iru 1 D N A 1 A iy Tl 141 ITI ET DI C IM Journal JWVII�IvnLa nl 1 I im I IhEm�IEbI� aux refugies de langue allemande Nr. 341. SONNTAG, 31. Dezember 1939

©ojialdcmolraJifc�cö tt>od>cnbIaW NOUVEL"EN AVANT!" Hebdomadaire en langue allemande Redaktion und Verlag: 30, Rue des Ecolcs, Paris -5. T�16phone: Odeon 42-58

Aus dem Inhalt: Deutsche Stimmung in Briefen Moskau ohne Maske Der hungernde Millionär Prix:(Trs. 1,50

Der Sinn des Krieges Verteidigung' von Freiheit und llensclien würde

Das siebente Jahr nationalsozialisti­scher Herrschaft nähert sich seinem Ende und in diesem Jahr hat sich voll­endet, was von Anfang an das dieser Herrschaft innewohnende Gesetz war: der Krieg. Die ganze Ideologie der Na­tionalsozialisten, so schrieben wir im Oktober 1933 im Einführungsartikel der Zeitschrift für Sozialismus", schafft akuteste Friedensbedrohung.Sie ist um so grösser, als kein Zweifel daran gestat. tet ist, dass grosse Kreise des deutschen Volkes begeistert demheroischen Ide­al" des neuen Krieges anhängen. Es ist nur die Ungleichheit der Chancen, die Ueberlegenheit der Gegner, die den Frie­den vor dem heutigen Deutschland si­chert. Daher das fieberhafte Streben nach derGleichberechtigung". Daher der Ruf der Rechtsvergewaltiger nach der Gerechtigkeit, dessen Erfüllung nur die Kriegsgefahr steigern, die Welt der faschistischen Erpresserpolitik auslie­fern würde." Diese Erkenntnis war für einen deut­ schen Gegner des Nationalsozialismus nichts besonderes, aber sie blieb dem Ausland in fast allen seinen sozialen Schichten und politischen Parteien ver­schlossen, bis es zu spät war. Der Krieg �vurde den Westmächten, die zu immer neuen Zugeständnissen auch in der al­lerletzten Phase der Krise bereit waren, von der Hitlerdiktalur aufgezwungen. Sie konnten nicht anders, wenn sie ihre Existenz behaupten wollten. Schon des. balb ist es so stupid, von einem neuen imperialistischen Krieg zu sprechen. Man mag Imperialismus, der allerdings für die, die das Wort am meisten ge­brauchen, ein unverstandenes Schimpf­wort ist, definieren, wie man will, er ist auf alle Fälle Expansionsstreben, Macht. erweiterungswille und notwendigerweise aggressiv. Nichtaggressiver Imperialis­mus ist ein Widerspruch in sich selbst. England und Frankreich haben nach 1918 und erst recht seit 1933 wichtige Machtpositionen geopfert, sie haben im­mer neue Konzessionen gemacht, um den Frieden auch um den Preis realer Macht. minderung zu erhalten. Und diese Poli­tik war keineswegs nur die Politik ihrer Arbeiterschaft, sondern die Politik aller Schichten. Nein, mit den alten Formeln aus der Vorkriegszeit, die längst schematisch Und revisionsbedürftig geworden sind, lässt sich die Wirklichkeit von heute nicht erklären. Dieser Krieg ist kein Krieg, der aus kapitalistischen Inter­essengegensätzen entsprungen ist. Nicht nur die englische und französische Ka­pitalistenklasse sind an ihm unschuldig, sondern auch die deutsche hat ihn nicht gewollt, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht wollen konnte, weil sie längst einer von ihr unabhängigen oder unab­hängig gewordenen absoluten Staats­macht untergeordnet ist. Diese Staats­macht, emporgetragen von einer Massen­bewegung, in der alle sozialen Schichten Vertreten waren, hat längst alle verschie­denen Klassen- und Gruppeninteressen in ihren Herrschaftsapparat eingeordnet Und unterworfen. Der Krieg, den sie führt, ist ihr Krieg, ist Folge ihres Mac i- behauptungs- und Machterweiterungs-

