Dem<e«läclitiii§i Philipp Selieiflemaniis Der erste llinisterpräsident der dentschen Repuhlik Mit Philipp Scheidemann ist der Mann| machte sie völlig rasend. In ihren Zei- hingegangen, der in der Zeit des ersten tungen forderten sie seine standrecht- Weltkrieges der Wortführer der sozial­demokratischen Nationalpolitik gewesen ist. Die Erinnerung an ihn zeigt, unter wie völlig veränderten Verhältnissen der zweite Weltkrieg sich abspielt. Ueber die auswärtige Politik gab es liehe Erschiessung. Ob die Kriegspolitik, wie sie Scheide­ mann vertrat, richtig oder falsch war, ist hier nicht zu entscheiden(und kann wohl überhaupt nicht entschieden wer­den). Aber die Tatsachen scheinen da- vor Ausbruch des ersten Weltkriegs in zu sprechen, dass die erdrückende der Partei kaum �leinungsyerschieden- jgj. �gu�schen Arbeiter mit ihm heilen. Sie versuchte, durch eine deutsch - einverstanden war. französische Annäherung die Gefahr eines europäischen Krieges auszuschal-i �ni vollzog Erzberger , der ten. Diesem Zweck diente wie die in- Junk'e Zentrumsführer, seinen Uebergang terparlamentarischen Konferenzen von zo Scheidemann ; Erzberger hatte bei Bern und Basel auch eine Reise Scheidemanns nach Paris . In einer gros­sen Versammlung sprach er die Worte; Wir wollen nicht auf Euch schiessen". Unglücklicherweise wurde die Rede falsch übersetzt:Wir werden nicht auf Euch schiessen!" und die deutsche Na­tionalistenpresse empfing den Heimkeh­renden als einen Landesverräter. Bald danach brach der Krieg aus. Scheidemann gehörte zu denen, die in ihm vor allem eine Auseinandersetzung mit dem russischen Zarismus erblickten. Russland war das Land der Barbarei und der Knechtschaft; im Innern wü­tete es mit Galgen und Katorga gegen Sozialisten und Liberale, nach aussen war es Schutzpatron jedweder europäi­ schen Reaktion, insbesondere der preus- sischen. Der Gedanke, dass die Truppen' dieses Landes kämpfend in Deutschland eindringen könnten, war der ganzen Be­völkerung, besonders aber den Sozialde­mokraten, äusserst unsympathisch; der Kriegsbeginn zu den fanatischsten Apo­steln des Siegfriedens gehört, nun sah er ein, dass derScheidemann -Frieden" die letzte Rettung war. Von da an he Schwäche, sondern der militärischen Niederlage. In dieser Situation forderte Luden­ dorff , um die Verantwortung von sich abzulenken, die Bildung einer parlamen­tarischen Regierung. Darüber kam es zwischen Eberl und Scheidemann zu einem Konflikt. Eberl verlangte, dass sich die Partei der Regierung des Prin­zen Max zur Verfügung stelle, um in dieser furchtbaren Situation dem deut­ schen Volke nach Kräften zu helfen. Scheidemann dagegen meinte, man dürfe denen die Verantwortung nicht abneh­men, die durch ihre wahnwitzige Poli­tik die Katastrophe verschuldet hätten. In der Fraktion unterlag Scheidemann ; er Hess sich aber aus Gründen der Par­teidisziplin doch dazu bestimmen, in die ginnen die Versuche des Reichstags, den Re8ierung einzutreten. Wenige Wochen Kurs der deutschen Kriegspolitik in derjsPäter brachte er durch seine Demission Richtung zum Verständigungsfrieden(lie Kaiserfrage in das akuteste Stadium festzulegen. Die Militärs und die All deutschen bekämpften jedoch erbittert diese Friedensoffensive, die, wie sie meinten, vom Ausland nur als ein Zei­chen der Schwäche aufgefasst werden würde und so schleppten sich die Dinge hin, bis schliesslich im Herbst 1918 die Oberste Heeresleitung selbst die massivsteFriedensoffensive" unter­nahm, indem sie die Bitte um einen Waf­fenstillstand wirklich und am 9. November 1918 rief er von einem Fenster des Reichstags die Re publik aus. Scheidemann hat dann in dem Sturm­winter und-frühling von 1918 und 1919 erst als