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Telegramm- Adresse: ..Socialdemokrat Berlin"
Redaktion: SW. 19, Bruth- Straße 2. Fernsprecher: Amt L. Nr. 1508.
Montag, den 13. August 1900.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3. Fernsprecher: Amt I, Nr. 5121.
Der leßte Gang.
Im Jm Trauerhans.
Bier Treppen hoch--vier Treppen..
wieviele, die jünger find als er, hätten das nie gethan. Er Der Vierundsiebenzigjährige stieg sie mehrmals am Tage. übertraf fie auch hierin der Vierundfiebenzigjährige.
Das hätten Deine Nachbarn da braußen in den stillen, breiten Straßen des Westens, toter Freund, nicht gedcht, daß Dir Berlins Bevölkerung, ja, das ganze deutsche Volt, einst ein solches Leichenbegängnis bereiten würde! Behn Jahre lang hatte der bescheidene Mann, oft jahrelang in demselben anspruchslosen Gewand, tagtäglich die Strede zwischen seinem Heim und dem benachbarten Stadtbahnhof zurückgelegt. SchließDiese vier Treppen leiteten vom frühen Morgen an eine lich war er wohl allgemein bekannt geworden in seinem endlose Kette von denen, die ihm noch den letzten stummen Stadtteil, der alte Herr, der, mit dem berben Stod Struß von Angesicht zu Angesicht bieten wollten, hinauf vor den Earg. Die große Pforte war jedem geöffnet. das verschnürte Beitungspaket am Kein Schmuck vor dem Thor, kein Schmuck auf den Arm, so rüstig voranschritt. Aber daß der alte Mann einen felbst die Wohnung ohne Dekoration. Und gerade solchen Schatz von Liebe in den Herzen des Volks besaß, wie Treppen er sich heute offenbarte, am Tage, da man ihn zur letzten Ruhe das war die letzte Dekoration, daß man die Stätten, an denen hinaustragen wollte, das hatten die Herrschaften doch wohl er viele Jahre gearbeitet, an denen er sich im Kreise der nicht geahnt, die da oben so erstaunt hinter den Gardinen Familie erfrischte, kräftigte und ruhte, daß man diese nicht durch standen, die so neugierig von Balkonen und aus Loggien das einen verhüllenden Schmuck verdeckte, daß man seine Er schier unermeßliche, nicht endenwollende Zusammenströmen der innerungen und Andenken, sein Arbeitsgerät nicht durch düsteres Grün verdrängte. Menge bestaunten.
in der Rechten,
Sie hatten Grund zum Staunen. Man darf behaupten,
seinen
daß Berlin ein solches Begräbnis noch niemals gesehen hat, wie es am Sonntag dem toten Führer von Genossen bereitet wurde. Nicht Könige und Kaiser erfahren solche Ehren, solche Liebe, wie der alte Rebell, der sein ganzes Leben lang nicht anders gelebt hatte, als der bescheidenste Proletarier auch. Wo ist der oteutat, bei dessen Tode in jedem Arbeiterhause, in jedent abrifjaal freiwillige Ependen der Liebe zusammengebracht werden, um dem Toten einen Kranz aufs Grab legen zu fönnen Welche rührende Anhänglichkeit der Massen an ihren toten Führer und Befreier drückte sich aus in diesem mehr als fünf stündigen Marsch durch die Straßen zum großen Friedhof hinaus. Kein Schaugepränge hatte die Massen verlodt, ihren Sonntag zu opfern; selbst den Sarg konnten nur die wenigsten sehen. Und doch waren sie herbeigeeilt aus dem Osten und Norden und Süden Berlins , aus der näheren Umgebung, aus dem weiteren Deutschland , aus den Ländern, wo Proletarier fremder Bungen wohnen, nicht um Sensationen zu genießen, nicht um zu sehen oder gesehen zu werden sondern um in dem Zug der Hunderttausend mitmarschieren zu dürfen, der den toten Liebknecht zum Grabe hinaus geleitete.
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In den Morgenstunden hatte es geregnet. Dann brach die Sonne durch, und vor dem Hause in der Kantstraße, wo Liebknecht gewohnt hatte, wo es sonst so stille war und wo dicht unter seinem Fenster jede Minute der Stadtbahnzug vorüber brauste, begann es sich zu beleben. Deputationen tamen mit Kränzen, Freunde kamen, den geliebten Toten noch einmal zu sehen.
nur
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Blumen, Kränze und Sträuße aber lagen in jenem Zimmer, in dem seine Ueberreste zum letztenmal uns sichtbar waren. Blumen über dem Sarg, über den Stühlen, auf dem Tisch, dem Sofa, an den Wänden gelehnt, gehäuft an der Erde alles überschwemmt mit Blumen, die ihm die Augehörigen und nächsten Freunde dargebracht. Vom dunkelsten Not der Rosen bis zum hellsten Feuer der Nelten.
