Selbst•wenn er nach Möglichkeit vermeiden will, sich selbst mit all seinen Kräften in dem Kampf zu engagieren, kann er Hitler sehr weit und wirksam vorantreiben. Drei Hauptschauplätze bieten sich für ein russisches Vorgehen. Da ist zunächst der europäische Norden. Stalin ermutigt einen deutschen Angriff auf Schweden und Dänemark , nachdem er sich selbst in Schweden und Norwegen Teile der Beute gesichert hat; der Besitz oder Mitbesitz der schwedischen Erzlager und der Küste Dänemarks würde Deutsch lands Position gegen England stärken; Russland selbst aber könnte dem Krieg mit England auch dann noch fernbleiben. Der zweite Schauplatz wäre der Südosten. Die Sprache der russischen Presse gegen die Türkei und Rumänien wird drohender; das mag darauf deuten, dass Russland Hitler den Weg nach Ru mänien freigeben will. Der dritte Schauplatz wäre Asien . Die russischen Bemühungen, zu einer Regelung mit Japan zu kommen, werden dringender; wirtschaftliche und Grenzregelungsverhand- lungen werden zugleich in Moskau und Tokio geführt, das Verhältnis zu Tschi- angkaitschek verschlechtert sich, Stalin scheint zu neuem Verrat an China unter Zusicherung eines Beuteanteils bereit. Die deutsche Diplomatie sucht eine japanisch-russische Annäherung zu fördern. Japan , von der russischen Drohung befreit, könnte sich gegen Englands und Frankreichs Besitzstand wenden. Englands Macht hätte einen neuen Gegner, ohne dass Russland selbst notwendigerweise in den Kampf verwickelt würde, sorgsam abwartend, ob die Entwicklung einem eigenen Vorgehen gegen Indien günstig würde. Es sind Möglichkeiten, die mit grossen Risiken verbunden sind. Ein Vorgehen Deutschlands und Russlands auf dem Balkan kann Italien auf den Plan rufen und an die Seite der Westmächte führen. Ein Angriff Japans auf englischen und französichen Besitz könnte die Vereinigten Staaten nicht gleichgültig lassen und bei der völligen Unzuver- lässigkcit der Sowjetregierung wird sich Japan vor der Herausforderung der Vereinigten Staaten hüten. Schliesslich ist Russlands wirtschaftliche und militärische Stärke, ist sein innerer Zusammenhalt viel zu wenig erprobt, als dass Stalin das grösste Risiko, den eigenen Krieg mit den Westmächten leichthin wagen könnte, diesen Krieg, den seine gefährliche Politik einmal doch herbeiführen könnte. Nochmals: es handelt sich nur um Möglichkeiten, die nicht Wirklichkeit zu werden brauchen. Aber man muss diese ins Auge fassen, um diesen Krieg, der kaum begonnen hat, wenn er auch schon so entsetzliches Leid in der Tschecho slowakei , in Polen und anderswo erzeugt hat, nicht zu unterschätzen. Finn land ist eines der neuen Opfer und bezeugt die Ausdehnungskraft des Krieges. Es bezeugt zugleich den Willen Stalins, den Krieg zu verbreitern und zu intensivieren. Zielbewusst stösst er Hitler immer weiter, und Hitler muss ihm folgen nach dem Gesetz, nach dem er in diesen Krieg getreten. Deshalb ist Hitlers Niederlage das entscheidende. Mit Recht hat Chamberlain darauf hingewiesen, dass die Konstellation dieses Krieges erst im Werden ist, dass man noch nicht wisse, welche Staaten in ihn hineingerissen werden können. Aber dieser Krieg wird im Westen entschieden, wird entschieden durch die Niederlage Hitlers , die auch die Lahmlegung Stalins sein wird. Sicher arbeitet die Zeit für die Alliierten, sicher wird sie mit der ganzen Ueberlegenheit ihrer Wirtschaftsmacht ausgenützt, um die militärische Uebermacht zu sichern. Aber die Zeit drängt auch, um neue Opfer zu sparen und den objektiven Sinn dieses von Hitler und Stalin entfesselten Krieges zu verwirklichen: den Sieg der Freiheit und Zivilisation über Sklaverei und Barbarei. C liroiiik der Woche Der AngrllT gegen Finnland Montag, 27. November 1939 Die finnländische Regierung informiert die Sowjetregierung über Beobachtungen finnischer Grenzsoldaten, wonach Schiessübungen der russischen Artillerie zu einer Explosion an der Stelle führten, an der russische Soldaten getötet und verletzt wurden. Finnland habe an der Grenze nur Wachtposten, keine Artillerie. Die finnländische Regierung erklärt