Volksbeauftragter, dann als Reichsministerpräsident neben Eberl an der Spitze des Reiches gestanden, doch bestanden, bei aller Schicksalsverbun- aussprach. Das war nun denheit, zwischen den beiden Männern ein Zeichen nicht nur der starke persönliche Gegensätze. Die Wege der Beiden schieden sich auch äusserlich, als Scheideraann mit seinem Vorschlag, den Frieden von Ver­ sailles nicht zu unterzeichnen, in der Nationalversammlung in der Minderheit blieb und demissionierte. Auch Eberl sträubte sich gegen die Unterzeichnung, und trug sich mit der Absicht, das Amt des Reichspräsidenten niederzulegen. Aber eine Präsidentenkrise in jenem Augenblick würde das Chaos bedeutet haben. So kam es, dass Eberl, dem drin­genden Rat seiner Freunde folgend, blieb, während Scheidemann ging. Innerhalb der Arbeiterbewegung, ja auch innerhalb der eigenen Partei und Richtung war Scheidemann stets eine umkämpfte Persönlichkeit, und das ist auch verständlich. Weniger verständlich ist die geradezu tierische Wut, mit der die Nationalsten der Nationalen ihn ver­folgten. Ein Giftgasattentat auf ihn fand in der Rechtspresse kaum verhüllten Beifall, nach Hitlers Machtergreifung wurden seine Angehörigen als Geiseln gefangen genommen. Dabei war Mangel an deutschem Nationalgefühl das letzte, was man ihm vorwerfen konnte. Aber vielleicht Hess ihn gerade das in den Augen der Nazi als besonders gefährlich erscheinen, dass er sein Vaterland mit Verstand liebte. Dafür hat er denn auch im Exil ster­ben müssen. Xarrenspriin�e In der letzten Zeit hat es sich mehrfach Wille, sich dagegen zu wehren, war all- �eignet dass deutsche Emigranten im neu- 0 r- a n» tralen Ausland ruhrende Briefe von Be- geTeT-» fd,ieSem 1�mPf nden gßseHtc kannjen erhie!ten, in denen diese Emi. sich die Hol nung, dass ein ell'sc'1- granten um Lebensmittelsendungen gebeten land, das antirussisch geworden war,|wur�en#Verrechnung später..." Ueber- auch nicht mehr preussisch im alten flüssig, zu sagen, dass diese Briefe aus dem Sinne des Wortes bleiben könnte. Das Dritten Reich kamen. Immerhin gehört es Kaiserreich war ein Zwitterding zwi- zu den bitteren und unerwarteten Witzen sehen den Demokratien des Westens und der Geschichte, wenn die Verjagten, Hei- dem Absolutismus des Ostens, infolge-'J13"0560 von den daheim Gebliebenen, dessen war die Rechte prorussisch und Sesshaften um Hilfe, um Fleisch und Butter, die Linke profranzösisch und proenglisch Se,fe und. Kaffee angegangen werden. Die gestimmt. Die Linke wollte die Vernich­tung des Zarismus und eine rasche, voll­ständige, dauernde Verständigung mit Frankreich -England. Die Rechte wollte die Vernichtung des englischen Welt­reichs und den Separatfrieden mit einem zugunsten Deutschlands verkleinerten. Zeit kommen könnte, in der die einzige Pro- grotesken Widersprüche des Dritten Rei ches spiegeln sich in grotesken Episoden, die man Narrensprünge der Geschichte nen­nen könnte, Narrensprünge, wie sie die verrückteste Phantasieorigineller" nicht zu erfinden vermöchte. Wer hätte Je geglaubt, dass einmal eine aber in seiner Staatsform unberührten zarischen Russland . Zu dem Gegensatz zwischen West- und Ostorientierung gesellte sich der an­dere zwischen Eroberungs- und Ver- stündigungsfrieden. Die Sozialdemokra­ten traten für den Verständigungsfrieden ein, weil sie Eroberungen grundsätzlich verwarfen, sie konnten aber für ihren grundsätzlichen Standpunkt auch oppor­tunistische Argumente ins Feld führen, die schlechthin durchschlagend waren. Deutschland kämpfte fast gegen die ganze Welt; wenn es ihm gelang, ohne Niederlage aus diesem Krieg herauszu­kommen, so war dies schon ein unwahr­scheinlich grosser Sieg, an einen Erobe­rungssieg