrag zur Hebung undBelebung der politischen Diskussion.Es bleibt auch die Frage offen, wo dieGrenze zwischen politischer und nicht-politischer Presse gezogen werdensoll. Das englische Beispiel zeigt, daß illustrierte Blätter mit Massenauflage, diesich in der Hauptsache mit nichtpolitischenDingen beschäftigen, durch gelegentlichepolitische Betrachtungen stärker wirkenkönnen als wenig gelesene rein politischeZeitungen. Es ist weder prinzipiell nochpraktisch möglich, zwischen der politischenund der nichtpolitischen Presse eine festeGrenze zu ziehen. Wie soll es ferner mitden Herausgeberrechten der unzähligenOrganisationen einer freien Gesellschaft— Gewerkschaften, wirtschaftliche Verbände, kulturelle, sportliche Vereine usw.— stehen? Sie sind alle an staatlichen Angelegenheiten stark mit interessiert undmüssen Pressefreiheit auch für sich inAnspruch nehmen.Damit soll der Grundgedanke Blumskeineswegs an der Schwelle abgewiesenwerden. Das Problem ist ungemein verwickelt und kann nicht dadurch gelöst werden, daß man den Zustand, wie er jetzt inden demokratischen Ländern besteht, fürden idealen und allein nachahmenswertenerklärt. Am allerwenigsten kann der heutein Frankreich bestehende Zustand, denBlum mit vollem Recht und ausgezeichneten Argumenten bekämpft, als vorbildlichi betrachtet werden. Aber die Lösung desProblems ist so schwierig, daß es schonein Verdienst ist, Anregungen gegeben zuhaben, die die Diskussion in Gang bringen.Auch für Deutschland ist dieHerstellung einer möglichst vollkommenenPressefreiheit das erstrebenswerte Ziel.Die vollkommene Pressefreiheit kann jedoch nicht darin bestehen, daß jeder, derGeld hat, um Papier und Journalisten zukaufen, eine Zeitung herausgeben kann,während diejenigen, die kein Geld haben,schweigen müssen. Gewiß ist die problematische Pressefreiheit, wie sie heute in demokratischen Staaten mit kapitalistischerWirtschaft besteht, dem Zustand in den totalitären Staaten tausendmal vorzuziehen;denn die Erfahrung lehrt, daß dort nebeneiner abhängigen und korrupten, aucheine selbständige und saubere Presse sehrwohl bestehen kann. Die Zustände sindauch von Land zu Land verschieden undnicht überall so arg wie in Frankreich.Ueberall aber bleibt die Befreiung derPresse— hier von der Alleinmacht einerregierenden Partei, dort von der Machtdes Kapitals— eine noch zu lösende Aufgabe.Mögen also über die Lösung des Problems im einzelnen die Meinungen weitauseinandergehen, so bleiben doch Ausgangspunkt und Ziel allen demokratischenSozialisten gemeinsam. Auch die Bauherren des neuen Deutschland werden beider Lösung des Presseproblems von demGrundsatz ausgehen müssen, den LeonBlum an die Spitze seines umstrittenenArtikels stellt:»Die Unabhängigkeit derPresse ist die notwendige Vor-aussetzungfürdieFreiheitderMeinungsbildung, der Wahlund die Entscheidung, die ineiner Demokratie das Wesender politischen Freiheit aus-m acht«F. St—Tor fünfzig JahrenEine Erinnerun|nr an die Zeit des Sozialistengese�sDie Sozialdemokratische Partei Deutsch-lands kann Im Jahre 1938 ein bemerkenswertes Jubiläum feiern. In diesem Jahre vollendetsich ein halbes Jahrhundert, seit ihr Zentralorgan, der»Sozialdemokrat« seinenErscheinungsort von Zürich nachLondon verlegen mußte.Bs war unter dem Sozialistengesetz. Wenn sich auoh die damaligen Zustände von den gegenwärtigen ungefähr unterscheiden, wie der Krieg von 1870/1871 vomWeltkrieg, so sind doch die geschichtlichenAnalogien unverkennbar. Für unsere Begriffewar das Sozialistengesetz, das das Besteheneiner sozialdemokratischen Reichstagsfraktionund einer als parteilos getarnten Arbeiterpresse nicht verhinderte, eine fast väterlichmilde Elnriöhtiung. Dennoch konnte die Aerades Sozialistengesetzes mit ihrem Gemischvon Unterdrückung,»sozialem Königtum«und Stöckerschem Antisemitismus einen Vorgeschmack von dem geben,was Im Jahre 1933 deutsche Wirklichkeit werden sollte. Sie stellte auch schon die Arbeiterbewegung vor theoretische und praktischeProbleme, ähnlich Jenen, die uns heute beschäftigen.War auch In Deutschland die Oppositionnicht ganz tot, so war es doch unmöglich, aufrelchsdeutschem Boden noch die Sprache zuführen, die den Tatsachen entsprach. So entstanden sehr bald nach dem Inkrafttreten desGesetzes, zwei Emigrantenblätter, die»Laterne« von Karl Hirsch und die»Freiheit«von HansMost. Etwas später geseUte sichdas»Zürcher Jahrbuch« Karl Hochbergs zuihnen, so daß die Partei im Auslande dreinichtoffizielle Organe