sich nichtsdestoweniger bereit, ihre Streitkräfte von der Grenze zurückzuziehen, wenn Russland das gleiche tut. Gegen die schwedische Schiffahrt wurden von den Deutschen bei Falsterbo grosse Minenfelder gelegt, die den schwedischen Zugang zur Nordsee sperren. Dienstag, 28. November 1939 Die rassische Regierung gibt im Rundfunk zahlreiche Entschliessungen bekannt, die von Arbeiterorganisationen, Kriegsschulen etc. gegen Finnland angenommen wurden und berichtet, dass die finnländische Bevölkerung mit ihrer Regierung nicht mehr zufrieden sei. Der russische Rundfunk sendet in finnischer Sprache. Deutsche Rundfunksendungen in schwedischer Sprache werden vom Königsberger Sender verbreitet. Die schwedische Regierung lässt in Ber lin Protest erheben, weil Deutschland in vielen Stellen Minenfelder im Bereich der schwedischen Hoheitsgewässer gelegt hat. Hacha muss den sudetendeutschen Reichstagsabgeordneten Preibsch zu seinem Stellvertreter ernennen. Zehn deutsche Eisenbahner wurden wegen Sabotage verhaftet. Sie werden angeklagt das grosse Eisenbahnunglück bei Frankfurt a. M. verschuldet zu haben. Alle beurlaubten Mannschaften der Gar- inison Leningrad müssen sofort zurückkehren. Russland kündigt den russisch -finnischen \Nichtsangriffspakt mit der Begründung, dass Finnland den Angriffsakt vom 26. November ableugne, und dass es die Zurückziehung seiner Truppen von der russischen Grenze ablehne, um Leningrad unmittelbar bedrohen zu können. Die Sowjetregierung sehe sich daher gezwungen, feindselige Handlungen Finnlands zu konstatieren, die beweisen, dass Finnland den Nichtangriffspakt nicht länger einzuhalten wünsche, darum könne der Pakt auch von der So wjetunion nicht länger respektiert werden. Mittwoch, 29. November 1939 Der stellvertretende russische Aussenmi- nister Potemkin überreicht dem finnländi- schen Gesandten in Moskau eine Note, in ider Russland den Abbruch seiner diplomatischen Beziehungen zu Finnland mitteilt. Die amerikanische Regierung lässt den Regierungen in Moskau und in Helsinki mitteilen, dass sie gern ihre guten Dienste zur Vermittlung anbieten wird, wenn die beiden Parteien diesen Wunsch haben. land offiziell angenommen und von Molo- low als gegenstandslos bezeichnet. Der finnische Reichstag sprach der seitherigen Regierung einstimmig sein Vertrauen aus, doch wurde der Sozialdemokrat Tanner mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, die das russische Ultimatum annehmen und den Konflikt liquidieren soll. Moskau Paasikivi ist Minister ohne Portefeuille. Der neue finnländische Ministerpräsident Rgli erklärt in einer Rundfunkansprache: Wir sind bereit zu verhandeln aber nicht zu kapitulieren. Das finnländische Volk will sein Leben in politischer Unab- ■hängigkeit fortführen. Chamberlain gab im englischen Unterhaus die Erklärung ab, dass Finnland zu grossem Entgegenkommen gegenüber Russ lands Wünschen bereit war. Die britische Regierung bedauere, dass die Sowjetunion so weitgehende strategische Massnahmen gegen ein so kleines Land wie Finnland für notwendig halte. Daladier erklärt in der Kammer, dass Frankreich über den Frieden verhandeln wird, sobald das den schwachen Nationen zugefügte Unrecht wieder gut gemacht werden kann, und wenn die dauernde Sicherheit Frankreichs errungen ist. Nach drei Monaten Krieg hätten sich noch keine militärischen Operationen von der erwarteten Heftigkeit entwickelt, doch beabsichtige Frankreich , das nur einen Krieg für seine Sicherheit und seine Freiheit führe, nicht die Initiative zu ergreifen. Es gedenke mit dem Blut seiner Söhne zu geizen. der Molotow lehnt Verhandlungen mit neuen Regierung in Helsinki ab und verkündet seine Absicht, mit der Volksregierung in Terijoki ein Abkommen zu schlies- sen. Roosevelt lässt der russischen und der finnischen Regierung eine Botschaft übermitteln, in der er den Abscheu des ameri kanischen Volkes vor der Gewaltpolitü' 'und vor den Luftangriffen gegen die Zivilbevölkerung und gegen unbefestigte Gebiete zum Ausdruck bringt In den skandinavischen Ländern bemühen sich zahlreiche junge Männer um ihre