Keine Kerzen, nur das milde Licht der Augustsonne. Es kann nicht mehr aus seinen Augen widerstrahlen. Ueber die geschlossenen Lider sind weiße Tücher gebreitet. Der Tod fordert seine Rechte.
mehr in unser Gedächtnis einmeißeln, wenn wir es nicht schon Wir fönnen sein Angesicht nicht mehr betrachten, es nicht früher gethan. Nur die martigen Züge können wir noch in uns aufnehmen. Die kann auch das Tuch nicht ganz verdecken. Sie drängen sich durch das Gewebe.
dieser Wegsteine feines Lebens, rubte er die letzten Tage in In dem Museum all' feiner Erinnerungen und Andenken, dieser Wegsteine feines Lebens, ruhte er die letzten Tage in seinem Heim.
filbergeschmückte Kranz vom Tage der Silberhochzeit. Ueber Drüben, zur Rechten über dem Sofa, der verbräunte, dem Kranz ein Bild aus seinen stärksten Jahren. Der Blick so zuversichtlich, begeistert und drohend hinweg über all die Blumenspenden und Widmungen.
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In einer Ede am Fenster ein Aquarium. Die glänzenden Goldfische tummeln sich rastlos. Er hat es einst in der Zeit einer Verbannung in Leipzig von seinem Freund Fritzsche erworben für seine Kinder.
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Ueber dem Schreibtisch blickt der Kopf Engels gerade herab aus schlichtem Rahmen.
Erinnerungen über Erinnerungen!..
neben ihm Tussy, die Tochter von Mary, und bei den beiden
Da eine Aufnahme von seiner Amerikareise: Er selbst,
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Aveling. Ueber den dreien im einfachsten Rahmen der alte Liebknecht, wie wir ihn in den letzten Jahren gesehen. Dort eine Uhr, von Silberkaryatiden getragen, gewidmet von der Fraktion; ein Silberschiff, Basen und auf dem Ofenfims Korallenstücke, die ihm ein Matrose, ein Parteigenosse, aus der Südfee mitgebracht. Der Bronzekranz, den ihm seine Mitstreiter im Reichstage zum siebzigsten Geburtstag ge=
widmet.
Und noch mehr solche Gaben der Liebe und Würdigung. unzählige. Die Geschichte eines Lebens, die Geschichte eines bedeutungsvollen Lebens.
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Sonst hat das Zimmer nichts Eigenartiges. Aber so etwas war ihm gleichgültig, fonnte ihm gleichgültig sein. Hatte er doch das Eigenartigste selbst hineinzustellen jene Widmungen. Persönlicheres giebt es nicht. llud sie liehen auch heute dent Naum eine besondere Stimmung, eine feierliche Weihe. So ohne alles Gepränge, ohne Prahlerei, ohne Dekoration und Theatereffekt.
Und ebenso die Besucher.
Bestürzt, ergriffen, flumme lage in den traurigen Augen. Aber nirgends unwahres Pathos, erheuchelter Schein, erquältes Jammern.
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Würdig, wie es Männern ziemt, tamen sie langsamen Schrittes die Stufen herauf in Reihe, givei Schritte hinein furzer Blick über die reckenhafte Gestalt in das Trauergemach, vorbei an seinem Sohn nur ein die das Zimmer schier zu einem südlich üppig überwucherten Garten machen langsam wieder hinaus.
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Kein unmännliches, sllavisches Niederknien. Kein Verneigen.
Aufrecht.
über die Blumen,
Aufrecht traten sie ihm noch einmal gegenüber, wie mur Menschen sich gegenübertreten, die einander achten und sich richtig
bewerten
Neben dem scharfen Gesicht der Buchdrucker und Metallarbeiter das vom Wetter gestählte des Maurers, hinter ihnen blasse Köpfe, Tischler und Schneider; erschütterte Frauen, ihren Schmerz in sich hineindrängend bei dem packenden Anblick, die aufsteigenden Thränen zurückhaltend.
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Ein Dienstmann in blauer Bluse, die rote Müge in der Das Büffett rechts am Eingang ist ein Geschenk von Partei- Hand, seine Tragstricke im Aermel. Einen Augenblid bleibt er stehen die Müge vor dem Gesicht einen furzen Satz genossen. Seine schlichte, alltägliche Renaissanceschnitzerei bildet murmelt er eine verzweiflungsvolle Geberde- rasch wendet Dann begann auch schon das Zusammenströmen der Massen. einen guten Hintergrund für all die Krüge, Humpen, Becher Gegen 11 Uhr bildeten sich bereits in den Seitenstraßen die und Gläser, die Freundschaft, Verehrung und fröhliche Stunden er sich. Züge nach der Ordnung, die vorgeschrieben war, uni die Masse zusammengetragen. Wunderliche Formen, sonderbare Farben. zu gliedern. Die Anordnungen der Vertrauenslente wurden allgemein befolgt und bewährten sich vortrefflich. An den Eden Gedenken an manch ein leidenschaftliches Gespräch, an gcistder Seitenstraßen standen Genoffen mit schwarzumflorten Tafeln, vollen Wig und Humor.
Ein andrer Mann sagt mit schmerzzerriffener Stimme: Der ging zu früh
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von uns!"
Sonst mur Stille. Ueberwältigende Stille. Eine Huldigung im Schweigen.