hatte, von denen jedeseine besondere Richtung vertrat.Dabei bildete Most und seine in London erscheinende»Freiheit« den äußersten linkenFlügel; er erklärte die Sozialdemokratie fürtot, propagierte die BUdung einer neuenSozialrevolutionären Partei und ging dann zumAnarchismus über. Die parteitreue»Laterne«erschien in Brüssel, stellte aber bald ihr Erscheinen wieder ein. Seit dem 28. September1879 erschien als offizielles Parteiorgan inZürich»Der Sozialdemokrat«. Internationales Organ der Sozialdemokraten deutscherZunge«. Sein Redakteur war seit 1880 Eduard Bernstein. Die Expedition besorgte»der rote Postmeister« M o 1 1 e 1 e r. Nebenihnen waren Belli, Schlüter und Tauscher um Herstellung und Verbreitung des»Sozialdemokrat« besorgt. Es gelang ziemlich regelmäßig, das Blatt in einer Auflagevon mehreren Tausend nach Deutschland zubringen.»Der Sozialdemokrat« bekämpfte die Revolutionsspielerei der Londoner»Freiheit«.Nach Deutschland hinein führte er den Kampfgegen den-demagogischen Arbeiterfang, denBismarck mit seinen Sozialreformen, Stöckermit seinem Antisemitismus trieb. Bloße Ver-staatllchung, so erklärte er, sei noch langekein Sozialismus, vielmehr sei jede Verstärkung der Staatsgewalt zu bekämpfen, so langesich diese in den Händen der schlimmstenFeinde der Arbeiter befinde; politischeRechte für die Arbeiter seienjetzt die Hauptsache.Im Kampf gegen die illegale Literaturhatte Bismarck ein Heer von Agenten undLockspitzeln aufgeboten, deren Stärke freilich einem Göbbels oder Himmler nicht imponieren mag und deren Methoden, Im Verhältnis zu den heute angewandten, noch ziemlich primitiv waren. Der EnthUllungsfeldzug,den der»Sozialdemokrat« gegen diese Polizeiwirtschaft führte, erregte Bismarcks Zornaufs höchste. Unablässig arbeitete er daran,dem verhaßten Blatt das Leben unmöglichzu machen, bis schließlich der große Schlaggelang und— daneben ging. Darüber erzähltFranz Mehring in seiner»Geschichte derdeutschen Sozialdemokratie« wörtlich dasfolgende:»Die einzige Aktion der auswärtigenPolitik unter Kaiser Friedrich war dieAustreibung des.Sozialdemokraten' aus der Schweiz. Durchpersönliche Kränkung des schweizerischenGesandten in Berlin, durch drangsalierendesLärmen des deutschen Gesandten In Bern,nicht zuletzt auch durch Zugeständnisse,,die den Interessen der schweizerischen Industrie für die demnächstige Erneuerungdes deutsch-schweizerischen Handelsvertrags versprochen wurden, ließ sich derBundesrat in Bern dazu breitschlagen, imApril 1888 Bernstein, Motteier, Schlüterund Tauscher aus dem eidgenössischen Gebiete zu weisen. Als Vorwand mußte dieSchreibweise des»Sozialdemokraten« dienen, wodurch die schweizerische Gastfreundschaft gemißbraucht unddie guten Beziehungen zu einembefreundeten Staate gefährdet sein sollten. Darüber sagte OttoLang, ein schweizerischer Beamter, beieinem den Ausgewiesenen gegebenen Abschiedsfeste das gute Wort:»Es ist in derWeltgeschichte noch jedesmal etwas lauthergegangen, wenn große Dinge imWerden waren. Das Völkerglück ist keineFrucht, die Im Sonnenscheine gedeiht, nein,In Sturm und Wetter ist sie gereift.« DieVertriebenen selbst aber erklärten in einemAufruf»an alle Freunde der Freiheit unddes Rechts in der Schweiz«, nicht eine einzige Handlung sei ihnen nachgewiesen worden oder könnte ihnen nachgewiesen werden, die sich als ein Verstoß gegen das gemeine Recht qualifiziere, weder Vorbereitung noch Aufforderung, noch, auch nurErmunterung zu gewalttätigen oder hochverräterischen Unternehmungen. Was Ihnenschuld gegeben werde, das bewege sich aufdem Gebiete der Meinungsäußerungdurch die Presse, auf einem Gebiete, für dasdie eidgenössische Verfassung volleFreiheit gewährleiste. Der wahre Grundfür die Ausweisung seien die Enthüllungendes»Sozialdemokraten« über das schmachvolle Treiben des deutschen Lockspitzelwesens, wofür Puttkamer seine Rache nehme. Durch die Ausweisung würde dieSchweiz zum Büttel der BismarckischenPolizei erniedrigt,In allen aufrechten Bürgern der Schweizrief der Gewaltakt tiefe Beschämung undEntrüstung hervor. Zahlreiche Kundgebungen der Sympathie begleiteten die Ausgewiesenen, und Schweizer Bürger, in ersterReihe der wackere Conzett, sicherten dasungestörte Weitererscheinen des»Sozialdemokrat« im bisherigen Geiste und Tone.Jedoch um auch den Schein einesäußeren Druckes zu vermelden,wurde er vom Oktober 1888 ab inLondon herausgegeben.«Soweit Mehring. Ein Jahr und drei Monatespäter fiel das Sozialistengesetz im Reichstag.