konnten doch nur Tollhäusler denken. Scheidemann war der Sprecher der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion während des Krieges. Er war ihre Ver­körperung in solchem Masse, dass man seine eigenen Gesinnungsgenossen als die Scheidemänner" bezeichnete, und von dem Verständigungsfrieden als von einemScheideraann-Frieden" sprach. DerScheidemann-Frieden", das war der Frieden ohne Annektionen und ohne Entschädigungen, derweisse Frieden", der alles, oder doch das meiste, beim Alten Hess, und so der Welt eine ein­dringliche Lehre erteilte, dass der Krieg keine geeignete Methode sei, unbequeme Tatsachen zu ändern. Alle Kriegsreden Scheidemanns Hefen darauf hinaus, dass der Krieg so lange fortgesetzt werden müsse, bisdas Ziel der Sicherung", eben der Frieden ohne Verlust, erreicht sei, aber auch nicht einen einzigen Tag länger. Die Rechte aber, voran die Alldeutschen wollte viel länger kämpfen, nämlich bis Frankreich , England und Amerika sich geschlagen gaben, ungeheuere Länder abtraten Und Kriegsentschädigungen zahlten. Der überlegene Hohn, mit dem Scheidemann diese wahnsinnigen Kriegsziele ablehnte, paganda, die drüben neben der national sozialistischen geduldet würde, die für Sta­ lin und Sowjetnissland sein würde? Wer unter den Satirikern wäre auf die entar­teten Deutschen gekommen, die sich in Ju­ goslawien bemühen, den Judennachweis zu erbringen, um nicht heim ins Reich zu müssen! Da giebt es Südtiroler , die für dieHeimkehr Südtirols " im italieni­ schen Gefängnis gesessen haben und die heute, heimgekehrt ins Reich, zurück möch­ten nach Südtirol , in der Hoffnung, dass ler die ganzetausendjährige Wacht" samt Zubehör verkaufte. Wo giebt es diese Dichtergilde wieder, die dauernd ermahnt, gebeten und getre­ten wurde, sich mehr an Zeitstoffe und weniger an Vergangenes zu halten und an die plötzlich, Anfang September, die Warnung erging; Vergreift euch lieber nicht an aktuellen Stoffen, weil man nicht weiss, welcheunerwartete Wendung das Genie vor hat"... Und wer wird nicht vom Hauch des Grotesken, Unerhörten berührt, hört er heute eine Hiflerrede von ehedem? Was ha­ben uns diese Reden angeödet, angewidert! Empfindliche Ohren ertrugen es keine hal­be Stunde: diesen Stelzengang verkrachter Substantive, diese ewig heisere Ruhmre­digkeit und Selbstgefälligkeit, diesen Feld­webelton, der sich am peinlichsten an­hörte, wenn er schmalzig werden wollte, dieses hohle Pathos mit undeutsch rollen­dem rrr, diese dilettantischen Tiraden über Kultur, Ewigkeit und was sonst noch, diese Verfluchungen des Bolschewismus im Namen des Allmächtigen, diese ewigen Schändungen der deutschen Muttersprache. Und nun tönt uns diese oder jene Hitler­rede der Vergangenheit ab und zu aus dem englisch -französischen Rundfunk entgegen. Wie amüsant, wie lehrreich, welch eine zauberische Verwandlung! Welch ein un­erhörter Humor des Weltgeistcs weht aus dem Laufsprecher, wenn man hört, wie Hiller treuherzig versichert, dass völki- es nie zurück kehrt ins Reich. Da giebt scher Sinn nie nach Okkupation fremder es Balten, die jetzt daheim im Reich der Minderheiten verlangen kann, dassEr" Jugend erzählen können, welchedeutsche nach Regelung der Sudetenfrage in Europa Mission im Osten" sie erfüllen, ehe Hit- keinerlei territorialen Ansprüc1-" mehr Her tödllclieSlIilllmeter Fieberptaanlasio eines deutsehen ICundfunkliörers Er schreit und schreit und kommt nicht von der Stelle. Ich habe neununddreissig-komma-acht. Ich kann das nicht mehr hören. Nächste Welle. Derselbe Quatsch, hab ich mir's doch gedacht. Mir brummt der Kopf. Das kommt nicht nur vom Fieber, das kommt vom Ribbentov, vom Molotrop. Ich komm' nicht drauf wie heisst er gleich, der