Mit welcher Lautlosigkeit die Hunderte und Taufende herauf
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die in großer Schrift zeigten, welcher Wahlkreis oder welche Und zwischen den feuchtfröhlichen Gefäßen seine Geliebte, Gewerkschaft sich hier oder dort aufzustellen habe, um sich später der er bis in den Tod treu gedient: Die Freiheit. Eine Kleine in guter Ordnung dem Zuge angliedern zu können. Run kamen die Genoffen der Bororte, die einzelnen Gewert- Elfenbeinfigur mit stolz erhobenem Kopf, lühn vorgefeptem fommen, mit welcher Lautlosigkeit sie hereintreten und herausFuß und flatternder Fahne in fester Faust. Unter einem gehen die Treppen hinab! schaften herangezogen. Die Eisenbahnzüge wälzten unaufhörlich schützenden Glassturz; von einem Frankfurter Kunstschniger. Keine ordnenden Rufe, teine schußmännischen Weisungen neue Massen heran. Die Menge wuchs von Minute zu Minute. Etwa tausend Ordner mit roten Armbinden sorgten für das Auch über dem Schreibtisch, so einem richtigen, bürgerlichen brauchen die Weihe des Hauses zu stören. Jeder weiß, wie er richtige Einschventen der heranziehenden Trupps, für den Schreibtisch, den er nie benutt, an den er sich nie zur Nieder- sich zu bewegen hat. Wie in einem Strom jede Welle der richtigen Anschluß der in größeren oder kleineren Gruppen schrift seiner Gedanken niedergelassen, auch dort hängt ein Ab- andern nachfließt, wo nichts verloren geht, alles in seinem Ilfer tommenden Genossen der Wahltreise. Die zahlreich auf- bild jener Freiheit, wie sie alle, die sie ersehnen, und lieben, still und gewissenhaft dahinwandelt so selbstverständlich begebotenen Polizeimannschaften verhielten sich zurückhaltend und die Glückseligkeit, den himmlischen Frieden auf Erden bringt wegt sich der Zug der Besucher an der Bahre vorbei und bringt forgten mehr für das Freihalten des Straßenverkehrs. nur die Dunkelgeister wenden sich, von ihrem Lichte geblendet, fein Beileid dar. Und alles ging gut. Keine Störung. Keine Stauung, von ihr ab. fein Gedränge. Während alle andern Abteilungen halten Neben diesem Stich find Photographien jener Häuser in mußten, bis das Zeichen zum Einschwenken gegeben wurde, tamen die Genoffen des 6. Wahlkreises, dessen Vertreter Liebfnecht war, schon mehr als eine Stunde vor Abgang des Buges in Bewegung. Dieser Wahlkreis sollte dem Sarge auf ber Wanderung zum Friedhof vorauschreiten.
Borsdorf , in denen der Tote in den Beiten des gerechtigkeitslofesten aller Geseze, in den Tagen der Ausweisungen, der Verbanmungen ein Obdach, einen Ruheort zum Schaffen gefunden. Nicht weit davon eine Abbildung einer Büste von Lassalle, Ueberall fanden wir unter den Parteigenossen, die die Franz Mehring besigt. Auf dem Schreibtische ein paar gefommen waren, dem toten Führer das letzte Geleit zu Bücher, altes Leder, abgegriffen. Die Geschichte der Deutschen geben, die ernst este und feierlichste Stinumung. Ueberall von Wirth. Celluloidbilder, Kabinetts, fleine Nippes . Es wurde vom Alten" erzählt. Alle tannten ihn ja; die meisten fehlen über dem Schreibtisch die beiden starken Bände, die ihm hatten ihn wohl wiederholt in Versammlungen sprechen hören. Viele wußten fiber persönliche Erlebnisse mit dem Verschiedenen fein Freund Singer zum 70. Geburtstag verehrt hatte, in denen zu berichten. Und alle erinnerten fich des Jünglings im weißen die Stenogramme sämtlicher Reden Liebknechts im NordHaar, der so anfeuernd zu reden verstand, mit der gleichen Liebe deutschen und im deutschen Reichstage zusammengebunden sind; und Begeisterung. sie sind ausgeliehen worden für die Schilderung von Liebknechts parlamentarischer Thätigkeit, die der Borwärts" gegeben.
Und es tommen nicht nur die Männer im Feierkleid. Manch einer, der in der Nacht scharwerken mußte, manch ein Sausdiener, der auch Sonntags für das Geschäft unterwegs sein muß, tommt herauf. Im Arbeitsrod, auf dem noch die Spuren seines Fleißes. Ohne Vorhemd und Krogen. Keiner fühlt sich dadurch verlegt.
Er entehrt die Feier wahrlich nicht. Sein Gesicht findet seine Trauer, sein Leid, daß ihn berechtigt zur letzten Ehrung. Und wollte ihn einer zurückweisen und jener der dort stumun und starr liegt, tönnte noch aufstehen und reden- er würde nicht mur reden, sondern gewaltig donnern.
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Und es kommen nicht nur die Männer der Händearbeit. Alle, wie sie schaffen
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Da sind auch die Handlungsgehilfen.