Nr 243 SONNTAG, 13. Februar 1938 Wochenblatt EN AVANT! Hebdomadaire en langue allemande Redaktion und Verlag: 5, Rue Mayran, Paris -9. Telephone: Trudaine 46-52 Aus dem Inhalt: Krupp verdient Wehrwirtschaft 1937 Deutsch -russische Schick­salsverbundenheit Prix: Fr. 1.50 Drohende Gefahr Der Sieg der Kriegspartei.- Das Relcliskabinett in Kriegsform. Letzte Vorbereitung auf den Krieg. - Die Vollendung der Totalität. Europa hat eine neue, vielleicht ei­ne letzte Warnung erhallen. W ird es die Warnung verstehen, und witd es endlich die Konsequenzen daraus ziehen? Schon sind Kräfte am Werke, um die Berliner Vorgänge zu verschleiern und ihre Bedeutung zu verkleinern. Die deutsche Propaganda arbeitet in der gleichen Richtung. Sie will den Sichtsehen-Wollenden die Binde noch fester um die Augen ziehen. Wir sagen darum mit aller Deut­lichkeit: die Kriegspartei in Deutsch­ land hat gesiegt. Der Krieg ist um ei­nen grossen Schritt näher gekommen, vielleicht ist er in unmittelbarer Nähe. Alle Rechnungen, dass nun das Sy­stem neuer Konsolidierung bedürfe und mit sich seihst zu tun habe, ver­kennen sein Wesen und seine inneren Triebkräfte. Die Gefahr, die wir sig- oaltsierl haben, ist du. Es geht ein Zug durch alle Völker, die noch nicht unmittelbar von dem gewaltsamen Angriff des Dritten Rei- elies getroffen worden sind, sich auf Kosten der bisherigen Opfer in Sicher­heit zu wiegen, und die Augen vor dem zu verschliessen, was ihnen selbst * droht. Dabei war die innere Logik der Entwicklung des neuen deutschen Mi­litarismus nie so klar wie heute! Die praktische Gefahr ist heute; Leiter Angriff der Achse Berlin Born auf Spanien . Machtergreifung des braunen Sy­stems in Oesterreich . Beides aber sind nur Einleitungsak­tionen zu dem, was das grosse Ziel der Regierung Hitler ist: Revanche für die Niederlage im Welt krieg. Angriff nach Westen, gegen Frankreich und England. Neuverteilung der Welt, Enlmach- t'ing(ler demokratischen West- raächle. i'-5» ist heute keine Zeit, sich in aka­demischen Analysen über die soziolo- Spelle Bedeutung der Wandlung im '»rannen System zu verlieren und da- ')ei die unmittelbare Drohung zu "'»ersehen! Die spanische Republik, die sich heldenhaft gegen den faschi - s'ischen Angriff wehrt, wird als erste d'o unmittelbare Folge der Berliner roignisse verspüren. Jetzt sind die 'Knunungen gefallen, die bisher Mus- s"lini abgehalten haben, neue ver­markte Kräfte in Spanien einzusetzen. 'C Pause der Intervention ist zu En- c'e> eine neue gewaltsame grosse In- tervention steht unmittelbar bevor, lnid damit eine Kriegsprovokation Srössten Stiles. Künf Jahre jliat das Dritte Reich * e" Revanchekrieg vorbereitet. Vor den Augen der ganzen Welt ist das Material zu dem grossen Ueberfall an­gehäuft worden, ist das Heer geschaf­fen und als mächtiges Angriffsinstru­ment gedrillt worden, sind Bündnisse geschlossen und die strategischen Po­sitionen in Europa verändert worden. Schon im letzten Sommer hat man ge­fürchtet, dass bereits ein unbedachtes Wort die Lawine auslösen könne. Schon vor Jahren hat das Dritte Reich frohlockt, dass es die Gefahrenzone der Aufrüstung durchschritten habe heute aber ist es viel stärker! Heute sind die Führer dieses Kriegsinstru­ments trunken vor Macht, heute rech<- nen sie nicht mehr ängstlich, heute sind sie entschlossen, ihr Schwert in die Wagschale