JOURNAL ANTIHITLERIEN Journal social-democrate destineNOUVEL"EN AVANT!" Hebdomadaire en langue allemandeRedaktion und Verlag: 30, Rue des Ecoles, Paris-5. T�liphone: Odeon 42-58aux refugies de langue allemandeNr. 340. SONNTAG, 24. Dezember 1939Aus dem Inhalt:Deutsche WeihnachtseinkäufeWiedersehen mit BerlinKriegsloehne in DeutschlandPrix:(Trg. 1,50Zwischenakt in GenfWir waren und wir bleiben Anhänger des Völkerbundes. Wir haben inseiner Errichtung, dem grossen Werkdes grossen Demokraten Wilson, denbedeutendsten Fortschritt gesehen, dender Kriegsausgang gebracht hat, dieInstitution, unentbehrlich für die Schaf-lung der kollektiven Sicherheit, dieserVoraussetzung für die Aufrechterhaltung des Friedens in kontinuierlicherSchöpfung und steter Anpassung andie sich ändernden realen Verhältnisse.Wir waren Anhänger des Völkerbundes gegen die Deutschnationalen, diegegen den„Bund der Sieger" ihreAngriffe richteten, und das Zusammengehen mit Sowjetrussland der Verständigung mit Frankreich vorzogen; wirWaren für den Völkerbund gegen Bol-sehewiki, Kommunisten und manchedirer„linkssozialistischen" Nachbeter,die den„Bund der imperialistischenHäuber" bei der Arbeiterschaft zudiskreditieren versuchten, um den künftigen Krieg, die Voraussetzung der'.Weltrevolution" vorzubereiten.Wir waren für eine konsequente undentschlossene Völkerbundspolitik, wennbitweise französische und englischeRegierungen vermeintlich näherliegenden, vermeintlich realen Interesseneinor sogenannten Machtpolitik Grundsätze der Völkerbundspolitik zum Opferbrachten, und wir haben das Verderben vorausgesagt, als die Neutralen an-ängen, nach dem Versagen der Gross-'Wächte deren Politik nachzunahmenünd statt ihre Kräfte zu vereinen, umsich der Politik der Zerstörung zu wi-jdersetzen, selbst alles zur weiteren Aushöhlung des Völkerbundes taten undsich in eine Neutralität flüchten woll-'en, deren Aufrechterhaltung nur möglich gewesen wäre, hei einem ungestör-leii Funktionieren des Völkerbunds, beiAufrechterhallung der kollektiven Si-cberheit.Denn wenn die Ereignisse der letztenZeifeines gelehrt haben, so ist es wohldies, dass nicht nur der Frieden, sondern die blanke Existenz, die FreiheitUrid die nationale Unabhängigkeit derkleineren Staaten nur erhalten werdenbann, wenn ein Völkerbund, eine kraftvolle internationale Friedensorganisa-I'on vorhanden ist, während die Kleinstaaten sonst zu Schutzgebieten dersich feindlich gegenüberstehendenI'rossmächte herabsinken, wie es vorder Errichtung des Völkerbunds derball war, oder gar ihre Selbständigkeitvöllig einbüssen.Der Völkerbund ist freilich kein� undermittel, keine Patentmedizin fürdie Heilung aller Uebel, die aus demNebeneinander souveräner Staaten mitden Spannungen, die sich aus der} erschiedenheit ihrer Grösse, des Gradsihrer Entwicklung, der Konfiguration'bres aus ihrer Geschichte stammendenlerritoriaIen Gefüges und den sozialenSpannungen im Innern und nach Aus-spn ergeben können. Er ist eine Institu-Ron, eine politische Einrichtung, derenjA'Ivbsamkeit wie die aller politischenEinrichtungen davon abhängt, welchenGebrauch die Menschen davon machen.Aber wie ein Parlament nicht an sichDie Aeclitung� des» Angreifers;Heim Ins ReichDie ju�oslavisclie lllnderlieit will nichtWir erhalten von befreundeter Seiteeinige Nachrichten über die Lage derdeutschen Minderheit in Jugoslawien.Diese Minderheit zählt etwa 450 000Leute, wovon 300.000 die Vojvodina bewohnen, während die Uebrigen in Kroatien und im slowenischen Gebiet leben.Dem gegenüber gibt es ca 150.000 Jugoslawen im jetzigen Reich, meistens Slowenenin Kärnten und Kroaten im Burgenlande.Die Nachricht, dass Hitler bestrebt ist,auch diese deutsche Minderheit ins Reichübersiedeln zu lassen, hat die jugoslawische öffentliche Meinung mit einstimmigem Jubel empfangen, da die Haltung derFührer dieser Minderheit seit