Her itnfang� vom Ende Vor dem lJnterg:aii� des llltlersystenis

Mit dem Jahre 1940 beginnt das achte Jahr der Hitlerherrschaft. Sie hat dem Kriege gedient und zum Krie­ge geführt, sie wird im Kriege zusam­menbrechen. Das Ende kommt mit unerbittlicher Folgerichtigkeit. Wir prophezeien nichts über die Fristen, aber wir wissen, dass Hitler diesen Krieg verlieren muss. Die Zeiten des Philosophierens über die Hitlerherrschaft sind vorüber, eben­so die Reiten, in denen wir unermüd­lich der Welt dieses System erklärt uncUdie von ihm ausgehende Drohung gezeigt haben. Mit der allgemeinen Er­kenntnis dieses Systems hat sein Ende begonnen. Die Entscheidung ist mit dem Kriegsausbruch gefallen. Das kommende Jahr dient ihrem Vollzug. Nicht die demokratische Republik in Deutschland war ein zum Scheitern verurteiltes Experiment, sondern der Militärstaat Hitlers mit seiner Rück­kehr zur imperialistischen P itik. Nach dem Zusammenbruch des T'-r- staates wird Deutschland zur Po iiik der Vernunft und des Friedens zi rück- kehren müssen. Das kommende freie Deutschland wird allerdings unter viel ungünstigeren Bedingungen auf die Bahn der Vernunft zurückkehren als vor Hitler .

Die freien Völker gehen in das kom­mende Jahr in der Ueberzeugung, dass | sie den Kampf gewinnen und dass die Wiederkehr des Friedens ihnen Lasten abnehmen wird, zu denen die Hitler­politik sie gezwungen hatte. Das deutsche Volk wird am Ende des Krieges vor einer furchtbaren Bi­lanz stehen. Sie wird umso furchtbarer sein, je länger der Krieg dauern wird. Der Aufbau der Kriegsindustrie bedeu­tete nicht Reichtumssteigerung, son- jdern Wirtschaftszerstörung und Ver­armung. Seit Jarhen herrscht Mangel in Deutschland . Der Mangel zehrt an den Körpern und zerrt an den Nerven. Die amtliche Lüge demoralisiert das Volk. Die Lüge das vornehmste Herrschaftsmittel der Hitlcrhcrrschaft- schafft die Voraussetzungen für den moralischen Zusammenbruch. Das sind unaufhaltbare Prozesse. Aus der systematischen Verarmung entsteht niemals Kraft, aus der syste­matischen Lüge niemals neue Moral. n Ende dieser Prozesse wird ein mü­des, demoralisiertes Volk stehen, des­sen erste Aufgabe nach dem Kriege sein wird, wieder zu gesunden. Wird | das deutsche Volk diese Prozesse bis zum bitteren Ende durchzumachen ha- jben? Hat es noch die Kraft, sie abzu­

kürzen? Die Hitlerherrschaft hat ver­kündet, dass sie alles und alle in ihren Zusammenbruch hineinreissen würde. Wird das deutsche Volk auch noch dulden, dass Hitler alle Werte zerstört, die zum Wiederaufbau Deutschlands nötig sind? Mit dem Sturze der Hitlerherrschaft, dem wir zuversichtlich entgegensehen, wird die Bahn frei für die Rückkehr des deutschen Volkes zur Freiheit aber die Jahre des Wiederaufbaus werden mit einer furchtbaren Hypo­thek belastet sein. Wir glauben dennoch an den Wie- dergesundungsprozess des deutschen Volkes. Es ist die Aufgabe der Sozial­demokratischen Partei, Trägerin des Willens zur geistigen Wiedergesun­dung zu sein. Die Renaissance des Freiheitswillens, die sich in der gan­zen Welt vollzieht, wird von ihr nach Deutschland getragen werden. Es ist die grosse Lehre der vergangenen Jahre, dass die Not und die Last des wirtschaftlichen Aufbaus nicht die geistigen Grundlagen der Zivilisation verschütten dürfen und dass die Frei­heit über allem stehen muss. Das ist das Prinzip, das wir in den Jahren des Vollzugs der Entscheidung festhalten werden.