Aufnahme als Freiwillige in die finnländi- schen Armee. Die französische Kammer bewilligte mit 318 gegen 175 Stimmen neue Vollmachten für die Regierung Daladier . Die tschechischen Kommunistenführer Gottwald und Smeral, die im März 1939 nach Moskau emigriert waren, konnten im Einvernehmen mit der deutschen und der russischen Regierung über Berlin nach Prag zurückkehren. Freilag, 1. Dezember 1939 Die neue finnländische Regierung Tanner lässt in Moskau erklären, dass Finnland sich dem russischen Ultimatum unterwirft. Russische Flugzeuge bombardierten weiter Helsinki . Ihr Ziel war offenbar der Zentralbahnhof und das Wasserwerk, doch fallen die meisten Bomben in Arbeiterviertel und führen dort wieder zu schweren Verlusten. Es werden von den russischen Fliegern auch Flugblätter abgeworfen, mit der Aufforderung an die Arbeiter, sich von der„kapitalistischen " Führung Finnlands zu trennen. Sonnabend, 2. Dezember 1939 Das Präsidium des Obersten Sowjet* beschliesst die finnisch-kommunistisebf Regierung Kuusinen anzuerkennen und diplomatische Beziehungen zu ihr aufzunehmen. Die Sowjetunion hat mit der finnisch- kommunistischen Puppen-Regierung eineu Beistandspakt abgeschlossen. Ein Teil Ka- reliens wird danach an Finnland abgetreten' während Russland ein Gebiet von fast viertausend Quadratkilometer auf der karelischen Landenge bekommen soll. Die Halbinsel Hangoe und benachbarte Insel11 werden nach dem Abkommen an Russlan '' zur Errichtung einer Militär-Luft- und rinebasis verpachtet und einige Inseln 1111 nördlichen Eismeer sollen für 300 MiH'0" nen finnl. Mark an Russland verkauft werden. Die finnländische Regierung hat beschlossen gegen den russischen Ueberfu" den Völkerbund anzurufen. Die russische Regierung führt einen lebhaften Radiokrieg gegen Finnland . Ein� ihrer Aufrufe zur Revolution schloss u" dem Salz:„Finnländisches Volk, wir ko1"' men dir zu Hilfe und bald wirst du eben5" glücklich sein wie die Völker der Sowje1' Donnerstag, 30. November 1939 Die russischen Truppen haben ohne vorherige Kriegserklärung Finnlands Grenze an vielen Stellen überschritten. Während des ganzen Tages werden Luftangriffe auf Hel sinki und andere Städte und Dörfer Finn lands unternommen. 48 Personen wurden getötet und 70 verletzt, darunter mehrere Kinder, aber nicht ein einziger Soldat. Von russischen Kriegsschiffen aus wurde die finnische Küste bombardiert. Die rote Ar mee stösst überall auf lebhafte Abwehr der finnischen Truppen. Roosevells Vermiftlungsangebot im rus sisch -finnischen Konflikt wird von Finn- Der russische Rundfunk teilt mit, dass sich unter dem Vorsitz des finnländischcn Kommunisten Kuusinen in dem(von den Russen besetzten) finnischen Dorf Terijoki eine Volksregierung gebildet habe. Das Ziel dieser demokratischen Regierung sei der Sturz der Regierung Tanner, Verjagung der reaktionären Armee, Abschluss des Friedens und ein Beistandspakt mit der befreundeten Sowjetunion . Die Regierung Kuusinen bitte um die Hilfe der Roten Ar mee. — Kuusinen lebte seit 1918 in Moskau als Sekretär der Komintern . Die finnländisch-kommunis tische Gegenregierung Kuusinen richtet einen Appell gleichen Inhalts an die Arbeiter und Bauern Finnlands und erklärt, dass sie im Begriffe sei eine finnländische Volksarmee zu bilden. Sie fordert die Soldaten zur Revolte und zur Desertion auf, weil dem Widerstand der kleinen finnischen Generäle ein schnelles Ende bereitet werde. Dr. Richard Kern. Heimkehr. In einem grossen baltischen Zirkus treten zwei Clowns auf und verhöhnen allabendlich die neudeutschen Zwangsurasiedlungen. Der eine stopft Speck, Kaffee, Butter, Seife wie wahnsinnig in einen Koffer, der andere fragt; „Was machst du da, Fips?"—„Ich reise ab".—„Wohin?"