einigenJahren sehr frech und drohend war. Manwar froh, diese Minderheit los werden zukönnen.Hingegen spürt man keine Begeisterungin der deutschen Minderheit selbst. Dieseist meistens witrschaftlich gut siluiert, erfreut sich einer relativen politischen undkulturellen Freiheit und besonders seildem Regierungsantritt von Stojadinovic,aber auch nach seinem Fall unter demjetzigen Regime Cvetkovic geht es ihr so gut,dass sie an der Auswanderung nur verlieren könnte. Deswegen fand sie auch genug Mut, gegen jene Absicht öffentlich zuprotestieren. So liest man z. B. in derZeitung die„Donau'', die in Apatin erscheint:„So sieht man die Lage in Berlin.Was aber die Deutschen von Süd-Ost-Europa dazu zu sagen haben', wird manerst erfahren, wenn die Sache ernstwird. Inzwischen sehen wir schon jetzt,dass viele, die den Mund voll von Liebezum Reich hatten und sich als einzige, patentierte deutsche Patrioten gebürdeten, jetzt gegen die UebersiedlungStellung nehmen."Die„Deutschen Nachrichten" von Agramversuchen die ganze Sache ironisch zu betrachten, erklären die Nachricht als ausgedacht und ersuchen die Behörden nichtzu erlauben, dass darüber geschriebenwird. Mindestens sei die Nachricht so verfrüht, dass sie keinem deutschen Patrioten Freude bereiten könne. Der„Slawoni-sche Volksbote" erklärt, die Uebersiedlungkönnte höchstens kleine, zerstreute Gruppen betreffen, nicht aber Sprachinseln inSüd-Ost-Europa, wo Deutsche in kompakten Siedlungen leben. Das folgende Flugblatt zirkuliert jetzt unter den DeutschenJugoslawiens. Es ist so symptomatisch, obes aus offizieller Naziquelle stammt odernicht, dass es eine Veröffentlichung verdient:„EIN REICH, EIN VOLK, EIN FUEHRER"Deutsche Volksgenossen„Enger denn jemals sind heute alleDeutschen, im Reiche und ausserhalbdes Reiches, um ihren Führer Adolf Hitler geschart. In diesem Kampfe, den unsunsere Feinde aufgezwungen haben,wird Deutschland alle seine Gegner siegreich zu Boden zwingen. Auf den Ruinen Europas wird Deutschlands Weltherrschaft neues Leben und neue Ordnung schaffen. Der von Vorsehung undvon Gott uns gegebene Führer weiss,was er will. Eins ist das Gebot derschicksalsreichen Stunde: Disziplin undGehorsam. Und Gehorchen ist Eure erstePflicht.Deutsche ausserhalb der Reichsgrenzen,der Führer braucht Euch heute im Dritten Reich. Fast dreissig Millionen Slawen haben wir heute unserem Reich ein.1 verleibt. Einen Teil davon werden wirmit Deutschen aus anderen Gegendenumtauschen. Den anderen Teil dieserSlawen werden wir durch deutsche Arbeit und deutsche Kraft aufbrauchenund aufreiben. Dazu braucht der FührerEuer Werk und Eure Arbeit.Zu diesem Ende werden heule dieDeutschen aus Südtirol und die Deutschen aus den baltischen Ländern wieder ins Reich zurückgerufen. EndloseZüge und ganze Flotten sind in Bewegung. Freudig und begeistert folgen alledem Rufe ihres Führers. Ein epochalerVorgang wie ihn die Welt seit der Völkerwanderung nicht gesehen hat ist imZuge. Es geht um Deutschlands Ehre,Grösse und Macht. Zu diesem Ende werden auch die Deutschen aus Jugoslawienwieder in ihr Stammesland zurückkehren.Deutsche Volksgenossen Jugoslawiens.Der Führer ruft Euch. Ihr habt als Glieder des grossen deutschen Volkes schonlängst Eure Ergebenheit und Treue undDisciplin bewiesen. Heute geht der Rufan Euch: Zurück ins Deutsche Reich, zurück ins Land der Väter.Verkauft Eure Güter und was Ihr anHabe nicht mitnehmen könnt und kehrtzurück ins Grosse Deutsche Reich. Tutdas jetzt, sobald als möglich. Ihr könntes jetzt in Ruhe und ohne Ueberhastungtun. Aber tut es sofort. Wenn einmaldas Gebot ergeht, dann werdet Ihrüber Nacht dem Gebote folgen müssen,und dann wird es keine Zeit mehr geben. Ihr tut es heute in Eurem Interesse. Später werdet Ihr es mit Ueber-stürzung und grossen Verlusten tun müssen. Arbeilet dem vor in Eurem Interesse. Und wer nichts hat an