zu werfen. Das Kriegs­feuer brennt in Spanien und China , sie wollen es nicht zusammensinken lassen, ohne den grossen Schlag ge­wagt zu leiben. Was in Berlin geschehen ist, ist ein letzter Akt der inneren politischen Vorbereitung auf den Krieg: Göring der Hindenburg , General Keitel der Ludendorff des neuen Weltkrieges, und über ihnen Hitler mit kaiserli­chen Vollmachten. Dazu ein Kronrat, in dem die eigentliche Kriegspartei sitzt, die bisher keine direkten Einwir­kungsmöglichkeiten auf den Gang der auswärtigen Politik gehabt hat. Seit Monaten hat Mussolini in Ber­ lin gedrängt, dass das Reich ihm die Rückendeckung zusichern solle, wenn er in einen Konflikt mit England ge­rate. Jetzt sind die bremsenden Kräfte entmachtet, die Wortführer Mussoli­nis an der Macht. Unmittelbar vor den Berliner Ereignissen hat der japani­sche Aussenminister erklärt, dass die Anerkennung Mandschukuos durch Deutschland durch dieaugenblickli­chen iqneren Bedingungen in Deutsch­ land " gehemmt werde. Diese inneren Bedingungen sind nun gewandelt die Kriegspartei hat freie Bahn. Die Gefahr ist nahe. Eine gewaltige Kriegskatastrophe steht drohend vor Europa . Sie hängt über allen vor allem über dem deutschen Volke, das ajs Instrument dieser machttrunkenen Revanchepolitik gebraucht wnd. Eis wird das eigentliche Opfer sein; denn ein neuer Weltkrieg wird mit einer zerschmetternden Niederlage der hit­lerdeutschen Kriegspartei enden. Einlioit von Heer und Hries'spHrtei Der Staatsstreich Hitlers hat eine Antwort gegeben auf die Hoffnungen, dass in Deutschland selbst starke Kräfte gegen den Krieg wirken und mit einer Normalisierung des Systems den Abbau des Rüstungswettlaufes und der politischen Spannung errei­chen könnten. Das Ausland hat diese Kräfte in der grossen Industrie und in der Generalität des Reichsheeres er­blicken wollen. Die politische Ohn­macht der grossen Industrie, die völ­lig dem System der Kriegsvorberei­tung unterworfen ist, ist seit langem sichtbar. Die Erledigung von Schacht hat diesen Tatbestand auch den Be­griffsstutzigsten klarmachen müs­sen. Aber die Armee? Sie hat ziemlich allgemein bisher als ein Hort der konservativen Kräfte ge­golten. Aber seit Einführung der all­gemeinen Wehrpflicht hat sich ihre Struktur vollkommen geändert. Wer heute noch anstelle vondas Reichs- heer"' sagtdie Reichswehr ", verkennt völlig, wie ganz anders die neue Ar­mee in ihrer Tradition, ihrem Wesen und ihrem Offizierskorps ist als die alte Reichswehr . Die Anschauung, dass die gesamte Armee fest in der Hand der Generäle sei, die als geheime Fron­de gegen die NSDAP und ihrer Herr­schaft angesehen worden sind, war immer nur eine nicht zu begründende Orenxe gesperrt In den Tagten vor der üntsoheldung; Aus Duisburg erhalten wir den nach­stehenden Bericht: Am Dienstag(1. Februar) wurden zahlreiche Formationen der SS und SA in aller Eile an die holländische Grenze transportiert. Von SS - und SA -Leuten konnten wir erfahren, dass sie wegen besonders ernster Massnahmen zum Grenzschutz kommandiert wurden. Weil wir wegen der herrschenden dumpfen Spannung gern wissen wollten, was ei­gentlich vorging, entsandten wir meh­rere Genossen unauffällig nach der hol­ländischen Grenze. Die Genossen stell­ten fest, dass von Kleve am Niederrhein bis zum oldenburgischen Gebiet bei Bentheim ein undurchdringlicher Grenzdienst