—„Vom Butterland ins Mutterland". In Finnland wird nach der Proklamation einer kommunistischen Gegenregierung eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet, der Vertreter aller Parteien angehören. Vorsitzender ist der Nationalbankpräsident Rislo Ryti, die beiden Sozialdemokraten Tanner und Pekkala leiten das Aussen- und das Finanzministerium und der finnländische Delegationsführer in Die finnländische Sozialdemokratie W die Gewerkschaften haben einen Aufruf cr' lassen, in dem sie die nach der VerfassuDo gewählte Regierung als die allein berufe1� Vertreterin des finnländischcn Volkes')e' zeichnen. Sie fordern die Arbeiter zum b6' waffnefen Kampf gegen die Gewalt lin für das Selbstbeslimmungsrecht des Vol�' auf. In Helsinki musste eine Aufnähmest*1')® eingerichtet werden für die Kinder,<*' sich während der Bombardements verit1� haben, oder die durch die Evakuien1"* von ihren Eltern getrennt wurden. Die ausländischen Legalionen in Helsi�1 organisieren die Flucht ihrer Staatsbürger' Ein deutscher Dampfer hat die deutsclifn' estnischen und russischen Bewohner llf Stadt abgeholt. Roosevelt hat in einer offziellen Erk'"1. rung die Erwartung ausgesprochen, die Fabrikanten und Exporteure arnerik- nischer Flugzeuge nicht an Staaten Iiefern! die Luftangriffe gegen die Zivilbevölker voi durchführen. Mehrere Flugzeugwerke ben bereits angekündigt, dass sie nicht 5 solche Länder liefern werden. Die schwedische Regierung hat mehrfre Reservisten jahrgänge einberufen. In England werden die 20 bis 23 J8� alten jungen Männer zur Fahne einberufe Der siejarreiclie Henker Hansell Iii nriolifunsren in Deutschland Die Siegesglocken, die anno 1914 so stürmisch durch ganz Deutschland hallten, sind in diesem Krieg vom Armsünderglöck- chen abgelöst worden, das die Siege auf dem Kriegsschauplatz Innerdeutschland bewimmert. Der deutsche Henker kennt keinen Feiertag mehr. Hier die Siegesmeldungen in drei aufeinanderfolgenden Nummern der„Frankfurter Zeitung ": Am 20. November 1939— zwei Todesurteile, zwei Hinrichtungen. Eine Frau zählte zu den Opfern. Am 22. November 1939— drei Todesurteile, zwei Hinrichtungen. Am 23. November 1939— zwei Hinrichtungen. Einer der Delinquenten ist zum Tode verurteilt worden, weil er die Mutter eines Soldaten um 20 Mark betrogen hat. In Augsburg hat man zwei Neunzehnjährige zum Tode verurteilt, die„einen Soldaten betrogen haben". Zwei Einwohner von Reuthen und ein Einwohner von Kehl am Rhein sind wegen angeblichen Landesverrats hingerichtet worden. Die Auslandspresse veröffentlicht eine Statistik der Gestapo , nach der seit Beginn des Krieges 10 000 derartige Opfer im Alt- reich, in Oesterreich und der ehemaligen Tschechoslowakei gefallen sind. Wenn diese Statistik authentisch ist, so ist sie in jedem Falle lückenhaft. Denn die weitaus meisten Gefangenen sterben eines„natürlichen Todes", sie erliegen in Zuchthäusern, Gefängnissen und Konzentrationslagern dem üblichen Herzschlag oder sie begehen Selbstmord und tauchen in der Hinrich- tungsstatistik nicht auf. In den Zuchthäusern braucht man die auf diese Weise frei werdenden Plätze bitter nötig. Täglich kommt Nachschub, täglich melden die deutschen Zeitungen neue Zuchthausurteile wegen Einbruchs und Diebstahls, begangen während der Verdunkelung. Gleichzeitig mehren sich die Betrüger in Uniform. Besonders mit den ü- Boofs- und Fliegeruniformen scheint ein schwunghafter Missbrauch getrieben zu worden. Ein Freund im neutralen Ausland, der täglich deutsche Zeitungen schreibt uns:„Man gewinnt wirklich(lf dert." Aber die Hauptbetrüger in ui*"-.,,, die nationalsozialistischen Parteibeafl1'' Eindruck, dass ein Drittel des deulsc W* Volkes die beiden anderen Drittel ausp'"11 Unif�f' •tefl' von den Führern bis zu den Blockwar11 t tauchen nicht einmal im Gerichtsberi0 � auf, sie betreiben ihre Gangstereien st1"'1 los. so Tf, .......... lal au»c.«vil�jj, dass die blutigsten Abschreckungsmassa-1' men nicht mehr verfangen. Je höher � Fieberkurve der Hinrichtungen steigt. Jf? näher ist die Katastrophe. Die Helden Es ist den deutschen Naziführern vC�jf ten worden, sich in Uniform photograpk � ren zu lassen. Wahrscheinlich will 1,1 vö" auf diese Weise verbergen, wie wenige ihnen die Partei— gegen die Feldunif0� vertauscht haben. Unnützes Bemühen. G3 Deutschland weiss Bescheid. i
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7 (10.12.1939) 338
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