Erdgütern,der kann und soll sofort nach Deutschland ziehen.Der Führer wartet auf Euch. Erbraucht Euch zur Ehre und zur GrösseDeutschlands. Es geht um DeutschlandsWeltmacht. Wie ein Stahlblock wird dasDritte Reich mit über 100 MillionenDeutschen mitten im Herzen Europasstehen und der Welt Frieden diktieren,den deutschen Frieden. Die Zeiten derVcrsailler Diktatur sind vorüber undnimmer werden sie wiederkehren. Verkauft Eure Güter und was Ihr nichtmitnehmen könnt, löst Euch los vonfremder Scholle und kehrt heim insdeutsche Reich, in Euer Reich.Die Parteileitung."Alle Nachrichten aus Ungarn berichteneinstimmig, dass in der deutschen Minderheit Ungarns, die sich auch mit Uebersiedlung bedroht sieht, eine wahre Panikherrscht. Viele Deutsche versuchen jetztungarische Namen und Vornamen zu erhalten und zahlen sehr viel dafür, um vonden ungarischen Pfarrern oder NotarenBeweise ihrer ungarischen Abstammung zuerreichen. Nicht einmal prononcierte Nazis unter ihnen haben Lust, nach Deutschland überzusiedeln.gut oder schlecht, nützlich oder schädlich ist, seine Wirksamkeit vielmehrdavon abhängt, welchen Gebrauch dieWähler von ihrem Recht machen, soist auch das Versagen des Völkerbundspolitik nicht Schuld der Institution,sondern der Wähler, das heisst in diesem Fall Schuld der zweideutigen, inkonsequenten Politik der Grossmächtezuerst, die zwischen dem Rückfall einer mit halben Mitteln betriebenenMachtpolitik alten Stils und der neuenPolitik hin und her schwankten, der„Neutralen" sodann, die diesen gefährlichen Schwankungen nicht ihre eigenekoordinierte Politik entgegenzusetzenwussten. So wenig aber der Antiparla-mentarismus der Frühzeit der Arbeiterbewegung ein Weg zu politischem Ein-fluss sein konnte, so wenig wäre diePreisgabe des Volkerbunds ein Weg zurSicherung des Friedens, zur Sicherungder nationalen Existenz. Wie immerder künftige Friede beschaffen seinmag, welche Friedensgarantien er auchenthalten mag, der Friede bleibt kontinuierliche Schöpfung, bleibt Sachemenschlicher Politik, menschlicher Einwirkung; er ist nicht Folge mechanischer Regelung, nicht automatischesProdukt irgendeiner, noch so klug ausgedachten Institution, sondern Ergebnis ihrer Benutzung. Eine andere Politik hätte mit derselben Institution desVölkerbunds, trotz ihrer Unzulänglichkeiten, ganz andere Resultate erzielen,die Wiederaufrüstung Deutschlands,die Besetzung des Rheinlands, die Vertragsbrüche sehr leicht verhindernkönnen. Und wie immer die Zukunftdes Kontinents nach dem Siege der Alliierten gestaltet wird, einer institutionellen Grundlage für europäische Zusammenarbeit, einer Einrichtung fürkollektive Sicherheit wird die Menschheit nicht mehr entbehren können undnicht entbehren wollen.Deshalb sehen wir trotz mancher entgegenstehenden Bedenken in der Resur.rektion des Völkerbundes ein günstigesEreignis. Gewiss, es bleibt ein monströses Ergebnis, dass der Völkerbund beiseinem ersten Zusammentreten nachdem Kriege nicht ausdrücklich und mitder Entschiedenheit, zu der ihn seinStatut verpflichtet, gegen den AngriffHitler-Deutschlands Stellung genommen hat. Es wirkt nicht erhebend, dassfünf Neutrale, die freilich der Hitler-Drohung am meisten ausgesetzt sind—Belgien,, Luxemburg, Holland, Däne.mark, Schweden— von vornhereinsich gegen jede Erörterung des deutschen Verbrechens ausgesprochen unddarauf bestanden haben, dass nur derAngriff Sowjetrusslands erörtert werde,wie die Anrufung des Völkerbundesdurch Finnland es bedingte. Aber esbleibt die Tatsache, dass der Völkerbund Russland als Angreifer verurteilt,die Mitgliederstaaten aufgefordert hat,einzeln Finnland mit allen Mitteln zuunterstützen, und schliesslich den Ausschluss Russlands aus dem Völkerbundansgesprochen hat. Gewiss ist es nichterhebend, dass in der Vollversammlungnicht weniger als neun Staaten—die drei skandinavischen, die drei bal-