Schie- [ber? Dreh ich wohl weiter? Achtung! Wer da! Stop! Dreh ich noch einen kleinen Millimeter, dann hab ich Frankreich statt der Wacht am Rhein. lieh, Minna! Bring das Fieberthermometer, mir ist ganz komisch, mancher geht dran ein. Das könnte doch versehentlich passieren, dass einer in Gedanken weiterdreht? Der würde dann vielleicht sogar kapieren, warum uns Russland treu zur Seite steht. Ein Millimeter, und ich wüssfe alles. Jetzt brummt mein Kopf dann war er plötzlich klar. Was nützt mir aber, abgehackten Falles, dass dieser Kopf ein informierter war? Ich rede schon so deutsch wie ER persönlich. Ich halt das nicht mehr aus. Wohlan es sei! Mir wird ganz feierlich, ganz ungewöhnlich. Ein Millimeter. Mut! Gott steh mir bei! habe, dass die Freundschaft mit Polen ewig währen müsse. Welch eine diabolische Ironie entströmt dem Kasten, wenn diese Platten kreisen. Der ganze Kasten scheint zu lachen und zu sagen:Hier habt ihr ihn, den windigen Wicht; er sitzt schon im Käfig, klein, hässlich und entlarvt. Er mag seine eigne Rede nicht mehr hören..." Hat man das eine Weile nicht gehabt, vermisst man etwas und möchte in den Funk hinein rufen:Bitte, noch einmal jene schöne Rede, in der er--" usw. Wer uns aber vor einem halben Jahr ge­sagt hätte:Ihr werdet dieses vermale- deiete grosspurige Gequassel noch einmal gern hören, ihr werdet ein grimmiges Vergnügen daran haben und danach ver­langen" wenn uns das einer prophe­zeit hätte, wie wohl hätten wir dem Spass- vogel geantwortet? In jedem Falle un­freundlich. Wissen möchte man, ob es auch früher schon Perioden gab, in denen sich die klei­nen und grossen Narrensprünge politischen Lebens derart krass hervor drängten. Die Alten sagen: Nein. Und die vor ihnen kön­nen wir nicht mehr fragen. Sicher hat die Genialität des Lebens immer unerwar­tete politische Bocksprünge produziert, aber die unserer Zeit heben sich von de­nen früherer Epochen dadurch ab. dass sie nicht nur geboren sind aus unerhörten Dimensionen blutigen Geschehens und die rauhen Spuren europäischer Kulfurfragö- die fragen, sondern: dass ihre Entstehung wie ihre Farbe zurück zu führen sind auf die Verlogenheit, Charakterlosigkeit und biedermännische Heuchelei despotischer Hauptakteure. Schwindlig kann einem werden, wenn man bedenkt, dass es in Mitteleuropa ein grosses Volk giebt, dessen Mehrheit diese abnormenWitze" seines Regimes viel­leicht gar nicht als so abnorm emnfindel. Volksschichten, denen das alles vielleicht nicht als abgründig, verrückt, sondern als die übliche, unvermeidliche Ornamentik bewegten Daseins erscheint? Denen die grausigste, amoralische Charakterlosigkeit des Regimes nicht einmal ein Manko, son­dern ein selbstverständliches Zubehör gros­ser Politik dünkt? Wahrscheinlich wird sich das alles den jüngeren Generationen drüben so ähnlich sniegeln. denn ihr Mass­stab ist der des Erfolges, der bisher alle, ..unerwarteten Wendungen des Genies" zu begleiten pflegte. j Später einmal aber, wenn die Geschichte das gemeingefährlich Dilettantische des Gansterregimes vor den eignen Anhängern enthüllt hat, werden die Reden Hitlers zu den drastischen Belegen dieser Wahn- sinnsepidemie gehören. Man wird diese Platten auflegen und ihre Verheissungen des tausendiährigen Reiches werden ans Trümmern tönen wie--. Wie was? Es giebt keinen zuständigen Vergleich, denn einen Barbarensfurm,' dessen Randenfüh- rer hin und wieder die ffrössten Denker und Künder aller Zeiten für sieh zitieren und die so etwas wie denFaust" als ihren Vorläufer reklamieren, hat die Welt noch nicht erlebt. Daneben versagen alle bishe­rigen Vorstellungen, die man von den ..Mächten der Finsternis" in seinem Tor­nister mit sich trug. R. G.