von SS und SA eingesetzt war. In der Stadt Gronau waren allein 800 Mann der SS und SA einquartiert, die den Grenzverkehr zu überwachen hatten. Es blieb kein einziges Stückchen der Gren­ze unbewacht. Von führenden Nazis wur­de erklärt, dass es sich um einen beson­deren Schutz gegen die illegale Arbeit von Holland nach Deutschland handele. In der Bevölkerung glaubte man diese Erklärung nicht, weil gegen die illegale Arbeit in allen grösseren und kleinen deutschen Grenzorlen seit langem ein sehr starker Gestapodienst in Verbin­dung mit den Zollbeamten besteht. Deutsche Zöllner erklärten uns, dass in Berlin etwas los sein müsse und nach ihrer Meinung die SS- und SA -Truppen verhindern sollten, dass oppositionelle Würdenträger des Regimes flüchten könnten. Jeder Passant an der Grenze wurde auf das strengste ausge­fragt und durchsucht; sowohl Fussgän­ger, wie auch Automobilisten. Die Kon­trolle erfolgte schon weit vor der Gren­ze und wiederholte sich mehrere Male bis zur Erreichung der Grenze. Im gan­zen Grenzgebiet herrschte eine starke Spannung. Allgemein sagfe man, dass die Armee und die konservative Reaktion gegen das Hitlersystem eine Aktion be­absichtigten. In der Arbeiterschaft war man sehr abwartend. Unsere Genossen erklärten unter sich, dass man bei Aus­einandersetzungen zwischen der militä­rischen Reaktion und den Nazis in je­dem Fall nichts unternehmen dürfe: nichts für die Nazis und nichts für die reaktionäre Opposition. Die Vllaston Die katliollsctae Opposition nnd die Webrniaeiit Am gleichen Tage, an dem Hitler den umgekehrten 30. Juni gemacht hat, er­schien die katholische Wochenzeitung Der deutsche Weg" mit einem Appell andie Reichswehr ". Dieser Appell ist überschriebenUnd die Reichswehr ?"; er beginnt mit der Versicherung, dass die katholische Zeitung der deutschen Wehrmacht immer Verständnis und Achtung entgegengebracht habe; dass die Wehrmacht einen Machtblock dar­stelle, dem nichts im Dritten Reich an die Seite zu setzen sei, und dass sie des­halb Verantwortung für die Zukunft der deutschen Kultur trage. Dann fährt der Appell fort: Es gibt viele Deutsche, die schon anfan­gen, an der Reichswehr irre zu werden. Sie können es nicht begreifen, dass die mäch­tige Reichswehr einem System die Stabili­tät verleiht, das ohne ihre Disziplin längst zusammengebrochen wäre, einem System, das die besten deutschen Traditionen, die auch der Reichswehr ehrwürdig sind, mit Füssen tritt. Wir gehen Tagen ernster Entscheidung entgegen. Wenn nämlich die deutsche Wehrmacht sich einem Geiste beugt, der im absoluten Gegensalz zu der Gesinnung jener Armeen steht, die sich so glorreich im Weltkrieg geschlagen haben, wenn sie obendrein der wichtigste Nutz- niesser eines Systems ist, das sie ehrlicher. 1 weise gar nicht bejahen kann, dann ist sie eben mit im Verbrechen drin. Sie wird das verlieren, was sie jetzt noch besitzt, das moralische Prestige. Sie wird es in dem gleichen Masse verlieren, in dem sich die echt deutsche Tradition in ihren eigenen Reihen auflockert. Wir wollen nicht mehr sagen." Die katholische Opposition hat bis zu­letzt geglaubt, dass von der Wehrmacht und ihren Führern der Charakter des Systems geändert werden würde. Heute ist die andere Alternative, die sie in die­sem Appell aufgezeigt hat, zur Wirk­lichkeit geworden, und die illusionäre Hoffnung ist dahin. c