willens und ihr nicht aufgedrängt von irgendeinem Klassenwillen, der in my­steriöser Weise sich in diesem Kriege durchsetzt. Sind es nicht wirtschaftliche Gegen­sätze, die diesen Krieg hervorgerufen ha­ben und ihm seinen Sinn geben, worin besteht dann sein Charakter? Die nächst­liegende Antwort ist, dass es sich um Machtgegensätze handelt, um den An­griffswillen hier, um die Selbstbehaup­tung da. Und gewiss ist es diese Ant­wort, die im Bewusstsein der Handeln­den und Verantwortlichen subjektiv die entscheidende Rolle spielen. Im Be­wusstsein Hitlers und des ihm anhän­genden Teils des deutschen Volkes ist es der von ihm gewollte und herbeige­führte Kampf um die Ausdehnung der deutschen Herrschaft, in dem der fran­ zösischen und der englischen Regierung der Zwang zur Verteidigung gegen die immer gefährlicheren Angriffe des Gangsters, der über die deutsche Staats­macht verfügt. Die englische und die französische Regierung haben ihre Na­tionen geschlossen hinter sich; es gibt keinen Klassenkampf. Ganz selbstverständlich, denn die Be­hauptung der Unabhängigkeit und die Erringung eines gesicherten Friedens wird von der Arbeiterschaft ebenso als Lebensinteresse empfunden wie von den Mittel- oder Kapitalistenschichten. Die. ses subjektive Bewusstsein erweitert und vertieft sich. Die englische und franzö­ sische Nation und nie war über alle soziale Differenzierung hinaus die Eini.

gung zur Nation vollständiger und be- wusster beginnt zu fühlen, dass es in diesem Kriege um einen grossen Ein­satz geht, um noch mehr als Verteidi­gung und Unabhängigkeitsbehauptung, dass es Kampf um die Freiheit ist, nicht nur um die eigene, sondern um die der Nationen überhaupt. Eine Kreuzzugs­stimmung herrscht in England, so wird gesagt, und kein Zweifel, dass diese Stimmung auch in Fn ikreich um sich greift. Die Warnungen vor demideo­logischen Krieg" sind vt stummt. Aber subjektive Stimmungen sind wandelbar und nirgends mehr als in Kriegszeiten unterliegen geschichtliche Ziele dem Gesetz von der Hcterogonie der Zwecke, nach dem Ziele im Ver. lauf der Aktion, die sie gesetzt hat, sich wandeln oder ganz andere Zwek- jke als die vorgenommenen und voraus- i gesehenen schliesslich bewirkt werden. Denn schwer voraussehbar und nur un- i vollkommen zu erkennen sind die Re­sultate der ungeheuren Gewalteinwir­kung des Krieges, wie unsere Generation es nur zu sehr selbst erfahren hat. Las­sen sich also ausser den subjektiven Faktoren auch objektive erkennen, kön­nen wir so dem Sinn dieses Krieges nä­herkommen? Die Antwort ergibt sich uns aus dem Wesen des deutschen Herrschaftssy­stems.Die nationalsozialistische Dikta­tur, schrieben wir in dem erwähnten Aufsatz, hat durch die Bestialität ihrer Machteroberung und Machtbehauptung alle früheren Gegenrevolutionen über­

troffen. Was sie aber zu einer wahren Gefahr für die ganze Menschheit steigert, ist der Versuch, die Bestialität, die Leug­nung der Humanität, des Rechts der Persönlichkeit, der Geistesfreiheit, des individuellen Selbstbestimmungsrechts, die verruchte Staatsvergottung zu einem ideologischen System zu machen, das der Kulturentwicklung der Menschheit seit der Renaissance, seit der englischen und französischen Revolution entgegenge­stellt wird. Der Rhein ist nicht mehr blosse Grenze er ist zum Abgrund geworden, der die Welt der finstersten Barbarei von den Bezirken der Kultur scheidet." Sieben Jahre hat sich dieses System behauptet in einem Lande, reich an schöpferischen Kräften der Wissen­schaft, reich scheinbar an der humani­tären Tradition seiner Klassik und sei­ner Philosophie, in dem Lande einer wissens- und kulturhungrigen Arbeiter­schaft, erzogen zum Freiheitsideal eines demokratischen und humanitären Sozia- Iismus. Wie war das möglich, warum standen wir schon damals, unmittelbar nach der nationalsozialistischen Macht­ergreifung, mit grosser Skepsis der deut­ schen Entwicklung gegenüber? Auch auf diese Frage suchten wir damals die Antwort wenigstens anzudeuten: Deutschland ist durch sein politi­sches Schicksal dazu verdammt gewe­sen, Trägerin der Reaktion in Europa zu sein, Gegenpart des demokratischen Frankreich . Deutschlands Intelligenz, l seine Lehrer und Professoren, seine